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Mit Rostocker Hochseefischern auf Fischfang. Erlebnisse einer Schiffsärztin
Mit Rostocker Hochseefischern auf Fischfang. Erlebnisse einer Schiffsärztin
Mit Rostocker Hochseefischern auf Fischfang. Erlebnisse einer Schiffsärztin
eBook393 Seiten4 Stunden

Mit Rostocker Hochseefischern auf Fischfang. Erlebnisse einer Schiffsärztin

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Über dieses E-Book

Die Autorin entschließt sich, im März 1979 ihren angestammten Arbeitsplatz zu verlassen. Es zieht sie in die Ferne. Der Frühling, in dem dieser Wunsch zu Papier gebracht wurde, ist inzwischen einem feuchten und nebligen Herbst gewichen. Endlich kommt nun die Zusage. Aber nicht ein fremdes Land, sondern auf dem Wasser fahrende Schiffe machen mir ihr ein Angebot. Schiffsarzt. Ihre Vorstellung über diese Tätigkeit resultiert nur aus Büchern und Filmen. Die DDR hat doch nur ein Passagierschiff. Das wird es wohl nicht sein? Nein, auch die Handelsflotte oder Frachtschifffahrt benötigt keinen Arzt, nur die Fischerei. Fischerei? Vor ihren Augen sieht sie Holzkutter. An Deck liegen volle Netze mit zappelnden noch lebenden Fischen, Stapel von Holzkisten mit Eis gefüllt und sie riecht förmlich den Fischgestank. Nein, das ist es wohl nicht! Und es wurde es doch! Wie sich das Seefrauenleben gestaltet und wie diese Zeit das Leben der Autorin beeinflusst hat, können die Leser in diesem Buch erfahren.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum18. Jan. 2013
ISBN9783954883004
Mit Rostocker Hochseefischern auf Fischfang. Erlebnisse einer Schiffsärztin

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    Buchvorschau

    Mit Rostocker Hochseefischern auf Fischfang. Erlebnisse einer Schiffsärztin - Christa Anders

    Christa Anders

    Mit Rostocker Hochseefischern auf Fischfang

    Christa Anders

    Mit Rostocker Hochseefischern

    auf Fischfang

    Erlebnisse einer Schiffsärztin

    Engelsdorfer Verlag

    Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

    Copyright (2010) Engelsdorfer Verlag

    Alle Rechte beim Autor

    Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

    www.engelsdorfer-verlag.de

    Inhaltsübersicht

    Vorwort

    Tausche Schreibtisch gegen Schiffsplanken

    Drei starten in das Abenteuer – neue Lebensumstände

    Erste Reise 20. März – 10. Juni 1980

    Kommunikationsschwierigkeiten. Aufstiegsprobleme. Kampf und Sieg über ein durcheinandergeratenes Gleichgewichtsorgan. Meine erste Blinddarmoperation auf See

    Zweite Reise 31. Juli – 6. November 1980

    Was in Mauretanien beginnt, endet in Namibia. Eine Blinddarm- operation in fünf Sprachen. Neptun erwartet uns am Äquator. Eine stürmische Schiffsbegegnung, die außer Schrecken auch Arbeit verursacht.

    Dritte Reise 25. November 1980 – 25. Februar 1981

    Namibia ade. Weihnacht unter Mauretaniens Sonne. Schon wieder will ein Wurmfortsatz entfernt werden

    Vierte Reise 17. März – 15. Juli 1981

    Was ein geschlossener Luftraum über Nouadhibou mit einer Katzenhaarallergie zu tun hat. Ich erlebe eine Fischbratstelle der anderen Art. Adlerfische bevölkern das Arbeitsdeck. Bangen um das Augenlicht eines Maschinisten.

    Fünfte Reise 15. Dezember 1981 – 24. März 1982

    Ausgeborgt für vier Wochen. Mit den Tauchern im Einsatz. Ein Interview für die Ferienwelle des Ostseestudios Radio Rostock. Ein tragischer Unfall auf See. Drei Schiffe und drei Beulen

    Sechste Reise 4. Mai – 18. August 1982

    Feuer im Schiff. Leckerer Speckkuchen und seine Folgen. Mondfisch und Riesenmanta im Netz. Ein tanzender Tanker

    Siebente Reise 14. September – 8. Dezember 1982

    Die Erstürmung der „Tschetschersk" mittels Bordwand. Wenn Netze verschwinden gibt Neptun sie auch manchmal zurück. Alulatten tummeln sich im Netz

    Achte Reise 10. Januar – 5. April 1983

    Austausch von Fangergebnissen mit sowjetischen Kapitänen. Ein weiblicher Notfall verursacht brennende Kartonagen und das Befahren verbotener Seegebiete. Cansado hilft. Abschied, von der ATB. Ein neues Schiff wartet auf mich

    Neunte Reise 20. Mai – 9. August 1985

    Mit der „Jungen Welt" in der Nähe der Antarktis. Moluscen statt Makrelen. Neue Erkenntnisse über Menschen, Behörden und kapitalistisches Blendwerk. Abschied von der See

    Aller Anfang ist schwer

    Aus dem Nichts entsteht ein Fische fangendes und verarbei- tendes Kombinat an der Ostsee. Vom Fischkutter zum Supertrawler. Konzeptionen und Beschlüsse zur Entwicklung der Fischwirtschaft in der DDR

    Literaturverzeichnis

    Worterklärungen

    Vorwort

    In meinem fünften Lebensjahrzehnt verspüre ich Lust, meinen derzeitigen Arbeitsplatz zu verlassen und mich an einem der Solidaritätsprojekte, die die DDR in mehreren Entwicklungsländern betreibt, zu beteiligen. Mich zieht es in die Ferne. Mein sechsjähriges Studium in Leningrad, heute St. Petersburg, war für mich eine große Bereicherung im Verständnis fremder Lebensgewohnheiten. Diese Erfahrung ermutigt mich, es aufs Neue erkunden zu wollen.

    Meinen Wunsch nimmt man zur Kenntnis, bietet mir aber kein anderes Land, sondern die ärztliche Versorgung von in fernen Gewässern fischenden Seeleuten an. Die Ferne stimmt schon mal. Den festen Boden unter meinen Füßen einzutauschen gegen wellengeschaukelte Schiffskörper, die zudem noch nach Fisch riechen, zur Grundlage eines neuen Lebensabschnittes zu machen, gefällt mir eigentlich nicht. Nach reiflicher Überlegung sehe ich die Notwendigkeit ein, die durch einen Mangel an medizinischem Personal in der Hochseefischerei hervorgerufen wird. Außerdem scheint mir ein größeres Abenteuer kaum möglich zu sein. Mein Ehrgeiz besteht allerdings nicht darin, irgendwelche halsbrecherischen Dinge zu tun oder in außergewöhnlichen Situationen Heldentaten zu vollbringen. Ich will meine erworbenen ärztlichen Fähigkeiten dort anwenden, wo sie dringend gebraucht werden und nebenbei Neues kennen lernen.

    Nachdem meine Entscheidung gefallen ist, zukünftig in Schiffshospitalen fischenden Männern – Frauen, erfahre ich sehr schnell, gibt es so gut wie nicht – rundum medizinisch zu versorgen, bereite ich mich vor. Von allen Seiten erhalte ich Zuspruch. Nur wenige meiner Bekannten und Freunde betrachten diesen Wechsel mit deutlicher Skepsis.

    Wie sich mein Seefrauenleben gestaltet und wie diese Zeit mein Leben beeinflusst, können Sie in den folgenden Kapiteln lesen. Im letzten Abschnitt des Buches gebe ich einen kurzen Einblick über die Entwicklung der Hochseefischerei in der DDR und beziehe einige Ergebnisse meiner Recherchen im Bundesarchiv der Parteien und Massenorganisationen mit ein.

    Damit Sie schneller als ich, die seemännischen Bezeichnungen verstehen, füge ich eine Wort- und Begriffserklärung an, die auch die medizinischen Wortinhalte erläutert.

    Ich bin zwar nur eine kurze Zeit mit den Hochseefischern auf Fischfang gewesen und habe nie ihre schwere Arbeit selbst machen müssen, aber ich habe ihre Leistungen gesehen, mit ihnen ihre Freuden empfunden, ihre Sorgen geteilt, Entscheidungen, die die Heimreise verzögern verflucht, über Sachen geschimpft, die als ungerecht und unüberlegt empfunden werden und bin doch immer wieder gern mit ihnen rausgefahren, zu neuen Abenteuern.

    Die Niederschrift meiner Erlebnisse soll die Erinnerung an die Hochseefischerei der DDR, besonders natürlich an die ATB I Supertrawler, die für mehr als zwei Jahre mein Lebensinhalt war, wachhalten. Die Hochseefischerei wurde in fast 40 Jahren aus dem Nichts aufgebaut und zu einem in der Welt geachteten Ansehen entwickelt. Dass ihr in einem anderen Gesellschaftssystem, durch Verschrottung und Verkauf, die Existenzgrundlage entzogen wurde, hatte nicht nur ökonomische Gründe. Es war eine schwierige Zeit für die massenhaft arbeitslosen Hochseefischer mit ihrer guten Ausbildung und Qualifikation in der sie sich eine neue Lebensgrundlage schaffen mussten. In den meisten Fällen begann sie mit einer Umschulung oder unqualifizierter Arbeit.

    Zum Schluss möchte ich all denen danken die mein Vorhaben, meine Erlebnisse niederzuschreiben, mit guten Wünschen unterstützt haben. Nicht nur Wünsche, sondern auch fachmännische Beratung erhielt ich von Gerd (Tony) Holler, der meine seemännischen Erklärungen auf Tauglichkeit geprüft hat und von meiner Schwiegertochter Evelyne, die mir half, den Fehlerteufel zu bändigen. Deshalb gilt ihnen mein ganz besonderer Dank.

    Christa Anders

    Tausche Schreibtisch gegen Schiffsplanken. Drei starten in das Abenteuer - neue Lebensumstände

    Meine Tätigkeit als Assistenzärztin in der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses Berlin-Friedrichshain muss ich 1969 aus familiären Gründen aufgeben. Jetzt sitze ich hinter einem Schreibtisch, habe mehrere Mitarbeiterinnen und nenne mich Leiterin des Medizinisch-Statistischen Bereiches im Büro für Sozialhygiene, eine nachgeordnete Einrichtung der Abteilung Gesundheitswesen des Magistrats von Groß-Berlin. Wir erfassen und verarbeiten die Ergebnisse der Berliner Gesundheitseinrichtungen in statistischen Jahrbüchern.

    1979 erweitert sich das Aufgabengebiet dieses Büros um den Bereich Investitionsvorhaben Krankenhausbau. Der Bau von Feierabendheimen und ambulanten Gesundheitseinrichtungen einschließlich Apotheken ist schon von jeher Bestandteil dieses Büros. Da in der DDR der Krankenhausneubau sich auf wenige Objekte beschränkt, demzufolge keine großen Erfahrungen vorhanden sind, ergreife ich die Möglichkeit, mich auf diesem Gebiet einzuarbeiten und weiterbildende Maßnahmen zu nutzen. In Zusammenarbeit mit Architekten, Innenarchitekten, Medizin-Technologen und Baufachleuten entwerfen wir für den Krankenhausanbau Berlin-Köpenick moderne Varianten der Patientenbetreuung. Im Laufe der Entwicklung dieses Investvorhabens, die mit einem häufigen Aufenthalt auf Krankenstationen und der Konfrontation mit dem Krankenhausbetrieb verbunden ist, entsteht in mir das Bedürfnis meinen Schreibtisch gegen einen weißen Kittel einzutauschen.

    Meine Kinder sind erwachsen. Warum soll ich nicht in einem fremden Land, in einem unserer Solidaritätsprojekte, wieder als Ärztin arbeiten? Gedacht, getan. Das bedeutet, einen Antrag an die Kaderabteilung zu stellen und sich für einen Auslandseinsatz zu bewerben. Im März 1979 wage ich diesen Schritt. Da erfahrungsgemäß die Prüfung meiner Person durch das Ministerium des Innern längere Zeit in Anspruch nimmt, wappne ich mich mit Geduld. Der Frühling, in dem ich meine Hoffnung zu Papier gebracht habe, ist inzwischen einem feuchten und nebligen Herbst gewichen.

    Endlich halte ich die Zusage in meinen Händen. Aber nicht ein fremdes Land, sondern auf dem Wasser fahrende Schiffe machen mir ein Angebot. Schiffsarzt. Meine Vorstellung über diese Tätigkeit resultiert aus Büchern und Filmen. Wir haben doch nur ein Passagierschiff. Das wird es wohl nicht sein? Nein, auch die Handelsflotte oder Frachtschifffahrt benötigt keinen Arzt, nur die Fischerei. Fischerei? Vor meinen Augen sehe ich Holzkutter. An Deck liegen volle Netze mit zappelnden noch lebenden Fischen, Stapel von Holzkisten mit Eis gefüllt und ich rieche förmlich den Fischgestank. Nein, das ist es wohl nicht!

    Der Rostocker Fischereiarztfänger redet von großen Schiffen, 90 Mann Besatzung, Fangplätzen, wo bis zu 750 Seeleute konzentriert sind und manchmal kein Arzt zur Verfügung steht. Ach und riechen – nein – nur wenn der Wind ungünstig steht und die Fischmehlverarbeitung in Betrieb ist. Aber ersten steht der Wind nicht immer ungünstig und zweitens gibt es vor dem Mehl den Fisch.

    Interesse und Abwehr kämpfen in mir eine Schlacht, eine Seeschlacht. Es locken die fernen Länder, warm und sonnig muss es sein, das selbstständige Arbeiten, die Vielfalt der Aufgabe und es droht die hohe Verantwortung für 90 Männer und vielleicht auch mehr, weit weg von jeder anderen medizinischen Hilfe. Es gibt auch Schiffe, die gesunken sind! Allerdings sind die Rostocker Fischereileute, wenn auch nicht mit dem Schiff so doch mit dem Flugzeug, immer wieder im Heimathafen gelandet. Er findet viele beruhigende Worte und verspricht irgendwie so zwischendurch, dass dann eventuell die Handelsschifffahrt auch infrage käme. Dieser Schwindel löst sich schon vor meiner ersten Reise in Luft auf. Die Besatzungen sind zu klein, um einen Schiffsarzt zu verkraften.

    Der Anreiz ist geschaffen, der Köder ausgelegt. Ich befrage alle meine Bekannten ringsumher, ob ich oder ob ich nicht.

    Die größte Schwierigkeit besteht darin, dass ich meine, noch nicht achtzehnjährige Tochter, Renate, sich selbst überlassen muss, denn mein ein- undzwanzigjähriger Sohn, Thomas, studiert in Greifswald und wird nur hin und wieder mal nach dem Rechten sehen können. Mein Mann, dessen Anwesenheit diesen Wunsch wahrscheinlich nie hätte aufkommen lassen, hat nach unserer Scheidung schon vor Jahren einen anderen Lebensinhalt gefunden. Renate und Thomas sind begeistert von der Aussicht, der mütterlichen Aufsicht enthoben zu sein. Obwohl mich nicht selten Zweifel plagen, ob dieser Schritt richtig ist habe ich ihn nie bereut. Meine Tochter redet mir kräftig zu, nachdem sie erkennt, welche Chancen sich da für sie im Alter von 17 Jahren auftun. Mein Sohn findet die Sache toll und vermeint stolz, sein zu wollen.

    Wie soll ich entscheiden, wenn ich keine konkrete Ahnung habe und letztendlich die Wunschvorstellungen überhandnehmen? Also ich werde Schiffsärztin.

    Nun heißt es, sich auf diesen Einsatz vorzubereiten. Meine Vertragsarzttätigkeit, die ich seit mehreren Jahren beim Wehrbezirkskommando mit wenigen Wochenstunden ausübe, reicht nicht aus, um alle meine schlummernden ärztlichen Fähigkeiten wieder zu vollem Leben zu erwecken. Da ich vor fast 10 Jahren aus dem klinischen Bereich ausgeschieden bin, geht es jetzt zurück an den OP-Tisch. Darüber hinaus muss ich in den Fächern Kenntnisse erwerben, die mir aufgrund meiner Fachrichtung nur noch vom Studium her bekannt sind. Meine derzeitige Arbeitsstelle, die Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen des Magistrats von Groß-Berlin delegiert mich in die verschiedenen Krankenhäuser und Polikliniken zu eben dieser Wiederauffrischung meiner Kenntnisse aus der praktischen Tätigkeit bzw. aus meiner Studentenzeit.

    Im Oskar-Ziethen-Krankenhaus arbeite ich in der chirurgischen und unfallchirurgischen Poliklinik. Meine Freude und mein Wissensdurst nehmen täglich zu. In Gedanken versuche ich mir vorzustellen, wie ich unter mir unbekannten Bedingungen das alles allein bewerkstelligen soll, was hier ohne Hilfe von Schwestern und Kollegen undenkbar ist. In der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses assistiere ich bei Blinddarmoperationen aber auch bei anderen operativen Eingriffen. Ich stelle fest, wie aus dem schlummernden Gehirnspeicher die Kenntnisse Stück für Stück wiedererweckt werden und sich in handwerkliches Können umsetzen. Was sich an Erinnerungen wieder einstellt, ist wirklich erstaunlich. Nach vier Wochen habe ich das Gefühl, das eher einer panischen Absage gleichkommt als einer Abenteurerlust. Der aufgefrischte medizinische Verstand weiß plötzlich wieder ganz genau, wie viel Komplikationen bei der harmlosesten Krankheit auftreten können. Mit wem mache ich medizinische Versorgung, wenn ich gezwungenermaßen Hilfe brauche. z. B. bei einer Blinddarmoperation? Zweifel, Zweifel! In diesen Tagen schlafe ich schlecht. Ich träume vorausschauende Schwierigkeiten. An einen Traum erinnere ich mich heute noch sehr lebhaft. Es war Nacht. Eine menschenleere Straße. Irgendwo. Eine große Pfütze. In dieser liegt ein Mann vorbereitet zur Blinddarmoperation, mit sterilen Tüchern abgedeckt, nur der rechte Unterbauch ist frei. Ich stehe, bekleidet mit einem sterilen Kittel, sterilen Handschuhen, Mundschutz und Operationshaube auf der Seite, wo der Operateur steht und mir gegenüber ein Assistent, genau so angezogen wie ich. Ich fordere den Patienten auf, bis 19 zu zählen, dann wäre es soweit. Mein Gegenüber bemerkt, wir sollen uns beeilen, denn die Pfütze würde austrocknen und dann wäre es aus mit der Sterilität. Bei 19 angekommen, ich liege inzwischen auf den Knien, setze ich mit dem Skalpell den Hautschnitt. Unter diesem Schnitt verwandelt sich die Haut in dünnes Papier und erschrocken halte ich den gesamten Darm in den Händen. Mein Assistent kippt nach hinten weg. Der Patient lacht schallend und ich wache schweißgebadet auf. Am nächsten Morgen bin ich bereit, die Fischerei sausen zu lassen.

    Die Reste noch weiter zurückliegender Kenntnisse aus der Studentenzeit müssen aktiviert werden und sind mit dem inzwischen neu erworbenen Wissen in den Großhirnspeicher abrufbereit einzuordnen, um sie bei Notwendigkeit zur Verfügung zu haben. Hautkrankheiten, besonders die Geschlechtskrankheiten sind die nächste Etappe. Im Klinikum Berlin-Buch habe ich vier Wochen Zeit, mich mit den hier gebräuchlichsten Salben, Mixturen und Lotionen bekannt zu machen. Schwierig ist es, die richtigen Diagnosen zu stellen. Die Pusteln, Pickel, nässenden, juckenden oder trockenen Hautveränderungen sehen sich verdammt ähnlich. Auch die Abbildungen in den Lehrbüchern sind wenig hilfreich, denn lehrbuchhafte Krankheitsbilder gibt es kaum. Sie haben sich durch die angewendeten Medikamente in ihren Erscheinungsformen stark verändert. Aus diesem Grunde sind Geschlechtskrankheiten, im frischen Stadium, denn nur so glaube ich, sie künftig behandeln zu müssen, gibt es hier nicht. Deshalb nur theoretische Diagnostik, Behandlung und meldepflichtige Formalitäten. Ich schreibe wie ein Weltmeister die Erfahrungen der Kollegen auf, bei denen ich hospitieren darf. Sie sind großzügig mit ihren Ratschlägen.

    Die darauffolgenden vier Wochen gehören der Zahnheilkunde, da sind nur noch vereinzelte Reste aus der Studentenzeit vorhanden. In einem vierwöchigen Schnellkurs in der Poliklinik von Dr. Noack in der Prenzlauer Allee werde ich durch Frau Oberarzt Dr. Keucher zu einer Hilfszahnärztin, besser wäre wohl zu einer Zahnarzthelferin ausgebildet. Ich bin ein Anlernling mit theoretischem Wissen im Kopf aber ohne geschickte Hände. Manchmal versuche ich die notwendige Kraft durch Anstrengung, aber nicht durch kluge Überlegungen zu erwirken. Nach den vier Wochen wünsche ich mir, nur Seeleute mit schon vorgelockerten Zähnen, und niemals einen Zahn aus einer geschlossenen Zahnreihe ziehen zu müssen. Am besten wäre es, alle Seeleute hätten ein Gebiss mit angeklebten auswechselbaren Zähnen.

    Als ich am 10. März 1980, zum ersten Mal, nach Rostock fahre, um meinen neuen Lebensabschnitt zu beginnen, erwartungsvoll und ängstlich zugleich, ahne ich nicht im entferntesten wie sehr mich diese Fischerei faszinieren soll und mir den Weg ebnet 1983 auf unserem einzigen Passagierschiff, dem MS „Völkerfreundschaft", bis zu seiner Außerdienststellung 1985 tätig zu sein.

    Ich gehöre zu den Seefahrern. Nach dem Einstellungsgespräch beim Medizinischen Dienst des Verkehrswesens der DDR durch den Direktionsarzt Obermedizinalrat Dr. Ebert in Rostock, dem eine Tauglichkeitsuntersuchung in Berlin vorausgegangen ist, wo meine Seetauglichkeit bestätigt wird, gehöre ich nun zum seefahrenden Personal. Ein Fischkutter voller guter Wünsche wird mir mit auf den Weg gegeben und der Arbeitsvertrag ausgehändigt. Der Bereich Ökonomie des VEB Fisch-Kombinats und das Seefahrtsamt erwarten an diesem Tag noch meinen Besuch.

    Der nächste Tag führt mich bereits um 7:00 Uhr nach Rostock-Marienehe, wo das Fisch-Kombinat seinen Sitz hat. Auf dem Programm stehen der Besuch beim Hafenarzt Dr. Pohl und der Bereichsschwester Helga Millahn in der Poliklinik.

    Da SAS 502 „Granitz ein 1965 in Dienst gestelltes Kühl- und Transportschiff von 79,8 Meter Länge, 13,2 Meter Breite, das auch bei Bedarf selbstständig fischen kann, gerade im Hafen liegt, schleppt mich Schwester Helga zu dem dort wirkenden Arzthelfer. Bevor ich das Schiff besteige, versichern mir die beiden, dass der Supertrawler, auf dem ich tätig werden soll, viel größer ist und dass auf ihm alles ganz anders sei als hier auf der „Granitz. Dort gäbe es eine in sich geschlossene ambulante Einrichtung und eine Krankenstation dazu. Trotzdem werden meine Erwartungen von der medizinischen Einrichtung auf Schiffen arg enttäuscht. Der Eindruck, den die im Raum stehende Schlingerkoje auf mich macht, lässt mich an ihren Worten erheblich zweifeln. In Gedanken sehe ich mich um einen, in dieser vergitterten Bettschaukel liegenden Schwerkranken, bemüht eine Infusion anzulegen. Die Schilderung des Arzthelfers über bestimmte Therapieanwendungen, die er mit harter Therapie und Mut zum Risiko charakterisiert, beheben nicht gerade meine Zweifel. Seine Erfolge mit einer derartigen Behandlung, nach Worten von Schwester Helga, sind aber nachweisbar.

    Weiter im Konzept. Jetzt beginnt der seemännische Teil der Einweisung auf dem Floßboden. Die Sicherheitsrolle ist ein Plan zur Organisation der Sicherheit auf Seeschiffen. Darin sind jedem Besatzungsmitglied Aufgaben zugeteilt, die er im Notfall auszuführen hat. Zur Sicherheitsrolle gehören: die Bootsrolle – das Klarmachen und Aussetzen der Rettungsmittel; die Feuerrolle – Bekämpfen von Brandherden, Schließen der Bullaugen, Fenster, Ventilatoren und Feuerschotte; die Mann-über-Bord-Rolle – Klarmachen der Rettungsmittel; die Verschlussrolle – Schließen aller Bullaugen, Fenster, Schotten, Luken, Lüfter, Abdichten von Leckagen; die Komplexrolle – alles bisher Beschriebene zusammengefasst und die Selbstschutzrolle – Aufgaben zur Abwendung oder Abschwächung von radioaktiven, chemischen oder biologischen Einflüssen. Die Unterweisung kann leider nur mit Worten erfolgen, denn der Filmvorführapparat ist kaputt. Ich werde in die Geheimnisse der Rettungsmittel eingeweiht, Schwimmweste und Rettungsinsel werden erläutert.

    Dann der große Moment – ich erhalte mein Seefahrtsbuch. Die Bedeutung ist mir klar, aber noch nicht die Bürde, die der Besitz dieses Dokumentes mit sich bringt. Nach all diesen Aktionen ist der erste Tag beendet.

    Da ich einige Tage in Rostock bleiben muss, erhalte ich ein zünftiges Seemannsquartier im Haus der Hochseefischer. Ein Einzelzimmer mit einem komischen Bett. Nein, nicht das Bett ist eigentlich komisch, sondern die Vorhänge davor und der Einbau in eine Wandnische. Es heißt ja auch nicht Bett sondern Koje. Zur Begrüßung erscheint kurz vor dem Schlafengehen eine Kakerlake unterhalb des Spiegels. Mit ihrem Totschlag eröffne ich unbewusst den Reigen, dem noch viele zum Opfern fallen sollen, wobei später teilweise subtilere Methoden angewendet werden. Mein Abendessen nehme ich auf meinem Zimmer ein. In das Restaurant mag ich nicht gehen, fühle mich noch nicht dazugehörig.

    Den darauf folgenden Tag verbringe ich in der Röntgenabteilung und werde in die Technik des Röntgens auf Seeschiffen eingeführt. Für mich ist dieses Fach grundsätzlich neu, denn ich beherrsche auch nicht die Technik des Röntgens an Land. Im Schnelldurchgang werden die Lagerung des Patienten, das richtige Einlegen der Röntgenfilmkassette, die Einstellungszeiten und letztendlich die Filmentwicklung und -fixierung erläutert. Für diesen Akt hat der MDV die Zubereitung der Filmbearbeitungsflüssigkeiten, so da sind Entwickler und Fixierer gebrauchsanweisend niedergeschrieben. Die Tanks dafür sollen immer in der Badewanne des Hospitals stehen. Vielleicht kann ich mich ja beim Baden noch günstig entwickeln und das Ergebnis bei Zufriedenheit gleich fixieren? Da das Hospital auch über ein Kurzwellengerät verfügt, ist auch dafür das Erlernen des Umganges zum Nutzen schmerzgeplagter Patienten notwendig, was ich natürlich unbedingt beherrschen möchte.

    Überall wo ich hinkomme, begegnet man mir freundlich, macht mir Mut und meine zweifelnde Mine wird mit den Worten: „Bisher haben es alle geschafft und Sie schaffen es auch" besänftigt.

    Etwas später an diesem Tag gibt es noch eine Unterweisung zur Einhaltung der Hygiene an Bord, d. h. über den Umgang mit Lebensmitteln, die Sauberkeit an Bord, die Sterilisation der Instrumente und Desinfektionsmaßnahmen. Auch der Speiseplan wird, zwecks gesunder Ernährung, eine Rolle spielen. Dieser Abend verläuft ohne Kakerlakenbesuch, jedoch mit einem erfolglosen Versuch meine Tochter Renate anzurufen. Sie freut sich vielleicht schon auf die sturmfreie Bude, die sie ja mindestens einige Wochen haben wird. Möglicherweise fürchtet sie sich auch, alles allein bewältigen zu müssen. Mir fällt es auch nicht leicht. Oft plagen mich Ängste, Befürchtungen, ob es richtig ist, sie allein zu lassen. Dann wieder schöpfe ich Hoffnung, dass 17 Jahre Erziehung nicht umsonst gewesen sein können. Bisher habe ich keine Veranlassung Gegenteiliges zu glauben.

    Am vorletzten Tag kann ich das zur Genüge nachholen, was im Klinikum Berlin-Buch nicht möglich war. In einer Poliklinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten der Stadt Rostock kann ich mich bei der Behandlung von Liebeskranken, so nennt man sie hier, nützlich machen und fehlendes Wissen ergänzen. An diesem Tag kommt ein Schiff der DSR nach sieben Monaten auf See zurück. Nicht wenige müssen vor dem Gang nach Hause erst mal hier Station machen. An den richtigen Umgang mit ihnen muss ich wohl noch arbeiten, es sind Patienten und keine Lustmolche. Allerdings scheinen sie bei den zahlreichen Belehrungen und Hinweisen nicht zugehört zu haben und versuchen jetzt stotternd und leicht verschämt in die Rolle des Opfers schlüpfen zu wollen. Die behandelnde Ärztin ist wenig zimperlich, kennt wohl auch alle Versuche, die nackten Tatsachen zu verschleiern und wird unnachgiebig, wenn es um die Kontaktpersonen nach dem Ereignis geht. Andererseits gibt sie ihnen aber auch das Gefühl ein kranker Mensch zu sein. Angesichts dieser Fälle überlege ich bereits Strategien, wie ich meine Männer (oho, meine Männer?) vor solchen Peinlichkeiten bewahren kann. Die Kollegin hat auch noch einige gute Ratschläge für mich und mit mehr Wissen und einem festen Standpunkt verlasse ich gegen Mittag diese Behandlungsstätte venerischer Krankheiten.

    Am Nachmittag folgen die Strahlenschutzbelehrung für den Umgang mit Röntgengeräten an Bord und ein Besuch in der Apotheke. Hier erfahre ich, welche Medikamente an Bord sind, wie und vor allen Dingen wann ich Bestellungen aufgeben muss, da nur Transportschiffe sie mit rausbringen können, dass verfallene Medikamente auszusortieren sind und von mir schriftliche Einschätzungen über die Wirksamkeit bestimmter Medikamente unter Bordbedingungen erwartet werden. Die Wirtschaftsleiterin macht mich, genau wie die anderen, darauf aufmerksam, dass nicht rechtzeitig bestellte Gegenstände eventuell im Notfall nicht zur Verfügung stehen, da es zu Engpässen bei bestimmten Sachen kommen kann. Sie gibt mir auch den Tipp, die Fertigkeiten der Männer an Bord, wie z. B. den Bootsmann oder den Storekeeper u. a. für kleinere Reparaturen zu nutzen. Ich nicke eifrig, ob dieser guten Aussichten, obwohl ich keine Ahnung habe, was ein Storekeeper ist. Da ich meine Fragelust an diesem Tag für ausgeschöpft halte verzichte ich und denke, er wird sich mir schon zu erkennen geben, wenn ich erst mal mein Schiff habe.

    Die Abende sehen mich allein in meinem Zimmer. Meistens bin ich müde und erschöpft. Ein wenig Radiomusik und ein paar Seiten lesen und schon umfängt mich der Schlaf.

    Vor der Heimreise noch ein Gang in die zahnärztliche Abteilung der Poliklinik des Fisch-Kombinates Rostock. Der Chef ist ein Kenner der See und des Fischfangs. Da ich in Berlin bei Frau OA Dr. Keucher eine ausgezeichnete, wenn auch kurze Ausbildung erhalten habe, können wir uns hier auf das Besondere der unter Seebedingungen stattfindenden Zahnbehandlung beschränken. Er verspricht mir, dass wir uns auf dem Fangplatz treffen werden, denn die Zahnärzte behandeln fachmännisch vor Ort und fahren mit einer vollständigen Ausrüstung auf die Fangplätze. Das gibt Hoffnung. Nach drei Stunden verlasse ich diese Abteilung, wissend von nun an muss ich mit allen die Gesundheit der Seeleute bedrohenden Problemen fast ausschließlich allein fertig werden. Nach einem Gespräch mit dem Leiter des hafenärztlichen Dienstes fahre ich solcher Art gerüstet, begleitet von einem dichten Schneeflockenwirbel zurück nach Berlin.

    Die wenigen Tage bis zu meinem Einsatz, der am 20. März beginnen wird, vergehen mit Besorgungen, Verabschiedungen, Anfertigung von Listen, Anweisungen für den Umgang mit Kater Felix, der

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