In Liebe - das Leben: Erzählung
Von Julia Gilde und Robin Gerull
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Über dieses E-Book
Verzaubert blickte ich hinaus auf das weiße Eis. Annika saß neben mir. Ganz dicht. Als ich mich zu ihr wandte, lächelte sie. Ihre Augen waren hellblau. Und sie strahlten in einer Energie, die ich noch heute bewundere.
Ich wollte mich nicht verlieben. Es trieb mich in die Verzweiflung. Ein schwarzer Abgrund tat sich in mir auf, in den alle Hoffnung gesogen wurde.
In den folgenden Tagen brach alles in mir zusammen. Dies ist die Geschichte davon, wie ich vor dem Leben davonlief und hinaus in die Schären fuhr.
Julia Gilde
Julia R. Gilde wurde 2002 geboren und lebt in Berlin. Sie schreibt Gedichte und Lieder.
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Buchvorschau
In Liebe - das Leben - Julia Gilde
1. Kapitel
Mauve hinter
Tannensilhouetten
Grau ist die Farbe des Winters. Sowie der Frühling grün, der Sommer gelb, der Herbst wohl braun ist, liegt die Welt im Winter trübselig da – schlafend, erkaltet. Bäume gemahnen an tote Krallen, die eisige Winde zerreißen, Gärten haben mit ihrer Lebendigkeit auch jeden Reiz verloren, selbst der Himmel ist seltsam farblos, als dächte er in müder Umnachtung, Blau sei doch eine merkwürdige Farbe für den Erdendom.
Alles ist starr – selbst wenn ein Vogel singt, tut er dies mit steifem Hals. Hartnäckige Kälte kriecht in jeden Winkel – mich, im Pullover, verschränkter Arme hinter der verriegelten Balkontür, mich fröstelte, mein Blick verloren in der grauen Frostwüstenei.
In Norwegen ist selbst der März noch eisig.
Jemand riss mich aus meiner fernschweifenden Trübsal zurück an den Fleck, wo ich durch meine Wollstrümpfe kaminwarmes Parkett spürte. Meine kleine Schwester, die ich liebte, schrie mir zu, es gebe Middag, wie man bei uns das Abendessen nennt. Ich murmelte etwas, der Blick auf ihren flinken Fersen, die schon die Treppe hinaufrannten. In lustlosem Trott folgte ich ihr und nahm murmelnd die Tischgruppe zur Kenntnis, die sich um eine Platte Fisch mit saurer Sahne versammelt hatte.
„Es gibt Fisch!", schrie meine Schwester und zog meinen Stuhl neben sich zurück. Ich setzte mich und starrte wortlos in die Leere über dem Fisch. Papa tat mir energisch auf; im Sommer ist er herzlich, seine Halbglatze glüht rot und sein buschiger Schnurrbart kräuselt sich gerne über einem Lächeln – jetzt hüstelte er verhalten vor sich hin und bestritt es immer, wenn seine Frau darauf zu sprechen kam.
Das Klappern und Schmatzen beim Essen hallte in der Küche wider, wir schwiegen. Bitter starrte ich zum Fenster hinaus auf eine Wiese, deren Grün das Leben fehlte. Kaum zu glauben: Schon im Frühling springen wir darüber wie toll und um uns her leuchtet und summt die Welt. Nur das Wetter muss grauen und schon legt sich eine Melancholie über alles, was fröhlich sein kann.
Ein Schmerz lag in mir begraben, der mir fremd doch ureigen war. Das Ereignis gestern hatte Pforten in mir aufgestoßen und diese Bestie freigelegt. Sie fraß mich von innen auf.
Meine Kehle brannte und ich schlang den Fisch hinunter, stand auf, stellte den Teller weg, obwohl ich noch hungrig war, und murmelte: „Takk for maten, danke fürs Essen." Kein Dank lag in meiner Stimme oder meinem Herzen, nur Bitterkeit.
Meine Mutter schaute auf. „Geht es dir nicht gut?"
„Der Winter", sagte ich nur und zog mich zurück in mein Zimmer, unten im Erdgeschoss.
Wieso nur ist der Mensch zu so viel Leiden fähig
schrieb ich in mein Notizbuch, „Skrivebok" war in den hellbraunen Ledereinband graviert. Ich hatte auf meinem Bett gelegen und stumme Tränen hatten mir Seele, Kehle und Wangen verbrannt.
Wieso nur ist der Mensch zu so viel Leiden fähig, wenn doch Glück und Zufriedenheit für ihn gemacht sind? Was gibt uns die Fähigkeit zu so viel Schmerz eines aufgelösten Herzens, zum Erleiden von emotionalem Chaos – wer ist so grausam?
Ich starrte aus dem Fenster auf die schneelosen Häuser im Tal, die schon mit Lichtern die Nacht verscheuchten.
Oder sind es diese Phasen höchster Verzweiflung, die uns mehr ausmachen als unser Glück? Zeichnet es ein jeden aus, wie und warum er leidet? Ist dies unser tiefster Wesenszug? Dann wüsste ich gerne, wie mein Wesen ist, dass es meine Brust und meinen Kopf zerreißt. Dies ist eine Wunde, die heiß blutet und brennt, rumort in gelasseneren Phasen und dann wieder reißt.
Jetzt war ich ganz klar im Kopf. Jetzt sah ich meine Verzweiflung von außen und sah, wie scheußlich und stark diese Bestie war.
Bin ich in der Lage, allein mit diesem Schmerz fertig zu werden?
Ich teilte meine Trauer nicht. Ich versuchte, mit all meiner jugendlichen Weisheit allein gegen so etwas Urgewaltiges und Uraltes wie Trauer anzukämpfen. War sie nicht von der Natur dafür geschaffen, dass der verzweifelte Hilflose aus Mitleid und Liebe gerettet wird? Es war widernatürlich, so wie ich heldentrotzig nicht die Wunde zu teilen.
Etwas zerriss mein Inneres, Blut rauschte heiß durch meinen Körper, meine Seele schrie. Die Schale saß teilnahmslos da und starrte aus dem Fenster in die dunkelnde Welt. Konnte man das Feuer der schrecklichen Erkenntnis hinter meinen Augen toben sehen?
Ich hatte niemanden, mit dem ich meine Wunde teilen konnte. Meine Schulfreundschaften waren oberflächlich, man mochte mich, aber ich war in meinem Wesen ein Außenseiter, der nicht zu einer Gruppe sich zugehörig fühlen konnte.
Unentzündlich – so hockt meine Gestalt
Neben dem Feuer der Andern
Kühl – nur hören tu ich ihre Freude,
Spüren kann ich nichts
Ob dies Gedicht, im Unterricht gekritzelt, verbittert ist, weiß ich nicht, wusst ich nicht, als ich es schrieb. Nun merke ich, dass es schlimm ist. Dass ich niemanden habe – wie konnte ich mich nur so verlieren?
Sonst kann ich mit meinen Eltern über alles sprechen. Jetzt fühlte ich mich von ihnen entfremdet, vielleicht durch den Winter, vielleicht