Visit beautiful Vietnam: Novelle - Mit ergänzenden Texten unter dem Motto „Ich bin ein 68er“
Von Walter Schenker
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Über dieses E-Book
Der Beitrag des 1943 in Solothurn geborenen Schriftstellers zum Jahr 1968 waren seine Solothurner Geschichten, die ihn schlagartig zum Enfant terrible stempelten. Er war dann Autor bei Rowohlt und Ammann. Sein Roman "Eifel" wurde verfilmt.
1976 erwog man seinetwegen in Solothurn einen Radikalenerlass. 1984 entließ ihn die Uni Trier als Professor. 1989 geriet er gar unter polizeilichen Terrorverdacht. Walter Schenker ist nicht vorbestraft. Seit 1974 lebt er, verheiratet mit Brigitte Hamaekers, die 2015 gestorben ist, in Trier.
Walter Schenker
Walter Schenker, geboren 1943 in Solothurn, durchlief dort die Schulen und schloss sein Studium in Zürich mit der Dissertation über die Sprache Max Frischs ab, die in der Zusammenarbeit mit ihm entstanden war. Nach Assistentenjahren in Freiburg i. Br. und Zürich habilitierte er sich 1975 an der Uni Trier, wo er bis 1984 als Professor für Germanistische Linguistik arbeitete. Er verlegte bei Rowohlt und Ammann und erhielt neben verschiedenen Werkbeiträgen den Preis der Schweizerischen Schillerstiftung, den Solothurner Literaturpreis, ein Förderstipendium des Landes Rheinland-Pfalz, eine Ehrengabe des Kantons Zürich sowie die Auszeichnung „Buch des Jahres“ durch die Schweizerische Schillerstiftung. Von 1981 bis 1988 war er regelmäßig als freier Mitarbeiter für Literaturkritik bei der NZZ tätig. Von 1991 bis 1995 ließ er sich zum Diakon ausbilden und arbeitete bis 2011 als solcher. Seit 1974 lebt er, verheiratet mit Brigitte Hamaekers, in Trier Vgl. auch Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (Josef Zierden). Weitere Informationen sowie Leseproben unter www.walterschenker.com
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Buchvorschau
Visit beautiful Vietnam - Walter Schenker
Über den Autor: Walter Schenker wurde 1943 als Sohn eines Schuhhändlers und einer als Hausfrau tätigen Lehrerin in Solothurn geboren, durchlief da die Schulen. Nach der Matura studierte er von 1962-1968 an der Universität Zürich Germanistik und promovierte 1968 mit einer Arbeit über die Sprache Max Frischs (in der Zusammenarbeit mit ihm). 1968 schrieb er „leider/Solothurner Geschichten. Es folgten Assistentenjahre in Freiburg i. Br. (1968-1970) und Zürich (1970-1974). 1974 heiratete er Brigitte Hamaekers. Von 1974 bis 1984 wirkte er als Professor für germanistische Linguistik an der Universität Trier, habilitierte sich da 1975. 1977/78 hielt er eine Lehrstuhlvertretung cum spe in Freiburg i. Br. inne. Er veröffentlichte ab 1979 Romane und Erzählungen bei Rowohlt und Ammann, der Roman „Eifel
wurde verfilmt. Von 1984-1991 war er freier Schriftsteller. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus ließ er sich zum katholischen Diakon ausbilden und arbeitete bis 2011 auch als solcher. Er erhielt unter anderem einen Preis der Schweizerischen Schillerstiftung und den Literaturpreis des Kantons Solothurn. Er lebt seit 1974 in Trier.
Inhalt
VISIT BEAUTIFUL VIETNAM / NOVELLE
ICH BIN EIN 68ER
Heil
Aus: „leider" / Solothurner Geschichten, Bern (Kandelaber) 1969
Revolution auch in Manchester
Aus: „Professor Gifter" / Roman, Reinbek (Rowohlt) 1979
Die Geschichte vom GI
Aus: „Professor Gifter" / Roman, Reinbek (Rowohlt) 1979
Asyl in der Volksrepublik Sparta
Aus: „Anaxagoras oder Der Nord-Süd-Konflikt" / Roman, Reinbek (Rowohlt) 1981
An die Jugend
Aus: „Anaxagoras oder Der Nord-Süd-Konflikt" / Roman, Reinbek (Rowohlt) 1981
Die Lösung
Aus: „Die Schweiz begrüßt Vietnam" / Ein Lehrstück in vier Akten, Norderstedt (BoD) 2015 (Urlesung Berner Stadttheater 1981)
Das Lager von Solothurn / Eidgenössische Ausgrabungen
Aus: TransAtlantik März 3/1981
Nach Maos Tod
Aus: „Eifel" / Roman, Zürich (Ammann) 1982
Ich bin ein Radikaler im öffentlichen Dienst
Aus: „Eifel" / Roman, Zürich (Ammann) 1982
Filbinger und die paar Terroristen
Aus: „Gudrun" / Roman, Zürich (Ammann) 1985
Wird der arbeitslose Professor Knecht?
Aus: TagesAnzeigerMagazin 6.4.1985
Paranoia
Aus: „Engelsstaub" / Ein Protokoll, Zürich (Ammann) 1986
„Blick" und Zürcher Krawalle
Aus: „Zum roten Stiefel" / Roman, Norderstedt (BoD) 2005
Unausweichliches Solothurn
Aus: „Porta Nigra" / Roman, Norderstedt (BoD) 2008
Visit beautiful Vietnam /
Novelle
17.03.2017
Ich sitze im Flugzeug der Vietnam Airlines und fliege nonstop von Frankfurt nach Hanoi. Damit mache ich mir einen Traum wahr. Vor fast genau 50 Jahren nämlich, 1968, hängte ich in meiner ersten eigenen Wohnung ein Poster auf, das die Worte trug „Visit beautiful Vietnam", in psychedelischen Farben.
18.03.2017
Der Himmel von Hanoi ist grau. Die ganze Gruppe fährt auf Rikschas, bei denen der Fahrer hinten radelt und der Gast vorne bequem unter einem Baldachin sitzt, durch den chaotischen und laut hupenden Altstadtverkehr. Mein Fahrer singt, pfeift, redet mit sich selbst. Wenn er mich auf etwas aufmerksam machen will (die Oper, das Hotel Metropole), klopft er mir auf die Schulter.
Auf einem Terrassencafé trinke ich ein Bier und schaue auf den nun schon gewohnten Verkehr. Das ständige Gehupe zeigt: ich bin in Hanoi. Vereinzelt eine Frau mit Kegelhut, öfter Mopedfahrer mit Gesichtsschutz. Direkt gegenüber die Vietcombank. Vietcom: Ist dies nicht ein Wort aus fernen dunklen Zeiten?
Am Abend vietnamesisches Essen mit allem durcheinander, wie es vietnamesisch ist: Ravioli, Frühlingsrollen, Reis, Schweinefleisch, Suppe und Fisch.
19.03.2017
Beim Erwachen ist Hanoi keine fremde Stadt mehr. Im dreizehnten Stockwerk des Hotels sind die Hupen nicht zu hören.
Ich muss mir unbedingt eine Ho-Chi-Minh-Büste erstehen.
Das Frühstück findet im obersten Stockwerk statt. Ich trinke Tee.
Ob aus dem Zusammenführen von Solothurn und dem 50-jährigen Jubiläum von 1968 an den Solothurner Literaturtagen von 2018 was wird? Ich habe Bichsel deswegen telefoniert. Ein Podium mit dem Manifest von Herbert Meier („Der neue Mensch steht weder rechts noch links – er geht); von Peter Bichsel die Rede zur Tschechoslowakei 1968; von mir die Geschichte „Heil
mit dem KZ Weissenstein und Vietnam, entstanden 1968; ein Auszug aus Rolf Niederhausers „Das Ende der bloßen Vermutung, zwar später entstanden, aber angestoßen von 1968, dann ein Auszug von Urs Jaeggis „Brandeis
. Lauter Solothurner mit 1968er-Literatur.
Nur drei von den 27 Gruppenteilnehmern haben Lust, sich in die stundenlange Schlange zu stellen zwecks Besichtigung der mumifizierten Leiche im Mausoleum von Ho Chi Minh. Ich bin einer der drei und stelle mich in die Schlange, die stockend auf mehreren Wegen in verschiedenen Richtungen vorangeht. Schüler und Schülerinnen sind auch darunter, die jauchzen und quatschen, sich aber diszipliniert verhalten. Soldaten in braunen und dann in weißen Uniformen sowie Frauen in Schwarz sorgen dafür, dass alles seine Ordnung hat. Endlich ist das Mausoleum, das wie ein Tempel angelegt ist, zu sehen. Soldaten in weißen Uniformen marschieren stellenweise im Stechschritt. Etwa zweieinhalb Stunden sind vergangen, bis wir vor der Treppe vom Mausoleum angelangt sind. Da ist ein roter Gummiteppich ausgelegt.
Dann geht alles schnell. Beim Eingang wird es dunkel. Die Schlange wird fast mucksmäuschenstill, so dass nur das Quietschen vom Gummi zu hören ist. Es geht im Dunkel die Treppe weiter hoch. Und dann ist sie zu sehen, die einbalsamierte Leiche. Ho Chi Minh, weiß ich aus einem Reiseführer, wollte nicht einbalsamiert, sondern, seinem Testament nach, kremiert werden. Erst besorgte man, das weiß ich von unserem Reiseleiter, die Inspektion der Einbalsamierung in Moskau, inzwischen führen sie Vietnamesen an Ort und Stelle durch. Ein weiß uniformierter Soldat winkt, dass die Schlange schnell vorbeigeht. Das Gesicht von Ho Chi Minh erstrahlt in künstlichem Licht, ich sehe auch den Ziegenbart, ob auch die Hände erstrahlen, weiß ich nicht mehr. Ich war beeindruckt und schlagartig der festen Überzeugung, die riesige Schlange, die ich ja nicht als langweilig empfand, hat sich gelohnt.
Direkt nach Verlassen des Mausoleums finde ich einen Laden, wo ich eine golden glänzende Ho-Chi-Minh-Büste finde und für fünf US-Dollar kaufe. Sie wird mir in eine Kartonschachtel und eine grüne Plastiktüte verpackt.
Beim Essen stelle ich sie zwischen meine Füße, weil sie mir sehr kostbar ist. Ich werde sie neben den Fernseher stellen.
Auch die drei Autos hatte ich gesehen: einen metallicbraunen Peugeot 404, ein älteres Auto von mir unbekannter Marke, ebenfalls braun, dann die riesige russische schwarze Staatslimousine.
Bei der späteren Busfahrt machen der Reiseleiter (Wilfried Arz) und sein vietnamesischer Begleiter ein längeres Frage- und Antwortspiel über soziale Probleme Vietnams, über das Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich, über die Abtreibung von weiblichen Föten und vieles andere.
Die Landschaft ist, wie Brigitte sich ausdrücken würde, un peu comme partout, aber ich bin mir freudig bewusst: Es ist Vietnam. Es ist wirklich Vietnam!
20.03.2017
Die Halong-Bucht mit ihren tausend schroffen Kalksteinfelsen war mir zuerst bekannt geworden durch einen James-Bond-Film, ich weiß nicht welchen. Als ich ihn dem Reiseleiter erwähnte, sagte der, die Szenen wären nicht in Vietnam gedreht worden, da hätte die Drehgenehmigung gefehlt, sondern in einer ähnlichen Landschaft in Thailand. Aber heute könne man im Film ja viel mit Montage hinkriegen. Ich war ein bisschen enttäuscht, dass die Felsen der Halong-Bucht nicht ganz so einmalig zu sein schienen, aber jetzt, wo ich sie vor mir sah, in ihrer bizarren Form, waren sie mir doch einmalig. Wir fuhren auf einer Dschunke, die aber keine Segel hatte, wie man sich eine Dschunke vorstellt und wie ich sie in Hongkong gesehen habe, sie hatte einen Motor, der friedlich schnurrte. Die Felsen glitten einer nach dem anderen vorüber.
Was für ein Frieden, sagte jemand. Wir hatten die Dschunke ganz allein für uns. Ich hatte mich auf einem der wenigen Liegesessel ausgestreckt. Vielleicht machte ich einen müden Eindruck. Ich hatte die Nacht über fast nicht geschlafen wegen der vielen Eindrücke und wegen der Ideen, die ich bekam.
„Geht es Ihnen nicht gut?", fragte eine Frau.
„Doch, sagte ich, „ich bin nur etwas müde.
„Mit dem Wetter haben wir ja Glück", sagte sie.
Es regnete nicht, die Felsen lagen ein bisschen im Dunst.
„Wie hat es Sie ausgerechnet nach Vietnam verschlagen?"
Da erzählte ich ihr unverblümt von meinem Poster „Visit beautiful Vietnam" von anno '68.
Darauf erkundigte sie sich freundlich und interessiert, ob ich damals auch bei Demonstrationen mitgemacht hätte. Ich zögerte. Erwiderte dann: Ein Mal ja. Und zwar sei es da um die Abschiebung eines vietnamesischen Studenten gegangen in Freiburg, und ich marschierte mit, wohl als einziger mit Krawatte, aber ob ich Ho-hoho-Chi-Minh skandiert hätte, wüsste ich nicht mehr, wahrscheinlich eher nicht. Ist die Polizei gekommen? Nein. Sie schien enttäuscht. Da ich nun aber schon, trotz der Müdigkeit, in Fahrt gekommen war, wollte ich mich rechtfertigen und erklärte, ich sei trotzdem ein waschechter 68er, hätte ich doch auf ein KZ hingewiesen, das gerüchteweise bei Solothurn, der schweizerischen Stadt meiner Herkunft, geplant gewesen sei. „Also auch die Schweiz, stellte sie fest. Es seien aber nur Gerüchte, schwächte ich ab, die sich nicht beweisen ließen. „Trotzdem hochinteressant
, meinte sie.
Das waren eben die Gerüchte um das KZ Weissenstein.
Wir schwiegen, schauten auf die unbewohnten Felsen.
Der Motor schnurrte friedlich.
„Man kann da ganz andächtig werden", sagte sie.
„Ja, wirklich", sagte ich.
Ich sann nach.
1968 wollte ich die Welt verändern mit meinen Solothurner Geschichten mit dem KZ Weissenstein. Ich erwartete, wenn ich in diese Eiterblase reinstechen würde, würde sie platzen samt der ganzen Solothurner Verlogenheit. Tatsächlich stießen meine Geschichten auf große Aufmerksamkeit in Solothurn, aber man nahm das KZ, mich schaudert noch heute, eher von der lustigen Seite. Dabei schaudert mich leise noch heute, wenn ich, sehr selten, die Bergwand des Weissenstein vor mir sehe. Das kam mir jetzt in Vietnam wieder richtig hoch. Ich hatte gewähnt, dass eine bloß geplante Nazivernichtungsstätte, da sie auf Abmachungen beruhte, so nachhaltig wirken könnte wie eine tatsächliche.
Die Dschunke fuhr an eine Anlegestelle, damit wir eine Grotte besuchen konnten.
Als ich etwas wacklig den Steg vom Schiff betrat, sagte mir der vietnamesische Begleiter, so wie er es einschätze, wären die vielen Treppenstufen zur Grotte hinauf und durch die Grotte hindurch für mich zu viel.
Heute bin ich ein alter Mann. Als ich mich dann trotzdem entschloss, zur Grotte hochzusteigen, nahm mich bald eine Frau am Arm und leitete mich über die vielen Treppen. Die Grotte dann war schön angestrahlt. Froh war ich, als ich, der Reiseleiter packte mich auch noch am Arm, den Steg zum Schiff geschafft hatte.
Vielleicht hatte mir auch die alte Solothurner Geschichte zugesetzt, jetzt, wo ich ein alter Mann war. Goodbye James Bond.
Die Reise nach Vietnam würde meine letzte große Reise sein. Künftig werde ich in Europa bleiben, sagte ich mir.
Dann die Rushhour in der gewirbligen Altstadt von Hanoi mit dem ständigen Gehupe und mit lauter kleinen Geschäften mit jungen Leuten, die auf Kundschaft warteten.
Welch ein Gegensatz zu den ruhigen Felsen der Halong-Bucht.
In Ho-Chi-Minh-Stadt würde der Verkehr noch viel größer sein, sagte der Reiseleiter.
21.03.2017
Der Flughafen Da Nang, wo wir in Mittelvietnam landen, wurde erst vor wenigen Jahren vom hochgiftigen Entlaubungsmittel Agent Orange dekontaminiert. Es ist bereits von Kennedy eingesetzt worden. Die Firma, die damit ihr Geschäft gemacht hat mit Vietnam, liefert heute genmanipulierten Reis nach Vietnam und macht so ihr Geschäft.
Ich frage den vietnamesischen Reisebegleiter, ob ich ihm eine Frage stellen dürfe. „Ja, gern. „Haben Sie etwas gegen die Amerikaner?
Er ist in einem Alter, wo er den Krieg sicher