Sophie hat die Gruppe verlassen
Von Sybil Schreiber
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Über dieses E-Book
Mit viel Feingefühl und sprachlichem Geschick lässt Schreiber die Leserinnen und Leser mithoffen und mitsuchen, sie zeichnet gekonnt mit wenigen präzisen Bildern ausgereifte Charaktere und Szenen. Ob es um die aussichtslose Suche nach dem Helden Old Shatterhand geht, um eine Bibliothekarin mit ausgeprägt genauer Beobachtungsgabe oder um die einsam träumende titelgebende Sophie: Sybil Schreiber führt empathisch und packend durch die Geschichten, mit großem Respekt vor ihren Protagonistinnen und Protagonisten.
Sybil Schreiber, sonst mit Schreiber vs. Schneider Meisterin der zielsicheren Beobachtungen und Pointen im alltäglichen Familien- und Eheleben, zeigt sich in ihrem Prosa-Debüt von einer ganz anderen, unerwarteten Seite.
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Buchvorschau
Sophie hat die Gruppe verlassen - Sybil Schreiber
bitte.
BEZIEHUNGSWEISE …
Sie gingen Händchen haltend am Fluss entlang.
Wie frisch verliebt.
Die Hände hingen ineinander verknotet
und baumelten zwischen ihnen.
Leblos.
Wie frisch entliebt.
SOPHIE HAT DIE GRUPPE VERLASSEN
Der blinkende Punkt auf ihrem Handy pochte wie ein Herz. Sie war angekommen. Im Bioladen an der Ecke hatten die anderen den Schlüssel für sie hinterlegt. »Ein Kuvert für mich? Für Sophie?«, fragte sie. Die Frau mit Tuch im Haar hinter der Rohkost lachte: »Klar, hier, hab schon von dir gehört. Viel Spaß. Wenn was ist, meld dich, ich kenn mich gut aus.«
Sophie nahm das Kuvert, spürte den Schlüsselbund durchs Papier und ging zu Hausnummer 15. Eine schmale Straße, keine Bäume, enger Bürgersteig. Sah weniger schick aus als im Internet, das Haus.
Pling. Kati am Pool. Darunter drei Sonnen und fünf Herzen.
Bist du schon bei uns? Danke, dass du Mikesch fütterst.
Sophie wischte übers Handy.
Pling. Leo. Hammer. Ich stehe. Und das am ersten Tag. Viel Spaß, Sophie.
Sophie schaute das Bild an. Braun gebrannte Zehen auf einem weißen Brett in blauem Wasser.
Pling. Kati. Brutal heiß hier in Kreta, hoffentlich schmilzt das Baby nicht. Haben heute Geier gesehen. Foto folgt. Freu mich auf unser Wiedersehen in zwei Wochen.
Sophie blickte auf das Foto von einem blauen Himmel mit schwarzen Punkten. Freut sich aufs Wiedersehen. Dabei hatten sie sich noch gar nie gesehen. Warum also wieder?
Sophie holte den Schlüsselbund aus dem Umschlag, öffnete die schwere Haustür, ging eine Etage rauf, auf dem Teppich stand Fuck You. Sie nahm den zweiten Schlüssel, drehte zweimal nach rechts, die Tür öffnete sich.
Es roch nach kaltem Rauch, nach billigem Putzmittel, nach schlechter Kanalisation. Schuhe im Gang, Sneakers, schwarze Lederschuhe, ein paar Stöckelschuhe, die Garderobe krachte fast von der Wand, voller Jacken, Schals, Handtaschen. Am Boden ein Zettel: Danke, dass du uns aus der Patsche hilfst. Kommen am 8. zurück, dann machen wir Pasta zusammen. Genieß den Sommer bei uns. Kannst pennen, wo du magst. Kati und Leo. PS: Katis Bett ist besser, Leo. Smiley.
Sie stellte ihre Tasche ab. Die Dielen knarzten. Altbauwohnung, mitten in der Stadt, Fahrräder inklusive, für zwei Wochen, einfach Blumen gießen, Kater füttern, dafür kostenlos wohnen. Hatte die Anzeige bei Ron Orp im Internet gefunden. Zürich, da war sie noch nie. Viel zu teuer für eine Krankenschwester. Sie musste Ferien nehmen, dringend Überstunden abbauen. Zu ihren Eltern wollte sie nicht, allein wollte sie nicht und mit ihr wollte niemand.
Darum also Wohnung hüten. Denn in einer Wohnung fühlte sie sich nicht ganz so vergessen wie in einem Hotel.
Ein paar Mails hin und her, schon war klar gewesen, dass sie die Wohnung haben konnte. Kati und Leo wollten unbedingt noch mal weg, bevor das Baby kam. Die letzte Gelegenheit für uns ohne Schreihals, schrieb Kati. Was machst du so? Sophie schrieb Krankenschwester. Mehr nicht. Das klang nach Pflichtbewusstsein und Ordnung. Abgemacht, wir freuen uns, dass es klappt. Sophie würde kommen, sie konnten gehen.
Sophie stand in der Küche. Am Boden lag ein Herzballon, rosa glänzend, dem die Luft ausgegangen war. Ein Kärtchen dran: Verliebt, verlobt, verheiratet. Sophie hob ihn auf, nahm eine Schere und schnipselte ihn in Fetzen. Danach schrieb sie der Gruppe »aufunddavon«: Fühle mich wie zu Hause. Echt süß, eure Wohnung. Mikesch auch. Dazu Sonnen, Herzen, Blumen, ein Delphin.
Eine richtige Wohnung für sich allein hatte sie noch nie. Sophie hatte nur ein Schwesternzimmer. Einbauschrank, Bett, kleiner Balkon, Blick auf den Klinikpark mit Menschen, die langsam gehen. Aus ihrem alten Kinderzimmer hatte sie einen Leuchtglobus mitgenommen, das war ihr Licht, wenn sie als Sophiechen nicht einschlafen konnte. Er stand auf dem Regal an der Wand. Ein Fach darunter lagen sauber zusammengelegt Hemden mit handbeschriebenen Etiketten.
Manuel, Wien, Boss, Nassrasierer, Murmeltiergesicht.
Reinhart, Hamburg, Nivea for Men, Zitronenjoghurt, Huskyaugen.
Simon, Augsburg, Diesel Duschgel, Trompete, Eidechsenhaut.
In der gemeinsamen Küche des Schwesternhauses war Sophie nur dann, wenn sonst niemand dort saß. Sie suchte sich eine Lücke auf dem schmutzigen Tisch, auf dem immer Reste lagen. Reste von Marmorkuchen, Leberkäse, Brötchen, matschigen Aprikosen. Was halt so gegessen wurde, wenn einem das Essen nichts bedeutete. Wenn die Zeit nicht reichte, weil es piepste. Komm ja schon. Komm ja schon. Wieder die 17. Diese Nervensäge. Immer mit der Ruhe.
Sie hatte niemandem im Krankenhaus erzählt, wohin sie reisen würde. Es hatte sich auch niemand danach erkundigt. Ihren Eltern sagte sie, dass sie mit der Clique von Station 3 nach Mallorca fliegen würde. »Das tut dir gut, Sophiechen, ein bisschen Ablenkung. Und wer weiß, vielleicht wird was draus.« Ablenkung von einem Leben ohne Zwischenfälle. »So langsam wäre es an der Zeit, mal einen Mann fürs Leben zu finden«, hatten ihre Eltern an Weihnachten zu ihr gesagt, das sie wie immer gemeinsam feierten. Zu dritt. Mit Gans und Knödeln. Früher wollte Sophie Friseurin werden, aber ihre Eltern sagten: »Das ist nichts für dich, da muss man doch was hermachen. Nein, werde Krankenschwester. Da ist es egal, wenn, na du weißt schon, wenn man nicht die Hübscheste ist. Aber wir haben dich trotzdem lieb. Wobei, ein bisschen weniger könntest du dich also schon gehen lassen. Eine Dauerwelle. Oder mal was Buntes anziehen. Sophie, so findest du nie einen Mann.« Ihre Eltern hatten ihr eine Schildkröte geschenkt, als sie sich einen Zwerghasen gewünscht hatte. Weil Hasen haaren. Sophie hatte ihre Schildkröte mit Nagellack angemalt. Schöner wurde sie aber trotzdem nicht. Das Gefühl kannte sie.
Sophie sah sich in der Küche um. Viel zu viele Gewürze im offenen Regal. Am Kühlschrank Magnete, Postkarten, Bilder, Sprüche: Aschenputtel ist der beste Beweis, dass ein neues Paar Schuhe das Leben ändern kann.
Sophie juckte es am Rücken. Sie nahm eine Gabel aus der Schublade und kratzte sich. Die Gabel legte sie zurück ins Fach. Mikesch streifte um ihre Waden, seine Haare blieben an ihren Jeans kleben. Sophie musste niesen.
Sie schlich durch die Wohnung. In Katis Zimmer hingen Bändel von Konzerten, am Spiegel Polas von zu stark geschminkten Frauen mit Knutschmündern und rausgestreckten Zungen, eine davon war immer Kati. Sie hatte viele Freundinnen. Die Kommode übersät mit Schmuck, BHs, Cosmopolitan. Das Bett von einem rosa Moskitonetz überdacht. Leos Zimmer fast leer. Bücher der Höhe nach sortiert. Ein Totenkopf auf dem Tisch. Futon am Boden. Sophie zupfte an der Decke, sie schlug das Kissen, so, wie sie es in der Klinik jeden Tag machte. Die Federn durcheinanderklopfen. Das Kissen roch nach Turnhalle. Da hingen bestimmt viele Bakterien drin. Sie hatte ein Foto von Leo gesehen, am Küchenschrank. Hundert Kilo hatte er, mindestens.
Sie grub ihr Gesicht ins Kissen. Ob er derjenige war, aus dem mal was werden könnte? Ein angehender Jurist, bestimmt aus reichem Haus, alle Juristen hatten reiche Eltern. Leo, das Dickerchen, dessen Eltern sich immer lustig gemacht hatten, weil er so unsportlich war, während sie