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Winston - Ein Fohlen erblickt die Welt: Pferdebuchserie in drei Bänden
Winston - Ein Fohlen erblickt die Welt: Pferdebuchserie in drei Bänden
Winston - Ein Fohlen erblickt die Welt: Pferdebuchserie in drei Bänden
eBook302 Seiten3 Stunden

Winston - Ein Fohlen erblickt die Welt: Pferdebuchserie in drei Bänden

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Über dieses E-Book

Die zwölfjährige Juna, die durch tragische Ereignisse viel zu schnell erwachsen geworden und ihrem Alter weit voraus ist, wünscht sich nichts sehnlicher, als ihrem derzeitigen Leben zu entkommen. Durch die Tragik ihrer Lebensumstände findet sie unerwartet einen Verbündeten, der ihrem Leben plötzlich eine ganz neue Perspektive gibt. Das Schicksal stellt sie vor große Herausforderungen und sie begreift schnell, dass Glück und Unglück manchmal näher beieinander liegen, als erwartet.

Antonia Katharina Tessnow, ehemalige Berufsreiterin, trainierte in einem renommierten Sportstall in Schleswig-Holstein Dressurpferde aller Klassen, bevor sie ins Berliner Olympiastadion wechselte. Dort arbeitete sie 6 Jahre lang als Landesverbandstrainerin des Modernen Fünfkampfes, beritt die Verbandspferde und unterrichtete die Disziplin Springreiten. Die Autorin hat eine Pferdebuch-Trilogie geschaffen, die ergreifend, anrührend und authentisch zugleich ist. Winston ist nicht nur ein Buch für Pferdefreunde, sondern auch für all diejenigen, die nichts mit Pferden zu tun haben, sich aber gerne von packenden und herzerweichenden Geschichten zwischen Menschen und Tieren mitreißen lassen.

'Die Autorin schrieb dieses Buch mit Sachverstand, Empathie und Fantasie. Die spannende Geschichte ist nicht nur etwas für eine Pferdebegeisterte, sondern auch für mich, als ehemaliger Bereiterlehrling und Gruppenleiterin eines Kinderheims.'
Marie-Louise Ludwig

Webseite der Autorin:
www.antonia-katharina.de

Webseite der Hundezucht:
www.bolonka-zucht.de
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum15. Okt. 2019
ISBN9783740796235
Winston - Ein Fohlen erblickt die Welt: Pferdebuchserie in drei Bänden
Autor

Antonia Katharina Tessnow

Vieles von dem, was wir gemeinhin über die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg zu wissen glauben, wird von Augenzeugen- und Erfahrungsberichten aus jener Zeit widerlegt. Auch dieses kleine Buch veranschaulicht das Zeitzeugnis von Betroffenen, das damit den Tiefen der Zeit und der Kluft des Vergessens entrissen ist. Glücklicherweise wurden diese Aufzeichnungen viele Jahre lang aufbewahrt, die nun aufgearbeitet und niedergeschrieben wurden. Mögen diese Erinnerungen die Seelen der Menschen berühren und sie davor bewahren, die Geschichte zu wiederholen. Möge das Gewissen eines jeden Menschen für Unrecht, Unterdrückung und politisch indoktrinierten Hass sensibilisiert werden. Und mögen all die Menschen, welche die Last eines ungerechten und überflüssigen Krieges zu tragen hatten, niemals vergessen sein. Webseite der Verfasserin: www.antonia-katharina.de

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    Buchvorschau

    Winston - Ein Fohlen erblickt die Welt - Antonia Katharina Tessnow

    Gewidmet

    dem ehemaligen leitenden Landestrainer

    des Berliner Fünfkampfes

    Rudolf Trost

    der menschlich immer ein Vorbild war

    und mich nie enttäuscht hat.

    Und

    Winston.

    Über die Autorin:

    Antonia Katharina Tessnow begann mit 8 Jahren zu reiten und wurde früh gefördert. Mit 13 Jahren übernahm sie ihre ersten Berittpferde und mit 15 zeitweilig den Großpferdeunterricht an einem renommierten Reitstall in Berlin, ihrer Geburtsstadt. Nach einem einjährigen USA-Aufenthalt arbeitete sie mehrere Jahre in einem Privatstall außerhalb Berlins. Mit 22 wechselte sie in einen Sportstall nach Schleswig-Holstein, in dem sie sich auf die Dressur spezialisierte und Pferde aller Klassen trainierte und ausbildete.

    Nach einer anschließenden 6-jährigen Tätigkeit im Berliner Olympiastadion als Landesverbandstrainerin des Modernen Fünfkampfes in der Disziplin Springreiten, verließ sie den Sport und widmete sich ihrer künstlerischen, heil-therapeutischen und schriftstellerischen Arbeit.

    Sämtliche Trainerscheine erwarb sie am Brandenburgischen Haupt- und Landesgestüt Neustadt an der Dosse. An dem Aufbau dieses Gestütes orientiert sich der Ort, an dem der Hauptteil der Winston Trilogie stattfindet.

    Winston war Antonias erstes Berittpferd an der Landesreitschule Berlin. Der Charakter und der Lebenslauf von Winston im Buch wurde von diesem wunderbaren Tier inspiriert.

    Heute lebt sie in einem kleinen Dorf am Rande der Mecklenburgischen Schweiz, schreibt Bücher, musiziert und führt eine Hundezucht der russischen Zarenhunderasse Bolonka Zwetna aus dem Alten Jagdhaus.

    Webseite der Autorin:

    www.antonia-katharina.de

    Webseite der Bolonka Zwetna Hundezucht:

    www.bolonka-zucht.de

    ***

    Haupthaus, Neustadt an der Dosse

    An dem Aufbau dieses Gestütes orientiert sich der Ort, an dem der Hauptteil der Winston Trilogie stattfindet.

    ***

    Inhaltsverzeichnis

    Ein Fohlen erblickt die Welt

    Mühlenbach

    Ein Novembermorgen

    Das Schloss

    Das Gestüt

    Pferde

    Manja

    Durchgefroren

    Durchgeweicht

    Früher

    Juna

    Weihnachten

    Abschied

    Der Anfang von Allem

    Hanna

    Seelenpartner

    Winston

    Erfüllte Träume

    Offene Fragen

    Silvester

    Zurück im Heim

    Sylvia von Barnstedt

    Zukunft?

    Michael von Barnstedt

    Zehn Kilometer durch den Schnee

    Dirk

    Ruhelos

    Der gute Wille zählt?

    Eis und Schnee

    Freundschaft

    Ohne Worte

    Brandenburg

    Wie damals?

    Visite

    Schuldig

    Der Tathergang

    Kälte

    Die Erde bebt

    Frieda

    Gratzki

    Ein heller Stern

    Draeger

    Marek

    Donna

    Nicht schuldig?

    Ohne Worte

    Henrik

    Neujahrsüberraschung

    Unser Geheimnis

    Morgendliche Routine

    Das gefährliche Halfter

    Erste Anzeichen

    Wichtiger Besuch

    Vermisst

    Angekommen

    Ein neues Leben

    Winston

    Über die Autoren

    Weitere Bücher und Werke von Antonia Katharina Tessnow

    Ein Fohlen erblickt die Welt

    Es ist ein Novembermorgen. Der Nebel liegt über den Wiesen und es ist still. Die letzten Kraniche verlassen Mark. Es scheint, als würde die Welt noch schlafen, doch die Welt schläft nicht. Im Stutenstall des Gestütes Barnstedt, früh um fünf, erblickt ein Fohlen die Welt. Es ist ein kleiner Hengst. Sein Fell glänzt dunkelbraun, seine Stirn ist weiß gezeichnet, sowie alle vier Beine bis über die Fesseln. In der Morgendämmerung liegen er und seine Mutter im Stroh, als sie ihren ersten Blick wechseln. Die Mutter beschnuppert ihn vorsichtig. Es ist kein Mensch weit und breit. Die Stute steht auf und befreit ihren Schützling ganz zärtlich von den letzten Rückständen der Geburt. Das Fohlen ist noch ganz benommen, versucht sich jedoch ebenfalls gleich auf seine Beine zu stellen, was nach anfänglichen Gleichgewichtsschwankungen auch gelingt.

    Da steht es nun: Seine Beine sind viel zu lang für seinen kleinen Körper. Es versucht sich mühsam in der Koordination seiner Bewegungen, die anfangs nur bedingt gelingen. Das Fohlen macht seine ersten Gehversuche und stakst dabei durch das Stroh, wie ein Storch durch den Salat.

    Es ist wackelig auf den Beinen. Das Neugeborene drückt seinen Körper fest an den seiner Mutter, um stehen zu bleiben und nicht umzukippen. Die Stute bleibt ruhig und wartet, schaut ihr Fohlen an und wagt nicht, sich zu bewegen, sondern bietet mit ihrem großen, ausgewachsenen Körper dem Kleinen Stütze und Orientierung.

    Sie lässt ihn nicht aus den Augen. Vorsichtig hilft sie ihm auf, wenn er fällt; abwartend beobachtet sie seine Schritte. Regungslos steht sie da, wenn er Halt braucht.

    Das Gestüt Barnstedt liegt abseits der Ortschaften, mitten auf dem flachen Land. Endlose Weiden ziehen sich über die Wiesen der Uckermark, die im Sommer in sattem Grün stehen und im Winter das Bild der kargen, brandenburgischen Landschaft wiedergeben.

    Die Stallungen sind noch immer in Stille getaucht, als Hanna, die Pferdepflegerin, den Stutenstall betritt und gleich nach Raja, der gestern noch hochträchtigen Stute, schaut und das neugeborene Fohlen erblickt. Keck guckt der Kleine hinter der großen Stute hervor und wirft, mit gespitzten Ohren, Hanna einen neugierigen Blick zu, als würde er sagen: Hallo, ich bin auch schon da, und Du?

    Hanna wird sogleich ganz warm ums Herz. Der erste Blickwechsel mit dem Kleinen ist ungewöhnlich lang und intensiv.

    Beide, Hanna und das Fohlen, stehen abwartend da. Nur ihre Blicke verbinden sie miteinander. Die Stute Raja reckt ihren Kopf in Hannas Richtung, denn sie weiß, wenn die Pflegerin morgens früh den Stall betritt, hat sie immer eine Kleinigkeit für sie in der Tasche. So auch an diesem Tag. Hanna holt ein Stück trockenes Brot aus ihrer Jackentasche und hält es der Stute hin. Sie schaut, schnuppert kurz daran, doch nimmt es seltsamerweise nicht an. Statt dessen zieht sie ihren Kopf zurück und bleibt einfach nur stehen.

    Sie sieht erschöpft aus. Ihre Augen wirken müde. Hanna sieht das erst jetzt, wo sie ihren Blick von dem Fohlen ab-und Raja zuwendet. Sie öffnet die Boxentür und geht zu den beiden hinein. Das Fohlen hüpft aufgeregt hinter der Mutterstute auf und ab, hin- und hergerissen zwischen dem Impuls, wegzulaufen und seiner Neugier, die es dazu zwingt, sich immer näher an das Geschehen heran zu wagen. Hanna fährt Raja langsam und zärtlich mit den Händen durch den Schopf und über die Augen, welche die Stute in tiefstem Vertrauen schließt, streichelt ihr über die Stirn bis hin zu den Nüstern. Die Stute atmet einmal tief ein und aus, ein Zeichen des Loslassens und der Hingabe.

    Jetzt ist es das Fohlen, welches regungslos und still dasteht und das Geschehen beobachtet. Seinem Gesichtsausdruck entspringt Verwunderung und ein wenig Erstaunen darüber, wie liebevoll und einfühlsam dieser Mensch mit dem wichtigsten und bislang einzigen Wesen der Erde, der eigenen Mutter, umgeht. Fast ein wenig verträumt schaut der Kleine drein. Doch selbst wagt er es nicht, an dieses komische, zweibeinige Wesen heranzutreten. Das ist dann doch zu unsicher. Und sogleich, einmal nicht aufgepasst, verliert er auch schon wieder das Gleichgewicht, lässt sich an den großen, warmen Körper der Mutter fallen, reibt seinen Kopf an ihr, schließt die Augen und atmet ihren einmaligen, vertrauenerweckenden Körpergeruch ein. Seine Welt ist vollkommen.

    Mühlenbach

    Im Heim herrscht große Aufregung. Alle haben ihre besten Anziehsachen rausgesucht und sind frisch geduscht und gekämmt. Maria und Katrin, unsere beiden Erzieherinnen, sind noch dabei, das Chaos in der Küche zu beseitigen. Alle wollen einen guten Eindruck machen, denn wichtiger Besuch ist angesagt.

    Robert ist gerade 15 geworden und damit der Älteste von uns. Er nimmt alles sehr ernst und ist der mit Abstand Vernünftigste. Er ist auch heute als erster aus dem Bett gesprungen. Während die anderen noch um den Spiegel im Bad kämpfen, ist er schon lange fertig und hilft der vierjährigen Sophie, ihre Haare in Ordnung zu bringen.

    Ich bin wohl die einzige, die sich heute keine Sorgen um ihr Äußeres macht. Ich sitze oben auf dem Dach an den Schornstein gelehnt, und halte Ausschau nach den ungewöhnlichen Gästen. Mir ist egal, ob jemand die Flecke auf meiner Jogginghose bemerkt oder ob ich vom Dach falle. Mir ist so ziemlich alles egal.

    Mein Blick wandert über die Wiesen und Felder und bleibt an ein paar Rehen hängen, die sich im hohen Gras niedergelassen haben und neugierig in die Gegend schauen. Ein schwarzer Wagen, der auf dem Hügel auftaucht, scheucht die Rehe auf und lässt sie die Flucht ergreifen. Ich springe hoch und klettere zurück zur offenen Dachluke.

    „Sie kommen!", rufe ich ins Haus hinein und steige die wackelige Leiter herab, zurück auf den Dachboden.

    Die anderen drängen an die Fenster, um zu sehen, mit was für einem Wagen Frau von Barnstedt vorfahren wird. René und seine zwei Jahre jüngere Schwester Angela streiten sich schon seit Tagen deshalb. René meint, weil sie auf einem Pferdegestüt wohnt, sei sie eine Gräfin und wird in einem Rolls Royce mit Motorradeskorte kommen, doch Angela ist sich sicher, eine echte Gräfin kann nur in einer Kutsche vorfahren, die von zehn weißen Pferden gezogen wird. Ich bin auf Angelas Seite, allerdings nicht, weil ich an das Märchen mit der Gräfin oder an eine Kutsche glaube, sondern weil mich René nervt. Er muss zu jedem Mist seine Meinung hinausposaunen und ist immer so aufgedreht, als würde er jeden Morgen vor dem Aufstehen eine Kanne Kaffee trinken.

    „Wo denn? Wo denn? Ich seh’ sie nicht!", kreischt René, als ich gerade die Treppe herunterkomme.

    „Sie sind gerade über den Hügel, und zwar ohne Motorradeskorte", antworte ich.

    Robert, der Sophie noch die letzte Schleife ins Haar bindet, schaut mich überrascht an:

    „Willst Du Dich nicht umziehen?"

    Ich lache kurz, als hätte Robert einen schlechten Witz gemacht:

    „Wozu denn? Oder hast Du schon mal gehört, dass eine Zwölfjährige adoptiert wurde? Wenn überhaupt, dann kommt doch wohl nur Sophie in Frage. Die Kleine ist die Jüngste und sieht so süß aus, als wäre sie aus Marzipan."

    Ich gehe vor Sophie in die Hocke und kraule ihr das Kinn:

    „Na, bist Du aus Marzipan, meine Kleine?"

    Sophie kichert albern, versucht meine Hand wegzuschieben und schüttelt dabei wild den Kopf. Robert hat keine Lust, noch einmal von vorne mit Sophies Haaren anzufangen, deshalb hebt er sie schnell aus der Gefahrenzone und stellt sie in sicherer Entfernung wieder auf den Boden:

    „Aber wir kommen in die Zeitung, willst Du Dich da nicht von deiner besten Seite zeigen?"

    Ich gebe ihm meine Standardantwort:

    „Ist mir egal."

    „Sie sind da!", schreit René.

    Jetzt drängt auch Robert an eines der Fenster und guckt über die Köpfe der anderen nach draußen.

    Eine schwarze Limousine biegt um die Ecke und fährt langsam die breite Sandstraße zum Hauptportal des Heimes hinauf.

    Von unten ruft Maria, unsere Heimleiterin:

    „Los, los! Unsere Gäste sind da! Alle raus zur Begrüßung!"

    Wir trampeln die Treppe hinunter und rennen nach draußen. Robert hat Sophie auf den Arm genommen und stellt sie vor die erste Reihe. Ich stelle mich neben unser Zwillingspaar. Die beiden achten normalerweise darauf, niemals die gleichen Sachen anzuziehen, denn sie hassen es, verwechselt zu werden. Doch heute machen sie auf unzertrennlich und gleichen sich, wie ein Ei dem anderen.

    Die Limousine rollt langsam aus und bleibt schließlich stehen. Maria drückt Sophie einen Blumenstrauß in die Hand und flüstert:

    „Wenn Frau Barnstedt ausgestiegen ist, dann gehst Du zu ihr, überreichst ihr den Blumenstrauß und sagst: Herzlich willkommen Frau von Barnstedt. Alles klar?"

    Sophie nickt und starrt auf die Limousine. Es passiert nichts. Keine der Türen öffnet sich. Wir blicken uns fragend an. Die Fenster des Wagens sind so dunkel getönt, dass wir nicht sehen können, ob überhaupt jemand drinnen sitzt.

    „Vielleicht hat der Fahrer vergessen, die Gräfin einzuladen", kichert René.

    Angela schüttelt den Kopf.

    „Die wartet bestimmt, bis man ihr die Tür aufmacht."

    „Soll ich ihr die Tür aufmachen?", fragt Robert.

    „Wie kommt Ihr denn darauf, dass sie eine Gräfin ist? Sagt das bloß nicht zu laut! Ich mach das", Maria will gerade losgehen, als die hintere Tür auf der Fahrerseite geöffnet wird und eine dickliche Frau herausspringt. Sie hat struppige, blonde Haare und einen Fotoapparat um den Hals.

    „Eine Gräfin habe ich mir anders vorgestellt", flüstert Angela.

    Pssst!, macht Maria, "die Frau heißt von Barnstedt. Und sie ist keine Gräfin!"

    Für uns schon. Guck dir doch mal diese Karre an!, blöckt René.

    Sophie stolziert mit dem Begrüßungsstrauß los, doch Maria läuft ihr schnell hinterher und dirigiert sie zurück zur Gruppe:

    „Das ist die Reporterin."

    Die Reporterin läuft um die Limousine herum und winkt uns zur Begrüßung kurz zu:

    „Geht gleich los."

    Sie sucht sich einen Platz, von dem aus sie einen guten Überblick über die Szene hat und hebt dann den Fotoapparat ans Auge. Meine Alltagsklamotten kommen mir auf einmal ungewöhnlich dreckig vor. Neben den anderen muss ich aussehen, als wäre ich gerade aus einem Gulli geklettert. Das ist auf den Fotos bestimmt nicht zu übersehen, darum ziehe ich mich unauffällig zurück und stelle mich hinter die Gruppe. Von hier aus habe ich alles im Blick und wenn die Reporterin herumschwenkt und Fotos macht, sieht man höchstens meinen Kopf. Perfekt.

    Die Fahrertür der Limousine wird geöffnet und heraus tritt ein schwarz gekleideter Mann. Er trägt eine Chauffeursmütze und einen hochgeschlossenen Anzug. Der Mann beachtet uns nicht, sondern öffnet mit gesenktem Blick die hintere Wagentür.

    „Die macht’s aber spannend", sagt René. Ein strafender Blick von Maria und er verstummt.

    Der Chauffeur nimmt seine Mütze ab, woraufhin eine groß-gewachsene Frau aus der Limousine steigt. Sie ist sehr schlank und hat etwas Strenges an sich: Sie trägt einen dunklen Rock, der knapp über die Knie reicht, eine Bluse und eine passende Jacke dazu. Die ist auf Taille geschnitten, mit Knöpfen vorn verschlossen und einem Kragen am Hals, der allerdings nicht zu auffällig genäht ist. Die dunklen Haare sind zu einem Dutt festgesteckt und sie wirkt so steif, als hätte sie ein Brett verschluckt. Ich kriege eine Gänsehaut bei ihrem Anblick. Die Frau hat die Ausstrahlung einer Tiefkühltruhe.

    Kaum ist sie aus dem Auto gestiegen, ist auch schon das Klicken des Fotoapparates zu hören. Für ein paar Momente bleibt die Gräfin wie angewurzelt vor dem Wagen stehen, ihren Blick direkt in die Linse gerichtet. Sie schaltet automatisch ihr schönstes Lächeln ein. Mechanisch, wie ein Roboter. Gruselig.

    „Jetzt", flüstert Maria der kleinen Sophie ins Ohr, die wiederholt losstolziert, diesmal jedoch zu der richtigen Frau.

    Die Gräfin geht trotz ihres enganliegenden Rockes in die Hocke und nimmt den Blumenstrauß entgegen, den ihr die kleine Sophie überreicht. Ohne ihr übertriebenes Lächeln abzuschalten, streicht sie Sophie einmal übers Haar:

    Danke, meine Kleine.

    Sie wartet, bis die Reporterin genügend Fotos geschossen hat, steht wieder auf und geht zu unseren Heimleiterinnen. Sophie bleibt an der Limousine stehen. Bestellt und nicht abgeholt. Es folgt ein kurzes Händeschütteln mit Maria und Katrin. Die Reporterin springt herum und macht Aufnahmen aus allen möglichen Winkeln. Dann stellt sich die Gräfin zwischen die beiden und legt ihnen die Arme um die Schultern, als wären sie gute Freundinnen. Die Fotografin hat nicht für einen Augenblick den Finger vom Auslöser genommen. Der Apparat surrt und klickt ununterbrochen und macht ein Bild nach dem anderen.

    Jetzt dreht sich die Gräfin um, und wirft einen Blick auf uns Kinder. Ihr Lächeln verschwindet:

    „Na! Ihr seht ja aus, als würdet Ihr zur Konfirmation gehen. Ich freue mich zwar, dass Ihr Euch so herausgeputzt habt, aber das ist ja nicht der Sinn der Sache. Wir wollen hier ja keine gestellten Fotos machen und so tun, als würdet Ihr in einer heilen Welt leben, nicht wahr?"

    Eine unangenehme Stille setzt ein, sogar die Reporterin hört auf zu fotografieren.

    Maria löst die Spannung:

    „Vielleicht gehen wir erst einmal rein. Wir haben Kaffee und Kuchen in der Küche angerichtet. Da können wir gemütlich zusammensitzen und uns näher kennenlernen."

    „KUCHEN!", schreit René und springt sofort los, um sich das beste Stück zu sichern. Die anderen rennen hinterher, nur ich bleibe mit den Erwachsenen zurück.

    Katrin stöhnt genervt und folgt der Meute ins Haus. Frau von Barnstedt guckt Maria etwas pikiert an:

    „Nun ja, mit der Disziplin ist es hier wohl nicht so weit her."

    „Sie müssen die Kinder entschuldigen. Sie sind aufgeregt. Wir haben selten so hohen Besuch. Und Kuchen gibt es hier auch nicht alle Tage."

    Die Gräfin lächelt. Wahrscheinlich fühlt sie sich geschmeichelt. Sie nickt der Reporterin zu:

    „Haben Sie das gehört? Ein hervorragender Anfang für den Artikel, finden Sie nicht auch?"

    Die Reporterin holt einen Notizblock aus der Tasche und fängt an zu schreiben.

    Maria zeigt zur Eingangstür:

    „Wollen wir nicht reingehen?"

    Als die beiden auf das Haus zukommen, schaut mich Frau von Barnstedt überrascht an:

    „Davon habe ich geredet. So muss ein Heimkind aussehen. Los, Frau Warnow, machen sie ein Foto."

    Die Banstedt stellt sich neben mich und legt ihren Arm um meine Schulter. Ich erstarre und stehe da wie ein Baum. Ich kann es nicht leiden, wenn mich fremde Menschen anfassen. Die Reporterin macht ein paar Aufnahmen und die Gräfin geht wieder auf Abstand.

    „Wie heißt Du denn, meine Kleine?"

    Die falsche Freundlichkeit dieser Frau ist schrecklich. Ich will ihr sagen, dass ich nicht ihre Kleine bin und dass sie sich ihr künstliches Lächeln sonst wohin stecken kann, doch ich verkneife es mir:

    „Juna."

    „Juna, was für ein schöner Name. Juna, zeig doch bitte der Frau Warnow mal das Haus. Wir brauchen noch ein paar gute Motive, die deutlich machen, dass das Heim meine großzügige Spende wirklich nötig hat."

    Maria nickt zustimmend. Also gehe ich mit der Reporterin Warnow ins Haus. Maria will gleich mitkommen, aber Frau von Barnstedt legt ihr eine Hand auf den Arm und hält sie zurück. Geheimnisvoll, als hätte sie etwas Wichtiges zu bereden. Na ja, soll mir egal sein! Im Kopf bin ich schon dabei zu überlegen, was ich der Warnow zeigen kann. Seit ich im Heim angekommen bin, jammern Maria und Katrin rum, wie wenig Geld sie zur Verfügung haben und wie wichtig Spenden sind. Ich habe das Gefühl, es liegt jetzt an mir, dass die Banstedt ihr Scheckbuch zückt. Als würde es nicht reichen, dass sich hier alle wie die Zirkusaffen aufführen. Ich hätte auf dem Dach bleiben sollen, da hatte ich wenigstens meine Ruhe.

    Frau Warnow reißt mich aus meinen Gedanken:

    „Bevor wir hier weitermachen, muss ich unbedingt auf die Toilette. Ich bin so aufgeregt."

    „Warum sind Sie denn aufgeregt? Sie machen doch nur ein paar Fotos."

    „Frau von Barnstedt hat mir eine Festanstellung als Journalistin versprochen, wenn sie mit meinem Artikel zufrieden ist. Du glaubst nicht, wie schwer es

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