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Käthchen von Heilbronn / Das Käthchen von Heilbronn: Romantische Erzählung / Romantische Erzählung, Teil 6 (Kapitel 126-150)
Käthchen von Heilbronn / Das Käthchen von Heilbronn: Romantische Erzählung / Romantische Erzählung, Teil 6 (Kapitel 126-150)
Käthchen von Heilbronn / Das Käthchen von Heilbronn: Romantische Erzählung / Romantische Erzählung, Teil 6 (Kapitel 126-150)
eBook483 Seiten6 Stunden

Käthchen von Heilbronn / Das Käthchen von Heilbronn: Romantische Erzählung / Romantische Erzählung, Teil 6 (Kapitel 126-150)

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Über dieses E-Book

Liebe und Liebesverrat, Haß, Intrige, Giftmord, Entführung und zum Schluß ein Happy End - Frankenburgs Roman läßt kein Spannungselement aus. Das ideale Lesefutter für aufregende Stunden. Dies ist Teil 6 von 8 Teilen (insgesamt über 3.000 Seiten!)
SpracheDeutsch
HerausgeberEmig, Günther
Erscheinungsdatum1. Sept. 2018
ISBN9783921249482
Käthchen von Heilbronn / Das Käthchen von Heilbronn: Romantische Erzählung / Romantische Erzählung, Teil 6 (Kapitel 126-150)

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    Buchvorschau

    Käthchen von Heilbronn / Das Käthchen von Heilbronn - Robert Frankenburg

    Kapitel

    Eine böse Prophezeiung

    »Ach! in dem Alter 

    Versieget der Quell, 

    Dann scheinet die Sonne 

    Nicht warm und nicht hell!«

    Mehrere Tage waren vergangen, seitdem Grethe das Haus des alten Friedeborn verlassen hatte.

    Dieser saß an seinem gewohnten Platz am Kamin, den Kopf in das Polster des Lehnstuhles gedrückt, die Augen halb geschlossen, sodaß es schien, als ob er schliefe.

    Aber das war nicht der Fall.

    Er befand sich in einem halb träumenden Zustand, in welchem er die letzten Tage überhaupt verbracht hatte.

    Es war Mittagszeit.

    Die alte Marianne brachte ihm das Essen und stellte es, ohne ein Wort zu sprechen, vor ihn hin, worauf sie das Gemach wieder verließ.

    Erst als sie die Tür wieder hinter sich geschlossen hatte, hob er langsam den Kopf und sein Blick schweifte über den Tisch.

    Wieder war nur für ihn allein aufgetragen worden!

    Seit jenem Tage, an dem Grethe gegangen war, war er allein geblieben, hatte niemand, auch Gottfried nicht, mehr die Mahlzeiten mit ihm geteilt.

    Jetzt sah er nur noch die alte Marianne, und auch sie nur dann, wenn sie zu ihm hereinkommen mußte, wenn sie ihm das Essen brachte oder wieder abräumte.

    Warum kam Gottfried nicht mehr zu ihm?

    Der alte Meister Friedcborn hatte Gottfried nun schon seit vier Tagen nicht mehr gesehen.

    Der alte Mann sank wieder zurück, seine Augen schlossen sich wieder.

    Eine balbe Stande später kam Marianne wieder herein, um das Geschirr hinauszutragen.

    Kopfschüttelnd blickte sie auf das Essen, das der Alte gar nicht berührt hatte.

    Schon wollte sie abräumen – da besann sie sich wieder und trat zu ihm heran.

    Sie legte ihre Hand auf seine Schulter und rüttelte ihn leise.

    »Meister –!«

    Müde hob er die Augen.

    »Ihr habt wohl geschlafen und wißt nicht, daß ich indess die Mahlzeit aufgetragen hab’? Jetzt ist das Essen kalt geworden – soll ichs Euch warm stellen?«

    Er schüttelte leise den Kopf.

    »Ich hab’ nicht geschlafen – Du kannst es wieder hinaustragen!«

    »Aber Ihr müßt doch etwas essen, Meister – Ihr habt sowieso nicht viel gegessen in diesen Tagen!«

    »Ich mag nicht, Marianne, nimm’s nur wieder hinaus!« klang es müde zurück, und schon sanken ihm die Lider wieder herab.

    Die Alte drang nicht weiter in ihn, sie sah ein, daß es nutzlos sein würde, und so nahm sie das Geschirr wieder zusammen.

    Ehe sie aber noch die Tür erreichte, richtete der Greis sich wieder auf.

    »Marianne –«

    Sie blieb stehen und sah zu ihm zurück.

    »Sage mir – wo ist denn der Gottfried, weshalb läßt er sich nicht bei mir sehen?«

    »Der Gottfried? Wißt Ihr das nicht, Meister?«

    Er schüttelte schweigend den Kopf.

    »Der Gottfried ist fort, Meister, er sucht – die Grethe!«

    »Die – Grethe –?«

    Kaum merklich war er zusammengezuckt; dann lehnte er sich wieder zurück und Marianne ging hinaus.

    Was mochte in der Seele des alten Mannes vorgehen, der nun wieder stundenlang allein saß, nur mit seinen Gedanken beschäftigt?

    »Endlich, ermattet von dem vielen Grübeln, erbarmte sich seiner der Schlaf; tiefe, durch keinen Laut unterbrochene Stille herrschte in dem Gemach.

    Aber lange sollte er die wohlthätige und ihm so nötige Ruhe nicht genießen.

    Ein auf dem zu seinem Zimmer führenden Gang laut werdendes Geräusch drang auch an sein Ohr und unruhig bewegte er den Kopf hin und her, wenn ihn auch der Schlaf noch immer gefangen hielt.

    Plötzlich aber wurde die Tür zu seinem Gemach hastig und rücksichtslos ausgerissen und jäh erwachend, fuhr der alte Mann in die Höhe.

    Herein trat, mit den Zeichen der höchsten Aufregung, Muhme Anne und ihr folgte Marianne, welche jene zu beruhigen suchte.

    Doch Anne hörte nicht auf das, was die Alte sagte – ihr Blick flog scharf prüfend durch das Zimmer und blieb dann aug Friedeborn haften, der ihr halb gespannt, halb ängstlich entgegenschaute.

    »Nein, nein – ich glaub’ Euch nicht, Marianne«, sagte sie, energisch den Kopf schüttelnd. »Der Gottfried hat mir gesagt, daß er längstens in drei Tagen zurück sein wird, gleichviel, ob er sie gefunden hat oder nicht. Und nun geht bereits der vierte Tag zur Neige und er war noch nicht bei mir, hat mir auch noch keine Kunde gesendet und das läßt mir keine Ruh’! Er muß hier sein – er wird wissen, wo die Grethe ist und was mit ihr geschehen, aber er wagt’s vielleicht nicht, mir zusagen! Meister –« wandte sie sich plötzlich an diesen, »sagt Ihr mir, wo der Gottfried ist, wo ich ihn finden kann – ich will wissen, was aus der Grethe geworden ist!«

    Sie war dicht vor ihn hingetreten und sah mit halb bittendem, halb herausforderndem Blick auf die zusammengesunkene Gestalt herab.

    Friedeborn schüttelte den Kopf.

    Es lag etwas so Hilfloses in seinem Wesen und ebenso klang seine Stimme, als er erwiderte:

    »Wenn die Marianne Euch gesagt hat, daß der Gottfried nicht daheim ist, so muß es wahr sein – ich hab’ ihn seit vier Tagen schon nicht mehr gesehen, hab’ auch erst vorhin von der Marianne gehört, warum er sich entfernt hat – ich hätt’ freilich nicht gedacht, daß er das tun würde, ohne mir’s vorher zu sagen!«

    Eswäre besser gewesen, wenn er die letzten Worte nicht gesprochen hätte, denn sie versetzten Muhme Anne, welche dieselben in ihrem Sinn auslegte, in maßlose Erregung.

    Ihr Gesicht wurde dunkelrot, ihre Augen blitzten ihn feindselig an und den Kopf zurückwerfend, stieß sie mit bebender Stimme hervor:

    »Ihr hattet’s nicht nötig, mir das erst zu sagen, Meister – ich wuß’s auch so, daß es Euch lieber wär’, wenn er die Grethe ihrem Schicksal überließ, wenn er sich ebensowenig um das arme Ding kümmern würde, wie Ihr es tut! Aber zwischen ihm und Euch ist ein Unterschied, wie zwischen Himmel und Erde! Er hat ein Herz an der Stelle, wo bei Euch ein Stein liegt, er hat Mitleid, wo Ihr hart und unempfindlich seid!

    Laßt mich, Marianne«, wehrte sie diese ab, als die Alte sie auf den hinfälligen Greis aufmerksam machte und sie batm ihn zu schonen, »laßt mich, mir ist’s Bedürfnis, mich einmal auszusprechen, es würd’ mir das Herz abdrücken, wollt’ ich das, was ich da drinnen empfind’ an Schmerz und Groll, an Weh und Jammer, noch länger mit mir herumtragen!

    Von Euch hat’s freilich noch keiner gewagt, ihm die Wahrheit zu sagen, Ihr zittert ja schon, wenn er Euch nur anschaut! Er weiß das Reginient in seinem Hans gar gut und scharf zu führen – ich aber bin von anderer Art! Ich bin ihm auch dankbar gewesen, als er das elternlose Kind zu sich genommen hat und hab’ gemeint, daß auch er sich an die Grethe gewöhnen und sie liebgewinnen würde!

    Aber das Mädcl hat sich nach seiner Meinung wohl zu viel herausgenommen, da sie gewagt hat, anderer Ansicht zu sein wie er, und auch nicht nachgegeben hat und zu Kreuz gekrochen ist, als er versuchte, auch ihr gegenüber den Herrn herauszukehren!

    Eine Sünd’ und Schand’ ist’s, wie er an seinem Kind, an seinem eigenen Fleisch und Blut gehandelt hat und ich beneid’ ihn wahrlich nicht um die Stunde, da er seinen letzten Seufzer getan und vor den allmächtigen Herrgott wird hintreten müssen und Rechenschaft ablegen über das, was er hier auf Erden getan hat.

    Doch das geht mich weniger an, es ist sein Kind, an dem er sich so versündigt hat und geht es draußen zu Grund, so ist das seine Sach’ und mag er dann sehen, wie er mit seinem Gewissen fertig wird! Bei der Grethe hab’ ich aber auch ein Wort mitzureden und nicht das letzte! Was er ihr angetan hat, das trifft auch mich und geschieht dem Kind auch nur das Geringste zu leid, so werd’ ich Rechenschaft von Euch fordern, Meister, dann sollt Ihr mir für alles das aufkommen, was Ihr durch Euren Starrsinn und durch Eure Hartherzigkeit an Leid über mich und über das Kind gebracht habt!

    Ich hab’ es der Friederike, meiner Schwester, gelobt, daß ich mich der Grethe annehmen will! Ich brachte es zu Euch, da ich meinte, daß Ihr das junge Ding gut gebrauchen könntet – und auch das Mitleid sprach dabei mit, das ich mit Euch empfand, denn ich hielt’s für schier unmöglich, daß Ihr Euch da drinnen, in Eurem tiefinnersten Herzen, nicht doch nach Eurem Kind, nach der Katharina, sehntet, wenn Ihr auch andere glauben machen wolltet, daß Ihr Euch auch in Eurem Herzen von demselben losgesagt hättet!«

    Ich meinte, daß die Grethe Euch manch trübe Stunde, die Ihr gehabt habt, könnte vergessen machen, denn so ein junges Ding mit seiner Sonnigkeit und Heiterkeit vermag mehr als alles andere, womit man sich die Grillen so oft zu vertreiben sucht! Und da Ihr einverstanden wart mit meinem Vorschlag, so brachte ich Euch das Mädchen und es schien ja auch, als wenn es hier heimisch geworden wäre!

    Freilich konntet Ihr’s nur so lang gebrauchen, als es zu dem, was Ihr sagtet, Ja und Amen sprach, so bald es sich aber herausnahm, Euch zu widersprechen, anderer Meinung zu sein wie Ihr, da war’s vorbei mit der Liebe und Freundschaft, da war für das arme Ding nicht mehr Raum in Eurem Haus und Ihr jagtet es auf die Straße!

    Hütet Euch, Meister Friedeborn, daß die Reue nicht herankriechet an Euer Herz, daß Ihr an demselben eine Stelle entdecket, die nicht ganz abgestorben ist! Es könne Euer Starrsinn gar leicht üble Folgen auch für Euch noch haben!

    Ich wünsch’s Euch nimmer, wenn ich Euch jetzt auch hasse wegen Eurer Lieblosigkeit und Grausamkeit! Wenn aberdersTag doch kommen sollte, da Ihr allein seid, nachdem Ihr es fertig gebracht habt, durch Euren Hochmutsdünkel auch die noch von Euch zu treiben, die jetzt noch um Euch sind – dann denkt an mich, dann denkt an diese Stunde, in der ich’s Euch vorher gesagt! Kommt jener Tag dereinst, so brächte er Euch nur die gerechte Strafe – Ihr habt es wahrlich nicht besser verdient!«

    Ohne ihn weiter zu beachten, wandte sie sich um und verließ festen Schrittes das Gemach, gefolgt von der alten Haushalterin.

    So blieb der alte Waffenschmied wieder allein zurück.

    Schon während die erregte Frau zu ihm gesprochen hatte, war er in seinen Stuhl zurückgesunken und hatte die Augen wieder geschlossen – erwidert hatte er jedoch kein Wort, wenn ihm auch keines der Muhme Anne entgangen war.

    Und wieder herrschte lautlose Stille um den alten Mann, dem der Kopf so wirr geworden war ob all’ des Gehörten, daß er einen klaren Gedanken nicht zu fassen vermochte.

    So hatte noch kein Mensch zu ihm gesprochen, noch keiner hatte das bisher gewagt.

    Aber freilich, wenn er etwas bestimmt hatte, wenn er seinen Willen zu erkennen gegeben hatte, so hatte es sich stets um Dinge, die ihn oder sein Haus betrafen, gehandelt, und da durfte ihm niemand dreinreden.

    Das war etwas anderes mit dieser Frau, die sich um das–Kind sorgte, an welchem sie versprochen hatte, Mutterstelle vertreten – der durfte er nicht so entgegentreten, wie er es sonst und gegen andere tat.

    Eine geraume Weile war vergangen, als ersieh wieder so weit beruhigt hatte, um über das eben Geschehene nachdenken zu können.

    Hatte er sie wirklich nur deshalb nicht unterbrochen, hatte er sie deshalb so ruhig angehört?

    Ja, gewiß , er hatte der Muhme, deren Schmerz um das Verschwinden der Grethe er wohl begriff, nicht auch noch weh tun wollen, indem er sie ob ihres Ungestüms, ob ihrer Kühnheit und rücksichtslosen Sprache ihm gegenüber zur Rede setzte – nur das war es, was ihn hatte schweigen lassen.

    Ein banger, schwerer Seufzer hob des alten Mannes Brust und fast mit Gewalt richtete er sich auf – sein Blick flog scheu durch das Zimmer.

    Hatte er wirklich nur deshalb geschwiegen? Warum dann dieser bange Seufzer?«

    Was hatte die Muhme da von Reue gesagt, die er empfinden würde? Wenn er es dahin gebracht hatte, daß auch die anderen, die jetzt noch bei ihm waren, ihn verlassen würden? –

    Ws war am Spätnachmittag, die Sonne neigte sich gen Westen, in dem Zimmer des Alten begann die Dämmerung sich auszubreiten.

    Wie seltsam still es um ihn war! War das immer so gewesen oder empfand er es nur heute deutlicher wie sonst?

    Ein leiser Schauer flog durch den Körper des Greise.

    Allein! Verlassen! Wenn das immer so sein würde bis an seiner Tage Ende! Wenn er dereinst seine Augen schließen mußte, um sie nie wieder zu öffnen und er war dann allein, niemand bei ihm, der Abschied von ihm nahm, dem er die Hand drücken konnte – ganz allein, so lange er lebte – allein, wenn es ans Sterben ging!

    Wenn Muhme Anne recht hätte!

    Sein Haupt hatte sich wieder tief auf die Brust geneigt. Aber er wollte den Gedanken nicht weiter verfolgen, ihn nicht weiter ausspinnen – er empfand etwas wie Grauen vor jener Zeit, wenn er sie sich vergegenwärtigte.

    Gewaltsam sich dem beängstigenden Gefühl entreißend, richtete er sich wieder auf.

    Nein, nein – das hatte die Muhme nur in ihrem Zorn gesagt, es würde niemals dahin kommen!

    Wer sollte ihn auch verlassen? Die Marianne! Sie war jung gewesen, als sie zu ihm ins Haus gekommen war – sein Weib hatte sie mitgebracht, als er sich mit demselben verbunden – und war mit ihm alt geworden! Sie würde nicht daran denken, von ihm zu gehen, denn sie hatte es stets gut bei ihm gehabt und wenn ihr doch der Gedanke kommen sollte, wär’s ihr eigener Schaden – er wußte es ja, daß sie nur wenig ihr egen nannte und unmöglich davon leben konnte; sie würde den Schritt bald bitter bereuen und froh sein, wenn er sie wieder bei sich aufnahm.

    Oder anderswo ein Unterkommen suchen? Meister Friedeborn schüttelte den Kopf – das wäre vergebliche Mühe! Wer würde sich denn mit der Alten die Last aufbürden?

    Und wenn nicht Marianne – wer gehörte außer dieser noch zu ihm, der ihm so nahe stand, daß dessen Gehen eine Lücke zurücklassen würde?

    Einer nur – Gottfried!

    Der Alte lächelte schmerzlich bitter.

    Daran war noch weniger zu denken! Aus Erbarmen hatte er den Sohn seines Bruders zu sich ins Haus gekommen, der nach dem Ableben des Vaters eine Waise geworden war, denn Gottfrieds Mutter war bei dessen Geburt gestorben.

    Ihm, dem rauhen, finsteren Mann, war der Neffe wegen seines weichen, allzu gemütvollen Wesens nie besonders sympathisch gewesen und hätte er es seinem Bruder nicht in die Hand versprochen, als dieser auf dem Totenbett lag, daß er dessen Kind in sein Haus nehmen and bei sich behalten wolle, so würde er ihn am liebsten anderswo untergebracht haben, wo er etwas Tüchtiges wohl lernte, sodaß er den Knaben aber nicht immer um sich zu haben brauchte.

    Mit der Zeit hatte er sich aber doch an Gottfried gewöhnt und, da dieser ein tüchtiger Arbeiter war, auch eine wackere Hilfe an ihm gefunden, die er nur ungern entbehrt haben würde.

    Dadurch war ihm denn auch der Gedanke gekommen, sein einträglich’ Handwerk, die Waffenschmiede, dem Gottfried zu übergeben und, damit dieser nicht etwa, wie so manch anderer, dereinst fortwanderte und er, der alte Friedeborn, dann gezwungen war, sein Handwerk an Fremde übergehen zu sehen, so hatte er seinen Neffen mit dem Käthchen vemählen wollen – auf diese Weise war dann allen geholfen!

    Der Träumende blickte, während die Vergangenheit so an seiner Seele vorüberzog, starr vor sich nieder und wieder legte sich ein strenger, harter Zug um seinen Mund.

    So hatte er es gewollt – doch die Vorsehung hatte es anders bestimmt!

    Mit Gewalt entriß er sich den Gedanken an das, was nun vorüber war.

    Wenn jedoch sein Plan auch gescheitert war – die Prophezeiung der Muhme Anne würde deshalb doch nicht in Erfüllung gehen!

    Konnte Gottfried auch die Käthe nicht besitzen, so wußte er doch, daß ihm dereinst die Schmiede gehören sollte und er kannte den Wert derselben zu gut, als daß er durch einen so unbesonnenen Schritt seine glänzende Zukunft aufs Spiel setzen würde, denn er mußte sich sagen, daß der Ohm über sein Besitztum leicht anders verfügen könnte, wenn Gottfried ihm Ursache zur Unzufriedenheit geben würde.

    Aber noch etwas anderes würde jenen an dies Haus und den alten Ohm fesseln! Was diesem früher an dem Neffen nicht gefallen hatte, das – so sagte er sich – würde ihm jetzt sicherlich zu gute kommen – das weiche, gefühlvolle Herz des jungen Mannes! Wenn nicht das Mitleid, so würde Gottfrieds Dankbarkeit gegen den Ohm, der Vaterstelle an ihm vertreten hatte, niemals den Gedanken in demselben lebendig werden lassen, fortzugehen und den alten, kranken Mann seinem Schicksal zu überlassen – diese würde nimmer in ihm erlöschen!

    Nein, nein – Muhme Anne hatte ihn nur schrecken wollen, sie wußte ja nicht, daß namentlich Gottfried geradezu unauslöslich an ihn gebunden war.

    Seit langer Zeit hatte der alte Friedeborn nicht so leicht, so befriedigt aufgeatmet wie in diesemAugenblick – ein untrügliches Zeichen, wie unsäglich ihm vor dem Verlassensein grauen mußte.

    Ermüdet von dem vielen Denken, lehnte er sich wieder in seinen Stuhl zurück.

    Es war indessen dunkel geworden und dies die Stunde, in welcher noch vor kurzem Grethe neben ihm auf der Bank vor dem Kamin zu sitzen pflegte und er ihr von seinen früheren Erlebnissen erzählt hatte.

    Ab und zu war dann auch Gottfried auf kurze Zeit aus der Schmiede herüber gekommen, hatte sich schweigend auf einen Stuhl niedergelassen und ihm zugehört, bis dann die Marianne mit der Leuchte hereintrat. –

    War der alte Friedeborn eingeschlafen? Draußen wurde eben dieHaustür geöffnet; ein fester Mannestritt erklang auf den Fliesen und dann schien der Kommende seine Füße vom Schnee zu reinigen.

    Hörte der alte Mann das nicht, da er sich nicht rührte?

    Da wurde die Tür geöffnet und es trat jemand ins Zimmer.

    Hatte der Ankommende erwartet, daß er dasselbe erleuchtet finden würde und blieb er deshalb neben der Schwelle stehen, weil ernicht wußte, wohin er sich wenden sollte?

    Doch nein! Nur einen Augenblick verharrte er dort – dann schritt er vorsichtig, unhörbar fast, nach dem Platz hinüber, an welchem der alte Friedeborn in seinem Lehnstuhl saß.

    Dieser rührte sich noch immer nicht.

    Der Eingetretene beugte sich zu demselben hinab und lauschte – dann erhob er sich wieder und ging so leise, wie er gekommen war, wieder zur Tür zurück und verließ das Zimmer.

    Die alte Marianne trat eben mit der Leuchte aus der Küche, um sie zu ihrem Herrn hineinzutragen – da gewahrte sie dicht vor sich einen Mann, der den Hut tief ins Gesicht gezogen und den Mantelkragen in die Höhe geschlagen hatte.

    Mit einem leisen Schrei wich sie zurück.

    Da nahm der Mann schnell den Hut ab und sie erkannte – Gottfried.

    »Heilige Jungfrau – habt Ihr mich erschreckt!«

    »Grüß Gott, Marianne«, sagte er, ihr die Hand reichend.

    Sie ergriff dieselbe und schaute ihm aufmerksam ins Gesicht.

    »Wie Ihr ausseht, Gottfried«, sagte sie, »so bleich, so elend – fühlt Ihr Euch krank?«

    Er schüttelte hastig den Kopf.

    »Nein, Marianne – ich hab’ nur einen weiten Weg hinter mir und während des ganzen Tages noch keinen Bissen genossen!«

    »Mein Gott, so kommt hinüber, ich will Euch etwas zurecht machen!«

    Damit wollte sie an ihm vorüber, nach dem Gemach des Herrn – doch Gottfried legte schnell die Hand auf ihren Arm und hielt sie zurück.

    »Du wolltest zum Ohm hinein?« fragte er.

    Sie nickte.

    »Tu’s nicht«, sagte er, »warte noch damit – er schläft!«

    »Woher wißt Ihr es? Wart Ihr schon bei ihm –habt Ihr mit ihm gesprochen?« fragte die Alte verwundert.

    Gottfried sagte ihr, wie er Friedeborn gefunden hatte und daß sie besser täte, ihn schlafen zu lassen.

    Die Alte gab sich zufrieden.

    Wieder flog ihr forschender Blick über das Gesicht des jungen Mannes und diesmal begegnete er demselben.

    »Gottfried –« fragte sie leise, »habt Ihr sie –gefunden?«

    Er schüttelte leise den Kopf und ein unsägliches Weh lag in seiner Stimme, als er erwiderte:

    »Nein, Marianne, es war alles umsonst – nicht die leiseste Spur habe ich gesunden!«

    Er wandte im gleichen Augenblick das Gesicht zur Seite und so entging ihr der bittere Schmerzenszug, der sich um seinen Mund legte.

    »Nicht – gefunden – nicht einmal eine Spur?« murmelte sie.

    »Ich gehe hinauf in meine Kammer, um ein wenig zu ruhen«, sagte er, ohne sie anzusehen. »Du magst mir einen Imbiß hinauf bringen, Marianne! Und dann noch eins – wenn der Ohm erwacht ist, so laß’ es mich wissen, ich hab’ mit ihm zu reden!«

    Damit ging er zur Treppe und stieg langsam, schwerfällig hinauf – es schien ihm dies unsägliche Mühe zu machen.

    Das Geräusch der sich wieder schließenden Kammertür drang zu Marianne herab und noch immer stand sie unbeweglich und starrte auf die Treppe.

    Was war das gewesen? Den Imbiß sollte sie ihm hinaufbringen auf seine Kammer – er wollte also nicht an dem Mahl des Alten teilnehmen! Weshalb das –was veranlaßte ihn dazu? Aber mehr noch setzte sie das, was er zuletzt gesagt, in Erstaunen.

    »Wenn der Ohm erwacht ist, so laß es mich wissen, ich hab’ mit ihm zu reden!«

    Nicht die Worte waren es, sondern der Ton, in welchem er gesprochen hatte, was sie so gewaltsam berührte.

    Das hatte so schroff, so hart geklungen, wie der Gottfried noch niemals gesprochen hatte – ihm mußte Außergewöhnliches zugestoßen sein, daß er so auffällig verändert war.

    Wenige Minuten später stieg sie die Treppe hinauf, um ihm das Verlangte zu bringen.

    Als sie zu ihm in die Kammer trat, fand sie ihn nicht, wie sie geglaubt hatte, auf seinem Lager, sondern er schritt, die Hände auf dem Rücken, den Kopf tief auf die Brust gesenkt in dem schmalen Raum auf und nieder.

    Bei ihrem Eintritt blieb er stehen und blickte sich um.

    »Es ist gut, Marianne – ich dank Dir!« sagte er und nahm seine Wanderung wieder auf.

    »Laßt’s nicht kalt werden, Gottfried«, mahnte sie noch, worauf er nickte – dann ging sie wieder hinaus.

    Eine halbe Stunde verging – da schlich die Alte behutsam zur Tür des Wohngemachs und öffnete leise.

    Da drinnen alles still blieb, näherte sie sich dein Platz, an welchem Friedeborn saß, um zu sehen, ob er noch schlafe.

    Aber er war bereits erwacht und hatte sie auch gehört.

    »Bist Du es, Marianne?« fragte er leise, mit milder Stimme.

    »Ja, Meister – ich glaubte, Ihr ruhtet noch!«

    »Ich hab’ ausgeschlafen, Marianne, und gut geschlafen, besser wie seit langer Zeit!«

    »Wollt Ihr, daß ich Licht– bringe?«

    »Magst es tun«, entgegnete er, »und auch einen Imbiß, ich hab’ die Speisen heut’ nicht angerührt!«

    Er konnte das zufriedene Lächeln im Gesicht der Alten nicht sehen, das bei seinen Worten sich über dasselbe gebreitet hatte – aber aus ihrer Stimme klang die Freude, die sie empfand, als sie erwiderte:

    »Das ist ein gar seltener Auftrag, den Ihr mir da gebt, Meister, es sind Wochen vergangen, seit Ihr selbst etwas zu genießen verlangtet!«

    Gleich darauf wurde es hell im Gemach.

    Als Marianne eben im Begriff war, hinauszugehen, hob der alte Mann verwundert den Kopf und lauschte.

    Über sich vernahm er den festen Tritt eines auf und nieder Gehenden.

    »Wer ist droben?« fragte er hastig.

    Marianne erbleichte und erwiderte dann zögernd:

    »Es ist der Gottfried, Meister – er ist vor kurzem heimgekommen!«

    »Der Gottfried? Was tut er droben – warum kommt er nicht zu mir herab?«

    »Ich werd’s ihm sagen, Herr«, entgegnete die Alte schnell, um hinauszukommen und weiteren Fragen auszuweichen.

    Aber Friedeborn rief ihr zu:

    »Trag’ auch für ihn auf, daß wirdas Mahl zusammen nehmen!«

    Die Alte schloß die Tür, der Meister wußte, nicht ob sie ihn gehört hatte.

    So schnell sie konnte, flog sie die Treppe hinauf und öffnete die Kammertür:

    »Er ist erwacht, Gottfried – er weiß, daß Ihr zurück seid, und hieß mich, auch für Euch auftragen! Doch was ist denn das – Ihr habt ja das Essen noch gar nicht berührt!«

    In der Tat stand der Imbiß noch so auf dem Tisch, wie die Alte ihn hereingebracht hatte.

    »Nimm’s nur wieder mit hinunter, Marianne – ich mag nicht essen!«, sagte Gottfried mit seltsamer Stimme. »Und dann geh’ zum Ohm hinein und sag’ ihm, er mög’ heut’ nur ohne mich das Mahl nehmen – ich sei nicht hungrig, magst Du hinzufügen!«

    Wortlos räumte sie das Essen zusammen – trat dann aber, als sie es zusammengestellt hatte, noch einmal vor, ihn hin.

    »Ich bitt’ Euch, Gottfried«, sagte sie, »was Ihr auch mit ihm zu reden habt, geduldet Euch noch eine Weil’! Er hat in all’ den Tagen kaum etwas zu sich genommen, aber heut’, als ich eben zu ihm ins Zimmer trat, da hat er danach verlangt und ich mein’, Ihr könnt’ ihn in Ruh’ erst essen lassen, eh’ Ihr mit Eurem Anliegen zu ihmgeht! Er ist Euer Ohm und ein alter Mann«, setzte sie hinzu, als sie bemerkte, daß seine Stirn sich bei ihren Worten umwölkte,«Ihr werdet das nicht vergessen!«

    Einen Augenblick zögerte er mit der Antwort – dann nickte er.

    »Meinetwegen, dann sag’ mir’s, Marianne, wenn er fertig ist!«

    »Ich komm’ herauf zu Euch!« erwiderte sie und nahm dann das Geschirr, mit dem sie schnell hinabeilte.

    Kaum eine halbe Stunde später trat sie in das Wohnzimmer, um auch hier den Tisch abzuräumen, nachdem der alte Friedeborn dem von ihr aufgetragenen Mahl wackerer, wie seit langer Zeit, zugesprochen hatte.

    »Hat der Gottfried sich schon zur Ruh’ begeben?« fragte er.

    »Ich kann’s nicht sagen, Meister, ich werd’ hinaufgehen und sehen, ob er noch wach ist!«

    Friedeborn saß noch am Tisch, er wartete auf Mariannes Bescheid. Da hörte er, daß Gottfried seine Kammer verließ und die Treppe herabkam.

    Er vernahm auch, daß die Alte draußen noch zu ihm sprach und plötzlich – er wußte nicht, warum – preßte er die Hand gegen das Herz; auf einmal war ihm so angst, so sonderbar zumut geworden.

    Die Schritte kamen näher. Jetzt stand er vor der Tür.

    Einen Augenblick noch – zögerte der da draußen?

    Da wurde sie geöffnet und Gottfried trat herein.

    Sekundenlang verharrte er unbeweglich auf der Schwelle, den düsteren Blick auf den alten Mann am Tisch gerichtet, dann trat er langsam näher.

    »Grüß Gott, Ohm –« aber er reichte diesem nicht wie sonst die Hand, auch blieb er aufrecht vor ihm stehen.

    »Grüß Gott, Gottfried!«

    Die Stimme des alten Mannes bebte – war es vor Schwäche? – Eine sekundenlange Pause folgte.

    Friedeborns Herz schlug zum Zerspringen; er wußte nicht, was da kommen würde, aber er hätte einen Eid darauf abgelegt, daß ihn in dieser Stunde ein neuer Schlag treffen würde. Dennoch nahm er zuerst das Wort:

    »Laß Dich nieder, Gottfried, und erzähle mir –«

    Der junge Mann schüttelte finster den Kopf.

    »Laßt’s gut sein, Ohm, das, was ich Euch zu sagen hab’, geschieht besser im Stehen! Und damit Ihr’s gleich wißt, weshalb ich jetzt hier bin: Seht Euch nach einem Ersatz für mich um, wenn Ihr solchen braucht – ich verlaß Euer Haus!«

    »Gottfried –«

    127. Kapitel

    Der Lohn der Treue

    »O schaut das Hüttchen dorten, still und klein, 

    Nur matt erhellt von einer Fackel Schein, 

    Es sieht so trüb’, so arm, so öde aus, 

    Und gleichwohl ist’s ein kleines Gotteshaus; 

    Denn drinnen betet, fromm gesinnt, 

    Still eine Mutter für ihr Kind.«

    Sekundenlang stand Gräfin vom Strahl fassungslos vor der Ohnmächtigen und starrte auf sie nieder.

    Ritter Flammberg war schnell zu Käthchen herangetreten und hob die Besinnungslose mitleidig vom Boden auf, trug sie nach einem Ruhestuhl und legte sie fürsorglich darauf nieder.

    Allmählich aber fand die Gräfin ihre Selbstbeherrschung wieder.

    Bleich vor Entrüstung, mit dem Ausdruck tiefster Verachtung, schaute sie auf das totenblasse Mädchen, dessen Hilflosigkeit ihr Herz nicht rührte.

    »Was will die Landstreicherin hier in meiner Burg?« rief sie in zornigem Ton. »Wie kann sie es wagen, wieder vor meinen Augen zu erscheinen, habe ich ihr nicht ein für allemal verboten, sich mir zu nähern?«

    »Frau Gräfin«, sprach Flammberg in sanft bittendem Ton, »seht doch, wie bleich und krank das Mädchen scheint, es bedarf wohl Eures Schutzes, Eurer Hilfe, sonst wär’s schwerlich hierhergekommen! Euer edelmütiges Herz wird nicht anders können, als der Unglücklichen Schutz und Obdach zu gewähren – Ihr werdet vergessen, wer sie ist, Frau Gräfin, und der Unglücklichen Euren Beistand nicht versagen!«

    Die stolze Frau stand halb abgewendet, heftig atmend, da. In ihrem Herzen lebte der alte Groll gegen jenes Mädchen noch immer; sie klagte dasselbe an, alles Unglück, das über die Strahlburg gekommen war, verschuldet zu haben.

    Sie war es gewesen, die das Herz ihres Sohnes umstrickt und es dem Fräulein Kunigunde abwendig gemacht hatte.

    »Nein, nein, Flammberg, Ihr irrt! Mit jedermann würde ich Mitgefühl haben – nur mit diesem Mädchen nicht! Bedenkt, wie ich es hasse, wie oft es meine Pläne durchkreuzt hat – nein, nein, ich mag es nicht mehr sehen; so wie es erwacht, sagt ihm, daß es sogleich die Burg zu verlassen hat!«

    Die beiden hatten nicht bemerkt, daß Käthchen eben langsam die Augen aufschlug – ihr kraftlos starrer Blick ruhte unverwandt auf der Gräfin.

    Flammberg war, nach der Abweisung der alten Dame, langsam zu ihr herangetreten und sprach in kummervollem Ton:

    »O, Frau Gräfin, weshalb verleugnet Ihr so Euer edelmütig’ Herz? Was Euch jenes Kind auch zugefügt haben mag – denkt nicht daran, seht in ihr nur die Unglückliche, die Eurer Hilfe bedarf, gedenkt Eurer Christenpflicht und erbarmt Euch ihrer! Vergeßt nicht die Kälte, die draußen herrscht, noch, daß Ihr vielleicht dem Mädchen den Tod gebt, wenn Ihr es erbarmungslos von Eurer Tür weist; bezwingt Euren Groll um der Nächstenliebe willen und gestattet, daß ich für ein Unterkommen für das Mädchen sorge!«

    In diesem Augenblick bemerkte die Gräfin, daß Käthchen erwacht war und sich langsam aufgerichtet hatte. Die Lippen des armen Mädchens bewegten sich leise, doch sie war noch zu kraftlos, um einen Ton hervorzubringen, nur ihre Augen hingen in stummem, herzzerreißendem Flehen an der stolzen Frau, deren unbewegte, kalte Züge ihr wenig Gutes verhießen.

    Der Blick der Gräfin ruhte in tiefem Unmut auf der Erschöpften.

    Unwillkürlich machte die stolze Frau eine Bewegung, als wolle sie der Tür zuschreiten und das Zimmer verlassen, als plötzlich Käthchen mit angstvollem Schrei emporsprang und auf sie zueilte.

    »Nein, nein, geht nicht von hier, Frau Gräfin, bevor Ihr mich nicht angehört habt!« klang es flehend und innig bittend von ihrem Mund.

    Da stockte der Gräfin Fuß; sie wandte dem Mädchen ihr kaltes, stolzes Antlitz zu und ihr zürnender Blick streifte verächtlich über die schlanke, jugendliche Gestalt dahin.

    »Ich wüßte nicht, was Du mir zu sagen hättest, Mädchen!« stieß sie jetzt zornbebend hervor. »Besitzt Du so wenig Stolz – hast Du jene Worte, die ich einst zu Dir gesprochen habe, schon vergessen– weißt Du nicht, daß Du es nie und nimmer wagen sollst, Dich in meine Nähe zu drängen? Daß Du es dennoch tust, beweist mir aufs Neue, wie wenig Ehrgefühl Du besitzt und daß es unrecht wäre, Herr Ritter –« fügte sie, an diesen sich wendend, hinzu – »wenn ich mein Mitleid an diese Landstreicherin verschwendete!«

    »O heilige Jungfrau, Frau Gräfin – Ihr wißt nicht, was Ihr mir tut!«

    Schluchzen erstickte die Stimme des unglücklichen Mädchens, während es die gefalteten Hände flehend zu der Gräfin aufhob.

    Vergeblich mühten sich ihre zuckenden Lippen, zusammenhängende Worte hervorzubringen, die Aufregung des Augenblicks, die Worte der stolzen Frau verwirrten das arme Mädchen vollständig.

    »Schweig!« brauste die Gräfin jetzt erzürnt auf; »ich bedaure, daß ich Dich schon so lange angehört habe, und verlange, daß Du auf der Stelle die Burg verläßt. Du hast mir wahrlich schon Ungemach genug gebracht, als daß Du mich durch Deinen Anblick aufs Neue an das Vergangene erinnern müßtest!«

    Sie hatte sich schroff abgewendet und hob eben die Hand, um die Tür zu öffnen – da klang plötzlich ein leiser Wehruf an ihr Ohr und abermals hielt sie inne.

    Da stand auch Ritter Flammberg schon neben ihr.

    In dem blassen, edlen Antlitz des alten Mannes zuckte es in tiefer Rührung, und sich zu ihr hinabbeugend sprach er leise:

    »Nein, nein, Frau Gräfin, tut es nicht! Ihr werdet doch nimmer das arme, zarte Kind in diese furchtbare Kälte hinaustreiben! Bedenkt, das Mädchen hat einen alten Vater, der sich daheim um sein Kind wohl sorgt, und Ihr – Ihr habt einen Sohn – er itrrt jetzt vielleicht auch obdachlos in Wind und Kälte umher und bittet auch um Zuflucht bei Fremden! Wie könnt Ihr erwarten, Frau Gräfin, daß Euer Sohn draußen Nächstenliebe findet, wenn Ihr diese selbst so wenig übt und Euer Herz dem Mitleid verschließt?«

    Doch kaum hatte der Ritter geendet, da stand auch schon das Käthchen vor der Gräfin und stieß atemlos hervor:

    »O, Frau Gräfin, ich bitte ja nicht für mich! Nicht bin ich gekommen, um Obdach bei Euch zu suchen, sondern ich kam – um Eures Sohnes willen!«

    Mit einem lauten Schrei war die Gräfin emporgefahren und starrte das Mädchen mit weitgeöffneten Augen an.

    »Was sagest Du, Mädchen – um meines Sohnes Willen? – Wie ist das möglich – weißt Du denn, wo er ist?«

    Dahin war auf einmal all’ ihr Haß und Groll, die letzten Worte hatten wie elektrisierend auf sie gewirkt, sie trat zu dem Mädchen heran und legte sogar, in maßloser Erregung erbebend, ihre Hand auf deren Arm.

    »Ob ich weiß, wo er ist?« – schluchzte Käthchen leise – »o, gewiß, Frau Gräfin, ich bin ja mit ihm gezogen, Tag für Tag, ohne Unterlaß!«

    Mit leisem Schrei wich die Gräfin zurück – das war zuviel für sie. Überwältigt sank sie in einen Stuhl und vergrub das Gesicht in den Händen.

    Währenddessen hatte Käthchen ihre Fassung wiedergewonnen und nun klang es in atemloser Hast von ihrem Mund:

    »Ich war

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