Die recycelte Zeit: Prinzipien einer Ordnung
Von Günter Hiller
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Über dieses E-Book
Träge Strukturen mit endlicher Lebensdauer sind die Keimzellen der Evolution. Jede dieser Keimzellen hat ihre eigene Zeit oder ihr eigenes Zeitspektrum. Vergangene Zeiten können als Erinnerungen gespeichert werden, aber auch Erinnerungen sind vergänglich, haben also eine begrenzte Lebensdauer.
Wenn diese Strukturen in Schwarzen Löchern verschwinden, verschwindet mit ihnen auch ihre Zeit. Was passiert aber mit dieser Zeit? Dieser Frage widmet sich dieses Buch.
Günter Hiller
Geboren 1943, graduierte ich 1970 von der Technischen Universität Berlin mit dem Diplom in Physik. In den folgenden 17 Jahren lebte und arbeitete ich als Geophysiker in 15 verschiedenen Ländern, immer in Kontakt mit fremden Kulturen und deren Denkweisen. Aus familiären Gründen kehrte ich nach Deutschland zurück, wo ich in der Mess- und Regeltechnik und als Technischer Leiter für die Entwicklung von Tierhaltungssystemen beschäftigt war. Rationale Physik war ein Standbein meiner Entwicklung aber immer nur ein Teil meines Lebens und meines Denkens.
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Buchvorschau
Die recycelte Zeit - Günter Hiller
Inhalt
Einleitung
Ursache-Wirkungs-Prinzip
Evolutionsprinzip
Emergenzprinzip
Babuschka-Prinzip
Recycling-Prinzip
Komplementaritätsprinzip
Ein emergentes Universum
Die recycelte Zeit
Sein und Werden
Zeitlose Energie
Ausklang
Begriffserklärungen
Ein philosophischer Exkurs
Anhang
Nachlese
Glossar
Literatur
In zwanzig Jahren wirst du mehr von den Dingen
enttäuscht sein, die du nicht getan hast,
als von den Dingen, die du getan hast.
Also mach die Bugleinen los.
Segle heraus aus dem sicheren Hafen.
Mark Twain
1. Einleitung
Über Jahrhunderte wurde unsere Vorstellung des Universums durch die biblische Schöpfungsgeschichte oder eine ihr äquivalente Erzählung geprägt. Die Welt wurde von einem übermächtigen Gott (oder Göttern) erschaffen und dieses Mysterium der Schöpfung ist der Kern vieler Religionen, nur jeweils etwas unterschiedlich erzählt. Die Welt kann sich zwar verändern, aber nur in einem von diesem Gott vorgegebenen Rahmen.
Wissenschaften waren darauf bedacht, regelmäßig wiederkehrende Veränderungen aufzuspüren und eine Systematik dieser Veränderungen zu erkennen. Dieser Prozess mündete in der Erkennung von Erhaltungsgrößen und Erhaltungssätzen. Diese dienen gleichsam als Anker in einem zunächst turbulent erscheinenden Umfeld und erlangten eine ungeahnte Bedeutung, da sie als unveränderlich und gleichsam als von Gott gegeben erscheinen.
Erhaltungssätze laden dazu ein, als mathematische Gleichungen dargestellt zu werden. Die Sprache der Mathematik erscheint daher prädestiniert, die Beobachtungen in der Welt zu beschreiben. Obwohl Mathematik nur eine von Menschen erdachte Kunstwissenschaft ist, wird ihr gerne ein fast göttliches Flair zugesprochen.
Durch mein Studium der Experimentalphysik und meine langjährige Tätigkeit als Geophysiker in der Erdölindustrie bekommt man eine völlig veränderte Sicht der Dinge. Bei der Bestimmung und Einordnung der unterschiedlichen Schichten der Erdkruste sind mathematische Gleichungen denkbar ungeeignet, hilfreich ist einzig ein weitreichendes Verständnis der Evolution, die die Entstehung der Schichten erklären kann.
Abb. 1 Erdzeitalter
Mathematische Gleichungen sind ein probates Mittel, um schnell Näherungslösungen für spezifische Problemstellungen zu finden, aber weit davon entfernt, ein Verständnis der Natur zu generieren! Obwohl es sich bei der Erdkruste um sogenannte „tote" Materie handelt, basiert die bisher einzige schlüssige Erklärung für die Erdrinde auf einem evolutionären Denkansatz. Da ein evolutionärer Ansatz bisher nur für „lebende" Systeme oder Strukturen angewendet wurde, ist ein Umdenken zwangsläufig erforderlich.
Evolution basiert auf Reproduktion und damit einhergehenden Reproduktionsungenauigkeiten, Reproduktionsfehlern, die gemeinhin als Mutationen bezeichnet werden. Wenn man nach einer Begründung für die Notwendigkeit von Reproduktion sucht, stößt man sofort auf eine endliche Lebensdauer der betrachteten Strukturen. Strukturen mit einer endlichen Lebensdauer, die sich nicht selbst reproduzieren können, sterben aus!
Diese einfache Überlegung bietet eine neue, viel allgemeinere Definition von Leben, was schon in dem Terminus Lebensdauer enthalten ist: Leben ist all das, was eine endliche Lebensdauer hat, egal wie lang oder kurz diese ist. Mit dieser Definition gibt es tatsächlich gar keine tote Materie und damit muss auch die Physik neu gedacht werden!
Das erfordert aber auch eine Neuausrichtung des Evolutionsprinzips, das nur dann erfolgreich sein kann, wenn es so allgemein gefasst werden kann, dass es alle denkbaren Evolutionsformen beschreiben kann. Neben der biologischen Evolution ist inzwischen auch die kulturelle Evolution allgemein akzeptiert und Friedrich Cramer hat bereits in seinem Buch Der Zeitbaum dargelegt, dass sich diese beiden Evolutionsformen allein in ihrer Geschwindigkeit drastisch unterscheiden.
Gemäß seinen Ausführungen ist die kulturelle Evolution ca. eine Million Mal schneller als die biologische Evolution. Dieser Geschwindigkeitsunterschied macht einen Vergleich nicht einfach, kann aber im Fall einer Ähnlichkeit helfen, die langsame biologische Evolution besser zu verstehen und ein Licht auf eine physikalische Evolution werfen, die vermutlich um einen ähnlichen Faktor langsamer sein müsste als die biologische Evolution.
Die Langsamkeit der biologischen Evolution verhinderte ihre Entdeckung bis hinein ins 19. Jahrhundert und eine noch viel langsamere physikalische Evolution entzieht sich praktisch allen erdgebundenen Messverfahren, so dass Physiker gerne von ewigen Naturgesetzen sprechen. Wenn man allerdings bereit ist, einen evolutionären Ansatz für unser Universum in Betracht zu ziehen, verändert sich das Bild der Welt grundlegend.
Evolution zu Ende gedacht erfordert eine kontinuierliche Schöpfung und widerspricht damit eindeutig den vielen religiösen Schöpfungsmythen, die eine Einmal-Schöpfung propagieren. Schon vor Darwin entwickelte der französische Biologe Jean-Baptiste de Lamarck zu Anfang des 19. Jahrhunderts sein Evolutionsmodell, das der biblischen Schöpfungsgeschichte radikal widersprach, und praktisch zeitgleich stellte der deutsche Mathematiker Carl Friedrich Gauß seine Normalverteilung vor, die den Schlüssel für statistische Betrachtungsweisen lieferte.
Die Gaußsche Normalverteilung begründete mehr oder weniger die Wahrscheinlichkeitsrechnung, die in der Quantenphysik zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur vollen Entfaltung kam. Dennoch war der göttliche Schöpfungsgedanke in den Köpfen immer noch so präsent, dass das von dem wissenschaftlich gebildeten belgischen Priester Georges Lemaître postulierte Urknallmodell breiten Anklang fand.
Auf den ersten Blick ähnelt ein Urknall einer Einmal-Schöpfung, wie es die Genesis beschreibt. Grundlage dieses Postulats (1927) war eine bereits 1925 von Milton Humason nachgewiesene Rotverschiebung. Edwin Hubbles sehr viel genauere Messungen zur Rotverschiebung wurden 1929 durchgeführt, aber Hubble selbst sah darin keine Bestätigung für einen Urknall, sondern sah dafür ihm unbekannte Phänomene verantwortlich.
Da viele Physiker Energieerhaltung als Dogma betrachten und somit auf das ganze Universum, von dem sie gerade einmal einen Bruchteil wahrnehmen können, anwenden, muss eine andere Erklärung für die Rotverschiebung gefunden werden. Physiker machen dafür den Doppler-Effekt verantwortlich, der zwar für einzelne Sterne mit konstanter Leuchtkraft gültig ist, aber ganz sicher nicht für Galaxien, die eher eine statistische Verteilung von hunderten von Milliarden Sonnen mit begrenzter Lebensdauer darstellen!
Es ist dennoch erstaunlich, wie besessen Physiker den Urknall zu bestätigen versuchen, obwohl er auf zwei völlig unzureichenden Annahmen beruht. Energieerhaltung für das gesamte, größtenteils völlig unbekannte Universum zu fordern, ist mehr als arrogant und den Doppler-Effekt auf Galaxien anzuwenden ist schlichtweg falsch. Ohne Grundkenntnisse der Psychologie ist dieses Verhalten nicht zu verstehen.
Energieerhaltung hat sich zu einem physikalischen Dogma gesteigert. Von Nichts kommt Nichts und was nicht wahrnehmbar ist, lässt sich nicht beschreiben. Diese beiden Binsenweisheiten sind der Kern der physikalischen Lehre und lassen kaum Kreativität zu. Dabei ist letztlich jedes kleine oder große Unternehmen aus einem materiellen Nichts, aus einer innovativen Idee hervorgegangen. Nur interdisziplinäres Denken kann die Physik aus ihrer Sackgasse befreien!
Ein tiefes Verständnis der Evolution kann dabei hilfreich sein. Die grundlegende Maxime der Evolution lautet:
Evolution und Perfektion schließen einander aus!
Da sich unsere Welt entwickelt, vermutlich von uns beobachtbare Strukturen irgendwie entstanden sein müssen, vielleicht aus Strukturen, die von uns nicht wahrnehmbar sind, wird es Zeit, Physik neu zu denken. Wie will man einen Erhaltungssatz formulieren, wenn sich aus etwas nicht Wahrnehmbaren etwas Wahrnehmbares entwickelt? Wie lässt sich etwas nicht Wahrnehmbares, das aber wohl existieren kann, in unsere Überlegungen mit einbeziehen?
Der Schlüsselbegriff heißt Emergenz. Emergenz bezeichnet die Herausbildung von neuen Eigenschaften oder Strukturen eines Systems infolge des Zusammenspiels seiner Elemente, (von lateinisch emergere: Auftauchen, Herauskommen, Emporsteigen). Zum ersten Mal verwendet wurde das Wort von George Henry Lewes (1817 – 1878) im Zusammenhang mit der Erklärung von Bewusstsein. Als eine philosophische Kategorie herausgebildet haben den Begriff die englischen Philosophen Samuel Alexander (1859 – 1938) und Cowny Lloyd Morgan (1852 – 1936) in ihrer Theorie einer Emergent Evolution.
Den Begriff einer emergenten Evolution auch auf die Physik und unser Universum anzuwenden ist nach meinem Wissenstand neu und ungewöhnlich und entspricht und widerspricht gleichermaßen dem Wunsch vieler theoretischer Physiker, die nach einer mathematischen Theorie von Allem (theory of everything, TOE) suchen und streben.
2. Ursache-Wirkungs-Prinzip
Rationales menschliches Denken basiert auf einem Ursache-Wirkung-Prinzip. Eine bekannte Ursache ruft immer die gleiche Wirkung hervor, egal wann und wo diese Ursache auftritt. Darauf basieren physikalische Gesetze. Physikalische Experimente zeigen immer die gleichen Ergebnisse, solange die Randbedingungen identisch sind. Ob ein Experiment im 19. Jahrhundert von Thomas Alva Edison in Amerika oder im 20. Jahrhundert von dem Physikstudenten Günter Hiller in Europa ausgeführt wird, beeinflusst das Ergebnis in keiner Weise.
Diese Tatsache ist zwar beindruckend, sollte aber mit Vorsicht behandelt werden. Beide Orte befinden sich auf der Erde, auf einer kosmischen Skala praktisch nebeneinander. Auf einer kosmischen Zeitskala wurden beide Experimente innerhalb von einer Nanosekunde ausgeführt und die Ergebnisse stimmen innerhalb der Messgenauigkeit überein, die vielleicht in einem Bereich von < 0,2% angesiedelt ist. Jeder Experimentalphysiker weiß, dass er bei 5 Messungen 5 verschiedene Ergebnisse bekommt, einen Mittelwert bilden und die mögliche Fehlergröße abschätzen muss.
Für einen Experimentalphysiker ist praktisch die Fehlerrechnung der wichtigste Teil der Mathematik. In der Geophysik (s. Abb. 1) ist die Mathematik fast völlig außen vor. Im Mesozoikum beispielsweise erfolgt die Unterteilung in Kreide, Jura und Trias nicht nach irgendwelchen mathematischen Gleichungen, sondern nach den vorherrschenden Umweltbedingungen. Man hat gelernt, dass beispielsweise Kalkstein als Hinweis auf ehemalige Riffe und somit ein maritimes Umfeld gedeutet werden kann.
Diese und ähnliche Vermutungen basieren aber auf einer eindeutigen Umkehrbarkeit des Ursache-Wirkung-Prinzips. Allerdings kennt jeder das Paradox der nassen Straße. Wenn es regnet ist die Straße nass, aber eine nasse Straße kann auch andere Ursachen haben, Sprengwagen, Rohrbruch oder Reifbildung als Folge von Abkühlung. Ein Paradox ist immer ein Hinweis auf falsche, fragwürdige oder unzureichende Annahmen.
Schon dieses einfache Beispiel macht deutlich, wie wichtig Wahrscheinlichkeiten für die Erklärung von Ursachen und damit auch der Vergangenheit sind. Nur wenn die Wahrscheinlichkeit in allen Fällen 1 oder 100% ist, lässt sich die Vergangenheit eindeutig bestimmen. Wir können davon ausgehen, dass es nur eine Vergangenheit gegeben hat, wissen aber nicht welche! Daraus eine Multiversen-Theorie abzuleiten, ist zwar denkbar und möglich, aber wenig hilfreich.
Ein naheliegender Schluss ist eher, dass die Vergangenheit unscharf oder unbestimmt ist, genauso wie die Zukunft. Je weiter wir versuchen, in die Vergangenheit zu schauen, umso verschwommener und unschärfer wird das Bild, bis es sich letztlich völlig unserer Wahrnehmung entzieht. Schon der Bau der Pyramiden vor ca. 5000 Jahren stellt uns vor einige Rätsel, obwohl die alten Ägypter bereits über Schrift verfügten, die aber keine Hinweise darauf enthielt.
Noch weit spekulativer wird eine Erklärung des Übergangs vom Jura zur Kreide. Aus menschlicher Sicht vollzog sich dieser Übergang sicherlich langsam, aus kosmischer Sicht erscheint dieser Übergang vor ca. 195 Millionen Jahren fast als Sprung. Wenn man Zeit oder ihr Reziprok, die Frequenz als Wahrnehmung verstehen möchte, sollte man eine logarithmische Darstellung wählen.
Auf einer logarithmischen Skale geht die Zeit (Periode) von -∞ bis +∞ und die Frequenz entsprechend gegenläufig. Wählt man als Einheit der Zeit die Sekunde, die auch in etwa unserem Herzschlag ähnelt, dann entspricht beispielsweise der Wert -2 einer Zeit von 10-2 s, also einer hundertstel Sekunde und der Wert 5 einer Zeit von 10⁵ s, also 100000 Sekunden, was etwas mehr als ein Tag (86.400 s) ist.
Diese logarithmische Skala von -∞ bis +∞ verdeutlicht zugleich viel besser die Grenzen unserer Wahrnehmung. Wenn die Zeiten zu klein sind, egal ob 10-20 oder 10-30 s, reicht unser technisches Auflösungsvermögen nicht mehr aus, Ereignisse zu differenzieren. Unser menschliches Auge nimmt schon Bildsequenzen von mehr als 20 Bildern pro Sekunde nicht mehr als Einzelbilder, sondern als Film war, daher die 50- oder 100 Hz-Technologie bei Fernsehern (Hz ist die Einheit der Frequenz, Hz steht für Hertz, Ereignisse pro Sekunde).
Ähnliches gilt natürlich auch für sehr lange Zeiträume. Wenn beispielsweise die Periode eines Ereignisses 10²⁰ oder gar 10³⁰ Sekunden dauert, ist eine Veränderung dieses Ereignisses für uns nicht messbar. Dazu reicht nicht einmal die gesamte Menschheitsgeschichte! Deshalb blieb auch die biologische Evolution so lange unentdeckt, ihre Änderungsgeschwindigkeit war so langsam.
Nur weil wir Menschen sehr hohe und sehr niedrige Frequenzen nicht wahrnehmen können, auch