Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Der Faden im Kopf: Aufsätze und Reflexionen
Der Faden im Kopf: Aufsätze und Reflexionen
Der Faden im Kopf: Aufsätze und Reflexionen
eBook174 Seiten2 Stunden

Der Faden im Kopf: Aufsätze und Reflexionen

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Warum fasziniert uns die menschliche Stimme, insbesondere wenn sie singt? Warum scheint uns eine reife Männerstimme vertrauenswürdig? Wieso räumen wir dem Lampenfieber so viel Raum ein, auch wenn wir selbst nicht betroffen sind? Wie geht man mit Vorbildern um? Wie fühlt es sich an, Kunstwerke zu erschaffen und eine Ausstellung zu planen? Diesen und anderen Themen, die allesamt um die Kreativität kreisen, geht die Autorin Joanna Lisiak in sieben Aufsätzen nach.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum16. Jan. 2019
ISBN9783746052830
Der Faden im Kopf: Aufsätze und Reflexionen
Autor

Joanna Lisiak

Joanna Lisiak ist in Polen geboren und lebt seit ihrem zehnten Lebensjahr in der Schweiz. Zahlreiche eigene Buchpublikationen im Bereich Lyrik und Kurzprosa. Sie schreibt auch dramatische Texte sowie Hörspiele. Nebst ihrer literarischen Arbeit ist sie Jazzsängerin. Mitglied u.a. von AdS, Autoren der Schweiz und P.E.N., International Poets, Essayists, Novelists.

Mehr von Joanna Lisiak lesen

Ähnlich wie Der Faden im Kopf

Ähnliche E-Books

Kurzgeschichten für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Der Faden im Kopf

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Der Faden im Kopf - Joanna Lisiak

    Inhalt

    Die Stimme

    Lampenfieber

    Ein Strich

    Des Künstlers Seele

    Vorbilder

    Der Faden im Kopf

    Reife Männerstimmen

    Die Stimme

    Blicke auf Stimme

    Worte für Stimme

    Musik

    Trocken gesagt eine Sprache

    eine Win-Win Sache und darüber

    rentabel: ein Mal komponiert

    spielbar mannigfach ohne

    Materialermüdung dazu universell.

    Sie ist Freilauf des Gehirns.

    Auf Hörpromenaden klingende Skulpturen

    changierend in Form zwirbelnd

    wellend angelegte Variationen.

    Mit ihr kann man dem Materiellen

    das Andere entgegensetzen das größer ist.

    Die Formel offen:

    Wo die Interpretation

    mehrdeutig wird

    wird mehrdeutig

    die Interpretation.

    Was ist des Tons Chronologie?

    Wie lange dauert die Farbe eines Lauts?

    Wie schmeckt Dur wie Moll

    ist C vertrauter Freund?

    In der Stille wird sie geschaffen.

    Aus der Stille tönt sie heraus.

    Die Stille ist in ihrem Klang zugegen.

    Jeder hat sie. Sie ist täglich im Gebrauch. Übermittlerin, ein Medium von Sprache, Inhalt. Der, der spricht mit und mittels ihr, er benötigt die Stimme, um die Worte, die Sätze heranzutragen zu dem, der hört, zu dem, der verstehen will. Was gesagt wird, ist vordergründig wichtiger als wie es gesagt wird, wenngleich das Wie auch ungehört wahrgenommen wird. Die Stimme übertrage Emotionen heißt es. Die Stimme gelte als Fenster zur Seele, sagt man. Ist sich der Träger seiner Stimme bewusst - ob, um das Gesagte hervorzuheben oder ob um der Stimme an und für sich Ausdruck zu verleihen - gilt die Stimme als gesteigert. Besonders dann, wenn sich die Stimme mit dem Element Musik verbindet. Im Gefäß der Musik, die, egal welcher Art, in einem Korsett aus Regeln steckt – Rhythmus, Harmonien, Melodielinien, Begleitinstrumenten, der Struktur allgemein -, empfindet man die Stimme als überhöht. Eine Stimme, die in der Musik aufgehoben ist, betritt eine neue Sphäre und knüpft sich ab von der Stelle, die alltäglich, die allgemein gültig ist. Sie wird zu einer besonderen Stimme. Zu einer Stimme, die für alle sprechen kann, einer, die nicht diese Stimme sind und nicht sein können, erst gar nicht jetzt, wo sie doch ihren momentanen und einzigartigen Soloplatz mittig der Musik eingenommen hat. Dort entfaltet sie sich, für sich, für den Träger, den Zuhörer und für die Musik.

    G.H., Berlin 2009, Aufnahmestudio, 17.20 Uhr: Erste Mikrophon-Probe. G.H.‘s Stimme wird mittig gesetzt, etwas vorne. Die Band ringsum. Der Hall kommt später hinzu. Vorläufiges Reiseziel erreicht. Das Setting ist da und der Rest beim künftigen Hörer. Er wird den Ort mit seiner Vorstellung anreichern, etwas von sich hineinlegen, wird das eine Ereignis vor Ort zu einem neuen Ereignis, seinem Ereignis machen.

    Nicht immer muss die Transformation von Sprech- zur Gesangstimme etwas Göttliches darstellen, was es hierzulande oftmals ja tut. Da ist viel Kult um den Gesang, um den Sänger. Hier die langbeinige Bandfrontfrau mit Löwenmähne. Dort das ausdrucksstarke Starlet am Opern- oder Musicalhimmel. Wir verschwenden keine Zeit, das uns Beeindruckende auf den Sockel der Bewunderung zu heben.

    In gewissen Ländern werden die Sprechstimmen und die Gesangstimmen nicht als in zwei verschiedenen Welten stattfindende Phänomene angesehen. Da geht die eine leicht in die andere hinüber. Da werden die Schritte zwischen einem nebenbei gesagten Wort und einer gesungenen Melodie ganz klein gehalten. Hierzulande jedoch, wo man Showbühnen kennt und pflegt, kennen wir das Phänomen nur allzu gut, wo die sprechende Stimme angesichts einer singenden in ihrer Wirkung nachsteht.

    Freilich, wer singt, nimmt erstmals einen größeren, meistens auch lauteren, (Klang)Raum ein. Mitunter ist die Gesangsstimme effektvoller, weil die gesungenen Noten in der Regel länger dauern als die im Vergleich relativ kurzen, eher im kleineren Tonumfang stattfindenden Töne der gesprochenen Sätze. Man fällt dem Singenden auch nicht so leicht ins Wort –jedes singende Einklingen würde quasi zu einem Duett -, sondern man lässt den Singenden, was er zu singen hat zu Ende singen, wo demgegenüber das Ausredenlassen in der Praxis nicht immer so gut funktioniert. Und dies ironischerweise, obschon der Sprecher meistens von sich aus etwas sagt, etwas, das ihn direkt betrifft, wo hingegen der Sänger oftmals etwas interpretiert, das ein anderer komponiert, vertextet hat. Er stellt also etwas dar, was zwar aus ihm kommt, aber ihn nicht unbedingt auch darstellt. Der Sänger lebt etwas, das er sein könnte, sein möchte, aber möglicherweise gar nicht ist. Gerade das scheint besonders wertvoll und unantastbar zu sein.

    T.T., Barcelona 1996, 20.40 Uhr:

    T.T. singt sich ihren Raum frei und befreit bei ihrem Publikum einen gespiegelten. Aber es ist mehr. T.T. hat den Raum, den sie zur Verfügung hat geöffnet und die Zuschauer vor deren Raum in ihren herbeigeführt. Der abgeholte Zuhörer ist äußerst wach. Die Stimme hier, das Ohr dort. Verschiebung der Räume. Teilung der Zeit durch Sinne. Eine Welt entsteht neben der wirklichen, wodurch die wirkliche noch präziser, noch echter erscheint.

    Was bei einem Gänsehaut hervorruft, bedeutet für einen anderen ein sanftes Anrühren, ein Innehalten, ein tiefer Atemzug, erzeugt durch etwas Äußeres, wenn auch nicht Fassbares. Es kann ein Aufwirbeln einer Sehnsucht sein, die etwas in ihm wachruft ohne merkliche äußere Anzeichen. Berührt im Innern, unsagbar in Worten, angeknüpft an etwas, das ihm vielleicht abhandengekommen ist. Im Hörerlebnis die Befreiung des Überlagerten und Verschütteten. Und wenn es nur Augenblicke der Illusion sind.

    Man spricht von der Tragkraft der Stimme. Je nach Veranlagung, Training und Einsatz trägt die Stimme mal mehr, mal weniger. Wenn sie aber absolut trägt, ist sie in dem Moment imstande unter Umständen alles zu tragen. Und somit Fragen erst gar nicht entstehen zu lassen.

    B.D., Los Angeles, 1952, 23.02 Uhr:

    B.D.'s Stimme ist klein. Geringer Umfang, tendenziell wenig Durchsetzungskraft, eher unscheinbarer Natur, die einer sparsamen, sorgfältigen Begleitung bedarf. Umso größer der Charakter selbst, welcher sich weder in der Stimmfarbe, noch in artifiziell herbeigeführten Effekten zeigt. Er drückt sich vielmehr dadurch aus, dass B.D. eben mit der Stimme zu singen vermag, die ihr gegeben ist. Ohne jeglichen Zusatz, der kaschiert, beschönigt oder mehr sein will als vorhanden ist. Dies lässt B.D. umso authentischer, von äußeren Erwartungen unbeirrt, wirken. B.D. ist frei, was ihr Stil verleiht.

    Der Personenkult um Sängerinnen und Sänger ist gelegentlich derart groß, dass man, abgelenkt durch Visuelles oder die Art, wie die Stimme zum Ausdruck kommt oder wie sie in Szene gesetzt wird, das eigentliche Hören vergisst. Angeregt durch eine immanente Präsenz von Gesangsstimmen und Gesangsmusik fühlt sich so mancher zum Experten berufen, darüber zu urteilen, welcher Sänger, welche Sängerin über eine gute Stimme verfügt und wer nicht. Wobei die Kriterien gelegentlich zu einem einzigen subjektiven Kriterium zusammenklumpen, ohne weitere Differenzierung. Innerhalb weniger Sekunden weiß der Beurteiler offenbar Bescheid: gute Stimme, guter Sänger, respektive umgekehrt.

    Fürwahr ist es nicht einzig an den Experten oder an den Musikern über Musik zu urteilen. Denn gerade den Musikern fehlt mitunter jene Distanz, die das durch Musik leidenschaftlich Geweckte übersetzbar macht. Kann sich der Musiker in die Lage versetzen, die tatsächlich vorliegt, wenn Musiker während des Musizierens miteinander im Dialog sind, ist er gut beraten, weder allzu sehr in den Fachjargon zu greifen noch allzu allgemein zu werden. Eine Band, die „die Bude rockt, ein Sänger, der „mit warmer Stimme das Publikum berührte, führt zu einem austauschbaren Vokabular, das genauso wenig aussagt wie die Kritik darüber berauschend wirkt, nämlich, ob der vierte Takt zu hektisch in den fünften wechselte und dass die Triole im zweiten Satz zu kapriziös ausfiel. Eine präzise und zugleich leidenschaftliche Beschreibung, die an die Musik heranführt, neugierig macht oder gar bildet, ist eine rare Qualität.

    R.K., San Francisco, 1982, 11.00 Uhr:

    Überzeugt durch eine hervorragende Diktion. Man hängt an den Lippen dieser Sängerin, ist begeistert zudem von ihrer Leichtigkeit, zwischen den Noten spielerisch mit ihrem Pianisten zu flirten oder vielmehr mit ihm durch die Songs zu flirten, als würden sie gerade etwas tun, das leichter nicht sein kann. Wie ein unbeschwertes, vergnügliches Flanieren durch einen Park.

    Musik, respektive die Wahrnehmung von Musik ist eine komplexe Angelegenheit, nicht einfach in Worte zu fassen, da sie auch abstrakt ist. Unzählige Bilder und Metaphern, die sich auftun, nachvollziehbare Analysen, die verlocken aufgezeigt, erläutert zu werden. Dann die Passion selbst, vor der sowohl der Laie als auch der Profi nicht Halt machen kann und die artikuliert werden möchte. Darüber hinaus hört, beziehungsweise fühlt sich dasselbe Musikstück an einem Tag ganz anders an als an einem anderen. Das Gehörte ist von einer zärtlichen Konstitution und daher vielleicht bloß mit Vorsicht in Worte zu zerlegen. Die zum Genuss offen liegenden Stellen können auf verschiedene Weisen entkernt werden. Egal, wie meisterlich am Ende eine Beschreibung präsentiert wird, stets ist sie auch von eigenen Ansprüchen und vom individuellen Geschmack geprägt.

    F.M., Dublin, 1999, 11.08 Uhr:

    F.M. hat sich entwickelt. Wurde von Auftritt zu Auftritt professioneller, selbstsicherer. Studioalbum nach Studioalbum. Der ehemals rohe Diamant wurde geschliffen und überschliffen. Denn obschon F.M. technisch besser wurde, mehr stimmliche Möglichkeiten demonstrieren konnte, ist etwas Unperfektes verloren gegangen, das in den früheren Aufnahmen charmant war und nun fehlt. Die Fragilität war einst eine Brücke von einer besonderen Qualität, über die der Zuhörer gerne ging.

    Von einem selbst hängt es auch ab, ob man es lieber der Umgebung überlässt Einfluss auf einen zu nehmen oder ob man sich seine eigenen Vorstellungen selbst erarbeiten möchte. Wobei die Vorstellungen anfangs nur vage sein können. Geschmacksbildung ist ein Prozess, der allemal empfohlen ist. Nicht, um am vermeintlichen Ende einzig gut von schlecht unterscheiden zu können, sondern, um sich der musikalischen und sängerischen Vielfalt zu vergegenwärtigen. Es geht mehr um die Reise, denn als um das zu erreichende Ziel. Denn auf dem Weg zur Unterscheidung und zur angeblichen Übersicht, begegnen einem Unmengen an Darstellern und Interpreten. Wer sich am Anfang seiner Reise befindet, sieht vor lauter Bäumen den Wald nicht, selbst wenn er sich nur auf die menschliche Stimme, ein bestimmtes Genre, eine kurze Zeitepoche oder ein Land konzentriert. Wer in die Tiefe geht, dem ist noch mehr Tiefe sicher.

    C.R., Dallas, 1963, 19.00 Uhr:

    Die kräftige Stimme ist das eine. Beeindruckend ist, dass C.R. bei jedem Song eine Geschichte erzählt als wäre es die eigens hautnah erlebte. Jeder Seufzer, jeder Glücksmoment sind somit Einladungen, mitzuleiden, sich mitzufreuen und mehr: man geht in die eigene Vita, erinnert sich, erlebt erneut, hofft. Man hört gebannt zu. Und jede Wiederholung, die Wort für Wort dasselbe aussagt, verweist auf die Nuancen und Facetten, die subtiler nicht vorgetragen werden können. Selbst zwischen den Noten oder innerhalb eines einzigen Wortes sind Abstufungen anzutreffen, die sanft elektrisieren. Nicht selten sind sie befreiend, da von selbstironischer Selbstreflexion. Wir folgen C.R.’s Spur, lösen uns in der Spur auf und kommen bei uns an.

    Es gibt keinen diesen einen Wald, so wie es diesen einen Weg nicht geben kann. Wer aufbricht, weiß anfangs nicht, ob er sich im Zick Zack durch dornige Büsche irren wird, ob er von Lichtung zu Lichtung geführt wird oder ob er dem Waldrand entlang schleicht. Überall Irrwege, Umwege, Verwässerungen und Ablenkungen inmitten einer angenehmen Form von Einsamkeit.

    K.E., Paris, 2001, 22.45 Uhr:

    K.E. bietet viel. Die Band geht mit, das Publikum ist bestens eingebunden. Die Liebe für die Musik ist spürbar, gleichwohl ist etwas von K.E.'s Haltung ebenfalls deutlich wahrnehmbar, das viel Platz und Energie einnimmt und womöglich auf Kosten von etwas anderem geht: K.E. hört sich gut zu. Bisweilen hat es den Eindruck, sie suhle sich im eigenen Sound. K.E. liebt die eigene Stimme offensichtlich sehr. Erstaunlich ist, wie viel Raum diese Liebe einnimmt und wie K.E. es schafft diesen Raum Wort für Wort, Strophe für Strophe für sich herauszuschälen bis zur Hörbarkeit. Mit ihren Gesten entfacht K.E. ein Feuer, das nicht lodert. Es besteht aus Kohlestücken, die nach und nach verglühen.

    Wo beginnen? Man beginnt chronologisch. Oder beim Bekanntheitsgrad. Man geht über die scharf Kritisierten oder die Verkannten. Man wählt die Literatur zum Einstieg. Oder man nimmt Querverweise. Man geht Anregungen und Nebenbemerkungen nach. Man fängt irgendwo mittig an, von wo die Wege in alle Richtungen möglich sind, auch in die falschen. Oder man nimmt sich die Nebenfiguren vor, um sich so an die Hauptfiguren heranzutasten.

    Sich dabei vom eigenen Geschmack leiten zu lassen, ist nicht verkehrt. Doch inwiefern ist dieser Geschmack die Vorliebe unseres Umfelds, geprägt von der uns umgebenden Kultur? Sich dabei nicht in die Irre führen zu lassen, ist nicht minder schwierig, als sich die eigene Neugierde zu bewahren und ihr nachzugehen. Die Neugier ist eine Verwandte der Lust, und Lust ist auf der Erkundungsreise ein wichtiger Antrieb. Vor allem, wenn sich die geglaubten Neigungen als Irrungen herausstellen und Korrekturen bedürfen.

    D.F., Malibu, 1995, 23.20 Uhr:

    Keine schöne Stimme, vielleicht sogar eine hässliche Stimme: näselnd, manchmal sprechend, kratzend, knarrend, röchelnd und flach. Faszinierend geschmeidig

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1