Die verwandelte Tochter
Von Marco Gerber
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Über dieses E-Book
Marco Gerber
Marco Gerber ist Jahrgang 1978 und kommt wie sein Hauptprotagonist ebenfalls aus dem Ruhrgebiet. In Essen lebt er mit zwei Pflegekindern und seiner Ehefrau. Marco Gerber ist gelernter Bürokaufmann und arbeitet hauptberuflich in der Energiebranche. Das Schreiben war schon immer sein Hobby gewesen. Dies ist nun sein zweites Buch, in dem er von dem Leben und den Motiven zu einer Dauerpflegschaft schreibt.
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Buchvorschau
Die verwandelte Tochter - Marco Gerber
Verlag
1. Kapitel
Juni 1994:
Dagmar und Rüdiger Künzel saßen in ihrem schäbigen Wohnzimmer beisammen auf der Couch. Beide hätten unterschiedlicher nicht sein können. Während der 42 jährige versuchte in Ruhe die Sportsendung zu schauen und sich ein paar Schluck Bier aus seiner gekühlten Flasche zu gönnen, sprach seine Frau auf ihn ein.
»Ich freue mich so sehr auf unseren großen Wurf. Ich kann es gar nicht mehr abwarten, bis es endlich soweit ist.«
Dabei faltete Dagmar Wäsche und legte sie in einen Wäschekorb der neben ihr auf der alten grünen Couch lag. Durch den angesammelten Berg an Wäsche, saß sie ihrem Mann fast schon zu eng an ihn gerückt. Zumindest hatte er das Gefühl, dass seine Frau ihn nicht nur mit Worten an diesem Abend mal wieder erdrückte.
»Ich würde mich erst mal freuen, meinen Job nicht zu verlieren. Und dann das nächste...« gab er angenervt zurück.
»Ach, das wird schon. Du wirst sehen mein Schatz, dein Gespräch wird morgen gut verlaufen. Der Betriebsrat ist ja auch dabei. Einen so langjährigen Mitarbeiter werden die nicht so schnell feuern. Und anschließend fahren wir dann wieder zur nächsten Kontrolluntersuchung.«
Dagmar streichelte dabei ihren Schwangerschaftsbauch instinktiv.
»Herrgott, Dagmar! Selbst der scheiß Betriebsrat kann keine neuen Aufträge herzaubern. Seit der Wende geht es hier im Westen doch immer mehr Berg ab in einigen Branchen. Klar, jetzt haben wir ja auch die verfluchte Konkurrenz aus dem Osten. Wenn ich da unsere Politiker zu reden höre!«
»Jetzt beruhige dich erst mal und lass uns gleich schlafen gehen. Wirst sehen, dass der Tag morgen besser verläuft als du es jetzt denkst...« und tätschelte ihn an seiner Schulter.
Rüdiger verdrehte nur noch genervt die Augen und meinte: »Wenn du das so siehst...« Dann trank er mit einem letzten großen Schluck sein Bier aus und stellte die Flasche auf den Tisch. Dabei fiel sein Blick in Richtung Küche, die sich gleich gegenüber befand.
»Hast schon alles gespült bevor dich morgen wieder die Tante vom Jugendamt besuchen kommt?«
»Alles erledigt bis auf das spülen. Das mach ich morgen nach dem Frühstück. Kennst mich doch, da bin ich zuverlässig.«
Wenn Rüdiger seine Frau so hörte, schaltete er inzwischen gerne ab. Sie war halt noch nie der hellste Stern auf Erden gewesen. Manchmal fragte er sich ob sie als Kind zu oft auf dem Kopf gefallen war. Ihm war schon klar gewesen, dass irgendwelche Nachbarn aus dem Haus das Amt verständigt hatten. Denn seine Dagmar hatte es mit Sauberkeit und Ordnung nie so wirklich gehabt. Und auch nicht mit regelmäßiger Arbeit. Und jetzt dachte sie in ihrer Überdosis an Glückshormonen doch wirklich, dass eine Schwangerschaft alles komplett verändern würde. Wahrscheinlich auch die Liebe zueinander wieder stärken könnte. Aber dieses naive denken passte halt zu seiner Dagmar.
Rüdiger stand auf, schaltete noch den Fernseher aus und sah aus dem Fenster kurz rüber auf die ersten neuen Eigentumshäuser, die dort auf einem vorherigen alten Feldweg inzwischen entstanden sind. Weitere sollten noch folgen um Leuten wie ihm dann täglich zu zeigen, wer die Gewinner und wer die Verlierer dieser scheiß Wiedervereinigung und des Kapitalismus sind. Und wer weiß, vielleicht hatte auch von denen jemand das Jugendamt verständigt…
Am nächsten Morgen um Punkt 10:00 Uhr saß Rüdiger in dem Büro des Personalvorstandes, neben ihm ein Kollege des Betriebsrates. Selten fand ein Meeting in diesem Hause so pünktlich statt. Das allein konnte schon nichts gutes bedeuten.
Rüdiger blickte starr aus dem Fenster heraus. An diesem Morgen regnete es, nachdem es die letzten Tage schwülwarm war. Er sah wie die Regentropfen gegen die Fahnen prasselten, auf denen das große Firmenlogo der Druckerei in seiner blauschwarzen Schrift prankte.
Derweil hielt der Personalchef, Huntziger war sein Name, die einleitenden Worte zu diesem Gespräch.
»Herr Künzel, wir haben Sie für heute hier zu diesem Gespräch gebeten und Sie werden sich schon denken können, worum es geht. Leider sind wir gezwungen, einigen unserer Mitarbeiter die betriebsbedingte Kündigung auszusprechen. Dabei sind wir in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat selbstverständlich nach einem Sozialplan vorgegangen, mussten aber auch bei einigen Mitarbeitern einfach nach den Qualifikationen unterscheiden. Daher können wir Ihre Stelle im Logistikbereich nicht aufrechterhalten, leider.«
Er wartete eine Reaktion von Rüdiger ab, doch dieser starrt weiter nur aus dem Fenster. Mit einem etwas hilfesuchenden Blick zu dem Mitarbeiter aus dem Betriebsrat, legte der seine Hand auf Rüdigers Schulter und sprach zu ihm: »Es tut uns wirklich leid, Kollege. Aber aufgrund der momentanen wirtschaftlichen Situation und der Neuausrichtung des Unternehmens konnten wir für einige unserer Kollegen leider nichts mehr tun.«
Erst jetzt gab Rüdiger eine Reaktion von sich. »Du weißt aber schon, dass meine Frau hochschwanger ist und wir bald...«
»Ich weiß es. Und ich weiß, dass ihr doppelt Geld benötigt. Wir haben für euch ja mit der Geschäftsführung eine Abfindung von immerhin 8.500 DM aushandeln können.«
Huntziger sprang aus seinen Bürosessel wie auf Kommando heraus und stellte sich vor Rüdiger. Auch er legte seine Hand auf dessen Schulter und wollte ihn nach Bekanntgabe der Abfindungssumme ermutigen.
»Ach, Herr Künzel sehen Sie in Ihrer Situation doch auch eine Chance für einen Neubeginn. So wie viele in diesen Tagen beruflich und auch wohnlich einen neuen Anfang wagen. Und mit dem Geld, welches man ja beim Arbeitslosengeld nicht anrechnen darf, wird Ihnen und Ihrer Familie sicher auch ein neuer Start gelingen. Vielleicht, wenn ich das so sagen darf, nutzen Sie die freie Zeit auch mal um Ihr kleines Problem mit dem Alkohol wieder in den Griff zu bekommen. Seien Sie mutig für Ihre Familie und sich selbst!«
Während Huntziger ihn fast schon ein wenig stolz auf das eben gesagte ansah, wollte Rüdiger nur noch raus aus diesem Büro und weg von dieser Firma. Denn nun wusste er auch, wieso nicht nur ein Kollege von ihm mit gleicher Qualifikation aber ohne Nachwuchs entlassen wurde...
2. Kapitel
Dagmar lag sichtlich gekränkt auf der Liege im Krankenhaus, wo sie den Termin zur Kontrolluntersuchung alleine wahrnehmen musste. Nach dem Verlust der Arbeit hatte sich Rüdiger sogleich in die nächste Kneipe begeben und dort den Kummer mit etlichen Bier und Schnaps heruntergespült.
Während dieser nunmehr den Rausch ausschlief, redete die schlaksig wirkende Dagmar auf die Krankenschwester ein, die den Untersuchungsraum vorbereitete und die Akte dem behandelnden Arzt schon einmal auf den Tisch legte.
»Stellen Sie sich das nur mal vor. Da arbeitet mein Mann so viele Jahre so hart für diese Druckerei und bekommt am Ende nicht mal 10.000 DM an Abfindung. Ich meine bei den Kosten heutzutage ist das ja keine große Summe. Erst recht nicht bei einer Familie.«
»Ja, Frau Künzel. Das ganze tut mir auch sehr leid für Sie beide, ehrlich.«
Die Krankenschwester, die das Ehepaar Künzel bereits kannte, schien mittlerweile verzweifelt nach den passenden Worten zu suchen, um nun endlich von dieser Frau loszukommen.
Dagmar bemerkte dieses scheinbar überhaupt nicht. Sie streichelte über ihren Bauch und meinte: »Ach, wissen Sie, wenn erst mal alles überstanden ist, dann wird sich auch wieder bei meinem Mann alles einrenken. Kinder geben doch die meiste Zuversicht, nicht wahr?«
Während sie redete, wurden sie von einer Person in einem Ärztekittel belauscht. Diese stand direkt neben der Tür, die nicht ganz geschlossen war. Auf dem Flur war es im Moment sehr ruhig. So konnte auch niemand von diesem Lauschangriff etwas bemerken.
Als wenige Momente später eine scheinbar sehr erleichterte Krankenschwester herauskam, ging diese in die entgegengesetzte Richtung zum Schwesternzimmer.
Es war bereits späterer Abend gewesen. Es war nach dem Regen am Morgen mittlerweile wieder erneut ziemlich schwül gewesen. Rüdiger stand auf dem kleinen Balkon und blickte über die zwei Blumenkästen hinweg, die an der Brüstung hingen. Die Blumen darin waren mittlerweile fast verdurstet gewesen. Nicht so jedoch Rüdiger, der nach dem langen Schlaf sich als erstes eine neue Flache Bier aus dem Kühlschrank genehmigt hatte.
Sein ohnehin älter wirkendes Gesicht schien nun noch mehr Falten zu haben. Er strich sich mit einer Hand über seinen Dreitagebart, sah hinüber zu den Neubauten. Sah auf das, was er begonnen hatte zu hassen. Er erinnerte sich gerne an die alten Zeiten der 80er zurück. Klar, auch da gab es Arbeitslosigkeit. Doch zu der Zeit hatte man noch gemeinsam angestoßen. Heute wird man bevorzugt entlassen, weil man gleich als Alki abgestempelt wird.
Das er schon länger ein Problem mit Alkohol hatte und deshalb auch regelmäßiger bei seinen Arbeitgebern fehlte, das wollte oder konnte er sich nicht eingestehen.
Plötzlich klingelte es an er Wohnungstür. Er sah auf seine Armbanduhr, es war bereits 20:40 Uhr gewesen. Wer konnte um die Uhrzeit noch was von ihnen wollen? Er sah an sich herab, überlegte kurz ob er überhaupt aufmachen soll, da er nur ein vergilbtes Unterhemd und eine alte Trainingshose an hatte. Doch es klingelte noch einmal und er wollte nicht, das Dagmar wieder wach wurde. Diese hatte sich erst vor etwa einer halben Stunde schon schlafen gelegt. Das machte sie öfters, da sie ungern alleine auf blieb.
So ging er zur Tür, rief leise: »Ich komme ja schon« und blickte durch den Türspion. Er erkannte sofort den Herrn in einem gepflegten