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DIE KATAKOMBEN (Die beängstigendsten Orte der Welt 2): Horrorthriller
DIE KATAKOMBEN (Die beängstigendsten Orte der Welt 2): Horrorthriller
DIE KATAKOMBEN (Die beängstigendsten Orte der Welt 2): Horrorthriller
eBook440 Seiten5 Stunden

DIE KATAKOMBEN (Die beängstigendsten Orte der Welt 2): Horrorthriller

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Über dieses E-Book

Ein durch Mark und Bein gehender Abstieg in die Tunnel unter Paris. Willkommen im Reich der Toten.

Inhalt:
Paris ist als die Stadt der Lichter bekannt, eine Metropole berühmt für Romantik und Schönheit. Doch unterhalb der geschäftigen Straßen und Cafés liegen die Katakomben, ein Labyrinth aus zerfallenden Tunneln, angefüllt mit sechs Millionen Toten.

Als eine Videokamera mit mysteriösem Bildmaterial auftaucht, wagt sich eine Gruppe von Freunden in die Tunnel, um Nachforschungen anzustellen. Doch was als unbeschwertes Abenteuer beginnt, wird schnell zum Albtraum, als sie ihr Ziel erreichen – und auf das Böse stoßen, das dort lauert.
SpracheDeutsch
HerausgeberLuzifer-Verlag
Erscheinungsdatum31. März 2019
ISBN9783958353862
DIE KATAKOMBEN (Die beängstigendsten Orte der Welt 2): Horrorthriller

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    Buchvorschau

    DIE KATAKOMBEN (Die beängstigendsten Orte der Welt 2) - Jeremy Bates

    Autor

    Prolog

    Sie waren tot. Sie alle. Pascal, Rob und jetzt Danièle – tot.

    Ich versuchte, nicht darüber nachzudenken, während ich durch den verfallenden, steinübersäten Gang floh. Ich hielt die Fackel vor mir über Kopfhöhe, damit der Rauch mir nicht ins Gesicht trieb. Die Flammen warfen Schatten auf die Steinwände und füllten die Luft mit einem abscheulichen, teerähnlichen Gestank. Das einzige Geräusch kam von meinem schwerfälligen Atem und meinen Füßen, die durch die Pfützen platschten, welche den blassgrauen Boden sprenkelten.

    Zu meiner Linken öffnete sich ein Gang, ein klaffender Schlund, der in Schwärze hinein führte. Ich bog abrupt ab und hoffte, mich immer tiefer durch das unterirdische Labyrinth zu schlängeln, betete, dass der Weg nicht in eine Sackgasse führte. Wenn er das täte, würde ich in der Falle sitzen. Meine Verfolger würden mich schnappen. Meinen Schädel in kleine Stücke schlagen, wie sie es mit Pascal gemacht hatten. Mich in Brand stecken, wie sie es mit Rob gemacht hatten. Was sie mit Danièle gemacht hatten, war mir ein Rätsel, aber ihren Schreien nach zu urteilen, war ihr etwas noch Schlimmeres zugestoßen.

    Ich wollte unbedingt glauben, dass das nicht der Fall war, dass Danièle nicht tot war, und einen Moment lang ließ ich den fantasievollen Spekulationen meiner Vorstellungskraft freien Lauf, weil ich sie nicht tatsächlich sterben gesehen hatte …

    Nein – ich hatte sie gehört. Sie war draufgegangen, musste es sein, und ich war der Nächste, so todgeweiht wie die anderen.

    Trotzdem rannte ich weiter. Ich setzte weiter einen Fuß vor den anderen. Ich war zu verängstigt, um das Unausweichliche zu akzeptieren, zu sehr aufs Überleben vorprogrammiert, obwohl nichts mehr übrig war, wofür es sich zu leben lohnte.

    Ich öffnete den Mund und schrie. Ich hasste den Klang. Er war schrill und verzweifelt und qualvoll, wie von einem Straßenköter, der fast totgeschlagen wurde. Meine Abscheu vor mir selbst hielt allerdings nur kurz an, weil schon Sekunden, nachdem das erbärmliche Gejammer verklungen war, ein Wirrwarr aus wilden Schreien hinter mir ausbrach.

    So gottverdammt nah!

    Die Schreie gipfelten in wahnsinniger Blutgier. Todesangst durchfuhr mich, aber ich konnte meine Beine nicht dazu bringen, sich schneller zu bewegen. Sie waren Betonklötze. Es kam mir so vor, als rannte ich gegen die Laufrichtung eines Fahrsteigs.

    Plötzlich verschwanden die Decke und die Wände und unermessliche Dunkelheit erstreckte sich um mich. Als ich nach oben sah, um die Größe dieser unbekannten Kammer einzuschätzen, stolperte ich über unebenen Boden, verlor den Halt und stürzte auf einen Schutthaufen. Die Fackel flog aus meiner Hand und landete einige Meter vor mir. Ich starrte die polierten Steine an, die von der rauchenden Flamme beleuchtet wurden, bis ich begriff, dass es keine Steine, sondern Knochen waren. Menschliche Knochen. Schädel und Oberschenkelknochen und Schienbeine und andere. Ich packte die Fackel beim Griff und stieß sie in die Luft.

    Knochen und Knochen und noch mehr Knochen, so weit ich sehen konnte.

    Ich zwang mich auf die Beine, machte einige schwerfällige Schritte, als würde ich durch Sirup waten, und sank dann auf die Knie. Unter meinem Gewicht zersplitterte ein jahrhundertealter Oberschenkelknochen knackend wie Totholz.

    Der Klang meiner Verfolger wurde lauter. Ich weigerte mich, einen Blick über die Schulter zu werfen. Stattdessen packte ich die Knochen vor mir; die Finger um die zerbrechlichen Stücke geschlungen zog ich mich vorwärts, denn meine Beine reagierten überhaupt nicht mehr.

    Schließlich, zu Tode erschöpft, fiel ich der Länge nach hin und lag keuchend zwischen den abertausenden skelettierten Überresten, während sich eine einschläfernde Dunkelheit in mir ausbreitete.

    Sie riechen gar nicht, dachte ich, Knochen riechen nach gar nichts, witzig, hab immer gedacht, das würden sie.

    Und dann, zerstreut, wie ein Nebengedanke: Ich will nicht so sterben, nicht hier, nicht so, nicht in einem Massengrab. Ich will nicht einfach nur ein weiterer Haufen namenloser Gebeine sein, von der Welt vergessen.

    Diese Videokamera.

    Diese verdammte Videokamera.

    40 Stunden zuvor

    Kapitel 1

    Ich saß auf einer Pflasterterrasse im dritten Pariser Arrondissement, wartete darauf, dass mein dampfender Cappuccino abkühlte, und dachte daran, dass ich weit von Zuhause fort war. Ich war in Olympia, Washington, geboren worden, aber meine Familie war nach Seattle gezogen, als ich zehn war, weil mein Vater seinen Job als Kameratechniker bei Canon verloren und entschieden hatte, dass er in einer größeren Stadt eine bessere Arbeitsstelle finden könnte. Am Ende verkaufte er Gebrauchtwagen für einen Fordhändler. Er war nie gut darin, nicht zum Verkäufer geboren, und nahm bis zu seinem Ruhestand Befehle von jemandem entgegen, der zwanzig Jahre jünger war als er. Meine Mutter, leitende Bibliothekarin einer privaten Highschool in Olympia, fand eine Verwaltungstätigkeit im King County Bibliothekswesen in Seattle. Obwohl sie mit dem Umzug eine Gehaltskürzung hinnahm, beschwerte sie sich nicht. Sie war schon immer ein Teamplayer gewesen und dachte zuerst an andere, dann an sich selbst. Das galt besonders für die Familie.

    Viele meiner Jugendfreunde gingen zur Seattle University oder zur U-Dub oder an eins der kleineren Colleges im Bundesstaat. Sie wollten in der Nähe ihres Zuhauses bleiben, damit sie bei ihren Eltern wohnen konnten, um Kohle zu sparen. Wo ist da das Abenteuer?, dachte ich und siedelte ans andere Ende des Landes um, nach New York City, um dort an der NYU Journalismus zu studieren. Ich wollte das College-Erlebnis, und um das zu bekommen, musste man von daheim weg. Ich erinnere mich daran, dass mein Lehrer für englische Literatur in der zwölften Klasse uns einmal erzählte, dass die Collegezeit die besten drei oder vier Jahre unseres Lebens sein würden, und dass wir gut daran täten, sie voll auszukosten. In meinem Fall hatte er recht gehabt. Nicht weil das College das reinste Vergnügen gewesen wäre  –  obwohl es solche Zeiten gegeben hatte  –,  sondern vielmehr, weil alles ziemlich beschissen für mich gewesen war, seit meine kleine Schwester, Maxine, zwei Jahre nach meinem Abschluss gestorben war.

    Als ich mich an einen Schluck meines abkühlenden Getränks traute, entschied ich, dass mich das dritte Pariser Arrondissement an die Manhattener Soho-Gegend erinnerte. Es hatte eine junge Atmosphäre mit all seinen Pubs und Designerboutiquen und Vintageläden und zu Hipster-Stammlokalen gewordenen Brasserien. Der Hauptunterschied, würde ich sagen, lag darin, dass hier niemand wirklich in Eile zu sein schien, irgendwohin zu kommen.

    Die Tische um mich herum hatten sich mit der Feierabendmenge gefüllt, den Männern in dunklen Anzügen, manche ohne Schlips oder Jackett, den Frauen in Büroröcken und schlichten Blusen. Wie es dem Brauch in dieser Stadt zu entsprechen schien, saßen alle mit dem Blick zur Straße da und beurteilten lässig die Vorübergehenden.

    Ich stellte den weißen Becher mit einem leisen Porzellanklirren auf den Unterteller zurück und urteilte auch. Eine Frau, die Lippenstiftfarben und Stöckelschuhe trug, fesselte meine Aufmerksamkeit. Sie war gertenschlank, mit ausgeprägten Wangenknochen und einer Hakennase, nicht der Typ Frau, den man nach dem Weg fragen würde. Eine große Sonnenbrille bedeckte den Großteil ihres Gesichts. Das war auch so etwas hier. Jeder trug tolle Brillen. Keine billigen verschreibungspflichtigen von LensCrafter oder Sonnenbrillen aus dem Drogerieregal mit getönten Gläsern und fluoreszierenden Rahmen. Nur hochwertiges Designerzeug. Ich hatte mir vor einer Weile eine Ray Ban Pilotenbrille gekauft. Ich fing auch an, eher neutrale Farben zu tragen. Mittlerweile hielt ich mich meistens an Schwarz und ich schätzte, ich sah so französisch aus, wie man eben aussehen konnte.

    In dem Moment entdeckte ich Danièle in der Mitte des Häuserblocks. Sie kam auf einem rosa Fahrrad mit perlenfarbenen Schutzblechen und einem Weidenkorb vorne an der Lenkstange auf mich zu gefahren.

    Ich stand auf und winkte. Sie hielt neben dem Tisch an, stieg schwungvoll vom Fahrrad, stützte es auf den Ständer und beugte sich dann für einen doppelten Luftkuss näher  –  gesellschaftliche Konvention für Hallo und Auf Wiedersehen. Ich hatte mich noch nicht daran gewöhnt, das war nichts für mich, aber egal. Andere Länder, richtig?

    »Entschuldige die Verspätung, Will«, sagte sie auf Englisch mit ihrem französischen Akzent. »Möchtest du etwas essen?«

    »Nein, danke«, antwortete ich und setzte mich wieder, während sie das Café betrat. Ich beobachtete sie durch das große Erkerfenster. Mit ihrer rabenschwarzen Fransenfrisur, ihrem Elfengesicht, der dunklen Wimperntusche, den geschwärzten Wimpern und bleichen Lippen erinnerte mich Danièle an Joan Jett zur »I Love Rock ‛n’ Roll« Zeit. Sie trug ein mit Schmetterlingen bedrucktes Sommerkleid, das sich an ihren dünnen Körper schmiegte, während sie sich bewegte, einen elegant um den Hals geschlungenen Seidenschal und kniehohe grüne Wildlederstiefel.

    Ich überlegte, wie lange ich sie jetzt kannte. Zwei Monate? Zweieinhalb? So ungefähr. Damals war ich schon mindestens ein paar Wochen in Paris gewesen, hatte es satt, mich wie ein Pantomime durch die Stadt zu bewegen, und hatte mich deswegen entschieden, es mit Französisch lernen zu versuchen. Ich gab eine Anzeige für einen Sprachlernpartner in der französischen Version von Craigslist auf. Die Seite wurde hauptsächlich von hier lebenden Amerikanern genutzt. Die Franzosen schienen nicht damit warmzuwerden, weil sie Schwierigkeiten damit hatten, »Craigslist« auszusprechen. Trotzdem erhielt ich mehrere Antworten. Ich beschloss, mich mit Danièle zusammenzutun, weil sie in ihren ersten Emails aufgeschlossen und freundlich wirkte.

    Seitdem hatten wir einander recht gut kennengelernt. Sie war in Deutschland als Tochter eines deutschen Vaters und einer französischen Mutter geboren worden. Sie hatten sich scheiden lassen, als sie sechs war, und sie war mit ihrer Mutter und ihrer älteren Schwester nach Frankreich gezogen. Vor zwei Jahren hatte sie ihren Abschluss an der École des Mines gemacht. Das war eine renommierte Ingenieurschule, das MIT Frankreichs. Sie hätte ihr Praktikum in jeder Firma ihrer Wahl machen können. Laut ihren eigenen Worten wollte sie es allerdings eine Weile ruhiger angehen lassen und verbrachte ihre Tage jetzt damit, in einem Blumenladen zu arbeiten, und ihre Nächte damit, das Netzwerk der Katakomben zu erkunden, die sich unter der Stadt erstrecken.

    Wir trafen uns zweimal die Woche, normalerweise montags und freitags. Am einen Tag brachte sie mir Französisch bei, am anderen brachte ich ihr Englisch bei. Eigentlich musste ich ihr nicht wirklich etwas »beibringen«. Sie sprach ziemlich fließend. Englisch war eine Voraussetzung für die Zulassung zu Les Mines gewesen und sie hatte es als Jugendliche gründlich gelernt. Sie sagte, sie suche nur nach jemandem, mit dem sie die Sprache sprechen konnte, damit sie nicht einrosten würde.

    Sie mochte mich  –  auf romantische Weise, meine ich. Das zeigte sie auch ziemlich deutlich. Ich sollte mich geschmeichelt fühlen. Sie sah gut aus. Das hatte ich gleich gedacht, als ich sie zum ersten Mal sah. Aber ich war nicht auf der Suche nach einer Beziehung nach Paris gekommen; ich war gekommen, um einer zu entfliehen  –  oder zumindest den Folgen davon. Meine Ex hieß Bridgette Pottinger. Wir hatten uns an der NYU kennengelernt. In unserem Abschlussjahr zogen wir gemeinsam in eine winzige Wohnung in einer Nebenstraße der Bowery, nahe Chinatown. Ich bekam eine Stelle als Korrektor für den Brooklyn Eagle. Sie wurde zum Jurastudium an der Columbia zugelassen. Ein Jahr später machte ich ihr einen Antrag oben auf der Freiheitsstatue. Kitschig, ich weiß, aber zu dem Zeitpunkt hielt ich es für romantisch. Die Hochzeit war für den darauffolgenden Juli in einem Blockhaus am Lake Placid geplant.

    Am Abend vor der Feier kamen meine kleine Schwester, Maxine, und mein bester Freund, Brian, bei einem Bootsunfall ums Leben. Die Hochzeit wurde natürlich abgeblasen. Mein Leben versank in Chaos. Meine Eltern machten mich für Max’ Tod verantwortlich. Meine Freunde machten mich für Brians Tod verantwortlich. Bridgette und ich fingen an, uns auseinanderzuleben, und wir entschieden, dass es das Beste wäre, eine Beziehungspause zu machen. Ich hatte die Zeitung für einen Reiseberichtsjob hinter mir gelassen, in dem ich mit den Reiseführern für die Mittelatlantikstaaten half. Ich stand meinem Chef nah, sowohl beruflich als auch privat. Er wusste, was ich durchmachte, wusste, dass ich einen Neuanfang brauchte. Er erzählte mir, der Hauptsitz suche nach jemandem für die Umgestaltung einiger der europäischen Ausgaben und er schlug mich dafür vor. Einen Monat später befand ich mich in London und bekam ausführliche Informationen über einen verbesserten Paris-Führer. Die anderen Korrespondenten in Paris beschäftigten sich mit den Cafés und Restaurants und Hotels. Mein Auftrag war es, das Nachtleben abzudecken. Sie wollten den Führer aufpeppen, um die jüngeren Menschen besser anzusprechen.

    Und so weit, so gut. Meinem neuen Chef gefiel das Manuskript, das ich einreichte, und mir gefiel, was ich tat. Ich verbrachte meine Nächte damit, verschiedene Bars und Klubs zu testen und meine Tage, eine Meinung darüber auszuformulieren. Es gab viel zu tun und die Abgabetermine waren knapp, aber die Arbeit hielt mich beschäftigt, hielt mich davon ab, zu viel über meine alten Freunde nachzudenken, über meine Familie und, hauptsächlich, Bridgette.

    Trotzdem wäre es eine Lüge zu behaupten, ich wäre über Bridgette weg. Das war ich nicht. Im Hinterkopf hatte ich einen Plan. Nach vielleicht einem Jahr in Trennung würde ich in die Staaten zurückkehren, wäre ein bisschen weltgewandter, ein bisschen erwachsener, und Bridgette und ich könnten von vorne anfangen.

    Ich verzog das Gesicht. Danièles Geburtstagsparty. Gottverdammt. Wo zum Teufel hatte ich mich da reingeritten? Danièles Freunde  –  ein vielschichtiger Mix aus Bohemiens und jungen, qualifizierten Fachkräften  –  waren freundlich gewesen, der Alkohol war in Strömen geflossen und alle waren sturzbesoffen geworden  …  und dann  …  und dann war alles undeutlich geworden.

    Als ich am Samstagmorgen in Danièles Bett aufwachte, konnte ich mich kaum daran erinnern, wie ich dort hingekommen war. Voller Schuldgefühle verhielt ich mich wie ein Arsch und verschwand, ohne sie aufzuwecken. Ich verbrachte das gesamte Wochenende an meinem Laptop damit, meine neusten Bar- und Klubnotizen in irgendeine zusammenhängende Form zu bringen. Ich ging nicht ran, als Danièle am Sonntagnachmittag anrief, und wir sprachen bis früher am heutigen Tag nicht miteinander, als sie mir eine SMS schickte, um sich bestätigen zu lassen, dass die Unterrichtsstunde stattfinden würde.

    Beinahe hätte ich abgesagt, aber ich wusste, wie offensichtlich das ausgesehen hätte.

    Danièle kam mit einem Cappuccino aus dem Café zurück.

    Sie setzte sich mir gegenüber, nahm ihre Sonnenbrille ab  –  Fendi  –  und lächelte zögerlich. Ich räusperte mich. Ich hatte mich schon dazu entschieden, so zu tun, als wäre das eine ganz normale Stunde, und ich fragte: »Heute Französisch oder Englisch?«

    Ein Anflug von Überraschung legte sich auf ihr Gesicht, bevor sie ihre Aufmerksamkeit auf den Löffel richtete, mit dem sie ihren Kaffee umrührte. »Freitag war Französisch«, sagte sie. »Also ist heute Englisch dran, wenn das okay ist.«

    »Ist in Ordnung«, erwiderte ich. »Also  …«

    Sie hob den Blick. »Ja?«

    »Ich versuche, ein Thema zu finden, über das wir sprechen können.«

    »Wie wäre es mit dem Wochenende?«, schlug sie schüchtern vor. »Montags fragst du mich immer nach meinem Wochenende.«

    »Hast du am Sonntag irgendwas gemacht?«

    »Am Sonntag?« Noch mehr Überraschung, vielleicht ein bisschen Enttäuschung. Sie zuckte mit den Schultern. »Nein, ich war den ganzen Tag zu Hause. Was ist mit dir, Will? Hattest du Samstag und Sonntag einen Kater? Oder hast du am Sonntag was Besonderes unternommen?«

    »Ich hab provenzalisches Huhn gemacht. Hast du es mal versucht?«

    »Klar hab ich das. Ich bin Französin. Was hast du sonst noch getan?«

    »Nicht viel. Gearbeitet. Das ist so ziemlich alles.«

    »Verstehe.«

    Ich runzelte die Stirn. »Du verstehst?«

    »Du willst nicht über Freitagnacht sprechen. Das verstehe ich. Das ist okay für mich.«

    »Ich hatte Spaß.«

    »Wirklich?«

    »Ja.«

    »Die ganze Nacht?«

    Ich fragte mich, ob ich rot wurde. »Ja.«

    »Du warst verschwunden, als ich aufgewacht bin. Ich dachte  …«

    »Ich weiß, ich  –  wann bist du aufgestanden?«

    »Du bist sehr geschickt darin, das Thema zu vermeiden.«

    »Welches Thema?«

    »Uns.«

    »Ich vermeide es nicht.«

    Sie nickte stumm.

    Ich zündete mir eine Marlboro Light an, um mich zu beschäftigen. Das Trio am Tisch neben uns teilte sich eine Flasche Wein und lachte laut. Das ließ die Stille zwischen Danièle und mir umso länger und unangenehmer wirken.

    Ich entschied, dass es dumm war, zu versuchen, das, was zwischen uns passiert war, zu ignorieren, so zu tun, als wäre das hier nichts anderes als eine weitere Unterrichtsstunde.

    Wir hatten miteinander geschlafen. Jetzt tranken wir Kaffee.

    Damit war das ein Date, oder?

    Zumindest Danièles Meinung nach.

    »Ich mochte deine Freunde«, sagte ich und kam wieder auf Freitag zurück.

    Sie lächelte. »Sie mochten dich auch.«

    »Außer einem Kerl. Wie hieß er noch gleich? Patsy …?«

    »Pascal?«

    »Er trug eine Wollmütze.«

    »Ja, das ist Pascal. Magst du ihn nicht?«

    »Er ist in Ordnung, schätze ich. Es schien bloß nicht so, als wollte er mit mir reden.«

    »Weil er auf mich steht«, sagte sie sachlich.

    »Er steht auf dich?«

    »Ja, schon viele Jahre. Wir waren zusammen in derselben Anfängerklasse in der Schule. Er war bei meiner Initiation dabei.«

    Danièle sprach von ihrer Universitätsaufnahme. Sie hatte mir bei vielen Gelegenheiten alles darüber erzählt. Ihr Lieblingsrevier, die Katakomben, konnte man auf unzähligen Wegen betreten, inklusive Metrotunneln, Versorgungsanlagen, Kirchengrüften und den Kellern von Wohnhäusern, Krankenhäusern, Lycées und Universitäten (anscheinend gab es sogar einen Eingang in den Tiefen des Tour Montparnasse, einem der ersten Pariser Hochhäuser). Wie die meisten anderen Gebäude im alten Quartier Latin hatte auch die École des Mines ihren eigenen geheimen Zugangspunkt, und es war Tradition, dass die Abschlussschüler die Erstsemester in dem unterirdischen Labyrinth absetzten und sie alleine heraus finden mussten.

    Ich fragte: »Geht ihr immer noch zusammen in die Katakomben?«

    »Oft. Tatsächlich …« Ihr Telefon klingelte. »Nur einen Moment, Will«, sagte sie und nahm ab. Die Stimme am anderen Ende war männlich. Mein Französisch war immer noch hundsmiserabel und ich war nur in der Lage zu verstehen, dass sie diese Person später am Abend treffen würde.

    »Großes Date heute Abend?«, fragte ich, als sie auflegte.

    »Wärst du eifersüchtig, wenn es eins wäre?«

    »Riesig.«

    »Ich glaube dir nicht.«

    »Ich wär’s aber.«

    »Weißt du, Will, ich dachte, wir hatten Spaß am Freitag.«

    »Hatten wir auch.«

    »Warum habe ich dann das Gefühl  …  dass du es  …  bereust?«

    Ich sah meine Zigarette an. »Ich bereue es nicht.«

    »Warum führst du dich dann so merkwürdig auf?«

    Ich war drauf und dran, ihr zu sagen, dass ich mich nicht merkwürdig aufführte, aber ich hielt den Mund. Vermutlich stimmte es.

    Ich zog ein letztes Mal an der Zigarette und drückte sie im Aschenbecher aus. »Hör mal, Danièle, ich mag dich. Aber wir sind schon eine Weile befreundet. Und dann  …  einfach so, weißt du? Bumm. Ich  –  es ist ein bisschen viel.«

    Sie dachte darüber nach, nickte. »Okay, Will. Das verstehe ich. Sag mir einfach Bescheid, wenn du bereit bist.«

    Ich musterte sie. Sie hatte das mit so unbeweglicher Miene gesagt, dass ich nicht erkennen konnte, ob sie es ernst oder sarkastisch meinte.

    »Jedenfalls«, sagte sie, »war das Pascal.«

    »Wenn man vom Teufel spricht«, murmelte ich, glücklich über den Themenwechsel. »Was wollte er?«

    »Er hat unsere Pläne für heute Abend bestätigt.«

    »Was habt ihr vor?«

    »Wir gehen in die Katakomben.«

    Ich zog die Augenbrauen nach oben. »Ernsthaft?«

    »Warum überrascht dich das?«

    »Nur ihr beide?«

    »Nein, es kommt noch ein anderer mit. Weißt du, das heute, das ist etwas ganz Besonderes. Ich möchte dir etwas zeigen.«

    Sie rückte ihren Stuhl um den Tisch herum, sodass sie neben mir saß und sich unsere Knie berührten. Ich konnte ihr Parfum riechen, einen leichten Zitrusduft. Sie zog ihren Laptop aus ihrer Handtasche und stellte ihn vor uns auf den Tisch. Sie öffnete den Deckel und drückte auf den Einschaltknopf.

    Als wir darauf warteten, dass er hochfuhr, fragte ich: »In welcher Welt benutzen die Menschen das Semikolon öfter als den Punkt?«

    Sie runzelte die Stirn. »Was?«

    Ich nickte auf ihre Tastatur. »Findest du es nicht nervig, dass du jedes Mal die Umstelltaste drücken musst, wenn du einen Punkt machen willst?«

    »Hm. Darüber habe ich nie nachgedacht. Vielleicht hättest du einen Computer aus deinem Land mitbringen sollen, Will.«

    »Er wurde gestohlen, erinnerst du dich?«

    »Ja, du hast ihn auf dem Tisch liegen lassen, als du aufs Klo gegangen bist. Das war sehr dumm von dir.«

    Der Computer beendete den Bootvorgang. Danièle benutzte das Trackpad, um zu einem Ordner zu gelangen, der voller vorschaugroßer Videos war. Sie öffnete das letzte in einem Mediaplayer und vergrößerte es zum Vollbild.

    Eine subjektive Kameraeinstellung erschien: Das Licht einer Videokamera beleuchtete einen unscharfen Gang in der Farbe von Eisenschlacke. Die Decke war niedrig, die Wände aus glattem Stein. Das Knirschen von Schritten war das einzige Geräusch.

    »Das sind die Katakomben«, rief ich überrascht.

    Danièle nickte. »Diese Frau ist weit drinnen, sehr tief.«

    »Woher weißt du, dass es eine Frau ist?«

    »Man kann ihre Stimme in den anderen Videoclips hören. Sie murmelt ein paarmal.«

    Die Frau blieb vor einem seitlichen Durchgang stehen und sah hinein. Es war ein kleiner Raum. Sie führte die Videokamera über den Boden. Er war mit einem halben Dutzend Knochen in verschiedenen Größen übersät.

    Ein Schauder kribbelte in meinem Nacken.

    »Das sind alles menschliche Knochen«, erklärte mir Danièle. »Es gibt überall Räume wie diesen. Sie hat schon mehrere andere passiert.«

    Die Frau folgte dem Gang weiter, hielt aber wieder an, um einen Pfeil am Boden zu filmen. Er war mithilfe von drei Knochen geformt worden. Drei Meter weiter erreichte sie einen weiteren Knochenpfeil.

    »Wer hat die gemacht?«, fragte ich. »Andere Urbexer?«

    »Ja, vielleicht.« Aber sie klang nicht überzeugt.

    Die Frau ging weiter. Noch mehr unscharfe Wände und knirschende Schritte. Sie erreichte eine T-Kreuzung und blieb stehen.

    »Sie ist verwirrt«, sagte Danièle. »Offensichtlich kennt sie diesen Teil der Katakomben nicht gut.«

    »Warum ist sie da allein reingegangen?«

    »Wir wissen nicht, ob sie allein gegangen ist. Vielleicht war sie mit anderen zusammen und wurde von ihnen getrennt und hat sich dann verlaufen.«

    Die Frau entschied sich für links und folgte einem gewundenen Gang. Sie blieb einige Sekunden lang stehen, um eine Wandmalerei von einer Art Strichmännchen zu begutachten. Es war mindestens einen Meter achtzig hoch, hastig gemalt, beinahe fieberhaft; die Gliedmaßen waren gespreizt.

    Danièle sagte: »Jetzt sieh genau hin. Sie wird richtig ängstlich. Vielleicht ist es dieses Bild, das ihr Angst eingejagt hat. Oder vielleicht hat sie etwas gehört. Aber, schau, sie geht jetzt schneller.«

    Tatsächlich bewegte sich die Frau jetzt im Trab. Das Bildmaterial begann zu ruckeln. Ihr Atem ging laut und schnell.

    Nicht wegen der Anstrengung, dachte ich, sondern aus Angst.

    Zweimal wirbelte sie herum, wie um nachzusehen, ob jemand hinter ihr war. Die Kamera bewegte sich mit ihr.

    »Sie geht weiter, schneller und schneller«, sagte Danièle leise, »tiefer und tiefer, und dann  …«

    Plötzlich ließ die Frau die Kamera fallen. Sie landete mit einem Poltern und filmte weiter.

    »Sie lässt sie einfach fallen. Schau! Sie hält nicht an, um sie aufzuheben. Man kann ihre Füße durch die Pfützen spritzen sehen, während sie verschwinden. Und dann  –  nichts.«

    Die Kamera lief weiter, filmte eine Nahaufnahme von Kieselsteinen und Wellen in einer nahen Pfütze.

    »Was passiert als Nächstes?«, fragte ich.

    Danièle hielt einen Finger in die Höhe: Warte. Sie benutzte das Trackpad, um einen Teil der Aufnahme zu überspringen, und drücke auf Play. Das Bild war exakt dasselbe.

    »Was  …?«

    »Hör hin.«

    Ein erschütternder Schrei explodierte aus den blechernen Lautsprechern. Er klang weit fort, als käme er aus der Tiefe im Inneren der schwarzen Tunnel. Er steigerte sich in bansheegleiche Raserei  …

    Der Bildschirm wurde schwarz.

    »Was ist passiert?«, wollte ich wissen.

    Danièle sah mich an. »Die Kamera ist ausgegangen. Das war’s.«

    Kapitel 2

    »Was meinst du mit das war’s?«, fragte ich mit einem Stirnrunzeln.

    »Du hast es gesehen«, sagte Danièle. »Der Akku hat den Geist aufgegeben.«

    »Und?«

    »Und nichts.«

    »Du weißt nicht, was mit ihr passiert ist?«

    »Woher denn? Niemand hat sie je wieder gesehen.«

    »Wie kannst du das wissen?«

    »Okay, ich weiß es nicht«, gab sie zu. »Aber sie hat die Kamera dort gelassen. Sie ist nicht zurückgekommen, um sie wiederzuholen. Und du hast sie gehört.«

    Ich lehnte mich zurück. Mein Magen war aufgewühlt, als hätte ich gerade ein Schnapsglas voll Farbverdünner getrunken. »Ist das echt?«

    »Natürlich, Will.«

    »Wie bist du an die Kamera rangekommen?«

    »Pascal hat sie gefunden.«

    »Warum war er so tief in den Katakomben?«

    »Das tut er eben. Er erkundet, sogar mehr als ich. Er hat die Katakomben schon hunderte Male zuvor besucht.«

    Ich sah Danièle an, dann den Laptop, dann wieder Danièle.

    »Du warst also nicht mit ihm zusammen?«, fragte ich.

    »Nein, war ich nicht.«

    »Wo ist die tatsächliche Kamera?«

    »Pascal hat sie. Ich habe die Dateien auf meinen Computer kopiert.«

    »Spielt er dir vielleicht einen Streich?«

    »Warum bist du so skeptisch, Will?«

    »Warum? Weil das aussieht wie etwas aus dem Blair Witch Project

    »Pascal hat sich das nicht ausgedacht.«

    »Dann vielleicht die Frau.«

    »Warum sollte sie das tun? Die Katakomben sind sehr groß. Wie ich gesagt habe, die Kamera war tief drinnen. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand sie findet, war gering. Außerdem gibt es keine Aufnahmen von ihr. Auf keinem einzigen der Videoclips. Nur ihre Stimme. Die Kamera könnte niemals zu ihr zurückverfolgt werden. Sie würde niemals wissen, wer sie gefunden hat, falls jemand sie gefunden hat. Warum sollte sie so einen Scherz machen?«

    »Sie ist gerannt, richtig?«, fragte ich. »Am Ende ist sie gerannt. Sie hatte Angst. Sie dachte, etwas wäre hinter ihr her. Aber sie filmte weiter? Würdest du das tun? Die Kamera weiterlaufen lassen, das machen die nur in diesen Found-Footage-Filmen.«

    »Nein, Will. Sie hat nicht gefilmt. Sie hat die LEDs der Kamera benutzt, um etwas zu sehen. Wenn sie die Kamera ausgeschaltet hätte – da unten ist es komplett dunkel.«

    Ich ließ mir das durch den Kopf gehen. »Was denkst du also, was passiert ist? Sie hat geglaubt, jemand wäre hinter ihr her. Ist jemand an der Kamera vorbei gerannt, um sie zu verfolgen?«

    »Nein.«

    »Wer hat sie dann zum Schreien gebracht?«

    »Darauf habe ich keine Antwort.«

    Ich kannte Danièle gut genug, um zu erkennen, ob sie mich auf die Schippe nahm oder nicht. Als ich sie jetzt ansah, glaubte ich das nicht. Ob es stimmte oder nicht, sie war davon überzeugt, dass es sich um echtes Filmmaterial handelte. Eine Frau hatte sich in den Katakomben verirrt und sie hatte das Pech gehabt, jemandem über Weg zu laufen, der ihr etwas Schreckliches angetan hatte.

    Und warum nicht?, dachte ich. Warum pochte ich darauf, dass es nicht so war? Jeden Tag passierte große Scheiße in der Welt. Eine Menge großer Scheiße. Ziemlich schreckliche Scheiße. Man konnte so tun, als wäre es nicht so, aber damit verarschte man sich nur selbst.

    »Habt ihr der Polizei eine Kopie gegeben?«, fragte ich.

    »Der Polizei?« Danièles Augen weiteten sich überrascht. »Natürlich nicht.«

    »Aber wenn es echt ist, dann ist dieser Frau etwas zugestoßen. Ihr müsst es der Polizei sagen.«

    »Und was würde die deiner Meinung nach tun, Will?«

    »Ich dachte, du hättest mir mal erzählt, dass es diese Polizisten gibt, die in den Katakomben auf Streife gehen?«

    »Catacops, ja. Aber die patrouillieren nur in den gängigen

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