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D9E - Die neunte Expansion: Hinter feindlichen Linien
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D9E - Die neunte Expansion: Hinter feindlichen Linien
eBook338 Seiten4 Stunden

D9E - Die neunte Expansion: Hinter feindlichen Linien

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Über dieses E-Book

Manuel, Nola und Guardes sind nach Kermadec zurückgekehrt, wo sie die Ruhe und Abgeschiedenheit genießen. Eines Tages steht unvermittelt Anna Seljakowa in der Tür.
Die Den-Haag-Stiftung hat sie wieder aufgespürt!
Sie werden zwangsverpflichtet und zur Flotte einberufen. Anna kann erreichen, dass sie zusammenbleiben und ein kleines Kampfschiff zugeteilt bekommen. Dann erhalten sie den Marschbefehl und werden zu einem Vorposten beordert, der in der Nähe der derzeitigen Hauptkampflinie ausharrt und dringend um Verstärkung gebeten hat.
Guardes übernimmt routiniert die Passage durch den Mengerraum. Als sie jedoch vor Ort eintreffen, scheint die Basis nicht mehr zu existieren. Ist die Flotte der Hondh schon darüber hinweggefegt oder kam es zu einer kosmischen Katastrophe?
Viel Zeit, sich ein Bild von der Lage zu machen, bleibt den Freunden nicht, denn ihre eigene Flugbahn wird instabil, und sie drohen über dem verwüsteten Planeten abzustürzen.
SpracheDeutsch
HerausgeberWurdack Verlag
Erscheinungsdatum15. März 2017
ISBN9783955560669
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    Buchvorschau

    D9E - Die neunte Expansion - Matthias Falke

    Argona-Universum

    Erster Teil: Marschbefehl

    Kapitel 1

    Nola entwickelte eine Leidenschaft für Pilze.

    Die Wälder auf Kermadec waren voll davon. Stundenlang konnte sie im Unterholz herumstreifen und ihren Korb füllen, den sie sich im ersten Sommer ihres Aufenthaltes selbst geflochten hatte.

    Manuel ließ sie gewähren. Er döste so lange auf einer der kleinen Lichtungen, die immer wieder in die Wälder eingelassen waren, träumte vor sich hin, genoss die Schwere in seinen Gliedern und bemühte sich, so wenig wie möglich nachzudenken.

    Schon gar nicht über Politik.

    Irgendwann am späten Nachmittag, als die Schatten länger wurden, weil der kurze Sommer dieser Welt sich schon wieder dem Ende zuneigte, packten sie ihre Decke und ihre Picknick-Utensilien, Nola klemmte sich den reich gefüllten Korb am Henkel unter den linken Arm, und sie machten sich auf den Rückweg. Manuel ging voran. Er stützte sich auf einen Knotenstock, den er aus einem heimischen Gehölz geschnitzt hatte. Wacholder, Brombeeren und endemische Pflanzen rauschten um ihre Knöchel. Sie mussten einige Waldstücke durchqueren, in denen es schon beinahe finster war. Dann kamen sie auf den großen, schanzenförmigen Hang hinaus, an dessen unterem Ende das Haus stand. Aus dieser Perspektive schien es direkt über dem kreisrunden Spiegel des Schattensees zu schweben, der tief unten in seiner Karsenke lag. Er trug seinen Namen zu Recht, denn das nicht übermäßig starke Licht des Zentralsterns dieser Welt erreichte ihn nur um die Mittagsstunde weniger Tage des kurzen Nordsommers. Den langen Rest des Kermadec-Jahres ruhte er still in blaugrünem Dämmer.

    Er war ein beliebtes Ausflugsziel, auch bei Manuel und Nola. Das verdankte er den heißen Quellen, die überall von seinem Grund aufsprudelten. Es gab kleine Badebuchten, wo man sich in den warmen Schlick legen und tüchtig durchbacken lassen konnte. Das war angeblich gut gegen alle möglichen Krankheiten, und wenn sie antizyklisch vorgingen und warteten, bis die Wellnesstouristen wieder weggefahren waren, hatten sie den ganzen Bereich für sich. Man konnte herrlich versaute Sachen machen, wenn man ungestört war ...

    Im Licht der tiefstehenden Sonne trotteten sie den langen grasbestandenen Hang hinunter. Alles war wie immer. Auch Guardes stand schon auf der Terrasse des Blockhauses und wartete auf sie. Als sie näher kamen und die Gesichtszüge des ehemaligen Navigators erkennen konnten, ahnten sie, dass etwas nicht stimmte. Der einstige Pilot für den Überlichtflug im Mengerraum steckte noch immer in dem Cyborg-Körper – Modell Igor –, den sie ihm auf Ceres gekauft hatten. Ein grobes Gesicht, eine bullige Statur. Ein Fremder hätte das Fürchten bekommen, und so war es von den Entwicklern, die »Igor« einst designt hatten, vermutlich auch gedacht. Nola und Manuel wussten, dass man Guardes nicht zu fürchten brauchte. Er war eine Seele von einem Mann und ein treuer Freund, der hier mit ihnen in völliger Abgeschiedenheit lebte.

    Als sie nahe genug herangekommen waren, um ihn zu verstehen, hob er den Kopf.

    »Das wird euch jetzt nicht gefallen.«

    Nola und Manuel wechselten einen Blick. Sie beschleunigten ihre Schritte. Es war ihnen durchaus bewusst, dass sie in unruhigen Zeiten lebten. Deshalb ignorierten sie sie ja geflissentlich. Sie lebten konsequent offline. Keine Komgeräte, kein Televisor, keine Ausflüge in die sogenannte Zivilisation. Guardes war der einzige, der hin und wieder nach Brankenstein fuhr, in das nächstgelegene Städtchen. Es gab dort nicht viel. Ein paar Seniorenheime, einen Golfclub, einige Dutzend Blockhäuser wie das ihre – für Aussteiger, die sich dann doch nicht trauten, den letzten Schritt zu tun –, und Verbindungsmöglichkeiten zum Rest der Galaxie. Das war ihnen schon zu viel. Von der Galaxie hatten sie das eine oder andere gesehen. Es hatte ihnen nicht gefallen. Warum die Galaxie unsicher machen, wenn man zusammen im heißen Schlamm baden konnte?

    »Ist etwas passiert?« Nola ließ sich von Guardes den Korb abnehmen. Er ignorierte die Ausbeute, in die er sonst voll genießerischer Vorfreude die Nase zu stecken pflegte. Bei Manuel schrillten sämtliche Alarmanlagen.

    Sie klopften die Stiefel ab, indem sie einige Male gegen die Begrenzungssteine der Terrasse traten, und zogen sie dann aus. Auf Socken gingen sie über die Terrasse, deren Natursteinplatten kühl waren.

    »Was ist los?«, fragte Manuel.

    »Kommt erst mal rein«, brummte Guardes. Der große Korb, den Nola im weglosen Gelände kaum schleppen konnte, sah in seiner Pranke merkwürdig zerbrechlich aus.

    »Mann«, stöhnte Manuel. »Jetzt mach’s doch nicht so spannend!«

    Guardes war der Einzige, der Kontakt zur Außenwelt hatte. Ab und zu wählte er sich auch heimlich ins planetare Netz von Kermadec ein. Er verfügte über zahlreiche Applikationen. Teilweise waren sie direkt in seinem Igor-Körper verdrahtet, teilweise steckten sie in der würfelförmigen Box, die er seit seiner Wiedergeburt mit sich herumschleppte. Er hatte selbst als Download in diesem tragbaren Kubus gesteckt, bis sie einen neuen Körper für ihn aufgetrieben hatten. Heute beherbergte der massive Quantenspeicher auf Exoniumbasis unter anderem noch Fragmente der Bord-KI der havarierten Scardanelli, Persönlichkeitssplitter des Bordprogrammierers Nastow sowie diverse andere kybernetische Souvenirs ihrer gemeinsamen Odyssee.

    Er rief hinter ihrem Rücken die Nachrichtenfeeds ab, als hätten sie es ihm verboten. Dabei war es Manuel und Nola vollkommen egal, solange er sie nicht damit behelligte. In letzter Zeit konnte aber selbst ihnen nicht entgehen, dass er stets mit sorgenzerfurchter Miene von diesen kleinen privaten Sitzungen zurückkam.

    Guardes nickte ihnen ungeduldig und hinhaltend zu. Er würde hier draußen nichts sagen, hieß das, deshalb sollten sie sich beeilen, ins Haus zu kommen. Hatte er Angst, dass sie ausgespäht wurden? Hier?

    Manuel sah sich unwillkürlich um, während Nola vor ihm durch die Terrassentür ins Wohnzimmer schlüpfte. Sein Blick fiel auf den Scooter, der im Schatten des Hauses stand. Von weiter oben hatten sie ihn nicht sehen können.

    »Scheiße!«

    Es war ein flugfähiges Modell, das einige tausend Meter hoch aufsteigen und mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit fliegen konnte. Da wurde ein Kontinent plötzlich recht klein. Selbst ein Planet war nicht mehr allzu groß. Auf dem schwarz lackierten Frontspoiler prangte ein Logo, das Manuel in diesem Leben eigentlich nicht mehr hatte sehen wollen.

    »Scheiße«, wiederholte er.

    »Ja«, sagte Guardes nur.

    Dann schob er ihn ins Haus.

    Anna trug einen schwarzen Ganzkörperanzug, als befinde sie sich an Bord eines Raumschiffes. Hier, im Blockhaus, wirkte das einigermaßen anachronistisch. Die Arme vor der Brust verschränkt stand sie da und sah in das offene Kaminfeuer, das Guardes rechtzeitig zu Manuels und Nolas Rückkehr entfacht hatte. Aus der Küche drang schon der Duft von Wildbret und Klößen.

    »Schön habt ihr es hier«, sagte die Agentin der Den-Haag-Stiftung.

    »Was wollen Sie?«, fauchte Manuel.

    Nola hatte Anna ignoriert und war in die Küche gegangen. Mit einem Glas Holundersirup, den sie im Frühsommer eingekocht hatte, kehrte sie ins Wohnzimmer zurück. Sie nippte an dem Glas und starrte die Agentin unverhohlen finster an.

    Guardes winkte mit einer Flasche Bier. Manuel schüttelte den Kopf.

    »Waren wir nicht per Du?«, fragte Anna Seljakowa. Dass sie nichts angeboten bekam und dass ihr eine eisige Stimmung entgegenschlug, ignorierte sie routiniert.

    »Was auch immer wir waren«, sagte Manuel. »Es ist Vergangenheit.«

    »Eine Vergangenheit, die wir hinter uns gelassen haben.« Nola stellte sich demonstrativ an seine Seite und hängte sich bei ihm ein.

    Guardes brachte ein genervtes Stöhnen hervor. Dann sprang er über seinen Schatten.

    »Möchten Sie etwas trinken?«, fragte er. »Setzen Sie sich doch!«

    Er war ein Kumpel im Leib einer Bulldogge, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, seine beiden Freunde zu beschützen. Aber er war auch ein Gentleman.

    »Danke.« Anna ließ ein Lächeln aufleuchten, das vollkommen spontan und natürlich wirkte. »Ich gedenke nicht lange zu bleiben.«

    Die Einladung zum Abendessen, die Nola jetzt bei jedem anderen ausgesprochen hätte, blieb aus.

    »Was führt Sie her?«, fragte Manuel. Er war zu der Überzeugung gelangt, dass die Agentin sich nicht hinauskomplimentieren lassen würde. Also versuchte er, die Sache zu beschleunigen, um sie möglichst bald hinter sich zu bringen. Er hatte Hunger, und der Braten roch verdammt gut. Aber sie mussten noch die Pilze putzen und in eine Rahmsauce verwandeln.

    Anna Seljakowa stieß die Luft durch ihre schmale Nase, als könne sie das alles nicht glauben. Dann riss sie sich zusammen. Für einen Moment wirkte sie wie eine professionelle Erzieherin, die sich auch durch die absurdesten Eskapaden ihrer Schützlinge nicht aus der Ruhe bringen lässt.

    Ihr Blick ging Manuel durch und durch.

    »In der Galaxie ist Krieg«, sagte sie streng und mit einer Miene, dass Manuel sich fragte, ob das seine Schuld sei.

    »Deswegen sind wir hier«, blaffte Nola über ihr Sirupglas hinweg. »Wir wollen mit der Sache nichts mehr zu tun haben. Ein für allemal.«

    »Ihr könnt euch nicht ewig verstecken«, sagte Anna.

    »Warum nicht?« Nola gefiel sich darin, die Renitente zu spielen.

    »Niemand kann sich mehr verstecken. Die Galaxis brennt. Die Hondh rücken an allen Fronten vor!«

    Manuel registrierte, wie Nola bei dem Namen der Aliens zusammenzuckte. Für sie waren es transzendente Wesen, beinahe Götter. In ihrem Zimmer oben hatte sie einen kleinen Schrein eingerichtet. Die Vorstellung, dass es eiskalt agierende Machtwesen waren, die mit roboterartiger Präzision ein Sonnensystem nach dem anderen überrannten, war für sie pure Blasphemie und schon von daher unerträglich, bevor der Gedanke ihrer eigenen physischen Bedrohtheit überhaupt in ihr Gestalt annahm.

    »Kermadec ist weit vom Schuss«, sagte Manuel. »Es hat seine Gründe, warum wir hier sind.«

    Anna hörte ihm geduldig zu.

    »Die Anwesenheit der Stiftung ist es übrigens nicht«, setzte er noch hinzu. »Vielleicht war es ein Fehler, auf dieser Welt zu bleiben. Vielleicht hätten wir noch weiter weg gehen sollen.«

    »Hinterher ist man immer klüger«, sagte die Agentin trocken. Dann schüttelte sie die letzte diplomatische Zurückhaltung ab. »Es ist Ernst, Leute. Die Expansion hat begonnen. Die Hondh besetzen ein System nach dem anderen. Sie sind – wie eine Naturgewalt. Wie ein Schwarzes Loch, das alles verschlingt. Es gab Versuche, einzelne Systeme zurückzuerobern. Sie wurden grausam abgeschlagen.«

    »Wenn man sie nicht aufhalten kann, sollte man sie dann nicht gewähren lassen?« Guardes stand im Durchgang zur Küche, dessen Rahmen er vollständig ausfüllte, eine winzige Flasche in der riesigen Hand.

    »Wie stellst du dir das vor?«, fragte Anna.

    »Rückzug«, sagte Guardes. »Alle Planeten räumen, alle Systeme evakuieren. Alle Anlagen zerstören, die man nicht abtransportieren kann. Verbrannte Erde.«

    »Wir können nicht alles aufgeben, was wir aufgebaut haben«, widersprach die Agentin.

    »Ist die Galaxie nicht groß genug?«

    »Wir wissen nicht, wie weit die Expansion geht. Aber sie greift auf dicht besiedelte Gebiete über. Wir können nicht tausende von industrialisierten oder rohstoffreichen Welten preisgeben und zig Milliarden Individuen umsiedeln.«

    »Aber einen Krieg führen, von dem ihr wisst, dass ihr ihn nicht gewinnen könnt, das könnt ihr?«, höhnte Manuel.

    Annas Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den scharf geschnittenen Zügen wurde noch härter.

    »Es bildet sich eine interstellare Koalition. Sie umfasst Dutzende Zivilisationen. Humanoide und Nicht-Humanoide, Biologische und Nicht-Biologische.«

    »So wie die 1713?«, fragte Guardes.

    »Was ist mit den 1713?« Nola war hellhörig geworden. Neben der Mechanischen Hoheit waren die 1713 eine der führenden Roboterzivilisationen der bekannten Galaxie.

    Guardes wand sich. Anna übernahm für ihn die Antwort.

    »Die 1713 existieren nicht mehr. Sie wurden von einem Virus der Hondh infiltriert und in die kollektive Selbstvernichtung getrieben!«

    »Mein Gott«, stöhnte Manuel.

    »Ja.« Anna gab sich ungerührt. »Das ist kein Ponyreiten, was da draußen abgeht, sondern der größte militärische Konflikt in der dokumentierten Geschichte unserer Galaxie.«

    »Vielen Dank, dass Sie uns diese gute Nachricht persönlich überbracht haben«, ätzte Nola.

    »Gern geschehen«, konterte Anna. Sie atmete tief durch. »Es ist Krieg, ob wir wollen oder nicht. Niemand kann sich verstecken. Nirgends. Auch ihr nicht!«

    »Und was ...«, war Guardes dröhnender Bass zu vernehmen, der aber seltsam kleinlaut klang.

    »Kommt schon«, rief die Agentin. »Ihr seid Piloten, alle drei.«

    »Ich bin Systemoffizier.« Manuel hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Rechtfertigte er sich schon? »Ich war Systemoffizier.«

    »Ihr seid alle drei mit Schiffen vertraut«, sagte Anna im Ton eines Kommuniqués. »Guardes ist Menger-Navigator, Nola ist Unterlicht-Pilotin. Manuel, du bist Experte für Astrografie und interstellare Telemetrie.«

    Nola sah leer vor sich hin, als sie leise sagte: »Wir sind auf zivilen Schiffen geflogen, auf privaten Prospektoren. Und wir hatten uns eigentlich geschworen, nie wieder eine Heuer anzunehmen.«

    »Dieses Eigentlich hat seine Grundlage verloren«, erklärte die Agentin. »Ich weiß nicht, wie ich es euch noch begreiflich machen soll. Wir brauchen jeden Einzelnen. Noch dazu, wenn sie über eure Expertise verfügen. Ihr wart im Hondh-Raum. Ihr wart die ersten, die überhaupt je einen Hondh leibhaftig zu Gesicht bekommen haben.«

    »Es war eine Mumie«, sagte Nola tonlos.

    »Das ist egal. Wir können auf Leute wie euch nicht verzichten.«

    »Wir sind nur drei«, wandte Guardes ein.

    »Drei Spezialisten«, sagte Anna.

    »Wie hoch waren die Verluste bei der Schlacht um Teravar?«, fragte der Navigator.

    Nola und Manuel sahen ihn an. Ihr Untermieter, Koch und persönlicher Bodyguard war ja erstaunlich gut informiert!

    Anders, als sie erwartet hätten, wich Anna Seljakowa nicht aus. Sie wandte nicht einmal den Blick ab, als sie laut und deutlich sagte: »Vierzig Schiffe, etwa 5000 Mann.«

    »Oh mein Gott!« Nola schlug die Hand vor den Mund.

    »Ja, Nola.« Anna sah sie unerbittlich an.

    »Da hatte dieser Thrax das Oberkommando«, warf Guardes noch ein.

    »Korrekt.«

    Manuel wedelte mit der Hand, als habe er etwas nicht richtig mitgekriegt. »Sie kratzen die Leute einzeln zusammen, Veteranen, Zivilisten, Demissionierte, um sie dann zu Tausenden zu verheizen?«

    »So ist es«, sagte Anna Seljakowa.

    »Ein anderer Ausdruck dafür wäre Verzweiflung«, brummte Guardes.

    Auch das beantwortete die Gesandte der Den-Haag-Stiftung nur mit einem knappen Kopfnicken.

    »Vierzig Schiffe? In einer einzigen Schlacht?« Nola rieb sich manisch das Gesicht mit der Hand.

    »Das ist Wahnsinn«, zischte Manuel.

    Anna Seljakowa änderte die Position. Sie stand jetzt breitbeinig da, wie ein Geschwaderführer beim morgendlichen Briefing. »Ja, es ist Wahnsinn. Aber die Menschheit und zahlreiche weitere Spezies haben sich entschlossen, die Herausforderung anzunehmen. Wir werden diesen Krieg führen. Im Übrigen bin ich nicht gekommen, um mit euch zu disputieren. Ich hätte auf etwas mehr – Einsicht in den Ernst der Lage gehofft, gerade bei euch. Aber es ist nun einmal, wie es ist.« Sie straffte sich abermals, ihre Stimme wurde schneidend. »Ihr seid hiermit zwangsverpflichtet. Gemäß einem Erlass der Notstandsregierung, den ich euch überspielen würde, wenn ihr nicht sämtliche Applikationen entfernt oder deaktiviert hättet, werdet ihr rekrutiert. Ihr werdet mir jetzt zum Sitz der Stiftung folgen, der euch ja noch dunkel bekannt sein dürfte. Dort wird euch ein Vertreter der Streitkräfte in Empfang nehmen. Das weitere liegt dann nicht mehr in meiner Hand.«

    Sie wandte sich zum Gehen.

    »Und die Pilze?«, fragte Guardes.

    Die Agentin rastete mitten in der Bewegung ein. Sie starrte den Navigator ungläubig an. Dann schob sie ihn aus dem Weg, ging in die Küche, nahm den Korb von der Anrichte und kehrte damit ins Wohnzimmer zurück. Ehe jemand etwas dagegen unternehmen konnte, schleuderte sie Korb und Inhalt ins Kaminfeuer, das sofort hell aufprasselte.

    »Vielleicht kapiert ihr es ja jetzt«, stieß sie hervor. Dann trat sie auf die Terrasse hinaus und stapfte um Nolas kleines Kräutergärtlein herum zur Einfahrt, wo ihr Scooter stand.

    Nola, Manuel und Guardes tauschten einen traurigen Blick.

    Im Kaminfeuer verging die Ernte dieses Tages in lauter kleinen Explosionen.

    Kapitel 2

    Als die Agentin verschwunden war, herrschte im Blockhaus eine gedrückte Stimmung. Das Kaminfeuer verzehrte den Korb und die Pilze und sackte dann zusammen. Auch der Herd in der Küche ging aus, da Guardes keine Scheite mehr nachlegte. Die Sonne war untergegangen. Kälte und Dunkelheit zogen durch den großen, für gewöhnlich so gemütlichen Wohnraum wie blauer Rauch.

    »Sie wollen uns allen Ernstes in den Krieg schicken«, sagte Nola tonlos.

    »Wie es aussieht, kommen wir nicht darum herum.« Guardes zündete eine der Lampen an, damit es nicht gar zu trostlos wurde.

    »Können wir nicht untertauchen?«, fragte die Pilotin. »Uns irgendwo verstecken?«

    »Ich fürchte, das ist zwecklos«, meinte Manuel. »Sie hat uns hier gefunden, sie wird uns überall finden.«

    »Wir können uns in den Wäldern verstecken.«

    »Willst du von Wurzeln und Baumrinde leben? Der Winter steht vor der Tür!«

    »Kermadec ist groß, eine ganze Welt! Sie können nicht jeden Stein umdrehen.«

    »Sie orten Guardes über seine Implantate, und uns über Wärmesensoren.« Er sah sie verzweifelt an. »Ich denke, es hat keinen Sinn, auch wenn ich mich genau so gern irgendwo verkriechen würde wie du.«

    »Eine Höhle«, rief Nola aus. »Da orten sie uns nicht, und wir kommen über den Winter.«

    »Nola.« Guardes’ rohe Gesichtszüge wirkten im schwankenden Licht der kleinen Talgkerze beinahe furchteinflößend.

    »Was?!« Ihre Stimme überschlug sich.

    »Wir sind keine Neandertaler oder Buschleute!«

    »Traut ihr euch nicht zu, in der Wildnis zu überleben?«, höhnte sie. »Ich mir schon. Zu meiner Ausbildung gehörte auch Survival-Training. Ich weiß, wie man ...«

    »Nola, bitte«, sagte jetzt auch Manuel. »Wir alle wissen, wie man Feuer macht und wie man essbare Pflanzen erkennt. Wie man Pilze sammelt ...« Sein Blick wanderte traurig zum Kamin, wo jetzt nur noch ein kümmerlicher Rest an Glut vor sich hin gloste.

    »Also!« Sie ballte angriffslustig die Fäuste, konnte aber nicht verbergen, dass sie am ganzen Körper zitterte.

    »Guardes hat recht«, sagte Manuel. »Wir können uns nicht ewig verstecken. Nicht vor so etwas.«

    Nola stieß heftig die Luft aus, aber im Moment fiel ihr keine Erwiderung mehr ein.

    »Wir sind alle drei Zivilisten«, brummte Guardes in begütigendem Tonfall. »Sie werden keine Frontsoldaten aus uns machen. Ich denke mal, sie setzen uns für Kurierflüge oder andere logistische Aufgaben ein.«

    »Und das ändert – was?«, blaffte sie.

    »Es enthält eine realistische Chance, die ganze Sache zu überleben. Und wenn alles vorbei ist, kommen wir hierher zurück.«

    Die Pilotin sah ihn nur an.

    Guardes rollte die mächtigen, muskelbepackten Schultern. »Wenn die Hondh die ganze Galaxie überrennen, ist es so oder so zu spät.«

    Manuel fasst den Navigator ins Auge. »Wie schlimm ist es wirklich? Du bist der Einzige von uns, der hin und wieder Kontakt zur Außenwelt hatte.«

    Die Miene des Cyborgs sagte eigentlich schon alles, bevor er auch nur ein Wort ausgesprochen hatte. »Schlimm«, quetschte er hervor.

    »Warum hast du uns nichts gesagt?«, fragte Manuel.

    »Ihr habt es euch verbeten.« Guardes war nicht der Mann, der sich rechtfertigte. »Im Übrigen muss ich zugeben, dass auch ich versucht habe, es zu verdrängen. Es schien alles so weit weg. Hieß es nicht immer, Kermadec ist sicher? Weshalb hat die Stiftung hier ihre Dependance?«

    »Aber?«

    »Die Seljakowa hat es gesagt. Die Hondh rücken unaufhaltsam vor. Bis jetzt ist kein Kraut gegen sie gewachsen. Niemand weiß, wie weit die Expansion gehen wird.« Er horchte auf, als habe er etwas gehört, das die anderen nicht vernehmen konnten. »Die Details werden wir sicherlich beim Briefing erfahren.«

    »Was für ein Briefing?«, fragte Nola.

    Statt zu antworten, ging Guardes zu der Anrichte, wo seine tragbare Speichererweiterung stand. Er entfernte sich nie weiter als ein paar Schritte von dem Würfel, der nicht nur Teile seines extrahierten Gedächtnisses enthielt, sondern auch die gesamte Kommunikation für ihn abwickelte, basierend auf einer teilautonomen Rumpf-KI des Karman-Typs. Guardes beugte sich über das Display, das offenbar angepingt worden war. Als er sich wieder aufrichtete, war seine zerfurchte Miene noch düsterer als zuvor. »Sie kommen«, sagte er nur.

    Nola sperrte den Mund auf. Aber dann hörten sie schon das Turbinengeräusch, das alle weiteren Fragen überflüssig machte. Sie traten ans Fenster.

    Es war ein Tomak-Helicarrier, eine schwere, aber erstaunlich wendige Maschine. Sie ging draußen auf der großen Wiese herunter. Die Kufen passten sich dem Hang an, um das abschüssige Gelände auszugleichen. Der Abstrom der großen Düsen wellte und peitschte das Gras, das in Augenblicken verdorrte, vom Sommer in den Herbst gezerrt.

    Noch ehe die schraubenförmigen Rotoren ausgelaufen waren, stieg vorne ein Mann in dunklem Zivilanzug aus. Vier schwer bewaffnete Kämpfer in den Panzern eines Spezialkommandos kletterten hinten aus dem bauchigen Rumpf des Tomak.

    »Meine Güte«, zischte Nola. »Sind wir denn Verbrecher? Das ist ja wie bei einem Zugriff.«

    »Sie trauen uns offenbar alles zu«, knurrte Guardes. Er stand an der großen Glasscheibe, die über die Terrasse auf den Hang hinaussah. »Flucht und gewaltsamen Widerstand. Eigentlich müssten wir uns geschmeichelt fühlen.«

    Der Mann im Anzug überquerte zielstrebig die Terrasse und kam zur Tür herein, durch die Anna Seljakowa erst vor wenigen Augenblicken verschwunden war. Sie erkannten Dr. Lederer, einen der führenden Beamten der Den-Haag-Stiftung. Er war sichtlich gealtert.

    »Guten Abend«, sagte er, ohne seiner Stimme eine übertriebene Wiedersehensfreude zu geben. »Sie haben fünf Minuten, um sich fertig zu machen.«

    »Ich muss noch die Goldfische füttern«, spuckte Nola ihm entgegen.

    »Sie haben keine Goldfische«, erwiderte er. »Es gibt überhaupt keine Haustiere hier, keine Kinder, keine Angestellten.«

    »Was Sie alles wissen!«, fauchte sie. »Wie ist mein Puls?«

    »Zu hoch!« Er sah sie humorlos an. »Meinen Informationen zufolge gibt es in dieser ... Haushaltung auch keine elektronischen Geräte, mit Ausnahme dieses Exoniumspeichers.« Er deutete auf Guardes’ externe Einheit, die dieser am klinkenförmigen Handgriff genommen hatte. Die Körperhaltung des Navigators, der den beeindruckenden rechten Arm schützend vor sich hob, machte unzweifelhaft, dass er bereit war, den Speicher zu verteidigen, wenn es sein musste mit seinem Leben.

    »Keine Sorge«, Lederer lachte tonlos, »wir nehmen Ihnen Ihr Spielzeug nicht weg.«

    Guardes entspannte sich um eine Nuance, blieb aber aufmerksam.

    Lederer ließ einen tadelnden Blick durch den Wohnraum schweifen. Dann holte er Luft. »Sie haben fünf Minuten, eine davon ist bereits um. Es wäre schön, wenn Sie sich beeilen würden. Die jungen Männer, die mich begleiten, sind nicht gerade für ihre Geduld bekannt, vor allem, wenn sie unbezahlte Überstunden machen müssen.«

    Mit einer kargen Kopfbewegung nickte er über die Schulter. Zwei der Spezialkräfte standen auf der Terrasse, die Waffen im Anschlag. Die beiden anderen hatten sich unsichtbar gemacht. Manuel überlegte, ob sie wirklich die Rückseite des Hauses sicherten, um eine Flucht ihrerseits zu verhindern? Hatten sie irgendwie das kurze Gespräch belauscht, das sie drei zwischen Annas Abschied und Lederers Ankunft geführt hatten?

    »Verzetteln Sie sich nicht mit Überlegungen, wie viele saubere Unterhosen Sie einpacken«, sagte Lederer, als sie noch immer nicht reagierten. »Die Truppe wird von nun an für sie sorgen, es wird Ihnen an nichts mangeln.« Er grinste maliziös. »Jeder von Ihnen kann zwei Kilogramm an privaten Gegenständen mitnehmen, das Packmaß nicht größer als so.« Ein holographischer Kubus leuchtete vor ihm auf, die Kantenlänge betrug keine zwanzig Zentimeter. »Ihr Speicher fällt nicht unter diese Einschränkung«, sagte er zu Guardes.

    »Vielen Dank.« Der Navigator tauschte einen Blick mit

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