Puskas fürchtet: Monologe aus dem Exil
Von Tibor Rácskai
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Tibor Rácskai
Tibor Rácskai, geb. 1968, Autor, Zeichner und Lehrer in München. Veröffentlichungen u.a. in TITANIC
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Buchvorschau
Puskas fürchtet - Tibor Rácskai
„Jedes Wunder dauert nur drei Tage lang."
Inhaltsverzeichnis
Puskas fürchtet, wahnsinnig zu werden
Puskas leidet unter Blähungen
Puskas fürchtet, zu ertauben
Puskas fürchtet, aus dem Fenster zu fallen
Puskas sorgt sich um seine Träume
Puskas fürchtet sich vor dem Tod
Puskas fürchtet nicht, dick zu werden
Puskas geht nicht in die Kirche
Puskas weigert sich, zu lesen
Puskas hat sich auf die Zunge gebissen
Puskas hat Gott nichts zu danken
Puskas fürchtet, sich zu langweilen
Puskas scheut den Besuch der Oper
Puskas überlegt, zu reisen
Puskas hat seine Brille verlegt
Puskas fürchtet, vergesslich zu werden
Puskas fürchtet den Verlust seiner Schlüssel
Puskas fürchtet, blind zu werden
Puskas kann nicht mehr schlafen
Puskas fühlt sich müde
Puskas hört keine Nachrichten
Puskas fürchtet, altersmilde zu werden
Puskas fürchtet, nostalgisch zu werden
Puskas meidet die Sensation
Puskas lehnt jede Diskussion ab
Puskas sehnt sich nach Ruhe
Puskas lobt den Hasen
Puskas fürchtet den Kauf neuer Schuhe
Puskas fürchtet, den Lärm nicht mehr zu ertragen
Puskas freut sich des Lebens
Puskas geht zum Friseur
Puskas fürchtet, den Appetit zu verlieren
Puskas schätzt die Rührseligkeit nicht
Puskas lehnt es ab, die Form zu wahren
Puskas muss niesen
Puskas kennt sich nicht aus
Puskas fürchtet das Meer
Puskas fürchtet den Wandel
Puskas leidet unter Heimweh
Puskas fürchtet, erkannt zu werden
Puskas fürchtet den Klatsch
Puskas verdammt den Kopfschmerz
Puskas lobt die Nacht
Puskas lobt den Tag
Puskas lobt den Nachmittag
Puskas fürchtet, reich zu werden
Puskas verabscheut die Armut
Puskas lobt den Witz
Puskas trinkt keinen Tee
Puskas liegt das Verschmitzte nicht
Puskas missbilligt das Niedliche
Puskas fürchtet die Hunde
Puskas fährt nicht mit der Tram
Puskas ärgert sich nicht
Puskas hält nichts von Floskeln
Puskas ist die Liebe ein Rätsel
Puskas liegt etwas auf der Zunge
Puskas ist verzweifelt
Puskas versteht die Philosophie nicht
Puskas hat einen Krampf
Puskas erwehrt sich der Toleranz
Puskas fürchtet den Widerspruch
Puskas fürchtet, den Kopf zu verlieren
Puskas fürchtet, die Geduld zu verlieren
Puskas hält den Schnee für überflüssig
Puskas fürchtet, etwas Unbedachtes zu tun
Puskas mag die Mode nicht
Puskas mag sich nicht
Puskas fürchtet die Dunkelheit
Puskas fürchtet, jemanden zu belästigen
Puskas fürchtet den Jähzorn
Puskas wünscht, er würde farbenblind
Puskas fürchtet die Menschheit
Puskas hat keine Milch
Puskas fürchtet, vom Fleisch zu fallen
Nachwort
Puskas fürchtet, wahnsinnig zu werden
Puskas fürchtet, eines Tages wahnsinnig zu werden. Er könne an nichts anderes mehr denken als daran, wie es wäre, wahnsinnig zu werden. Seit Tagen treibe ihn nur noch dieser eine Gedanke um, er wache eines Morgens auf und sei wahnsinnig. Oder er sitze beim Abendbrot und mir nichts dir nichts werde er wahnsinnig. Eben noch wäre er nicht wahnsinnig gewesen und im nächsten Augenblick schon würde er wahnsinnig. Dieser Gedanke mache ihn verrückt. Er könne es schon kaum mehr ertragen, daran zu denken, wie es wäre, wahnsinnig zu werden. Schon lange sei ihm deshalb jeglicher Appetit vergangen. Er könne nichts mehr zu sich nehmen und bei sich behalten könne er auch nichts mehr. Er falle vom Fleisch und wenn das so weitergehe, werde er verhungern, noch bevor er wahnsinnig werde. Er ertrage aber den Anblick von Nahrungsmitteln nicht mehr, es werde ihm übel, wenn er frisches Brot röche. Allein beim Anblick eines gedeckten Tisches drehe sich ihm der Magen um, denn dann müsse er unweigerlich daran denken, wie es wäre, dort, an diesem wunderbar gedeckten Tisch zu sitzen, und aber nichts, gar nichts zu sich nehmen zu können. Also gehe er ins Schlafzimmer, doch auch dort finde er keine Ruhe, denn allein der Anblick des frisch gemachten Bettes verursache heftigen Schwindel, so dass er unweigerlich daran denken müsse, wie es wäre, morgens in diesem Bett zu erwachen und wahnsinnig zu werden. Man könne doch nicht von ihm verlangen, sich freiwillig diesem Irrsinn auszusetzen. Also habe er erwogen, sich von Tisch und Bett zu trennen, er wolle sich nicht täglich vor Augen führen lassen, worauf er verzichten müsse, um nicht wahnsinnig zu werden. Man dürfe sich nicht von den Dingen abhängig machen, dies sei doch leicht einzusehen.
Puskas leidet unter Blähungen
Puskas leidet bisweilen unter starken Blähungen. Es sei ihm schleierhaft, wie er dazu komme, denn er ernähre sich gesund und esse viel Obst. Daher könne er nicht begreifen, weshalb ausgerechnet er sich aufblähe wie ein Gasballon. Das sei nicht zu verstehen, zumindest er sei dazu nicht in der Lage. Er kenne Leute, die ebenfalls unter Blähungen litten, doch dies, das müsse man sagen dürfen, hätten sie sich selbst zuzuschreiben. Die starken Blähungen, unter denen diese Leute litten, hätten sie sich selbst zuzuschreiben, da sie sich im Gegensatz zu ihm keineswegs gesund ernährten, sondern sich mit allen möglichen, ja allen nur denkbaren, man möge sich das bitte vorstellen, allen nur denkbaren Dingen vollstopfen würden. So ein Verhalten sei unverantwortlich und führe selbstredend zu starken Blähungen, die, das liege auf der Hand, ja nicht nur für den Blähenden, sondern für seine ganze Umgebung schadhaft und lästig seien. Ein solcher Mensch könne sich nicht mehr unter seinesgleichen begeben, beziehungsweise doch, nur noch unter seinesgleichen könne sich ein solcher Mensch begeben, denn nur seinesgleichen sei so dermaßen abgestumpft gegen jede menschliche Regung, dass man ihn also nur noch unter seinesgleichen dulde. Leider sei dies schlechterdings unmöglich, da solche Leute im Grunde nicht schlecht, sondern im Gegenteil überaus empfindsam seien. Sie stopften sich mit allen nur denkbaren Dingen voll, um sich gegen diese Welt zu wappnen, welche die Empfindsamen nicht dulde, sondern verachte. Deshalb blieben die Empfindsamen auch zu Hause, um sich dort in nur von Leibgrimmen unterbrochener Stille mit allen nur denkbaren Dingen vollzustopfen. Deshalb sei es völlig unmöglich für einen empfindsamen Menschen, sich unter seinesgleichen zu begeben, denn die Empfindsamen blieben alleine zu Hause und nur die Nichtempfindsamen blieben nicht zu Hause. So und nicht anders sei es doch.
Puskas fürchtet, zu ertauben
Puskas fürchtet, mit der Zeit zu ertauben. Die ersten Anzeichen seien unüberhörbar. Wenn er zum Beispiel, es sei nur ein Beispiel, er könne durchaus mehrere nennen, aber dieses sei ihn eben angeflogen; wenn er zum Beispiel den Regler seines Radio, eines sehr schönen Radio aus bulgarischer Fabrikation, noch von vor dem letzten Kriege, eines der letzten seiner Art, ganz so wie er selbst, man möge ihm den Scherz verzeihen; wenn er also diesen Regler ganz nach rechts drehe, nicht etwa nach links, das helfe nicht, nach links zeige der Versuch keinerlei Wirkung, man müsse den Regler ganz nach rechts drehen, also im Uhrzeigersinne, er hoffe, er drücke sich deutlich aus; wenn er also diesen Regler ganz nach rechts, also bis zum Anschlage, dort, wo es nicht mehr weiterginge, drehe, dann habe er bisher, genauer gesagt bis auf den gestrigen Tage, an dem ihm dieser Versuch zuletzt geglückt sei, habe er einen ganz bestimmten Ton hören können, einen sehr hohen Ton, er könne nicht angeben, wie hoch der Ton gewesen sei, denn dazu fehle ihm der musikalische Knochen, also respektive, man möge verzeihen, er sei heute so guter Laune und wenn er so guter Laune sei, dann könne er sich das Scherzen nicht verkneifen, es liege am Wetter vielleicht, ganz egal, er wisse es nicht, jedenfalls sei es ihm nicht möglich, anzugeben, welche akustische Größe jener Ton gehabt habe; er sage gehabt habe, denn nun sei dieser Ton mit einem Male nicht mehr zu hören, sei entschwunden im Äther, nicht mehr aufzufinden, und noch diesen Vormittag habe er den Versuch zweimal wiederholt, aber es sei ihm nicht gelungen, den Ton wiederzufinden. Der Ton bleibe verschwunden, unhörbar, und er befürchte, dass dieser Ton nun für alle Zeit nicht mehr zu hören sein werde. Er habe sich außerdem umgehört und festgestellt, dass niemand außer ihm allein glaube, jemals diesen Ton gehört zu haben. Wobei er genau wisse, dass es diesen Ton gegeben habe, er habe ihn noch im Ohr, und offenbar sei er allein fähig gewesen, diesen Ton zu hören und nun sei der Ton verschwunden und bleibe es vermutlich auch und das sei eine Tragödie. Denn man möge ehrlich sein, dann müsse man zugeben, dass der Radio heutzutage nichts weniger als eine Zumutung darstelle, eine Zumutung, welcher man sich entziehen müsse, wo man nur könne, aber man könne ja nicht mehr; der Radio verfolge einen auf Schritt und Tritt, in jedem Restaurant, in jeder Boutique und jeder Würstelbude, der Radio sei schon da und manchmal, da wünsche er, augenblicklich das Gehör zu verlieren, um nicht wahnsinnig werden zu müssen. Das müsse einmal laut und deutlich gesagt werden.
Puskas fürchtet, aus dem Fenster zu fallen
Puskas fürchtet, aus dem geöffneten Fenster zu fallen. Es sei unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich, dass er plötzlich aus dem Fenster falle. Unwahrscheinlich sei es, da er geöffnete Fenster meide. Seine eigenen Fenster öffne er schon gar nicht mehr, könne er schon gar nicht mehr öffnen, da er im selben Augenblick, wo er ein Fenster öffne, sich hinausfallen sehe. Unmöglich sei es aber nicht. Denn obwohl er es vermeide, seine Fenster zu öffnen und um jedes offene Fenster einen großen Bogen mache, sei es nicht auszuschließen, dennoch einmal aus einem Fenster hinauszufallen. Es sei ja ihm, der jedes Fenster meide, unmöglich festzustellen, ob ein Fenster tatsächlich geschlossen sei oder nur den Eindruck erwecke, es sei zumutbar, daran vorbeizugehen, ohne Gefahr zu laufen, plötzlich durch es hinaus ins Leere zu fallen. Plötzlich hinauszufallen, um unten auf dem Straßenpflaster zerschmettert aufgefunden zu werden, so wie jene Bedauernswerten, die man gemeinhin zerschmettert auf dem Straßenpflaster aufzufinden pflege. Es sei unmöglich festzustellen, ob man etwa zerschmettert auf der Straße aufgefunden werden könne, ohne sich einem Fenster zu nähern, und gerade dies versuche er ja zu vermeiden. Da er aber viel unterwegs sei, denn man könne ja nicht den ganzen Tag zu Hause sitzen und die Fenster meiden, sei es ihm unmöglich, den Fenstern, und gerade den geöffneten, jederzeit verlässlich aus dem Wege zu gehen. Vielmehr habe er gerade dort am meisten zu tun, wo er von nichts anderem umgeben sei, als von Fenstern. Heute werde der Architekt in seiner Ausbildung ja darauf gedrillt, dem Fenster