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Seefahrt ist für lebenslänglich und andere Geschichten
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eBook626 Seiten7 Stunden

Seefahrt ist für lebenslänglich und andere Geschichten

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Über dieses E-Book

Mit seinen Hinstorff-Büchern "Meine seemännischen Fehler" (2012) und "Ich wollte zur See" (2014) traf Gerd Peters beim Publikum voll ins Schwarze. Allerdings wurde ihm bei Lesungen, in Briefen und E-Mails immer wieder die Frage gestellt, was er in seiner Laufbahn bei der Deutschen Seereederei (DSR) und danach noch erlebte. Unter anderem als Kapitän des Kreuzfahrtschiffes VÖLKERFREUNDSCHAFT schöpfte der Autor eine Fülle an Erfahrungen und Erlebnissen. In seinem neuen Buch versteht es Peters, treffend und spitzzüngig die Widersprüche des politischen und wirtschaftlichen Lebens innerhalb der DSR, die bürokratischen Hemmnisse der Militär- und Grenzkontrollapparate im In- und Ausland oder auch Alltagsgeschichten an Bord zu schildern. Immer mit dem Blick auf das Große und Ganze der Seewirtschaft der DDR. Ein fesselnder Bericht über eine besondere maritime Karriere, verankert im zeitgenössischen Hintergrund.
SpracheDeutsch
HerausgeberHinstorff Verlag
Erscheinungsdatum1. Jan. 2018
ISBN9783356021974
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    Buchvorschau

    Seefahrt ist für lebenslänglich und andere Geschichten - Gerd Peters

    Wie ich schwimmen lernte

    Schon längere Zeit hatten meine Eltern die Notwendigkeit diskutiert, dass es Zeit wäre, mir das Schwimmen beizubringen. Wenn bei viel Wind unser Boot auf der Seite lag (Seglerjargon: wir schoben Lage), dann ermahnte sie mich ständig, mich nur richtig festzuhalten. Sie hatte nämlich keine Hand für mich frei, denn sie musste die Fockschot bedienen, um sie gegebenenfalls rasch fieren zu können.

    Bei mir hatte das bittere Gefühl, als Nichtschwimmer zusehen zu müssen, wie das Mädchen Gisela mit Bubi Berwald fröhlich in die Bucht hinausschwamm und ich traurig am Ufer zurückblieb, zur Einsicht geführt, auch meine Bereitschaft zu zeigen, endlich das Schwimmen zu lernen.

    Eines Nachmittags war es dann soweit.

    Folgerichtig begann mein Vater mit mir auf einer Wiese mit Trockenübungen. Das heißt, er machte mir vor, welche Schwimmbewegungen mit Armen und Beinen auszuführen wären und ich musste im Gras liegend diese Bewegungen nachmachen. Das war nicht sehr schwierig, denn auf diese Weise kann man nicht untergehen. Anschließend versuchte er es mit mir im flachen Wasser, hielt mich dabei am Oberkörper fest und ließ mich im Wasser liegend die Schwimmbewegungen wiederholen. Die anderen Sportsfreunde sahen diesem Treiben zu und sparten nicht mit freundlichen Ratschlägen. Der Junge müsste einen Schwimmkörper zum Üben kriegen, meinten einige. Mein Vater folgte diesem Rat und holte aus unserem Boot eines der beiden mit Kork gefüllten Sitzkissen aus Segeltuch herbei, das etwa 60 cm Durchmesser hatte und an dem ringsherum eine dünne Griffleine befestigt war. Diese Kissen sollten im Ernstfall als Rettungsmittel dienen, denn sie schwammen im Wasser auf. Mein Vater ließ mich auf das Kissen legen und es stellte sich heraus, dass es mich, ruhig liegend, tatsächlich trug. Sobald ich mich aber bewegte, rutschte es unter mir hin und her, mal nach links, mal nach rechts, und ich war in Gefahr, abzurutschen und dann nur noch auf meine Schwimmkünste angewiesen zu sein. Notwendigerweise musste ich mich damit im ganz flachen Wasser aufhalten und machte daher kaum Fortschritte. „Ja, meinte Willy Lißek, unser Vorsitzender, der meine Schwimmversuche lächelnd beobachtet hatte, „das mit den Kissen ist nicht das Richtige. Wir versuchen es mal mit meinem Schwimmring. Er ging auf seinen Jollenkreuzer und kam mit dem Schlauch eines Autoreifens zurück, den er mit der Luftpumpe prall aufgeblasen hatte. „So, meinte er, „der trägt dich bestimmt, leg dich mal rauf, du wirst sehen, der hält dich sicher über Wasser. Unter allgemeiner Anteilnahme tat ich mein Bestes.

    Der Vereinsvorsitzende Willy Lißek versucht mir das Schwimmen beizubringen.

    Als mir kalt wurde, bemühten sich die Damen des Klubs, mich wieder aufzuwärmen.

    Nun lag ich tatsächlich auf dem Wasser, denn der Schwimmring trug mich hervorragend. Aber um vorwärts zu kommen, musste ich die Arme gewissermaßen nach unten ausstrecken, um Schwimmbewegungen zu machen und auch die Füße kamen nicht voll zur Wirkung. Ich fand, dass dieser Schlauch prima geeignet war, um ein bisschen herumzupaddeln oder Ulk damit zu treiben.

    Es gelang mir nämlich, auf dem Rücken treibend, mich mit den Armen zügig vorwärts zu bewegen oder im Kreise herumzudrehen. Schwimmen konnte man diese Faxen aber nicht nennen. Meine Mutter achtete überdies sorgfältig darauf, dass ich nicht zu lange im Wasser blieb. Bei den ersten Anzeichen von Gänsehaut und Falten an den Fingerkuppen setzte sie dem Schwimmunterricht ein Ende, beorderte mich an Bord zurück, steckte mich in den Bademantel, rubbelte mich ab und setzte mich in die Sonne, damit ich schnell wieder warm werden konnte. So verbrachten wir im Urlaub 1940 bei schönem Sonnenschein noch einige Tage mit Schwimmtraining.

    Zwar hatte der ganze Verein an meinem Schwimmunterricht Anteil genommen und verschiedene Methoden vorgeschlagen. Aber es kam nicht viel dabei heraus.

    Als wir aus dem Segelurlaub zurückgekehrt waren, ließ mein Vater sich etwas Neues einfallen. Unser heimatlicher Bootssteg hatte die Form eines langgestreckten „T. Auf der linken Seite lagen mit Vorleine am Steg die festgemachten Boote unseres Klubs. Am Heck lagen die Boote festgemacht mit Achterleinen an einer Dalbenreihe. Auf der anderen Seite des Stegs führte vom Ufer aus das Gleis der Slipanlage aus dem Bootsschuppen ins Wasser. Da die Wassertiefe auf der Seite ausreichend war, um auch größere Jachten zu Wasser lassen zu können, gab es Stehhöhe nur in unmittelbarer Ufernähe. Vorn, am Ende des Stegs, war eine Leiter an den hölzernen Pfählen verschraubt. Eines Nachmittags, nach der Rückkehr in den heimatlichen Klubhafen, setzte mein Vater für mich wieder eine Übungsstunde an. Als ich in Badehose auf dem Steg stand, band er mir das eine Ende der Fockschot um die Taille und meinte dann: „Also, wir machen das so: Da es im flachen Wasser mit dem Schwimmtraining nichts geworden ist, müssen wir es jetzt im tiefen Wasser versuchen. Du kletterst an der Leiter hinunter, legst dich flach aufs Wasser, ich halte dich an der Leine ganz straff fest, also untergehen kannst du nicht, dann beginnst du mit Schwimmübungen und ich führe dich vom Steg aus langsam an der Seite entlang. Angst musst du nicht haben, es kann nichts passieren, ich habe dich fest an der Leine. So geschah es dann auch. Ein bisschen unsicher wegen des nunmehr tiefen Wassers stieg ich die Leiter hinunter, vergewisserte mich, dass mein Vater die Leine ganz straff hielt und streckte mich auf der Wasseroberfläche aus. Seinen Anweisungen folgend, machte ich nun am Steg längs „schwimmend alle notwendigen Bewegungen. Langsam kam ich vorwärts, mein Vater folgte mir und führte mich an der Leine zum einen Ende des „T vorne um den Steg herum, dann wieder bis zum Hauptsteg und diesem folgend weiter Richtung Ufer. Das ging ganz gut, jedenfalls solange ich das Gefühl hatte, dass mein Vater die Leine straff hielt. Ich erwischte ihn allerdings einige Male dabei, die Leine etwas lose zu geben, damit ich regelrecht ins Schwimmen kam und nicht so daran hing. Jedes Mal, wenn ich das bemerkte, wurde ich sehr unsicher, fing an, aufgeregt zu paddeln, was mit Schwimmbewegungen nicht mehr viel zu tun hatte. Er redete dann beruhigend auf mich ein, holte die Leine wieder straff und es ging weiter. Jedenfalls bis zum nächsten Nachlassen. Nach etwa einer Viertelstunde wurde ich etwas sicherer im Wasser. Ich bemerkte nämlich, dass es mich tatsächlich trug, wenn mein Vater die Leine etwas lose ließ. Das war natürlich die entscheidende Erkenntnis. Ich protestierte nicht länger, wenn dies geschah. Natürlich bemerkte mein Vater, dass ich langsam mutiger wurde und dirigierte mich in unmittelbare Ufernähe. Dann stieg er zu mir ins Wasser, band mich los, ging mit mir zu einer Wassertiefe von etwa einem Meter und meinte dann: „So, nun versuchen wir es mal ohne Leine. Bleib in meiner Nähe und schwimm parallel zum Ufer immer langsam voraus, ich komme mit und kann dich sofort erreichen, wenn du in Schwierigkeiten kommst! Das klappte auch ganz gut, aber nach etwa zehn Metern verließ mich langsam die Kraft und ich musste mich hinstellen und anhalten. Mein Vater meinte nur, „das ist in Ordnung, ruh dich einen Augenblick aus und dann nehmen wir die Strecke zurück! Auch das klappte ganz gut. Aber als ich mich nach zehn Metern hinstellte, schmerzte mich plötzlich irgendetwas am Fuß. Ich hob ihn hoch und sah, dass er blutete. Wir bemerkten nun, dass in unmittelbarer Ufernähe allerhand zackige Steine im Wasser lagen, auch Muscheln waren vorhanden und irgendwelche Drahtstücke lagen dort. Mein Vater griff mich, trug mich ans Ufer, besah sich den Schaden und meinte nur: „Na ja, ist nur ein kleiner Kratzer, aber für heute wollen wir es genug sein lassen." An Bord kam ein Tropfen Jod aus Mutters Erste-Hilfe-Kasten auf die Wunde, anschließend ein kleines Pflaster und damit war der Schaden behoben.

    „Wenn der Bengel doch bloß mal stillstehen würde." An Bord unserer Jolle, Sommer 1937

    Das war jedenfalls der entscheidende Durchbruch. Ich hatte Zutrauen in meine eigenen Schwimmkünste gewonnen und festgestellt, dass das Wasser tatsächlich trägt. Am nächsten Wochenende, am Badestrand in der Kleinen Krampe, versuchten wir es erneut, diesmal aber ohne Sicherheitsleine. Es klappte wieder, ich wurde auch nicht schon nach wenigen Metern schlapp, sondern hielt es nun schon zehn Minuten aus.

    Am Ende des Sommers war auch meine Mutter beruhigt. „Tatsächlich, der Junge kann schwimmen, sagte sie. Aber immer, wenn ich ins Wasser ging, folgten mir ihre besorgten Blicke und die stete Ermahnung: „Schwimm nicht zu weit raus, damit Papa dich im Notfall noch erreichen kann! Ich hatte schon immer gerne gebadet und mich im Wasser aufgehalten. Der letzte Rest von Angst war nun verflogen. Ich begann das Element Wasser zu lieben.

    Das Weihnachtsgeschenk 1942

    Eines Tages, es war Anfang Oktober 1942, kam mein Vater etwa eineinhalb Stunden später von der Arbeit nach Hause als gewöhnlich. Meine Mutter schien davon zu wissen, denn sie hatte sich mit dem Abendbrot auf einen späteren Zeitpunkt eingerichtet. Das war entschieden ungewöhnlich. Als er erschien, stellte sie ihm keinerlei Fragen und als sie das Geschirr in die Küche zurücktrug, stand mein Vater auf und ging ins Schlafzimmer. Nach einer kleinen Weile folgte ich ihm neugierig. Als ich durch die angelehnte Schlafzimmertür blickte, sah ich, dass er auf den Ehebetten eine größere Zeichnung ausgebreitet hatte und diese eingehend betrachtete. Leise trat ich näher. Was ich sah, ließ mein Herz höher schlagen. Es war ein großer Schiffsmodellbauplan eines Zerstörers der Kriegsmarine im Maßstab 1:100. Das bedeutete, das fertige Modell würde 1,17 m lang sein, 11,7 cm in der größten Breite und etwa drei cm Tiefgang haben. Mein Vater bemerkte wohl meine Neugierde, vertiefte sich aber in die Einzelheiten der Zeichnung und würdigte mich keines Blickes. Offenbar wollte er nicht gestört werden, und so ging ich leise aus dem Zimmer. Am nächsten Vormittag, als er auf Arbeit und meine Mutter zum Einkaufen gegangen war, fand ich den Bauplan im Bücherschrank meines Vaters. Im Schlafzimmer konnte ich ihn eingehend betrachten. Zeichnungen dieser Art von Schiffen der Kriegsmarine wurden damals vom Verlag Robert Loef herausgegeben. Es handelte sich um einen Zerstörer der Serie 1937, also mit fünf 12,7-cm-Geschützen in Einzelaufstellung und acht Torpedorohren vom Kaliber 53,3 cm in zwei Torpedorohrsätzen zu je vier Torpedos. Als ich die wunderbare, sehr detailgetreue Zeichnung ansah, wurde mir innerlich heiß und kalt. Würde mein Vater dieses Modell für mich bauen? In mir keimte eine starke Hoffnung auf, denn es war klar, dass ein solches Vorhaben ein Vierteljahr dauern würde. Bis Weihnachten würde mein Vater es wohl gerade so schaffen, dachte ich. Hoffnungsvoll faltete ich die Zeichnung sorgfältig zusammen und legte sie in den Bücherschrank zurück. Am folgenden Wochenende begann er mit dem Modellbau in unserer Küche. Auf dem Tisch wurde ein Schraubstock montiert. Im Modellbaugeschäft Flug-Bufe, damals in Berlin eine bekannte Modellbauartikel-Handlung, hatte mein Vater sich das passende Sperrholz besorgt sowie Rundhölzer und Holzplatten, aus denen er später die Spanten herausschnitt. In den Wochen darauf arbeitete mein Vater jeden Abend etwa zwei Stunden und fast die ganzen Wochenenden hindurch. Der Zerstörer nahm langsam Form an. Er wurde sorgfältig auf Kiel und auf Spanten gebaut, die Außenhaut durch Sperrholzplatten gefertigt, die mein Vater nach einem Bad in heißem Wasser schiffsformgerecht auf die Spanten zu bringen wusste. Auf dem Küchentisch lagen Schraubzwingen und diverse Werkzeuge. Es roch nach Sägemehl, später nach Lack und anderen Farben. Von Woche zu Woche schritt der Bau voran und inzwischen machte mein Vater gar keinen Hehl mehr daraus, dass es sein Weihnachtsgeschenk für mich sein würde. Eines Nachmittags nahm er mich zu Flug-Bufe mit und nach gemeinsamer Beratung kaufte er zwei Ankerketten (die Anker hatte er schon selbst zurechtgebogen), ein Dutzend Poller, um Leinen an Deck zu belegen und ein Dutzend Blöcke, um an den Masten Flaggleinen einscheren zu können. Die Geschütze konnten von Steuerbord nach Backbord gedreht werden. Er hatte sie mit einer Schraube an Deck befestigt und so auf einfache Weise drehbar gemacht. Gleiches galt sinngemäß für die beiden Torpedorohrsätze. Die Flakbewaffnung wurde nur angedeutet, war aber nicht zum Drehen vorgesehen. In der Woche vor Weihnachten wurde das Schiff schließlich grau lackiert, die Schornsteinkappen schwarz gestrichen, Flaggleinen und Antennen aufgebracht, Signalflaggen malte mein Vater maßstabsgerecht auf dünnem Papier wie auch die Kriegsflagge am achteren Flaggenstock. Die Bullaugen in der Bordwand wollte er aus Vereinfachungsgründen in schwarz mit einem selbst geschnitzten Stempel aus einem alten Radiergummi herstellen, aber es stellte sich heraus, dass die schwarze Farbe auf dem grauen Lack verlief. So musste er mühsam Bullauge für Bullauge einzeln mit einem kleinen Pinsel auf die Bordwand malen. Laut Bauplan war zur Stabilisierung des Modells – sozusagen als Kenterschutz – der Einbau von einigen Kilo Innenballast durch Eisenstücke vorgesehen. Mein Vater zog es aber vor, das entsprechende Ballastgewicht durch eine flache Eisenschiene unten am Kiel festzuschrauben. Dadurch zeigte der Zerstörer nach dem Eintauchen den vorgeschriebenen Tiefgang, richtete sich nach Krängung immer wieder auf und blieb senkrecht stehen, wenn man das Modell auf eine gerade Tischplatte absetzte. Kurz vor Weihnachten nahm mein Vater mich mit, als er das Modell zu Bekannten brachte, um es dort mit dem Hausherrn gemeinsam in einer großen Badewanne erstmals „vom Stapel zu lassen". Er wollte herausfinden, ob es auch zeichnungsgemäß schwimmen würde. Als es nun in einer wohlgefüllten Badewanne erstmals zum Aufschwimmen kam, war mein Vater stolz auf seine Handwerksarbeit und wir alle waren von seinem Werk begeistert.

    Der Originalzerstörer in See, daneben eine Zeichnung des Modells (Quelle: Schulungsmaterial der Gesellschaft für Sport und Technik)

    Am Heiligen Abend 1942 hatte sich die ganze Familie, also beide Großelternpaare sowie Tante Ella und Onkel Paul, in unserer Wohnung wie üblich versammelt. Gegen 15 Uhr wurden die Kerzen des Weihnachtsbaumes angezündet, den wir am Abend zuvor geschmückt hatten. Dann hub ein allgemeines Kaffeetrinken an und um 15.45 Uhr wurde ich aus dem Zimmer geschickt und durfte mich im Schlafzimmer aufhalten, denn der Kaffeetisch im Wohnzimmer wurde für mich zu einem Gabentisch umgestaltet. Als einziges Kind der Familie konnte ich mich über die Geschenke nie beklagen. Aber diesmal war natürlich das Zerstörermodell das absolute Prunkstück. Als ich schließlich hereingerufen wurde, sah meine Mutter mir an, dass bei mir etwas ganz Typisches eingetreten war. Wie immer, wenn ich auf irgendwelche Dinge besonders gespannt war oder mich sehr gefreut hatte. Sie fasste an meine Stirn und stellte fest: „Mein Gott, der Junge hat vor Aufregung Fieber!" Es stimmte. Aber natürlich verflog das Fieber ganz schnell, nachdem ich mein Gedicht aufgesagt und mich bei allen Familienmitgliedern für die Weihnachtsgeschenke bedankt hatte.

    An diesem Abend saßen wir noch lange beisammen. Ich durfte ausnahmsweise länger aufbleiben. Bei Kartoffelsalat und Würstchen vergaßen wir ganz und gar, dass die 6. Armee in Stalingrad in eisigem Frost und Kälte mit dem Mut der Verzweiflung gegen die Rote Armee ankämpfte und der deutsche Vormarsch an der Ostfront zum Stehen gekommen war. Wir wussten das von Onkel Paul, der als ehemaliges Mitglied der KPD und als gelernter Motorenschlosser bei den Junkers-Flugzeugwerken in Dessau kriegsverpflichtet war. Er hatte dort gelegentlich Kontakt mit Piloten, die zum Werk Dessau kamen, um fertige Flugzeuge an die Front zu überführen.

    Mich kümmerte das wenig, war ich doch glücklich über den Zerstörer. Am ersten Weihnachtsfeiertag fotografierte mein Vater das Modell und mich, aber bei der ungenügenden Beleuchtung an einem trüben Winternachmittag wurde die Aufnahme nicht besonders scharf. Mein Vater hatte passend zum Modell auch zwei Dalbengruppen angefertigt, die man am flachen Seeufer in den Sand stecken konnte, um den Zerstörer daran festzumachen, wenn man es nicht vorzog, ihn vor Anker zu legen. Außerdem hatte er ein kleines Heft mit der Überschrift „Logbuch gestaltet, die Seiten waren mit Tusche liniert worden und es gab Spalten mit „Datum, „Uhrzeit, „Ereignis, die bei jedem Spielen mit dem Modell ausgefüllt sein sollten. Mein Vater war eben ein gründlicher Mann.

    Im Januar, kurz nach seinem Geburtstag, wurde er zur Wehrmacht eingezogen und in Spremberg in der Panzerjägerersatzabteilung 43 zum Einsatz in einer neu aufzustellenden 6. Armee ausgebildet. Als Fachmann für Kunstpressstoff-Verarbeitung wurde er Anfang Mai 1943 wieder aus der Wehrmacht entlassen und bei Telefunken reklamiert.

    Der Sommer 1943 war für uns die letzte Segelsaison mit der Segeljacht MONIKA. Im Beiboot sicher verstaut, habe ich meinen Zerstörer bei unseren Segelausflügen immer mitgeführt. Nach dem Festmachen am Ufer spielte ich im flachen Wasser ausgiebig damit und manchmal schleppte ich ihn mit meinem Dingi. Im Herbst 1943 verkaufte mein Vater die MONIKA – und das war gut so. Der neue Eigner verlegte das Boot nach Schmöckwitz und damit überstand es das Kriegsende mit all seinen Folgen. Wäre die Jacht im Schuppen unseres Klubs der Segelfreunde Grünau in Berlin-Wendenschloss geblieben, so wäre sie im Winter 1944/45 wahrscheinlich mit den anderen Booten infolge eines nächtlichen Luftangriffes ein Opfer der Flammen geworden. Leider stand hier auch mein Zerstörer; wir hatten ihn im Herbst nicht mit nach Hause genommen. Bei diesem Angriff verbrannte das schönste Weihnachtsgeschenk meiner Kindheit.

    Meine selbst gezeichnete Seekarte

    Für mich begann die Segelsaison 1951 wie immer im März mit der Überholung von Erich Wolfs nationaler 35er-Jacht. Der Skipper pflegte dann eines Tages meinen Vater anzurufen, um ihm die Nachricht an mich aufzutragen: „Wenn der Sohnemann wieder Lust hat, in diesem Sommer mit mir zu segeln, dann soll er sich am nächsten Sonnabendnachmittag bei mir im Schuppen melden. Wir beginnen mit der Unterwasserschiffsüberholung, schleifen, streichen usw." An den folgenden Wochenenden waren der Skipper, Willi Bart und ich viele Stunden im Schuppen damit beschäftigt, das ganze Unterwasserschiff zu schleifen. Wenn Erich Wolf mit der Fläche zufrieden war, brachte er einen Anstrich von erstklassiger Kupferbronze auf, die in Ostberlin jedoch nicht zu bekommen war. Wie die meisten Berliner Segler kaufte der Skipper sie in Westberlin zum Wechselkurs von 1:5 illegal ein.

    Im Schuppen war es relativ kühl; bei etwa zehn Grad fingen wir mit den Arbeiten an. Ich hatte ihm dann die Handlampe stets so zu halten, dass er beim Streichen genau sehen konnte, wie die Farbe deckt, dass keine Stellen frei blieben und der Anstrich gleichmäßig aufgetragen wurde. Danach ging es um die Außenhaut. Die schön gemaserte Mahagoni-Bordwand wurde zunächst mit feinstem Schleifpapier von uns dreien nass geschliffen. Wenn der Skipper damit zufrieden war, kommandierte er „Pause" und wir verholten uns zum Mittagessen. Nach etwa einer Stunde sammelten wir uns wieder im Schuppen, dann wurde die Fläche sorgfältig mit Terpentin gesäubert. Vor Beginn des Lackierens hatte ich zwei Eimer Wasser anzuschleppen, der Skipper und Willi feuchteten den staubigen Schuppenboden damit kräftig rings um das Boot an, spritzten den Inhalt der Eimer freigiebig in der Gegend herum, um jede Staubentwicklung zu verhindern. Dann öffnete der Skipper feierlich die erste Büchse mit Tokiol-Bootslack, die ebenfalls aus Westberlin stammte. Das hielten die meisten Segler damals so, soweit sie es sich leisten konnten. Klarlack war zwar auch in Ostberlin verfügbar, viele meinten aber, er hätte nicht die gleiche Qualität. Ich habe später für meinen Piraten Ostlack benutzt, aber keinen nennenswerten Unterschied feststellen können. Erich Wolf nahm einen sorgfältig präparierten Lackpinsel zur Hand und fing am Steven an, sein Boot zu lackieren. Wiederum hatte ich mit der Handlampe klarzustehen und diese genau so zu halten, dass er die Lackverteilung ständig unter Kontrolle hatte. Ich muss heute noch sagen, dass ein Boot nicht sorgfältiger lackiert werden konnte.

    Als Mitglied der Jugendabteilung des Segelklubs Tourensegler Grünau e.V., 1951

    Blick auf das Klubhaus der Tourensegler Grünau in Berlin Schmöckwitz. Im Vordergrund das Starthaus für Regatten

    Die Prozedur dauerte geraume Zeit und als wir fertig waren, war es draußen längst dunkel geworden. Der Skipper lud mich dann ein, mit seinem Auto mitzufahren. Er fuhr eine DKW-Limousine, deren Hinterteil aber zu einer Ladefläche umfunktioniert worden war. Ein Zwei-Takt-Motor reichte aus für Stadt und Nahbereichsfahrten. Er benutzte das Auto sowohl als Privat- als auch als Firmenwagen. Gewöhnlich setzte er mich am Bahnhof Ostkreuz ab und fuhr dann in seine in der Nähe gelegene Wohnung. Ich fuhr mit der S-Bahn bis zur Schönhauser Allee weiter.

    Im Mai und Juni segelten wir wie üblich, nahmen an Regatten teil und waren auch erfolgreich. Für den Monat Juli hatte mich der Skipper sozusagen verborgt. Der neugebildete Fachausschuss Seesegeln des Bezirkes Berlin hatte eine vierwöchige Gemeinschaftsfahrt an die Ostsee geplant. Ziel war die Teilnahme an den Seeregatten der ersten offiziell organisierten Warnemünder Woche. Hierzu hatten sich etwa 16 Ostberliner Jachten gemeldet. Es waren seetüchtige oder zumindest küstentüchtige Kieljachten, zwei Jollenkreuzer und zwei Motorboote. Der Schleppzug sollte eines Sonnabendmorgens sehr früh an der Köpenicker Brücke zusammengestellt werden. Unter den Teilnehmern unseres Vereins waren der Sportsfreund Alfred Wyschinski mit seiner Ehefrau an Bord seines nationalen 45-m²-Binnenkreuzers STÜRMER, Segel-Nr. P 11, und der nationale 30-m²-Einheitsseefahrtskreuzer TAKU des stellvertretenden Leiters des Fachausschusses, Sportsfreund Hans Roßdeutscher. Bei Letzterem war immer noch mein Freund Harry Wolter angemustert. Wegen der langen Fahrt und der zu erwartenden Erschwernisse in den Küstengewässern hatte man Wyschinski geraten, nicht nur mit seiner Frau loszufahren, sondern eine dritte Person an Bord zu nehmen; mein Skipper hatte mich vorgeschlagen. Mein Urlaub betrug drei Wochen, die Reise sollte aber vier dauern. Da es jedoch eine offiziell geplante Segelsportveranstaltung war, erwirkte der Fachausschuss bei meinem Lehrmeister eine Freistellung für eine Woche. Am Freitag vor der Abfahrt trafen sich alle Boote an den Stegen des Köpenicker Segelvereins. Abends fand eine offizielle Verabschiedung statt, mit kurzen Reden, einigen Absprachen und Informationen; anschließend wurde ein Seglerball veranstaltet. Unsere kleine Flottille setzte sich im Wesentlichen aus Ehepaaren zusammen und von den jungen Köpenicker Seglern war niemand erschienen – bis auf die zahlreichen Töchter der Vereinsmitglieder. Nur Harry und ich gehörten sozusagen in die passende Altersgruppe. So hatten wir beide eine große Auswahl an Tänzerinnen und keinerlei lästige Konkurrenz. Als es gerade am schönsten wurde, stoppte um 23 Uhr die Musik, es wurde offiziell Feierabend geboten, mit Rücksicht auf unseren frühzeitigen Start am nächsten Morgen. Schon um 5.30 Uhr sollte der Schlepper erscheinen und den Zug zusammenstellen. Also mussten Harry und ich mit unseren Skipperfamilien gemeinsam an Bord gehen und uns zur Ruhe begeben. Unsere Tänzerinnen konnten wir nicht einmal nach Hause begleiten.

    Die Zusammenstellung des Schleppzuges am nächsten Morgen war ein schwieriges Manöver. Der Schlepper hatte eine etwa 50 m lange Trosse bereitgelegt. Sie sollte als Mitteltrosse dienen und die Boote mussten jeweils an ihrer Steuer- oder Backbordseite versetzt festmachen – die größten Boote gleich hinter dem Schlepper, dann in gleicher Weise folgend die kleineren Jachten und Motorboote. Den Schluss bildeten die beiden hölzernen Jollenkreuzer. Hätte man alle Boote „im Gänsemarsch" – eines nach dem anderen – angebunden, dann hätten die vorderen Boote den ungeheuren Zug der folgenden Boote auszuhalten gehabt. Dafür sind aber nur Lastkähne konstruktiv vorgesehen. Sportboote hätten die Beanspruchung nicht überstanden. Da an Bord jedes Bootes die kurze eigene Schleppleine am Maststuhl und damit im Drehpunkt eines Bootes festgemacht wurde, blieb jeder bei der flotten Fahrt des Schleppers manövrierfähig und konnte vom jeweiligen Skipper am Ruder nach Belieben dicht an die Schleppleine herangesteuert werden oder ein etwas größerer Abstand entfernt eingenommen werden.

    In der Berliner Stadtschleuse angekommen, bemerkten wir allerdings, dass die Sache doch nicht so einfach war. Voller Freude hatten wir alle in der Schleusenkammer Platz gefunden. Infolge mangelnder Übung hatten der Schlepper und alle Skipper jedoch nicht darauf geachtet, wo die Mitteltrosse verblieben war. Als sich das vordere Schleusentor öffnete und der Schlepper langsam mit der Fahrt anging, kam die Mitteltrosse vom Grund hoch. Da der eine oder andere Skipper nicht aufgepasst hatte, befanden sich, als Zug auf die Leinen kam, plötzlich zwei Boote an der falschen Seite und brachten damit den ganzen Schleppzug in Bedrängnis. Der Schlepper musste aufstoppen, die Schleppleine sank wieder auf den Grund. Die Boote schoren zur Seite nach Backbord bzw. nach Steuerbord aus und als die Trosse ein zweites Mal steif kam, stellte sich heraus, dass sie sich ordnungsgemäß in der Mitte befand und die Boote Steuerbord und Backbord fest mit ihren Stopperstek an der Mitteltrosse vertäut waren. So konnte die Fahrt ohne weitere Probleme durch Westberlin und den Tegeler See hindurch bis zur Schleuse Lehnitz fortgesetzt werden. Zu dieser Zeit gab es wasser-seitig keine Grenzsperren zwischen Ost- und Westberlin. Und bis 1961 gab es auch einen regen gegenseitigen Bootsaustausch zu den entsprechenden Regattaveranstaltungen in der geteilten Stadt. Nach dem Passieren der Schleuse Lehnitz ging es weiter auf den Großschifffahrtsweg und am Abend machte der Schleppzug kurz vor dem Schiffshebewerk Niederfinow an der Steuerbordseite des Ufers an der Böschung fest. Nach dem Abendessen gingen wir fast alle an Land, um uns ein bisschen die Beine zu vertreten. Als die Dunkelheit hereinbrach, bemerkten wir an der steilen Kanalböschung Tausende von kleinen Lichtpunkten, die sich bei näherem Hinzutreten als Glühwürmchen entpuppten. Dieses Phänomen habe ich damals zum ersten und zum letzten Mal gesehen.

    Am nächsten Morgen um 5 Uhr weckte uns planmäßig mit kräftigem Sirenengeheul der Schlepper, dann hieß es, sich schnell frischzumachen und zu frühstücken, denn um 5.30 Uhr wurde losgeworfen und der Schlepper zog uns in die Schleusenkammer des Schiffshebewerkes. Das war ein hochinteressantes Erlebnis. Es war ein ganz eigenartiges Gefühl, sich aus der großen Höhe langsam herabsinken zu lassen. Alles geschah in unheimlicher Ruhe und Stetigkeit. Als wir, unten angekommen, voller Respekt auf die gewaltige Stahlkonstruktion über uns blickten, zog uns der Schlepper in ganz langsamer Fahrt aus dem Trog des Hebewerks heraus.

    Das Schiffshebewerk Niederfinow kann bis zu 1 000 Tonnen Last heben.

    Am Nachmittag erreichten wir den kleinen Hafen des Städtchens Garz. Es war der letzte Anlaufpunkt auf dem Territorium der DDR. Hier sollte uns beim Bürgermeister die Durchreisegenehmigung durch die Volksrepublik Polen in Form einer gemeinsamen Mannschaftsliste mit entsprechendem Visum erwarten. Leider war nichts vorhanden, sodass die Weiterfahrt zwangsweise unterbrochen werden musste. Am folgenden Morgen wurde deshalb unser Delegationsleiter, Sportsfreund Kurt Rohr, nach Berlin zurückgeschickt, um entsprechende Erkundigungen einzuholen. Am nächsten Tag kehrte er zurück und berichtete, er hätte jetzt zwar alle notwendigen Papiere und wir könnten weiterfahren, aber er habe kämpfen müssen bis hoch zum Büro Walter Ulbrichts. Der Sportverband hatte es nicht geschafft, die Sache richtig zu organisieren. Wir erfuhren später, dass sogar ein Telefongespräch zwischen Walter Ulbricht und dem polnischen Ministerpräsidenten erforderlich gewesen war, um die entsprechende Genehmigung zu erhalten.

    Am nächsten Tag fuhr der Schleppzug weiter, passierte die Grenze und erreichte auf seinem Weg flussabwärts den polnischen Teil der Oder. In der Nähe der Ortschaft Gryfino, vormals Greifenhagen, kamen polnische Grenzsoldaten mit Motorbooten an unseren langsam fahrenden Schleppzug heran, stiegen über und kontrollierten die Ausweise. Da sie bisher nur mit der Berufsschifffahrt zu tun gehabt hatten, trugen sie – wie immer – ihre derben Lederstiefel, worüber die Skipper nicht sehr glücklich waren. Die Skipperfrauen legten schnellstens einen Lappen an Deck, um das Ärgste zu verhindern, was wiederum die Soldaten nicht heiter stimmte. So wurden die Kontrollen in sehr kühler Atmosphäre durchgeführt. Wir alle waren froh, als die Prozedur ihr Ende fand und wir die Reise in normaler Marschgeschwindigkeit fortsetzen konnten. Interessant war die Fahrt durch das frühere Stettin. Natürlich zeigte die Stadt damals noch erhebliche Kriegsschäden. Dann zeigte unser Kurs weiter hinaus auf das Oderhaff, schließlich passierten wir erneut die deutsch-polnische Grenze ohne weitere Schwierigkeiten und erreichten am Abend den kleinen Hafen an der gesprengten Eisenbahnbrücke von Karnin. Hier wurden wir erneut von unseren Grenzpolizisten in Empfang genommen.

    Nun begannen die Vorbereitungen für das allgemeine Aufrichten der Masten, denn von Berlin bis hierher mussten wegen der Brücken und Schleusen alle Masten gelegt bleiben. Für zwei Segler bedeutete das ein ganz spezielles Manöver. Das Boot von Hans Roßdeutscher war nämlich ein Originalbau der Jachtwerft Karl Vertens in der Nähe von Schleswig, Baujahr 1937. Es hatte einen Steckmast, der mithilfe eines Mastkrans in die dazu vorgesehene Öffnung an Deck hineingesteckt und langsam heruntergelassen wurde, bis der Boden des Mastes kurz über dem Kiel der Jacht in eine vorgesehene Halterung glitt. Sie besaß keinen Maststuhl, um den Mast an Deck aufzustellen, wie es bei der Mehrzahl der Boote im Binnenland üblich war. Nun hatten die beiden Skipper, Alfred Wyschinski und Hans Roßdeutscher, schon in Berlin vereinbart, dass der Steckmast für die TAKU mithilfe einer speziellen Gaffelkonstruktion aufgerichtet werden sollte. Diese hatte Roßdeutscher in seiner Tischlerei nach einer Skizze anfertigen lassen. Der 45er STÜRMER von Alfred besaß eine sogenannte Gaffeltakelage, also einen relativ kurzen Mast, an welchem mithilfe einer Gaffel das Großsegel gesetzt werden konnte. Diese war aber zu schwach, um damit den Mast der TAKU zu bewegen. Also wurde mithilfe des Klau- und des Piekfalls die etwas kräftige hölzerne Gaffel von Hans Roßdeutscher am Mast der STÜRMER hochgezogen und die Leinen sorgfältig belegt. Dann wurde er von KARO 19 von der oberen Saling beigefangen und langsam an der Gaffel hochgezogen, so lange, bis er gewissermaßen frei hing. Das bedeutete für den Mast der STÜRMER eine starke Belastung, und wir sahen bei dem Manöver, dass er sich erheblich bog. Zum Glück war es ein Vorkriegsmast, solide gearbeitet, der das Gewicht aushielt. Dann wurde die Gaffel mit dem Steckmast vorsichtig so herumgeschwenkt, dass der untere Teil genau über dem Loch an Deck der TAKU hing. Jetzt galt es, die Halteleine langsam und vorsichtig wegzufieren. Zwei andere Sportsfreunde waren unten in der Vorluke klar. Als der Mast weiter und weiter nach unten glitt, packten sie dessen unteren Teil und sorgten dafür, dass er ordnungsgemäß in die Halterung auf dem Kiel einrastete. Hans Roßdeutscher musste nur noch die Wanten, das Vor- und das Achterstag mit den dazu vorgesehenen Spannschrauben ordentlich festsetzen, den Großbaum am Mast anbringen und war damit segelklar. Aber das ganze Manöver dauerte etwa zwei Stunden und wurde von allen Mitgliedern des Geschwaders mit Spannung verfolgt. Verständlich, dass nach der überstandenen Aufregung die Beteiligten von Hans Roßdeutscher einige kräftige Schnäpse eingeschenkt bekamen.

    Am nächsten Morgen warfen wir los und der Verband segelte nach Stralsund. Beim Passieren des Seepolizei-Stützpunktes Wolgast, damals Arsenal genannt, sah ich erstmals einige Minenräumboote am Kai liegen. Sie stammten aus der Kriegsmarine. Wie ich später erfuhr, hatten sie zur Baltischen Flotte gehört und waren der jungen Seepolizei für die Ausbildung des Nachwuchses übergeben worden. In der Peenewerft entdeckte ich beim Vorbeifahren halbfertige Küstenschutzboote (sogenannte KS-Boote) und andere grau angestrichene Rümpfe, deren Bedeutung mir damals noch nicht ganz klar war. Und wieder dachte ich: ‚Im nächsten Jahr bist du 18 und dann kannst du auch zur Seepolizei gehen.‘ Diese Überlegungen beschäftigten mich noch abends in meiner Koje.

    Schließlich erreichten wir Stralsund, wo wir einen Hafentag einlegten. Danach sollte es nach Warnemünde weitergehen, um an der ersten Ostseewoche teilzunehmen. Aber wegen des schlechten Wetters wurde daraus nichts. Der Wind wehte einige Tage sehr steif aus Südwest und wir hätten mit unseren Binnenbooten draußen auf See spätestens ab Darßer Ort sehr anstrengend gegen Wind und Seegang bis Warnemünde aufkreuzen müssen. Das ist bei Windstärke 6 bis 7 für Boote und Besatzungen aus dem Binnenland ein sehr ungewohntes und nicht ungefährliches Vorhaben. Da die Windstärke und Windrichtung sich auch in den Folgetagen nicht änderte, wurde dieser Teil der Reiseplanung aufgegeben.

    Die Stralsunder Segler verstanden unser Bedauern und – kameradschaftlich wie sie waren – organisierten sie auf die Schnelle eine gemeinschaftliche Wochenend-Regatta auf dem Strelasund. In diesem relativ geschützten Gewässer herrschte nur Windstärke 5 und der Seegang entsprach dem eines größeren Binnensees. Das bedeutete, alle Boote konnten gerade noch Vollzeug fahren, mussten also nicht die Segelfläche reffen bzw. anderweitig verkleinern. So ließen sich an diesem Wochenende mehrere Wettfahrten absolvieren. Das Ergebnis war für die Berliner Flottille sehr erfolgreich: In den meisten Bootsklassen belegten unsere Fahrzeuge die ersten Plätze und wir, die Besatzung der STÜRMER und unser Skipper Alfred Wyschinski, wurden außerdem noch „schnellstes Boot der Wettfahrt". Für Alfred war das keine Überraschung, denn auch in den heimatlichen Berliner Gewässern erwies sich P11 immer als ein sehr schnelles Schiff. Besonders, wenn es längere Strecken raumschots zu segeln gab (also wenn der Wind schräg von achtern kommt), dann wirkte sich das große Gaffelsegel als sehr günstig aus.

    Am folgenden Montag steckten die Skipper die Köpfe zusammen und entschieden, nicht nach Warnemünde zu segeln. Stattdessen hieß es: „Heute geht’s für alle einzeln nach Kloster auf der Insel Hiddensee. Inzwischen wusste ich, dass mein Skipper Alfred keinerlei Seekarten an Bord hatte. Aber Hans Roßdeutscher besaß aus der Vorkriegszeit noch die sogenannten alten deutschen Admiralitätskarten, darunter auch eine vom Seegebiet Rügen West, in welcher auch das Gewässer zwischen Rügen und Hiddensee enthalten war. Alfred meinte zu mir: „Nimm dir ein Blatt Papier und Bleistift und geh mal rüber zur TAKU! Hans Roßdeutscher wird dir seine Seekarte geben und dann zeichnest du den für uns wichtigsten Teil zwischen Stralsund und Hiddensee ab! Kannst du das? Ich spürte leisen Zweifel. „Ja, das kann ich, entgegnete ich. Mein Vater besaß zu Hause in seinem Bücherschrank auch eine ganze Reihe von Seekarten aus der Vorkriegszeit, weil er immer von Stettin über das Haff nach Swinemünde segeln wollte, was aber während des Krieges nicht möglich gewesen war. Ich hatte mir die Karten oft angesehen und wusste, worauf es ankam. „Na gut, hieß es dann, „dann mal zu! Alfred hatte noch nie eine Seekarte in der Hand gehabt und außerdem trug er eine sehr starke Brille. Deswegen hatte er, wie ich wusste, auch die Auflage, nur sein eigenes Boot segeln zu dürfen, was auch auf seinem Segelschein vermerkt war. Also stieg ich rüber auf das Nachbarboot, Hans Roßdeutscher gab mir die Karte, räumte den Kajütentisch frei und so konnte ich in aller Ruhe eine sorgfältige Skizze anfertigen. Das Wichtigste war natürlich der Verlauf des Fahrwassers, insbesondere die Tonnen mit ihren Nummern mussten ordentlich eingetragen werden. Außerhalb des Tonnenstreifens war die Wassertiefe einzutragen, denn die Boote hatten immerhin 1,20 m Tiefgang, einige sogar 1,30 m. Die Skipper mussten folglich genau wissen, wo sie aus dem Fahrwasser herauslaufen konnten und wo nicht. Nach etwa einer Stunde hatte ich meine Seekarten-Skizze fertig, kam zurück und zeigte sie meinem Skipper. „Na gut, meinte der, „dann musst du jetzt die Navigation übernehmen und mir unterwegs ansagen, wo wir uns befinden und zu welcher Tonne wir weiterfahren müssen."

    So geschah es auch, aber wir legten als letztes Boot unserer Flottille ab, da Frau Wyschinski noch an Land Provianteinkäufe machen musste. Als wir in Stralsund von der Nordmole ablegten und mit halbem Wind und schöner rauschender Fahrt den Sund nach Norden abliefen, sahen wir die Segel unserer Freunde nur noch ganz klein am Horizont. Bei dem herrschenden Wind lief die STÜRMER gut, obgleich nur Großsegel und die kleine Fock gesetzt waren. Tonne für Tonne wurde abgesegelt, ich hatte einen Bleistiftstummel in der Hosentasche und jedes dieser Seezeichen, an dem wir vorbeigekommen waren, wurde mit einem kleinen Querstrich versehen, sodass ich immer genau wusste, welches als nächstes an der Reihe war und meinen Skipper entsprechend einweisen konnte. Das lief auch alles ganz gut. Außerdem waren wir nicht allein. Gelegentlich kam uns ein kleines Fischereifahrzeug entgegen oder der von Hiddensee nach Stralsund verkehrende Ausflugsdampfer der Weißen Flotte. Der Wind wehte lebhaft, die Sonne schien, das Boot rauschte mit uns auf nahezu nördlichem Kurs an den Tonnen vorbei und die Crew war guter Dinge. An Backbord passierten wir Neuendorf, dann wurde das Fahrwasser sehr eng und wir glitten zwischen der Fährinsel an Backbord und dem Stolper Haken an Steuerbord in dem schmalen Fahrwasser mit halbem Wind weiter auf unserem Kurs. Aber nun kam der kritische Augenblick. Das Fahrwasser gabelte sich. Etwa mit nordnordwestlichem Kurs ging es weiter nach Kloster, aber fast auf Ostkurs nach Steuerbord abbiegend, verlief das Fahrwasser nach Wiek auf Rügen oder nordwärts in den Libben. Also wies ich meinen Skipper beizeiten darauf hin, dass an dieser Fahrwasserteilung der Kurs Richtung Nordnordwest mit Kurs nach Kloster eingeschlagen werden musste. „Das glaube ich nicht, sagte er, „hier an Steuerbord ist es doch viel breiter! – „Ja, antwortete ich, „aber das führt nicht nach Kloster, das führt praktisch raus in den Libben.

    Ich zeigte ihm meine Karte und es entstand ein regelrechter Disput. Ich konnte sagen, was ich wollte, er glaubte mir nicht, sondern ließ das Schiff mit Steuerbordkurs in das falsche Fahrwasser hineinlaufen. Er meinte, an der Backbordseite im Hintergrund sei das Ufer so niedrig, da könne unmöglich Kloster liegen. Ich konnte nur beteuern, dass meine Karte richtig abgezeichnet sei und die Tonnen unzweifelhaft stimmen würden. Aber ich musste die Erfahrung machen, wenn ein älterer Mensch selbst unsicher ist, dann traut er natürlich auch einem 17-Jährigen nicht so recht über den Weg. So blieb er starrsinnig bei seiner Meinung. Wir liefen weiter Richtung Buger Haken, dann ging er auf nördlichem Kurs das nächste Fahrwasser weiter und so liefen wir immer noch mit rauschender Fahrt und halbem Wind in die sich öffnende Bucht Libben hinein und waren im Begriff, in die offene See hineinzusteuern. Wir bemerkten das daran, dass sich der Tonnenabstand vergrößerte und auch der Wellengang erheblich zunahm. Das Land war nach Steuerbord und Backbord zurückgewichen, voraus nun der klare Horizont der offenen See zu sehen. Ich versuchte, den Skipper von der Umkehr zu überzeugen. Frau Wyschinski, die nun allmählich auch etwas ängstlich geworden war, riet ihrem Mann: „Alfred, hier müssen wir falsch sein, tu mir den Gefallen und dreh um! Einige Minuten hielt er noch seinen Kurs durch, merkte aber, dass die Ansteuerungstonne Libben schon in Sicht kam. So ging er dann mit flatternden Segeln durch den Wind und legte das Boot auf den Gegenkurs wieder zurück in das Fahrwasser des Vitter Boddens. Als wir nach einer Weile am Neubessiner Haken vorbeigefahren waren und in der Ferne den winzigen Hafen von Kloster erkennen konnten, bemerkten wir, dass Hans Roßdeutscher im Begriff war, mit dem Motor und ohne Segel aus dem Hafen Kloster auszulaufen. Offenbar hatte man dort unsere falsche Wahl des Fahrwassers bemerkt und er wollte uns in einem gewissen Gefühl der Verantwortlichkeit für Alfred Wyschinski zurückholen. So war es auch. Er kam uns mit flotter Fahrt entgegen, glücklicherweise gerade in dem Augenblick, als wir den Buger Haken passiert hatten und mit Westkurs in dem sehr engen Fahrwasser fürchterlich mit kurzen Schlägen hätten aufkreuzen müssen. Das blieb uns nun erspart. Hans Roßdeutscher lief mit großer Fahrt an uns vorbei und rief uns zu: „Nehmt die Segel runter und macht eine Schleppleine klar! Ich legte sie klar und als unser Boot nahezu gestoppt im Fahrwasser dümpelte, kam Roßdeutscher mit langsamer Fahrt in Luv vorbei; mit einem lässigen Schlenker warf ich ihm die Trosse hinüber. Er konnte sie festmachen, fuhr mit ganz langsamer Fahrt weiter. Im Schlepp der TAKU liefen wir nach einer knappen halben Stunde in den ruhigen kleinen Hafen von Kloster auf Hiddensee ein. Nach dem Festmachen gab es eine rege Unterhaltung zwischen Hans Roßdeutscher und unserer Crew. Er machte mir Vorwürfe, meinen Skipper falsch beraten zu haben. Ich erklärte ihm, dass ich verzweifelt versucht hätte, Alfred von der richtigen Route zu überzeugen, dass mir das aber nicht gelungen sei. Zu meinem Glück entschloss sich Frau Wyschinski, meine Aussage zu bestätigen, indem sie sagte: „Was Gerd sagt, ist richtig. Er hat wirklich ein paar Mal

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