Herzlich wie Handkäs: Unglaubliches über die Hessen
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Über dieses E-Book
"Da wo der Hesse heute lebt, da war er schon immer zu Hause." Um genau zu sein, verharrt er bereits seit dem Jahr 15. n. Chr. in seinem ureigenen Mikrokosmos zwischen Rheingau und Rhön und lässt die Dinge mit einem Kissen unter dem Ellenbogen, aus dem Fenster schauend auf sich zukommen. Nur selten, wenn es zugeht wie bei Hemmbels unnerm Sofa, kann er auch anders. Dann verfällt er – von heftigem Zorn gepackt, mit roten Blitzen auf der Netzhaut – in einen Gemütszustand, den Einheimische und Kenner gern als "hessischen Furor" bezeichnen. Allerdings gibt es zwischen Ebbelwoi, Riwwekuche, hartnäckiger Beharrlichkeit und gaschdischem Gehabe noch viel mehr zu entdecken, was Christoph Jenisch in seinem neuen Buch "Herzlich wie Handkäs. Unglaubliches über die Hessen" eindrucksvoll unter Beweis stellt. Mit viel Liebe zum Detail und einem wachen Auge liefert der Autor tiefe, bisher noch nicht dagewesene Einblicke in das "Phänomen Hesse". Dabei schlägt er einen gekonnten Bogen von den ursprünglichsten Wurzeln über die Hessenschau, Familie Hesselbach, Leibgerichte, Religion und das liebe Geld.
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Buchvorschau
Herzlich wie Handkäs - Christoph Jenisch
Christoph Jenisch
Herzlich wie
Handkäs
Unglaubliches über die Hessen
Alle Rechte vorbehalten • Societäts-Verlag
© 2012 Frankfurter Societäts-Medien GmbH
Satz: Nicole Ehrlich, Societäts-Verlag
Umschlaggestaltung: Nicole Ehrlich, Societäts-Verlag
Covermotiv: fotolia © photocrew
eBook: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
ISBN 978-3-95542-001-7
Wieder für Dirk
Inhaltsverzeichnis
Elvis und die Hessen
Der Hesse und die Völkerwanderung
Hessisches Kulturgut (1): Hessen am Meer
Der Hesse und Amerika
Der Hesse und der Toast Hawaii
Hessisches Kulturgut (2): Rissolen
Der Hesse und das Unterseeboot
Die Hessin und das Abenteuer
Der Hesse und das Kamel
Hessisches Kulturgut (3): Schuppen
Der Hesse und der Humor
Die Hessen und die Wahrheit über Rotkäppchen
Der Hesse und der Onkel Schah
Hessisches Kulturgut (4): Höflichkeit
Der Hesse und sein Monster
Hessisches Kulturgut (5): Der Hesse, das Amtsgericht und die Musik
Der Hesse und der Spieler
Der Hesse und der Liebe Gott
Der Hesse und die Schweden
Der Hesse und die Chemie
Der Hesse und der Große Gestank
Der Hesse und die Eisenbahn
Dank
Ausgewählte Literatur
Bildnachweis
Der Autor
Un wär’ sch e Engel un Sonnekalb,
e Fremder is immer von außerhalb!
Friedrich Stoltze
Elvis und die Hessen
A
ls Elvis Presley vom 1. Oktober 1958 bis zum 2. März 1960 in der Wetterau seinen Militärdienst ableistete, war eigentlich alles wie sonst: Kreischende Mädchen, für die das Tragen von Hosen und Lippenstift Ausdruck eines irgendwie rebellischen Verhaltens war; Jungs, die voller Stolz zeigten, dass sie die gleiche Frisur trugen wie der King of Rock’n’Roll (na ja, jedenfalls die Frisur, die er getragen hätte, wenn er nicht gerade beim Armeefriseur gewesen wäre); und Zeitungen, die hyperventilierend, aber minutiös über einen „heulenden Derwisch"¹) und seinen angeblich verderblichen Einfluss auf Sitten und Moral der Jugend berichteten. Also alles wie zu Hause. Außerdem hatte Elvis ja auch seinen Vater Vernon, seine Großmutter Minnie Mae und seinen Teddybären mit nach Deutschland gebracht sowie zwei rabaukenhafte Leibwächter mit den großartigen Namen Red West und Lamar Fike. Er verdiente nach wie vor jeden Monat 100.000 Dollar, neben denen sich sein Sold von knapp 100 Dollar geradezu putzig ausnahm. Und wie zu Hause ernährte er sich von Eiern, Steaks und Mais sowie Toastbrot mit Erdnussbutter und zerdrückten Bananen. (Wiener Schnitzel konnte er zwar bestellen, verwechselte es aber manchmal mit der anderen deutschen Vokabel, die er beherrschte: „Auf Wiedersehen", was bisweilen für Verwirrung sorgte.)
1) Wetterauer Zeitung vom 2. Oktober 1958.
Und trotzdem war etwas anders. Die Herzlichkeit, die ihm hier in Hessen entgegenschlug, war ungewohnt streng und barsch, so dass man sie fast für Grobheit, Neugier, Rücksichtslosigkeit oder gar Unverschämtheit hätte halten können. Als er, der King of Rock’n’Roll, in der Poststelle der Kaserne ein privates Telefongespräch führen wollte, gesellte sich nicht nur mit der größten Selbstverständlichkeit eine immense Anzahl Einheimischer dazu, die gewillt schienen, sich kein Wort entgehen zu lassen, nein, der hessische Postbeamte, der das Gespräch vermittelt hatte, bestand auch energisch darauf, dass die Gebühr von 12 Dollar ordnungsgemäß beglichen wurde. Wo käme man denn sonst hin? Auch die Nachbarin, durch deren Garten sich Elvis schleichen wollte, um der vor seinem Haus wartenden Menge zu entgehen, ließ sich von Namen und Ruhm des Eindringlings nicht beeindrucken und verwies ihn mit den Worten, ihr sei wurscht, wer er sei, er habe hier jedenfalls nichts verloren, von ihrem Grundstück.
Seine Unterkunft hatte Elvis zu diesem Zeitpunkt schon zweimal wechseln müssen: Im Bad Nauheimer Parkhotel hatte man ihm schon nach wenigen Tagen den Auszug nahegelegt und auch im Hotel Grunewald erwies sich die Geduld des Besitzers mit den Gepflogenheiten des Presley-Clans als sehr begrenzt.
An herzlichen Zurechtweisungen für Elvis mangelte es jedenfalls nicht – von der harschen Reaktion der entsetzten Wirtin, die nach einer Autogrammstunde in ihrer Wirtschaft hundert Unterschriften des Kings auf ihrer besten Tischdecke vorfand bis zu dem Handwerker, der – just als er mit der Reparatur der Heizung im Presleyschen Hause beginnen sollte – einen Korb mit Fanpost entdeckte, den er sich in aller Selbstverständlichkeit zu Gemüte führte, und entsprechend unwillig reagierte, als man dies unterbinden und ihn zur Arbeit anhalten wollte.²)
2) Alle Erlebnisse aus: Heinrich Burk, Elvis in der Wetterau: Der „King" in Deutschland 1958 bis 1960, Frankfurt am Main 1995.
Und was meinten die Hessen, wenn sie sagten „Ach geh doch fodd, als er ein Wiener Schnitzel bestellen wollte? Hatte er wieder „Auf Wiedersehen
gesagt?
Irritierend muss auch die Art gewesen sein, wie die Einheimischen miteinander umgingen: Wenn beispielsweise einer mit dem Rad dort fuhr, wo er nicht durfte (zum Beispiel in der Mitte der Straße), und ein Auto stand ihm dort im Weg, dann wurde selbstverständlich der Autofahrer als „Aldä Simbl, „Blöd Dreggsau
und Ähnliches beschimpft, was dieser natürlich entsprechend herzlich erwiderte. Nach Austausch solcher Niedlichkeiten fuhren dann beide seelenfroh ihrer Wege, mit einem Ausdruck im Gesicht, als hätten sie gerade ein zufriedenstellendes Tagwerk erledigt. Und wenn einer zum Beispiel aus Friedberg kam (dem Standort von Elvis‘ Kaserne) und der andere aus Bad Nauheim (wo Elvis wohnte), dann bedurfte es noch nicht einmal eines solchen Anlasses für gegenseitiges Misstrauen und herzliche Beschimpfungen.
Wir wissen nicht, was Elvis tatsächlich von den Hessen, ihren Umgangsformen und Mahlzeiten hielt, aber als er nach 17 Monaten in die USA zurückkehrte, war er ein anderer: nicht mehr der Lederjacken-Halbstarke mit Gangster-Image, sondern der All-American Boy, der zukünftige Hollywoodstar, der nun seinerseits die Beatles für den grassierenden „moralischen Verfall" verantwortlich machte. In Elvis-Fan-Kreisen streitet man darüber, ob dieser Imagewechsel bei der U.S. Army von seinem Manager, dem angeblichen Colonel Tom Parker³), geplant war. Wenn ja, dann hat es funktioniert.
3) „Colonel" Tom Parker hieß eigentlich Andreas Cornelius van Kuijk und hatte sein Geld unter anderem als Veranstalter von Shows mit tanzenden Hühnern verdient, bevor er Elvis unter Vertrag nahm. Wenn man jemanden für Elvis‘ Auftritte in drittklassigen Filmchen wie Blue Hawaii oder Fun in Acapulco verantwortlich machen kann, dann ihn.
Der King ist nun lange weg, aber in Hessen streitet man immer noch darüber, ob er nun lieber in Friedberg oder in Bad Nauheim war. Ein Elvis-Presley-Denkmal gibt es jedenfalls in beiden Orten.
Wer hätte ferner, ganz abgesehen von der
Gefährlichkeit eines unwirtlichen und unbekannten
Meeres, Asien, Afrika oder Italien verlassen sollen –
um nach Germanien zu ziehen, in das wüste Land mit
rauem Himmel, abschreckend für den Anbau und den
Anblick, – außer wenn man es zum Vaterland hat?
Tacitus, Germania
Der Hesse und die Völkerwanderung
G
ibt es den Hessen überhaupt? Oder hat beispielsweise der Nordhesse mit dem Odenwälder so wenig zu tun wie der Bayer mit dem Friesen? Oder der Sachse mit dem Schwaben? Der Frankfurter mit dem Offenbacher?
Der Verdacht liegt nahe, zumal die Hessen allem Anschein nach über Jahrhunderte hinweg außerstande waren, in einem Staatsgebilde zusammenzuleben. Selbst ihr Bundesland ist eine Gründung der amerikanischen Besatzer nach dem Zweiten Weltkrieg, und seine Bewohner mussten erst durch vertrauensbildende und identitätsstiftende Maßnahmen („Der blaue Bock, „Familie Hesselbach
, „Hessenschau") dazu gebracht werden, sich als Hessen zu fühlen, statt als Darmstädter, Frankfurter, Waldecker oder Homburger – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Doch die lange Zeit der Trennung wirkt noch immer nach, voller Misstrauen und Unverständnis schaut der zwangsvereinigte Hesse in die jeweils anderen Landesteile, als würde man dort in dicken Brocken Salz auf den Streuselkuchen geben oder gar Limonade in den Apfelwein kippen.
Dabei darf das gegenseitige Misstrauen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Nord-, Süd-, Ost- und Mittelhessen sich ähnlicher sind als man glaubt und als sie selbst jemals zugeben würden. Das beginnt bereits beim gegenseitigen Misstrauen, das nicht etwa auf die Bewohner anderer Landesteile beschränkt ist, sondern bereits im nächsten Dorf anfangen kann, oder beim Nachbarn. Letztendlich ist es allein er selbst, dem der Hesse voll vertraut, und auch da ist er sich nicht ganz sicher. Gerade das scheinbar Trennende ist also faktisch die Gemeinsamkeit, auch wenn der Hesse das nie zugeben würde.
Tatsächlich war auch die Teilung Hessens in Hessen-Kassel, Hessen-Darmstadt, Hessen-Nassau und eine Reihe weiterer Staatsgebilde nur eine Sache weniger Jahrhunderte. Gemessen an der Hartnäckigkeit, die ebenfalls allen Hessen zueigen ist, kann diese also vernachlässigt werden, wie ein Blick in die Geschichte der Hessen zeigt.
Denn da, wo der Hesse heute lebt, da war er schon immer zu Hause. Schon seit dem Jahr 15 n. Chr. siedelte in den Tälern von Eder, Lahn und Fulda der germanische Volksstamm der Chatten, die allgemein als die Vorfahren der Hessen bezeichnet werden. Auch der Name Hessen leitet sich von den Chatten ab: Aus Chatti wurde Hatti und Hazzi, bereits im