Station Eismitte: Alfred Wegeners letzte Grönlandexpedition
Von Fritz Westphal
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Über dieses E-Book
Von seiner vierten und letzten Expedition, auf der das Schicksal dieses großen Forschers sich zur tragischen Vollendung rundete, erzählt das vorliegende Buch.
Fritz Westphal
Fritz Westpahl war als Schriftsteller, Verlagslektor, Journalist, Übersetzer aus dem Schwedischen und Verfasser von Jugendbüchern tätig.
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Buchvorschau
Station Eismitte - Fritz Westphal
Beim vorliegenden Band handelt es sich um eine nahezu wortgetreue Neuedition der Originalausgabe, die 1952 im Enßlin & Laiblin Verlag, Reutlingen, erschienen ist.
Inhalt
Wanderndes Eis
Im Lande der Mitternachtssonne
Sermersuak, das große Eis
Kampf um Eismitte
Die Stationen arbeiten weiter
Grönland und die Grönländer
Zeittafel
Quellennachweis
Nachwort
WANDERNDES EIS
Das Bordbuch nennt den 14. April 1912.
Von Liverpool kommend, durchpflügt mit höchster Geschwindigkeit der 40.000 Tonnen große Luxusdampfer der White-Star-Line, die »Titanic«, auf seiner Jungfernfahrt den Atlantik in Höhe der Neufundlandbänke. Es ist abends acht Uhr. Die See ist ruhig. Dichter Nebel liegt über dem Wasser.
Nur mit großer Mühe ist es Bruce Ismay, dem Direktor der englischen Reederei, gelungen, den besorgten Kapitän von seiner Kommandobrücke in den Speisesaal herunterzurufen.
»Was sagen Sie? Der Nebel? Fahrtgeschwindigkeit verringern? … Ausgeschlossen! Völlig ausgeschlossen! Wir werden den Rekord brechen. Die Titanic wird das schnellste Schiff der Welt! … Eis? – Sie sagen Eis?? – Mein Gott, dem weicht man eben aus … Klar? … Also, Kapitän: die Passagiere warten! … Nein, bei diesem Festessen dürfen Sie nicht fehlen … Befehl? … Jawohl, ausdrücklicher Befehl …!«
Die Offiziere auf der Brücke beißen die Zähne zusammen. Immer dichter wird der Nebel, legt sich schwer um das Schiff, geistert zitternd im Schein der Deckslampen. Das Thermometer sinkt. »Ein gottverfluchter Unsinn, diese Rekordraserei!« Vergeblich strengt der Ausguck im Krähennest des Fockmastes seine Augen an. Nichts ist zu sehen als graue, langsam ziehende Nebelschwaden.
Da plötzlich – was ist das? Ein dumpfer Stoß schüttert durch das ganze Schiff, danach ein furchtbares Knirschen und Krachen, Sägen und Splittern, das unheimliche Rauschen und Gurgeln einbrechenden Wassers. Und fast gleichzeitig neigt sich das große Schiff auf die Seite.
Alarmsignale gellen. Mannschaften und Passagiere stürzen an Deck, schreiend, zum Teil nur halb bekleidet. In Sekundenschnelle sinkt das Schiff tiefer und tiefer nach Steuerbord. Der Eisberg hat diese Seite fast in drei Vierteln ihrer gesamten Länge aufgerissen.
Schotten und Pumpen versagen. Unaufhörlich tickt der Morsetelegraf in den Äther hinaus. SOS – EISBERG – SOS – SOS …
Als am nächsten Morgen die »Carpathia« und ein deutscher Prachtdampfer an die Unglücksstelle kommen, ist es viel zu spät. Von den 4000 Passagieren der »Titanic« sind mehr als 2800 ertrunken. In weniger als einer Stunde nach dem Zusammenstoß mit dem schon stark abgeschmolzenen Eisberg ist der Ozeanriese, dem nicht nur der Ruf des schnellsten, sondern auch der des sichersten Schiffes vorauseilte, im Atlantik untergegangen …
Woher aber kommen die unheimlichen Berge aus Eis, die im Frühjahr und in den Sommermonaten zu Hunderten und Tausenden, eingehüllt in Nebelfelder, so weit in den Atlantik hinaustreiben und die Schiffahrt gefährden?
Entdeckt haben schon die Wikinger das große, seltsame Land im nördlichen Eismeer, das die Eisberge gebiert. Sie gaben ihm auch den Namen »Grönland«. Aber was sie von ihren schnellen Schiffen aus so zauberhaft grün und blau in der Mittagssonne leuchten sahen, das waren nicht Weiden und Ackerland, sondern schimmernde, gleißende Wände aus Eis.
Grönland hat eine Fläche von 2,1 Millionen Quadratkilometern. 84 Prozent davon sind mit einem Eispanzer bedeckt, der in Küstennähe etwa fünf- bis siebenhundert Meter, in der Mitte dieses Landes sogar dreitausend Meter dick ist.
Von den sehr hohen Randgebirgen Grönlands an der Küste, die durch unzählig viele Buchten und Fjorde zerrissen ist, wird das gewaltige Inlandeis eingeschlossen. Aber diese weißen Massen liegen nicht fest, sie sind nicht starr, sondern schwerflüssig wie Honig oder Teer. Von der Hochfläche fließen die Gletscher wie weißglänzende Ströme in die Täler und Fjorde hinab. So wandert zum Beispiel der Rink-Gletscher an der Westküste täglich etwa zwanzig Meter. Weiter und weiter schiebt sich die fast sechzig Meter hohe Eiskante in das Wasser vor.
Dabei bekommt das Eis gewaltigen Auftrieb. Plötzlich bilden sich unter ungeheurem Getöse tiefe Spalten und Risse. Wasserfontänen spritzen bis zu zweihundertfünfzig Metern Höhe empor. Und ganz langsam brechen knirschend und krachend mächtige Eisklötze aus der Gletscherfront heraus: Der Gletscher kalbt.
Man hat ausgerechnet, daß bei einem einzigen Kalben eines großen Grönlandgletschers eine größere Masse Eis auf einmal in den Fjord gestürzt wird, als die Häuser einer Großstadt, z. B. Hamburg, zusammen ergeben.
Solche Kalbungen geschehen in Abständen von wenigen Tagen. Und dann ist das ganze Becken eines Fjords im Augenblick angefüllt mit großen und kleinen Eisbrocken. Haushohe Kalbungswellen schlagen mit Donnergetöse gegen die Felswände. Schaukelnd und schwankend, sich überund untereinander wälzend, schiebt sich das neue Eisfeld ins freie Meer hinaus, wenn nicht gerade eine kilometerbreite Meereisdecke, die der winterliche Nordwestwind von Amerika herübergebracht hat, den Ausgang versperrt. Dann nämlich frieren die jungen Eisberge im Fjord fest und können erst im kommenden Frühjahr, sobald die Bucht frei ist, ihre große Wanderung in den Atlantik antreten. Die Frühjahrs- und Sommermonate sind daher besonders gefährlich für die Schiffahrt.
Unheimlich ruhig gleiten die Fürsten des Polarmeeres in die See hinaus. Sie sind vierzig bis hundert Meter hoch. Und das ist nur ein Achtel ihrer tatsächlichen Größe; sieben- bis achtmal so tief greifen die Berge in das Wasser hinein. Wehe dem Boot, das nicht in gehöriger Entfernung bleibt; unsichtbar ist der Fuß des Eisberges, der sich in weitem Umkreis, manchmal in geringer Tiefe unterhalb der Oberfläche ausbreitet, und oft ist ein Fahrzeug schon dicht heran, obwohl es doch so aussieht, als