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Der malaiische Giftpfeil
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eBook259 Seiten3 Stunden

Der malaiische Giftpfeil

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Über dieses E-Book

In London bricht ein Mann auf offener Straße tot zusammen ... die Untersuchung ergibt, dass ihn ein Giftpfeil getötet hat. Die Kriminalpolizei ist über das sonderbare Mordwerkzeug überrascht. Bald verdichtet sich die Suche nach dem Motiv – der Tote hinterlässt ein größeres Vermögen ... der Kreis der Verdächtigen ist nicht groß: war es einer der Verwandten, die von dem Erbe profitieren oder gar der Vermögensverwalter, dessen Sohn sich als Künstler versucht? Auch der direkte Nachbar des Tatortes, der aus Java stammt, erscheint dem Inspektor verdächtig ... der Vermögensverwalter lädt die Erben übers Wochenende auf seinen Landsitz ein ... wird der Mörder hier entlarvt?
SpracheDeutsch
HerausgeberHeimdall
Erscheinungsdatum15. Juni 2017
ISBN9783946537038
Der malaiische Giftpfeil
Autor

Karl Vivian

Pseudonym von Karl Siegfried Döhring

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    Buchvorschau

    Der malaiische Giftpfeil - Karl Vivian

    Impressum

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

    Deutschen Nationalbibliografie;

    detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

    http://dnb.ddb.de abrufbar.

    Hergestellt in Deutschland • 1. Auflage 2017

    © Heimdall Verlag, Devesfeldstr. 85, 48431 Rheine,

    www.heimdall-verlag.de

    © Alle Rechte beim Verlag

    Satz und Produktion: www.lettero.de

    Gestaltung: © Matthias Branscheidt, 48431 Rheine

    ISBN: 978-3-946537-03-8

    Titel der Originalausgabe: Waffen aus Insulinde

    Weitere Krimis der 20er, 30er und 40er Jahre

    als E-Book, Print- und Hörbuch unter:

    www.heimdall-verlag.de

    www.meinaudiobuch.de

    Über das Buch

    In London bricht ein Mann auf offener Straße tot zusammen … die Untersuchung ergibt, dass ihn ein Giftpfeil getötet hat. Die Kriminalpolizei ist über das sonderbare Mordwerkzeug überrascht. Bald verdichtet sich die Suche nach dem Motiv – der Tote hinterlässt ein größeres Vermögen … der Kreis der Verdächtigen ist nicht groß: war es einer der Verwandten, die von dem Erbe profitieren oder gar der Vermögensverwalter, dessen Sohn sich als Künstler versucht? Auch der direkte Nachbar des Tatortes, der aus Java stammt, erscheint dem Inspektor verdächtig … der Vermögensverwalter lädt die Erben übers Wochenende auf seinen Landsitz ein … wird der Mörder hier entlarvt?

    1

    »Die Zeiten sind nicht mehr so, wie sie früher waren. Nein, heutzutage ist es viel schlechter geworden.«

    Der dreiundsechzigjährige Herbert Wells sagte das brummig und missvergnügt zu sich selbst, und er brütete lange Zeit über seinen weisen und philosophischen Ausspruch nach.

    Seine trüben Ansichten hatten sich bewahrheitet, als er um drei Uhr nachmittags an einem sonnigen Mittwoch im schönen Monat Mai zwei Herren zu dem großen Kricketplatz hinausfuhr. Sie hatten so gut zu Mittag gegessen und so viel Wein getrunken, dass es für sie gar keinen Zweck hatte, ein Kricket-Turnier zu besuchen. Und nach der langen Fahrt hatten sie ihm einen Viertelschilling Trinkgeld gegeben. Wohl hatte er ihnen Vorhaltungen gemacht, aber darum hatten sie sich nicht im mindesten gekümmert.

    Früher war es doch ganz anders gewesen. Er erinnerte sich noch an das erste Bootsrennen zwischen Oxford und Cambridge kurz nach Beendigung des Weltkriegs. Damals war ein begeisterter Zuschauer auf das Dach des Autos gestiegen und natürlich durchgebrochen. Aber der nette Herr hatte Wells nicht nur die vollen Reparaturkosten bezahlt sondern ihm obendrein noch fünf Pfund gegeben, um ihn für die Zeit zu entschädigen, in der er seinen Wagen nicht benutzen konnte. Ja, dass waren noch Zeiten gewesen. Damals hatten die Leute noch ein Stück Geld in der Hand. Aber heute!

    Herbert Wells schaltete den ersten Gang ein, um langsam die leicht ansteigende Hauptstraße zwischen Maida Vale und Camden Town hinaufzufahren. In Arcadia Crescent, einer vornehmen, ruhigen Seitenstraße, hoffte er wieder einen Fahrgast zu finden, wenn er nicht schneller als fünf Meilen die Stunde fuhr und scharf nach Fußgängern Ausschau hielt, die ein Taxi suchten. Bei der Kreuzung der Straße musste er halten, um einen großen Autobus vorbeifahren zu lassen. Als ihm der Verkehrsschutzmann dann freie Fahrt gab, bog Wells nach Arcadia Crescent ab.

    Er hatte den Viertelschilling Trinkgeld noch nicht verwunden und grübelte in düsteren Gedanken über Leute nach, die zu einem Kricket-Turnier fuhren und dabei so betrunken waren, dass sie nicht einmal die Zähluhr richtig ablesen konnten. Aber das hielt ihn nicht ab, von seinem strategischen Sitz am Steuer aus die Straße auf alle Verdienstmöglichkeiten hin zu prüfen. Langsam fuhr er Arcadia Crescent entlang, bis er zur nächsten Straße kam. Dort war, wie er wusste, etwa hundert Meter entfernt ein Taxistand. Er war unschlüssig, ob er sich mit seinem Wagen dort anstellen oder vorbeifahren sollte, und schließlich drehte er und fuhr zurück. Irgend jemand musste doch in Arcadia Crescent auftauchen, der ein Taxi brauchte, dachte er. Aber seine Hoffnung sollte sich nicht erfüllen, bis er wieder zu der Stelle kam, an der der Verkehrsschutzmann stand. Nun entdeckte er einen Herrn in mittleren Jahren, der gerade aus der Tür des Eckhauses auf der entgegen gesetzten Seite heraustrat. Der Mann blieb einen Augenblick vor der Tür stehen, und Herbert Wells beobachtete ihn scharf, denn der Fremde sah gerade so aus, als ob er nach einem Taxi Ausschau hielte. Gleich darauf wandte sich der Herr nach Süden, in die Richtung, aus der der Wagen kam. Er ging ziemlich schnell und schaute dabei von einer Seite zur anderen.

    »Sicher braucht er ein Taxi«, sagte sich Herbert, und seine Hoffnung stieg. Leute wie dieser Herr pflegten im allgemeinen gute Trinkgelder zu geben.

    Der Herr war ungefähr noch dreißig Meter von dem Wagen entfernt, nachdem er etwa fünfzehn Meter auf der Straße zurückgelegt hatte. Aber plötzlich blieb er am Rand des Gehsteigs stehen, als ob er einen Schlag erhalten hätte. Er wandte sich so um, dass er zur Straße sah, während Herbert weiter auf ihn zufuhr. Aber dann stürzte er auf die Fahrbahn nieder und fiel aufs Gesicht. Nur seine Füße lagen noch auf den Gehsteig.

    Herbert trat sofort die Bremse, brachte den Wagen zum Stehen und stieg aus. Er eilte zu dem Mann und kniete neben ihm nieder. Ein Junge mit einem Lieferdreirad hielt ebenfalls an und wollte sehen, was passiert war. Auch zwei ältere Damen kamen von der Straßenkreuzung auf die Stelle zu und blieben in einiger Entfernung stehen.

    »Um Himmels willen!«, sagte die eine.

    »Fürchterlich!«, meinte die andere, nicht besonders geistreich.

    »Was fehlt Ihnen?«, fragte Herbert bestürzt.

    Da er keine Antwort erhielt, packte er den Fremden mit beiden Armen, zog ihn auf den Gehsteig zurück und legte ihn auf den Rücken. Aber als er den starren Blick und das herabhängende Kinn sah, erschrak er heftig, steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus, durch den er die Aufmerksamkeit des Verkehrsschutzmanns auf sich lenkte. Dann eilte er zu seinem Wagen, um ein Sitzkissen zu holen und es dem Mann unter den Kopf zu schieben. Als er zurück kam, war der Polizist von der Ecke schon herbeigekommen und neben dem Mann niedergekniet. Es standen auch schon mehrere Leute um die Gruppe. Der Botenjunge mit dem Lieferdreirad, die beiden älteren Damen, ein Plakatankleber mit Kleistertopf und Pinsel, zwei Rad­ und ein Motorfahrer und noch etwa zehn Fußgänger. Die Menge wuchs rasch an, und ein zweiter Polizist, der inzwischen erschienen war, sagte: »Weitergehen! Weitergehen!«, weil er das so gewohnt war. Aber niemand hörte auf ihn, alle blieben stehen.

    »Jerry, du bleibst hier, während ich zur nächsten Telefon­zelle an der Ecke gehe«, sagte der erste Schutzmann, als er sich aufrichtete.

    »Aber was soll denn aus der Verkehrsregelung werden ?«, fragte Jerry.

    »Meinetwegen kann der Verkehr stocken … dieser Mann ist tot. Platz machen!«, befahl er barsch und bahnte sich einen Weg durch die anwachsende Menge der Zuschauer. Dann eilte er zu der Telefonzelle an der Straßenecke, und währenddessen drängte sich Herbert Wells mühsam wieder vor, um dem Fremden das Kissen unter den Kopf zu legen.

    Jerry sah ihn an. »Was wollen Sie denn? Etwa hier auf der Straße kampieren?«, fragte er ironisch.

    »Ich habe gesehen, wie er hinfiel«, erklärte der Chauffeur. »Ich habe ihn aufgehoben und auf den Gehsteig getragen. Und ich wollte ihm das Kissen unter den Kopf legen.«

    »Was, Sie haben gesehen, wie er umfiel?«, fragte der Beamte interessiert. »Dann bleiben Sie einmal hier, ich werde mir gleich Ihren Namen und Ihre Adresse notieren. Versuchen Sie ja nicht, sich aus dem Staub zu machen, bis Sie alle Fragen beantwortet haben … vielleicht brauchen wir auch Ihren Wagen. Das Kissen ist nicht mehr nötig … der Mann ist tot!«

    Er beugte sich über den Toten, zog ein zusammengefaltetes Taschentuch heraus und schwang es heftig, so dass es sich entfaltete. Er wollte es gerade dem Toten über das Gesicht legen, als plötzlich etwas seine Aufmerksamkeit erregte. Rasch kniete er wieder neben dem Mann nieder und zog mit Zeigefinger und Daumen unter dem rechten Unterkiefer einen Luftgewehrpfeil heraus, der tief ins Fleisch eingedrungen war. Dann bedeckte er das Gesicht mit dem Tuch. Er hielt den kleinen Pfeil so, dass Herbert Wells ihn auch sehen konnte, und betrachtete ihn genauer. Das Geschoß hatte eine dunkelbraune Farbe und eine schwarze Spitze.

    »Das ist ein Pfeil für ein Blasrohr!«, rief der Wells erstaunt.

    »Ja, nach einem solchen Ding werden wir wohl recht bald Umschau halten«, erklärte Jerry. »Sagen Sie mir jetzt bitte Ihren Namen und Ihre Adresse.« Er legte den Pfeil sorgfältig zwischen die letzten Seiten seines Notizbuches, feuchtete den Bleistift an und notierte alle Einzelheiten über die Person von Herbert Wells. Er war gerade damit fertig, als sein Kollege von der Straßenecke zurückkehrte.

    »Weitergehen … weitergehen! Keine Verkehrsstockung verursachen! Nicht stehenbleiben!«

    Der Polizist drang wieder bis zur Mitte der Menschenmenge vor. »Der Krankenwagen ist auf dem Weg hierher – ich werde einen anderen Polizisten schicken, sobald ich einen sehe. Kannst du solange hierbleiben?«

    »Selbstverständlich. Geh nur auf deinen Posten zurück. Also, Mr. Wells, wissen Sie etwas über diesen Mann? Ich meine, woher er kam, oder sonst etwas, das uns helfen könnte, den Fall aufzuklären?«

    In der Feme ertönte bereits das Hupsignal des Krankenwagens.

    2

    Es war klar, dass Inspektor Campton in dem Haus Bescheid wusste, denn er ging sofort mit schnellen Schritten auf den Fahrstuhl zu und sagte zu dem Fahrstuhlführer: »Dritter Stock.« Und als der Lift anhielt, wandte er sich, ohne zu fragen, nach links zu der Tür, an der mit vergoldeten Buchstaben stand: »Sir Arthur Endliss, Spezialist für chemische Analysen.« Ohne weitere Umschweife trat er ein.

    Die junge Dame, die an der Schreibmaschine saß, sah auf und erhob sich lächelnd.

    »Guten Morgen, Inspektor«, sagte sie liebenswürdig.

    »Guten Morgen, Miss Bourne. Draußen ist es schon so heiß wie im Sommer«, meinte er, dann zeigte er mit dem Kopf auf die Tür mit der Glasfüllung, die dem Eingang gegenüberlag. »Wissen Sie vielleicht, ob er die Untersuchung schon für uns gemacht hat? Ich meine in der Sache Colvin.«

    »Das kann ich nicht sagen. Soll ich ihn fragen, oder wollen Sie selbst zu ihm hineingehen?«

    »Wenn Sie ihm mitteilen würden, dass ich hier bin …«, schlug er vor und sah sie mit seinen dunklen, seelenvollen Augen an. Es war nun einmal sein Geschick, dass er wie ein lyrischer Dichter aussah, der erst noch berühmt werden wollte, und nicht wie ein Polizeibeamter. Da er aber tüchtig war, nutzte er alle Vorteile aus, auch seine seelenvollen Augen.

    Dione Bourne ging durch die Glastür zu dem inneren Büro und schloss sie wieder. Aber gleich darauf kam sie zurück. Das große, schlanke Mädchen mit den ernsten, grauen Augen und dem golden schimmernden, braunen Haar gefiel Campton. Sie war schön und anziehend, und sie verstand es außerdem, sich vorteilhaft zu kleiden, was er an Frauen besonders schätzte.

    »Kommen Sie herein, Inspektor«, sagte sie freundlich.

    Er trat in das innere Büro, dessen Fenster zur Regent Street führten. An der Frontseite lief ein langer Tisch entlang, auf dem viele chemische Apparate standen. Die andere Hälfte des Zimmers war mit einem Teppich bespannt, und dort stand auch ein großer Schreibtisch. Einige ledergepolsterte Stühle gaben dem Raum das Aussehen eines Büros, und am Schreibtisch saß in einem drehbaren Armsessel Sir Arthur Endliss, ein Mann von mittleren Jahren, mit scharfen, aber freundlichen Augen.

    »Sie kommen zu früh, mein lieber Inspektor«, sagte er statt jeder anderen Begrüßung. »Ich habe meiner Sekretärin den Bericht noch nicht diktiert.«

    »Dann haben Sie ihn also schon fertig gestellt und die Untersuchung durchgeführt?«

    Endliss nickte und zeigte mit einer einladenden Handbewegung auf den Sessel, der am Ende des Schreibtisches stand. »Wenn Sie es nicht zu eilig haben, dann nehmen Sie doch Platz. Der Fall scheint sehr interessant, aber die Lösung ziemlich einfach zu sein. Ich weiß nicht recht …«

    Der Inspektor setzte sich und legte den weichen Filzhut auf den Boden neben dem Sessel. »Wieso sollte die Lösung ziemlich einfach sein?«, fragte er und warf Sir Arthur einen melancholischen Blick zu.

    »Die Pose ist wieder einmal unbezahlbar«, erwiderte Endliss belustigt. »Damit haben Sie schon genug Leute hinters Licht geführt. Sagen Sie, warum sind Sie eigentlich nicht zur Theologie gegangen und Pfarrer geworden. Ich wüsste auch noch einen anderen guten Beruf für Sie: Sie könnten wunderbar das Vertrauen der Menschen benutzen, um Schwindelgesellschaften zu gründen. Die Aktien würden Sie loswerden wie warmen Semmeln.«

    »Dazu fühle ich mich nicht berufen, weder in der einen noch in der anderen Richtung«, erklärte Campton würdevoll und ernst. »Aber um auf den Fall zurückzukommen – wodurch starb Ernest Colvin?

    »Ein vergifteter Pfeil traf ihn seitlich in den Hals. Er wurde mit einem Blasrohr abgeschossen«, entgegnete Endliss wohlgefällig.

    »Das ist keine Neuigkeit für uns«, erwiderte der Inspektor ebenso selbstbewusst. »Aber womit war denn der Pfeil vergiftet? Das hoffte ich von Ihnen zu erfahren, als ich mir die Mühe machte und mit dem Fahrstuhl zu Ihren Höhen herauf kam.«

    »Da der Pfeil ordentlich eingeweicht wurde, bevor ihn jemand abschoss, kann ich Ihnen diese Frage sehr genau beantworten. Es handelt sich um ein ostindisches Gift, das Lakiti genannt wird. Es ist nahe verwandt mit den Curare- und den Wurali-Giften.«

    »Der Pfeil könnte aber auch aus einem Luftgewehr abgeschossen worden sein«, bemerkte Campton.

    »Ausgeschlossen ist das nicht, aber unwahrscheinlich. Dazu hätte ein besonders gebautes Luftgewehr gehört, das ein viel größeres Kaliber hätte als die gewöhnlichen derartigen Waffen. Wenn man sich ein solches Luftgewehr anfertigen ließe, würde man die Aufmerksamkeit zu sehr auf sich lenken.«

    »Gut, dann war es also ein Blasrohr.«

    »Möglich. Aber ebenso gut konnte man auch ein langes Gasrohr oder eine hohle Gardinenstange benutzen. Ich habe ein paar Experimente mit dem Pfeil gemacht, nachdem ich das Gift bestimmt hatte.«

    »So? Versuche haben Sie gemacht?«, Campton beugte sich interessiert vor.

    »Ich habe ein Stück von einem Gasrohr abgeschnitten, in das der Pfeil genau passte. Die Röhre war etwas über sechzig Zentimeter lang. Ich probte auf eine Entfernung von fünfzig Metern, wobei der Pfeil immerhin noch drei bis vier Millimeter in ein Brett eindrang. Auf größere Entfernung habe ich nicht geschossen. Bis auf vierzig Meter konnte ich eine Scheibe von fünfzehn Zentimeter Durchmesser gut treffen. Hätte ich also auf Colvins Hals gezielt, so hätte ich ihn aller Wahrscheinlichkeit nach auch getroffen.«

    »Und wenn es das erste Mal nicht geglückt wäre, hätten Sie eben einen zweiten Pfeil genommen und es noch einmal versucht, vorausgesetzt, dass Sie noch einen vorrätig hatten.«

    »Jedenfalls hat dieser Pfeil sein Ziel nicht verfehlt.«

    Der Inspektor überlegte einige Zeit und schwieg. »Welche Wirkung hat denn eigentlich dieses Lakiti?«, fragte er schließlich.

    »Wenn es die Haut ritzt, verursacht es nach spätestens dreißig Sekunden vollständige Lähmung; nach weiteren dreißig Sekunden tritt der Tod ein. Wenn man es einnimmt, vermindert sich die Wirkung an Stärke und Schnelligkeit um ein Drittel, aber darüber brauchen wir uns ja nicht weiter den Kopf zu zerbrechen. Die Eingeborenen auf dem Malaiischen Archipel bereiten das Gift und benutzen es bei der Jagd auf Großwild. Allem Anschein nach wird das Fleisch der Jagdbeute dadurch nicht ungenießbar. Wenn der Pfeil auch nur die Haut ritzt, tötet er unfehlbar. Soviel mir bekannt ist, wurde dieses Gift zuerst von den Dajak zubereitet, sonst ist es unbekannt. Deshalb sagte ich auch, dass Sie dieses Verbrechen wahrscheinlich leicht aufklären können.«

    »Sie meinen, jemand, der in Beziehung zu Ostasien steht und Grund hatte, Ernest Colvin umzubringen, müsste der Täter sein?«, überlegte Campton. »Hm … ja. Das wäre allerdings wunderschön und einfach. Ein Mann, der mit Ostasien Fühlung hat und das Gift Lakiti kennt, schafft damit alle Männer und Frauen, die ihm nicht passen, aus der Welt, und zufällig trifft er dabei auch Mr. Ernest Colvin. Der war nämlich nicht der einzige, der zu der Zeit in Arcadia Crescent über die Straße ging.«

    »Ich habe Ihnen ja bereits gesagt, dass ich eine Scheibe von fünfzehn Zentimeter Durchmesser auf eine Entfernung von vierzig Meter sicher treffen kann, wenn ich eine Gasröhre von sechzig Zentimeter Länge nehme.«

    »Aber vielleicht war der Mann, der diesen Pfeil abschoss, kein solcher Spezialist mit dem Blasrohr wie Sie. Vielleicht brauchte der eine Scheibe von anderthalb Meter im Durchmesser, um auf vierzig Meter noch einen Treffer zu erzielen.«

    »Ich nehme an, dass er ziemlich gut mit einem Blasrohr umzugehen verstand, nachdem er sich entschloss, den Mann auf diese Weise ums Leben zu bringen.«

    »Annahmen sind immer gefährlich, Sir Arthur. Ich nahm früher einmal an, dass ein gewisser Peter Ashton ein gewisses junges Mädchen vergiftet hätte, und ich war sogar so überzeugt davon, dass ich ihn wegen Mordes verhaftete. Seit der Zeit bin ich vorsichtig geworden und suche vor allem meine Annahmen zu beweisen.«

    »Nun ja, Sie können auch daraufhin niemand verhaften«, erwiderte Endliss tröstend. »Aber Lakiti ist doch sehr selten, und nur wenig Leute wissen damit umzugehen. Dadurch wird der Kreis der Verdächtigen doch ziemlich klein, und die Aufklärung des Falles vereinfacht sich.«

    Campton lächelte, was er selten tat. »Ich werde Ihnen später sagen, wie es war, wenn wir den Fall erledigt haben. Ich bin Ihnen auch nicht böse, wenn Sie mich manchmal zum besten halten. Solch ein Scherz tut ja nicht weh. Also, wenn ich Sie recht verstanden habe, führt Lakiti nach dreißig Sekunden vollständige Lähmung herbei?«

    »Ja, unweigerlich. Ich habe bisher meine Versuche noch nicht auf Menschen ausgedehnt, um das zu beweisen, aber vielleicht beschaffen Sie mir einen großen Hund vom Hundefänger in Battersea …«

    »Wir könnten uns auch eine Kuh von einem Bauern leihen«, erwiderte Campton und erhob sich. »Also, Sir Arthur, es war sehr liebenswürdig von Ihnen, mir das alles schon mündlich zu sagen. Ich sehe Sie natürlich später bei der Verhandlung der Totenschau.«

    Endliss lächelte. »Ich glaube nicht, dass Sie es so lange aushalten. Sie kommen bestimmt schon eher wieder, denn Sie müssen immer jemand haben, dem Sie alle Ihre Theorien anvertrauen können, und dazu bin ich das geeignete Objekt.«

    »Das dürfen Sie nicht sagen. Sie haben uns schon sehr viel genützt«, sagte der Inspektor herzlich. »Sobald sich etwas Besonderes ereignet, teile ich es Ihnen mit, auch schon vor der nächsten Verhandlung.«

    »Also, viel Erfolg für Ihre Nachforschungen. Ach, Sie suchen Ihren Hut? Der liegt auf dem Boden neben Ihrem Stuhl. Bitte, sagen Sie doch Miss Bourne, dass sie zu mir kommen möchte.«

    Eine Minute, nachdem der Inspektor gegangen war, trat die junge Frau ein. Endliss hatte die Hände in die Taschen gesteckt, stand am Fenster und schaute auf das bunte Treiben in der Regent Street hinunter. Er wandte sich nicht um, als sie näherkam und wartend stehenblieb.

    »Ab und zu bringt uns Inspektor Campton wirklich interessante Dinge zur Untersuchung. Holen Sie einmal das Notizbuch, das auf meinem Schreibtisch liegt. Ich möchte ein paar Minuten lang nicht diktieren; der Bericht in der Sache Colvin kann noch eine Weile warten. Campton hat schon das Wichtigste erfahren.«

    »Bitte«, sagte sie und legte das Notizbuch auf den Tisch.

    »Ich finde es immer interessant, wenn ich hier aus dem Fenster sehen kann«, fuhr er fort. »Dabei bekommt man neue Gedanken und Ideen. Das bilde ich mir wenigstens ein. In einer Beziehung bin ich ähnlich veranlagt wie Campton, denn ich brauche auch immer jemand, dem ich meine Ideen an den Kopf werfen kann. Haben Sie augenblicklich viel zu tun?«

    »Nein.«

    »Schön, dann bleiben Sie bei mir,

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