Zerrissen in Balance: Eine Erzählung über Träume, Liebe und Mut
Von Marco Maiworm
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Über dieses E-Book
In diesem Buch werden zwei voneinander völlig losgelöste Geschichten erzählt. Trotz ihres unterschiedlichen Verlaufes werden die beiden Hauptfiguren Jonas und Nathanael gleichermaßen intensiv herausgefordert.
Gibt es einen Faden, der stark genug ist, das zu verbinden, was getrennt ist?
Es ist ein Aufruf an den Leser, sich nicht davon abbringen zu lassen, eigene Träume zu verwirklichen. Sich der Liebe hinzugeben und offen zu sein für Momente, die uns mitreißen. Mutig zu sein und sich auf den eigenen Weg zu machen.
Der Leser erfährt, was es heißen kann, nicht aufzugeben. Für möglich zu halten, dass das, was uns trennt, irgendwann wieder zueinander führt.
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Buchvorschau
Zerrissen in Balance - Marco Maiworm
Maiworm
Erster Teil
Die verwunschene Romanze
und das unerfüllte Leben
Jonas (1)
Ich laufe die Straßen entlang und spüre den Wind, der meine nackten Beine streift. Fühle mich lebendig und zugleich verbraucht. Es war unvorteilhaft, an einem solchen Abend eine kurze Hose anzuziehen. Ich starre nur geradeaus und sehe meine Umwelt nur im Tunnelblick. Denke nicht, sondern fühle nur. Alles ist so unheimlich still um mich herum. Das Einzige, was die Stille kurzzeitig beendet, sind kurze unregelmäßige Lichtblitze und der Wind, der durch meine Ohren saust. Ich gehe die Straße weiter entlang und taumle einen kleinen Berg hinunter. Es scheint, als wären die Bäume, die mich umgeben, lebende Kreaturen. Plötzlich windet sich eines der Wesen von der Rinde eines vor mir stehenden Baumes. Die Kreatur war zunächst eins mit der Pflanze, doch nun löst sie sich und es beginnen sich Konturen in meine Richtung zu drehen. Dünne, lange Ärmchen aus Holz, ein unebener Oberkörper und massive dicke Holzfüße stehen auf dem gepflasterten Weg. Dann scheint es, als ob mich ein Auto ansehen würde. Es lebt, denke ich. Oder doch nur eine Illusion? Und dann blicke ich wieder in die leuchtenden Augen dieses Baumwesens.
Schon komisch, die Wirkung von Alkohol ist kaum einzuschätzen, denke ich. Oben am Himmel sehe ich die große runde Kugel, namens Mond, welche von mehreren Wolken verdeckt auf mich hinunterschaut. Und dann wieder diese temporären aufblitzenden Lichter.
Ich hatte einen tollen Abend erlebt.
Hatte schon wieder das Gefühl, frei zu sein. Über den Dingen zu schweben. Ein seltenes Gefühl – denn mich umgibt ansonsten ein tristes Leben.
Als ich bei Patrick zu Hause ankomme, wird mir von seiner Mutter aufgemacht. Diese, total genervt von mir, schickt direkt ihren Sohn nach unten, um sich schnellstmöglich wieder in ihren Keller zu verkriechen. Patrick hat eine weite, für ihn viel zu große Jeans an, welche er nach oben gekrempelt hat. Sein Pullover stammt aus den 80ern und kombiniert mit seiner runden Brille und seiner Kappe, sieht er aus wie eine Art „Hipster. Er hat nun mal seinen eigenen speziellen Style. Patrick ist ein Freund aus früheren Zeiten, mit dem ich damals in der fünften Klasse gemeinsam die Schulbank gedrückt hatte. Ich bin da, um mit ihm Musik zu machen. Wir gehen nach oben und setzen uns direkt an die Instrumente. Ich ans Klavier und er auf einen Hocker aus Holz mit seiner Gitarre. Getrieben von der Lust, harmonische Klänge vereinbaren zu wollen, versuchen wir, ein eigenes Lied zu kreieren. Es ist wunderbar, wie wir es schaffen, uns ohne Worte aufeinander abzustimmen. Wir hinterlegen die klassische Musik mit modernen Beats. Währenddessen greifen wir nach allen alkoholischen Getränken, die in seinem Zimmer stehen. Erfüllt von der Stimmung, erzählen wir uns tiefsinnige Geschichten. Philosophieren über das Leben und reden über die „perfekte
Frau. Er behauptet, von Frauen genug zu haben, dennoch schwärmt er von jemandem in seinem Umfeld. Nach einer Weile setzen wir uns ans offene Fenster und beobachten das Gewitter, das gerade an uns vorbeizieht. Wir schauen wie gebannt nach oben. Man sieht nur die einzelnen Blitze, doch der Donner bleibt aus. Vor uns die schwarze Landschaft, über die sich ein leichter schalldichter Schleier gelegt hat.
Ich wünsche mir, mit ihm eine Zigarette zu rauchen. So kommt es, dass wir gemeinsam nach draußen gehen, um selbstgedrehte, schlechte Stummel zu inhalieren. Alles ist dunkel. Ich ziehe an meiner ungefähr dritten Zigarette meines Lebens und beobachte, wie ihre Glut während des Ziehens heller brennt. Wie der Rauch aus meinen Lungen weicht und in meinem Körper ein bebendes Gefühl hinterlässt. Wie mein Kopf leichter wird und meine Sinne langsam nachlassen. Ich bin absolut kein Raucher, weswegen die Wirkung des Nikotins relativ schnell eintritt. Ich kann davon nicht genug bekommen. Nach drei Kippen fange ich an zu hinterfragen, weswegen ich das mache. Ich habe mein Abitur bestanden, denke ich. Ist dieser Rausch also nun eine Belohnung für mich. Oder bin ich tatsächlich unzufrieden mit meinem derzeitigen Leben, weswegen ich die Trauer in Alkohol und Asche tunken muss? Geht es hierbei um Genugtuung oder Bestrafung? Gleichgültig, denke ich mir. Bestrafen und belohnen wir uns nicht ständig – jeder einzelne von uns? Leichte helle Funken streifen mein Bein. Mist, ich hatte versucht, mehr aus der Zigarette herauszuholen, als möglich war. Der Tabak schmeckt nicht. Die Wirkung lässt langsam nach und ich wache allmählich auf. Wir reden über Perspektivenwechsel und über die Frage, ob Mikrokosmos gleich Makrokosmus ist. Eine Frage, auf die wir letzten Endes keine Antwort finden.
Schließlich fragt mich Patrick nach meiner Familie. Es ist eigentlich ein wohlbekanntes Tabuthema, über das ich mit niemandem spreche. Doch jetzt ist es, glaube ich, endlich an der Zeit, darüber zu reden. Ich vertraue Patrick – denke ich. Also fasse ich mir an meine linke Hosentasche, um zu spüren, wo sich mein Portemonnaie befindet. Innerhalb der neumodischen Brieftasche befindet sich ein zusammengeklapptes, verfranztes Polaroidfoto. Ich nehme es heraus und klappe es auseinander. Zuerst betrachte ich das Foto für mich allein, dann traue ich mich endlich, es auch Patrick zu zeigen. Es besitzt einige abgeriebene Stellen an der rechten unteren Ecke. Wir schauen nun beide auf das Polaroidbild. Ein glücklich aussehendes Pärchen umschlingt ein kleines Baby. Sie hat blonde kurze Haare und grüne stechende Augen. Ihr rechtes Auge wird überdeckt von den langen lockigen Haaren des Mannes neben ihr. Seine verträumten braunen Augen funkeln. Seine Zähne reflektieren das Licht der unverdeckten Sonne. Vor den beiden steht eine kleine, hölzerne Kindergrippe, die nur in Umrissen zu erkennen ist. Hinter dem Pärchen, in der oberen Hälfte des Bildes, sind breite Fensterscheiben zu sehen. Der ganze Hintergrund ist von gelb-rötlichem Licht erfüllt. Wenn man aus den Fenstern schaut, erkennt man das Meer und feinen Sandstrand. Ich erkläre Patrick, dass die Frau meine leibliche Mutter Madeline ist, welche vor knapp siebzehn Jahren ums Leben kam. Die Figur neben ihr stellt meinen Vater dar, der vor vielen Jahren laut meiner Großmutter ausgewandert ist. Wir reden noch eine ganze Weile darüber. Ich habe zuvor mit niemandem über diese Geschichte gesprochen.
Sie zu erzählen, strengt mich an und verursacht ein müdes Gefühl in mir. Wenn ich ehrlich bin, will ich gar nicht über meine tote Mutter und meinen Vater, der mich im Stich gelassen hat, reden. Also versuche ich das Gesprächsthema schleunigst zu wechseln.
Patrick erzählt mir auch seine Lebensgeschichte. Es ist nun schon zwei Uhr nachts und ich habe das Gefühl, gehen zu müssen. Ich trinke mein Bier aus und verabschiede mich von dem Freund, den ich nun eine Zeit lang nicht mehr sehen werde.
Kurz bevor ich zu Hause ankomme, finde ich einen Augenblick Ruhe. Ich bleibe also stehen und schaue nach oben zu den Sternen. Merke, dass man keine Sterne sieht und gehe trotz innerer Unruhe schließlich doch ins Bett. Ich bin noch immer geschockt, was Patrick mir vorhin erzählt hat.
Er ist achtzehn Jahre alt und hat die Hälfte seines Lebens bereits bestritten. Eine Art Herzfehler, der seine Lebenserwartung auf maximal dreißig Jahre minimiert. Er lebt jeden seiner Tage, als wäre es sein letzter. Er ist so bewusst, dass es einem schon fast Angst macht. Patrick schildert mir, dass sein Leben zu kurz ist für Dinge, die ihm nicht guttun. Dennoch will er ein normales Leben führen, Schule, Liebeskummer haben, an die Uni gehen und Erfahrungen sammeln. Ich finde es bemerkenswert, wie er mit dieser unfassbaren Lebensaufgabe so hoffnungsvoll klarkommt.
Nathanael (1)
Ich habe alles, brauche nichts – bin, wer ich bin und versuche nicht, jemand zu sein, der ich nicht sein möchte. Das ist die eine Seite. In meiner traurigen Welt gibt es aber nur mich und alles, was sich darin abspielt, stellt keinen Wert für mich dar. Tatsache ist, dass ich alleine bin und rastlos durch Stadtsavannen streifen muss. Ich kann mich einfach nicht daran erinnern, wer ich sein wollte. Als ich klein war, hatte ich Angst, Angst vor dem Leben. Vor dem Preis, den man für jede Entscheidung zahlt. Vor einigen Jahren ergriff mich erneut dieses Gefühl der Angst mit aller Wucht – ich verlor, was mir am wichtigsten war.
Während ich das denke, erinnere ich mich an ein bestimmtes Erlebnis. Ich muss gar nicht meine Augen schließen, da überschwemmen die Bilder schon mein Erinnerungsvermögen. Ich kann sie hören, die wüsten Wellen aus meinem Tagtraum. Kann sie fühlen, die feinen Steinchen, die mich umgeben. Kann es sehen, das weite, unendlich wirkende Meer. Meine langen braunen Haare wehen mir durchs Gesicht – ich kann es deutlich sehen. Als würde ich einen Film von mir selber anschauen.
Plötzlich erreicht mich die kalte Realität. Ich sitze auf meinem Bürostuhl und starre in den toten Bildschirm.
»Junge, komm endlich oder willst du zu spät zu unserem Meeting kommen?« Während er das sagt, nimmt er einen Schluck aus seinem ledernden Flachmann.
»Ach stimmt, das hatte ich total vergessen.«
Ich ziehe mein Jackett an und folge meinem Freund, dessen letzter Drink immer noch zu riechen ist. Wir gehen in den Besprechungsraum, in dem vier Schlipsträger auf uns warten. Wir begrüßen unsere Kunden und fangen an, unsere Präsentation zu halten. Mein Kollege James beginnt. Er ist etwas überambitioniert, wie ich finde, aber er hatte sich offensichtlich vorgenommen, seine Zuhörer zu beeindrucken. Ich kann ihm dennoch nicht folgen. Schweife ab und verliere mich in meinen Gedanken.
Meine Augen sehen die Herren, die mit James über die Präsentationinhalte diskutieren. Es sieht so aus, als würden sie sich freuen. Offene Münder und große Gesten mit ihren Armen, doch der Ton fehlt. Ich bin nur stiller Beobachter dieser Szene, die ohne Akustik vonstattengeht. Es scheint,