Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Luxusdampfer: Roman
Luxusdampfer: Roman
Luxusdampfer: Roman
eBook392 Seiten5 Stunden

Luxusdampfer: Roman

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Der Kurarzt Thomas Wohlmut heuert als Schiffsarzt auf dem Überseeschiff Columbia nach New York an, um seine Ehefrau Sybil, die ihn wegen eines Liebhabers verlassen hat, zur Rückkehr zu bewegen. Aufgrund seiner medizinischen Tätigkeit erhält er Einblick in alle Klassen des Schiffes und lernt Menschen aller Gesellschaftsschichten kennen. Die Schicksale und Wege der Passagiere überschneiden sich immer wieder – und lenken Wohlmut von seinen eigenen Problemen ab: Da ist die nicht mehr junge Sängerin Louise, die sich ein Comeback in den USA erhofft; die schöne Baronesse Friederike von Mergentheim, die 1. Klasse reist, weil sie einen reichen Mann ins Netz locken will, während ihr rauschgiftsüchtiger Bruder in der 3. Klasse reist und Thomas immer wieder um Morphium anfleht. Bei der Ankunft in New York, nach finanziellen Enttäuschungen und persönlichen Niederlagen haben sich die Perspektiven der Passagiere verschoben. Thomas lässt Sybil ziehen. Nicht zu Unrecht wurde der Roman "Luxusdampfer" oft mit Vicki Baums "Menschen im Hotel" verglichen.
Gina Kaus erzählt in ihrem packenden Roman meisterhaft von den vielfältigen Menschenschicksalen auf einem Luxusdampfer; virtuos durchleuchtet sie die Passagiere auf dem Schiff und spürt deren verborgene Sehnsüchte und Leidenschaften auf.
SpracheDeutsch
HerausgeberMilena Verlag
Erscheinungsdatum8. März 2017
ISBN9783902950987
Luxusdampfer: Roman

Mehr von Gina Kaus lesen

Ähnlich wie Luxusdampfer

Ähnliche E-Books

Klassiker für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Luxusdampfer

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Luxusdampfer - Gina Kaus

    1

    »Ich gratuliere Ihnen zum Erfolg der Kur, Herr Kommerzienrat«, sagte Dr. Thomas Wohlmut und steckte das Abhorchrohr in die Tasche. »Ich denke, Sie können in diesem Jahre mit uns zufrieden sein.«

    Kommerzienrat Gatterburg aus Köln erhob sich vom geblümten Sofa seines Hotelzimmers, schlüpfte in sein Hemd. Er war prächtig gelaunt, weil er sich wirklich hier in Kissingen nach vierwöchigem Brunnentrinken, nach all den Bädern und Massagen, Spaziergängen und Liegestunden wesentlich frischer fühlte. Er freute sich auch auf die Heimkehr, auf die Kinder und beinahe aufs Geschäft. Er nahm einen Briefumschlag, den er schon vor dem Eintritt des Arztes vorbereitet hatte, vom Tisch und sagte, ein wenig verschämt, weil er es doch mit einem gebildeten Menschen zu tun hatte: »Für Ihre Mühe … mit meiner Dankbarkeit hat das natürlich nichts zu tun.«

    Thomas steckte den Briefumschlag in die Tasche. Er schätzte den Inhalt auf 500 Mark, soviel pflegten reiche Patienten, die während ihres Kuraufenthaltes täglich besucht werden wollten, am Tag ihrer Abreise zu zahlen. Dann blieb er unschlüssig stehen, nahm ein Buch vom Tisch und sah nach dem Titel, denn immer war es für ihn ein wenig peinlich, sich sogleich, nachdem er sein Geld bekommen hatte, zu verabschieden.

    Gatterburg hatte offenbar die gleiche Empfindung, und deshalb begann er ein überflüssiges Gespräch, während er seine Kleidung wieder in Ordnung brachte. »Was treiben Sie eigentlich im Winter, Doktor? Im Sommer ist Kissingen ein Paradies. Aber im Winter, wie halten Sie es da aus? Sie sind doch noch jung. Kurieren Sie Einheimische? Studieren Sie? Machen Sie Reisen?«

    »Von allem etwas, Herr Kommerzienrat. Die Praxis ist natürlich im Winter ziemlich eingeschränkt, der Ort hat ja kaum fünftausend Einwohner, und es leben hundertzwanzig Jahresärzte hier. Immerhin sind zwei bis drei Besuche im Tag zu machen, dazu die Sprechstunde. Also Zeit genug zum Studieren. Ich verfolge alle medizinischen Zeitschriften und vornehmlich alle chirurgischen Werke. Die Chirurgie ist nämlich meine unglückliche Liebe. Sauerbruch hat mir seinerzeit, als ich bei ihm mein Semester absolvierte, eine große Zukunft prophezeit. Es hat mich schwere innere Kämpfe gekostet, die akademische Laufbahn aufzugeben …«

    »So. Und warum taten Sie es?« Gatterburg fragte ganz zerstreut, während er seine Hosenträger befestigte und über den humoristischen Brief nachdachte, mit dem er seiner Frau die bevorstehende Ankunft ankündigen wollte.

    »Vielleicht aus Feigheit. Die Praxis hier hat mein Vater aufgebaut, er war vierzig Jahre lang Kurarzt und außerordentlich beliebt. Als er starb – das war vor fünf Jahren –, war ich verlobt. Ich konnte einer Frau eine angenehme, gesicherte Existenz bieten, wenn ich meines Vaters Praxis übernahm. Deshalb habe ich es getan.«

    »Und – haben Sie es bereut?«

    »Nein! Eine glückliche Ehe bedeutet doch so viel, nicht wahr? Und daß man niemals Sorgen hat – wenn auch keinen besonderen Luxus, so doch allerlei kleine Annehmlichkeiten, ein hübsches Haus, eine kleine Reise im Winter … Manchmal natürlich, wenn ich von neuen klinischen Errungenschaften lese, von großartigen Operationen …«

    Hier aber fand Kommerzienrat Gatterburg, daß jeder Höflichkeitspflicht gegenüber seinem Besucher Genüge geschehen war, und streckte dem jungen Arzt die Hand hin: »Unerfüllte Wünsche haben wir alle, lieber Doktor! Aber es geht doch nichts über ein sicheres Brot, glauben Sie mir. Ich hatte es nicht so leicht in meiner Jugend wie Sie. Auf Wiedersehen!« Der Doktor verließ seinen Patienten eilig, beinahe im Laufschritt: seine Frau mußte bereits vor einer halben Stunde mit dem Ein-Uhr-Zug angekommen sein. Trotz der frohen Eile, die ihn beflügelte, kaufte er auf der Kurpromenade einen großen Strauß roter Rosen zum Willkomm. Sybil war zwar bloß drei Tage verreist gewesen – bei ihrer Schwester in Augsburg –, aber Thomas versäumte nur ungern eine Gelegenheit, ihr Aufmerksamkeiten zu erweisen. Denn er hatte immer das Gefühl, er müsse die schöne junge Frau für die Eintönigkeit des kleinen Ortes entschädigen.

    Ich werde sie im Winter für vierzehn Tage nach Paris führen, dachte er. Oder noch besser: Wir machen eine kleine Reise nach Nordafrika, Tunis, Algier, Ägypten. Es wird sich ganz gut machen lassen, die Saison ist hervorragend, neue Anschaffungen im Haus sind nicht notwendig, wir haben ja im Vorjahr alles neu richten lassen. Und sparen müssen wir auch nicht, da wir keine Kinder haben …

    Bei diesem letzten Gedanken verweilte er ein wenig, während er rasch durch die augustheißen Straßen ging, wobei er sorgfältig jene vermied, wo er hätte Bekannte treffen können. Es hatte natürlich keinen Sinn, daran zu denken, denn es wurde nichts damit geändert. Sybil wollte nun einmal keine Kinder. Sie hatte eine Menge guter Gründe dafür: daß man sich dann entsetzlich einschränken müßte, daß man kein freier Mensch mehr wäre und vor allem, daß sie gar keine Ahnung von der Erziehung eines Kindes habe. Nun, für alle diese Gründe gab es mindestens ebenso gute Gegengründe – aber was nützte das? Sybil fehlte nun einmal dieser Wunsch, der Thomas oftmals quälte, dieser Wunsch nach einem sichtbaren Symbol ihrer Liebe, einem Wegweiser in eine gemeinsame Zukunft. Es hatte keinen Sinn, darüber nachzudenken, und Thomas tat dies auch fast nie, denn eine friedliche, gleichmäßige Ehe ist viel zu angenehm, als daß man sie durch fruchtlose Auseinandersetzungen gefährden will.

    Des Doktors kleine Villa lag zwischen vielen anderen, größeren, ungefähr zehn Minuten von der Kurpromenade entfernt. Es war ein großväterliches Haus im Stil der achtziger Jahre, mit Amoretten über dem Portal und an den Ecken der Loggia, aber die Loggia mitsamt den Amoretten war im Sommer so dicht von dunkelroten Kletterrosen überwachsen, daß man eigentlich nichts sah als lauter Rosen mit ein paar Fenstern dazwischen.

    Als Thomas das Haus betrat, wunderte es ihn, wie still es war. Während er im Vorraum seinen Hut an den Nagel hängte, fiel ihm auf, daß Sybils Reisemantel nicht zu sehen war. Es ist doch nicht ihre Art, dachte er, mit den Oberkleidern in die Zimmer zu gehen? Er empfand eine leise Unruhe und eilte die Treppen hinauf. Sybil war nicht in ihrem Zimmer, ja, sie schien es gar nicht betreten zu haben, denn es war genauso ordentlich aufgeräumt wie am Morgen, kein Hut, kein Handtäschchen lag herum. Thomas stellte die Rosen in die Vase auf dem Schreibtisch und klingelte.

    Die alte Irene erschien, klein, grau und verschlossen. »Die gnädige Frau ist noch nicht da – wie? Ist vielleicht ein Telegramm gekommen?« erkundigte sich Thomas hastig.

    »Nein.«

    »Hat die gnädige Frau telefoniert?«

    »Nein.«

    Thomas dachte an ein Eisenbahnunglück. Er ging in sein Sprechzimmer hinüber und rief den Stationsvorstand an. Sein Herz klopfte bis in die Kehle, er hatte Mühe zu fragen »Ist der Zug zwölf Uhr zwanzig fahrplanmäßig eingetroffen?«

    »Jawohl.«

    Dann also, dachte Thomas, ist Sybil krank. Wäre bei der Schwester was los, so hätte sie nicht vergessen, mich zu verständigen. Er rief das Fernamt an, verlangte Augsburg, nannte die Nummer von Sybils Schwester. Aber während er noch den Namen buchstabierte, fiel sein Blick auf einen Brief, der am Tintenfaß lehnte.

    Die Adresse war von der Hand seiner Frau geschrieben. Er hatte ihn schon ergriffen, um ihn aufzureißen, als er mit sonderbarem Erstarren bemerkte, daß dieser Brief nicht in Augsburg, sondern in Berlin aufgegeben worden war.

    Er riß den Brief nicht auf, er nahm das Papiermesser zur Hand. Aber auch dieses benützte er nicht sogleich, er saß eine ganze Weile regungslos und starrte vor sich hin. Vielleicht hoffte er, daß einer käme, ihn aufzuwecken, ehe er noch tiefer erschrecken mußte, vielleicht hatte er bloß nicht den Mut, sich mit diesem Papiermesser gleichsam ins eigene Fleisch zu schneiden.

    Später schien es ihm, als habe er in diesem Augenblick schon alles gewußt, was in dem Brief stand. Nicht nur, daß Sybil ihn für immer verlassen hatte, sondern auch, daß es sich um diesen Herrn Ralph Robert Shortwell handelte, um diesen albernen Amerikaner, der behauptet hatte, zu dem einzigen Zweck nach Europa gekommen zu sein, einen passenden Beleg-Rüden für seine weiße Dackelhündin aufzutreiben. Trotzdem brachte er es erst über sich, den Brief zu öffnen, als er nebenan die alte Irene mit Tellern und Bestecken klappern hörte und wußte, daß er in wenigen Minuten zu Tisch gerufen werde. Der Brief war quälend lang. Das Tatsächliche kam erst auf der dritten Seite, nach allerlei Bitten um Verzeihung, Stimmungsschilderungen, Freundschaftsbeteuerungen.

    »Ich weiß, daß Du mich in Deiner Art liebst – aber ich glaube, es ist nur das angenehme Heim, die Bequemlichkeit der Ehe, was Du liebst. Denn sonst hättest Du Dir doch über mich Gedanken machen müssen. Du hättest längst bemerken müssen, wie die mittelmäßige Enge unserer Verhältnisse mich gequält hat, das fürchterlich eintönige Leben in dem öden Nest. Und Du hättest doch ganz gewiß in den letzten Wochen, seit ich Shortwell kennenlernte, bemerken müssen, daß etwas in mir vorging, daß ich von einem neuen Gefühl besessen war, daß ich mich mit einem Entschluß abquälte. – Aber Du hast gar nichts bemerkt. ›Erkälte Dich nicht auf der Fahrt und bleib abends nicht zu lang auf‹, hast Du mir gesagt, als ich in den Zug stieg. Das ist sicher auch eine Form der Liebe. Aber gewiß nicht die, nach welcher eine Frau meiner Art verlangt. Und auch das hast Du nicht bemerkt in fünf Jahren Ehe …

    Ich bin jetzt mit Ralph in Berlin, aber ich bleibe nur noch wenige Tage. Dann fahren wir nach Deauville, später nach Como und im Herbst nach Amerika. Ich glaube, unter diesen Umständen wirst Du selbst auf Scheidung bestehen. Die notwendigen Dokumente werde ich, sobald meine Reisevisa in Ordnung sind, bei Ralphs Berliner Anwalt hinterlegen. Der wird dann die Scheidung durchführen, so daß Dir keinerlei Kosten daraus erwachsen.«

    Nach diesem wesentlichen Teil, der offenbar von Shortwell mitverfaßt war, kam wieder allerlei Sentimentales. Plötzlich hieß es: »Ich weiß nicht, ob noch jemals ein Mann so gut zu mir sein wird, wie Du es warst. Und vielleicht werde ich es eines Tages tief bedauern, einer Würdigeren Platz gemacht zu haben.«

    Als Thomas den Brief zu Ende gelesen hatte, saß er noch lange ebenso regungslos wie zuvor. Er dachte jetzt gar nicht daran, daß Sybil ihn verlassen hatte, noch wie die Zukunft ohne sie aussehen würde. Er dachte an die letzten Monate und wie das mit Ralph Robert Shortwell gekommen war.

    Shortwell war nicht sein Patient gewesen, er war offenbar von einem Kollegen behandelt worden. Aber selbst das konnte nicht wahr sein; vielleicht war Shortwell überhaupt nicht in Behandlung gewesen, vielleicht war er aus einem ganz anderen Grund nach Kissingen gekommen. Sybils wegen? Kannten die zwei einander von früher? Hatte Sybil ihn im Winter auf einem Ball, bei der Schwester, auf der Bahn kennengelernt? Thomas wußte es nicht. Hatte sie ihn vielleicht schon gekannt, ehe sie geheiratet hatte, war sie fünf Jahre mit liebevollen Gedanken bei dem andern gewesen?

    Thomas wußte es nicht. Er wußte nichts von Sybil. Es war ihm niemals eingefallen, ihr Leben oder gar ihre Gedanken mißtrauisch zu durchforschen. Er hatte sich bemüht, ihr das Leben so angenehm wie möglich zu machen, aber über seine Frau und seine Ehe hatte er nicht nachgedacht, wie man über seinen Körper nicht nachdenkt, solange keine seiner Funktionen gestört ist.

    Auch Shortwell hatte scheinbar keine Störung bedeutet. Zwar hatte er Sybil den Hof gemacht – aber er war doch nicht der einzige gewesen. In jedem Sommer gab es einige Kurgäste, die sich in die schöne, heitere Doktorfrau verliebten, in jedem Sommer kamen Blumen, kleine Geschenke, Briefe, Einladungen zu Autofahrten. An derlei gewöhnt man sich als Gatte einer auffallenden Schönheit. Shortwell war nicht zudringlicher gewesen als die anderen. Er kam gern zum schwarzen Kaffee, sonntags zu einer Bridgepartie, er hatte Sybil zweimal tanzen geführt, einmal waren sie nach Oberhof zu den Golfspielen gefahren. An alledem war nichts Auffälliges gewesen.

    Thomas sprang auf und lief in Sybils Zimmer hinüber. Er riß ihre Schränke auf. Es war alles da, ihre Kleider, ihre Wäsche, sie hatte wirklich nur das Notwendigste für zwei Tage mitgenommen. Nun ja, Shortwell war reich, er würde ihr in Berlin oder Deauville das Schönste vom Schönen kaufen! Wozu braucht sie die Wäsche, die Garderobe einer bescheidenen Provinzdame?

    Dann erbrach Thomas Sybils Schreibtisch. Aber er fand nichts als die Haushaltungsbücher, einen kleinen Stoß bezahlter Rechnungen, Briefe von ihren Eltern und Geschwistern, Briefe früherer Verehrer, die sie ihm alle gezeigt hatte. Seine eigenen Briefe – er hatte ihr während der Verlobungszeit täglich geschrieben – waren verschwunden. Von Shortwell fand sich keine Zeile.

    Thomas war sonst ein ordentlicher, beinahe pedantischer Mensch. Aber in diesem netten, freundlichen Damenzimmer hauste er wie ein Vandale. Er öffnete alle Schränke und Laden, riß alles heraus, warf alles auf die Erde, trat es mit Füßen; und schließlich packte er die Vase mit den roten Rosen und schmetterte sie, so kräftig er konnte, auf den Boden.

    Er machte so großen Lärm, daß er erst nach einer Weile das schrille Läuten des Telefons hörte. Sybils Schwester war am Apparat. Er fand sich nicht gleich zurecht, bis ihm einfiel, daß es jene Verbindung war, die er vorhin, in Sorge um seine Frau, angemeldet hatte.

    »Was ist denn los?« fragte die ferne Frauenstimme.

    »Deine Schwester ist eine Dirne«, sagte er und empfand einen gewissen Genuß beim Aussprechen dieses Wortes. »Sie ist auf und davon gelaufen!«

    »Um Gottes willen! – Mit Shortwell?«

    »Ah, du bist also mit im Spiel! Ich hätte mir’s denken können!« Er hätte sich gar nichts denken können. Sybils Schwester war eine einfache, brave Kleinbürgerin.

    »Thomas, du bist verrückt! Ich dachte bloß an Shortwell – als ich das letzte Mal bei euch war, fiel mir auf, daß …«

    »Was?«

    »Daß die beiden ineinander verliebt sind. Ich dachte, du müßtest es selbst längst bemerkt haben.«

    Thomas sagte nichts mehr. Aber er vergaß, den Hörer fortzulegen, er hörte noch eine Weile lang die ferne Frauenstimme »Hallo, hallo« sagen und dann das Telefonfräulein: »Sprechen Sie noch?« Er hängte erst ab, als die alte Irene eintrat und fragte, wann denn der Herr endlich zu Tisch gehen wolle, das Essen sei längst fertig.

    Er stand mechanisch auf und ging ins Eßzimmer, setzte sich an den Tisch, der für zwei Personen gedeckt war, und tauchte den Löffel in die Suppe. Aber er zog ihn nicht wieder heraus, er rührte und rührte, und so saß er noch, als Irene mit dem Braten kam.

    Sie stellte die Fleischschüssel auf den Tisch, aber anstatt nun das Zimmer zu verlassen, blieb sie und sah mit teilnahmsvoller Neugier auf ihren Herrn und den vollen Suppenteller.

    Sie war ins Haus gekommen, als Thomas noch ein Gymnasiast war, und seit dieser Zeit liebte sie ihn mit einer anspruchsvollen und eifersüchtigen Liebe, die zwar kein Ziel hatte, aber täglich gekränkt wurde. Immer hatte sie gefunden, daß Thomas »zu gut« sei, zu seinen Eltern, als diese noch lebten, zu seiner Frau, zu allen Menschen – nur nicht zu ihr. Ihr hatte er niemals soviel Aufmerksamkeit, soviel Vertrauen geschenkt, wie sie verdiente. Sie hatte schweigen müssen, zu allem, was ihr an Sybil mißfiel. In diesem Augenblick aber schien ihr ein Wort erlaubt und am Platz zu sein.

    »Es ist nicht nett von der gnädigen Frau, solange fortzubleiben, gerade jetzt, wo der Herr Doktor soviel zu tun hat!«

    Thomas erwiderte nichts. Er nahm eine Scheibe Fleisch auf seinen Teller, zerteilte sie langsam und umständlich, aber ehe er den ersten Bissen zum Mund führte, leerte er ein Glas Wasser. Er wußte nicht, was für einen unsäglich hilflosen Eindruck er machte. Irenes Gegenwart war ihm unerträglich, denn er fühlte das zwingende Bedürfnis, wieder aufzuspringen und durch die Zimmer zu laufen.

    Irene aber blieb. »Auch Herr Shortwell ist abgereist«, sagte sie ohne jede Betonung.

    Sofort verließ Thomas jede Beherrschung. Er warf Messer und Gabel mitten auf den Tisch, sprang auf und schrie: »Warum sagen Sie das? Warum? Wie kommen Sie auf Shortwell?« Und da Irene zu Tode erschrocken schwieg und sich umdrehte, um das Zimmer zu verlassen, packte er sie am Arm und schrie nochmals: »Was haben Sie damit gemeint?«

    Irene schwankte eine Weile zwischen Mitleid, Vorsicht und Gekränktheit. »Ich sag’ überhaupt nichts mehr …« Dann aber, als sie genauer in sein zerstörtes Gesicht sah und vielleicht alles verstand, fügte sie hinzu: »Mein Gott, Herr Doktor, Sie müssen es doch selbst schon bemerkt haben!«

    Thomas begann zu zittern. Erst zitterten seine Augenlider, seine Lippen, dann zitterten die Schultern, die Hände und plötzlich sank der ganze große Mensch in sich zusammen und weinte, schluchzte, heulte – während Irene, ganz wie sie vor eineinhalb Jahrzehnten mit dem Schuljungen getan hatte, seinen Kopf streichelte. Sie vergoß selber helle Tränen und war dennoch glücklich, weil sie endlich, nach so vielen in Sybils Schatten verbrachten Jahren, wieder einmal mit ihrer Liebe hervortreten durfte.

    »Nun, nun«, sagte sie, »das geht vorüber. Alles geht vorüber.«

    Sie sprach weiter auf ihn ein; daß es so am besten sei, reiner Tisch gemacht und reines Haus, und er sei doch noch so jung, so hübsch, hundert bessere Frauen könne er haben. »Und man weint auch um einen Toten nicht länger als ein Jahr.« Aber diese gnädige Frau sei es nicht wert, auch nur eine Woche lang an sie zu denken. In drei Monaten werde er wieder verheiratet sein. »Eine neue Frau hat immer ihren Reiz«, sagte sie mit einer Frivolität, die ihr sonderbar zu Gesicht stand, und übers Jahr könne er Vater sein, sie wisse ganz gut, daß er sich das wünsche …

    Plötzlich sprang Thomas auf und sagte mit vollkommen ruhiger, gefaßter Stimme mitten in ihr Geschwätz hinein: »Packen Sie sogleich meine Koffer. Ich reise heute noch ab.«

    2

    Am nächsten Morgen gegen zehn Uhr kam Thomas in Berlin am Anhalter Bahnhof an. Er hatte den Nachmittagszug und viele kostbare Stunden versäumt, weil er nicht abreisen konnte, ehe er nicht alle seine Patienten mit genauen Krankengeschichten einem Kollegen übergeben hatte; denn ärztliche Gewissenhaftigkeit war ihm von Kindheit auf in die Seele gebrannt, sein Vater hatte ihn dazu erzogen, in seinem Beruf ein Amt zu sehen, das zu verletzen schlimmer als gemeines Verbrechen ist. Er hatte dieses Amt nicht verletzt, obwohl er gewußt hatte, was es bedeuten konnte, den Nachmittagszug zu versäumen.

    Nun stand er am Anhalter Bahnhof, nach einer Nacht im Personenzug, der wie eine alte Postkutsche übers Land gekrochen war und in jedem Nest endlos getrödelt hatte. In einem Koffer waren Wäsche und Garderobe für ein bis zwei Wochen, in seiner Brieftasche befanden sich alle seine Dokumente und sein gesamtes Barvermögen in der Höhe von elftausendzweihundert Mark, außerdem hatte er seinen Revolver bei sich – kurz alles, was ein Mensch braucht, der nicht weiß, worauf er sich gefaßt zu machen hat.

    Er hatte keinen bestimmten Plan. Wenn einer ihm gesagt hätte, er habe die Absicht, seine Frau, die ihn schmählich um eines andern willen verlassen hatte, zurückzuholen, mit Bitten und guten Worten, mit Küssen oder Drohungen – er hätte gelacht und sich voll Abscheu geschüttelt. Wenn einer ihm gesagt hätte, daß er entschlossen sei, Sybil bis ans Ende der Welt zu verfolgen, bloß um ihr für ihren Verrat eine Kugel in den Kopf zu schießen – er hätte ebenfalls gelacht und sich voll Abscheu geschüttelt. Und trotzdem hatte er Sybil in dieser schlaflosen Nacht hundertmal niedergeschossen und hundertmal war sie reuevoll in seine Arme gestürzt. Er wußte nur eines: daß er sie wiedersehen, daß er sie zur Rechenschaft ziehen mußte. Das war das letzte Ziel seiner klaren Gedanken. Nur sein Schmerz und qualvolle Ausgeburten seines Schmerzes gingen über dieses Ziel hinaus.

    Thomas Wohlmut wußte nur, daß er seine Frau wiederfinden mußte. Und er wußte auch, daß es zu diesem Ziel drei Wege gab.

    Erstens die Polizei. Sybil war entführt worden. Die Polizei konnte ohne weiteres für Herrn Shortwell und seine Begleiterin alle Grenzen sperren, konnte sie auch im Inlande in wenigen Stunden auskundschaften. Aber aus tiefstem Herzen lehnte Thomas die Polizei ab. Sie durfte sich nicht in diese Sache mischen. – Und was sollte er mit einer Sybil anfangen, die ihm wehrlos vom Schupomann ins Haus gestellt wurde?

    Der zweite Weg war ein Detektivinstitut. Die Leute hatten Übung im Aufspüren Flüchtiger, sie hatten einen eingespielten Apparat zur Verfügung, sie verstanden wohl auch diskret zu sein und in jenem Augenblick zu verschwinden, wo er der wiedergefundenen Sybil gegenübertrat. Trotzdem – auch der Gedanke an das Detektivbüro war ihm unerträglich. Er war außerstande, fremde Menschen mit dieser Angelegenheit zu betrauen, und vor allem war er außerstande, auch nur zwei bis drei Tage untätig die Entwicklung der Dinge abzuwarten.

    Es blieb ihm also nur übrig, Sybil selbst aufzuspüren, und da hatte er die erste Möglichkeit bereits erwogen. Er fuhr zunächst – seinen Koffer hatte er auf der Bahn gelassen – zum Zentralmeldeamt am Alexanderplatz.

    »Holen Sie sich morgen vormittag die Antwort«, sagte der Beamte, nachdem er den von Thomas ausgefüllten Fragezettel mit einer Nummer versehen hatte.

    Das Zentralmeldeamt ist ein Organ öffentlicher Ordnung, dessen Nützlichkeit selbst dem Laien ohne weiteres einleuchtet, wenn es auch etwas umständlich arbeitet.

    »Ist es nicht möglich, die Antwort sofort zu bekommen?« fragte Thomas höflich. »Es handelt sich …«

    »Interessiert mich nicht«, wehrte der Beamte ab. »Kommen Sie in Gottes Namen in zwei Stunden.«

    Das war um halb elf Uhr. Um halb zwölf saß Thomas in einem kleinen Café und sah zum fünfzigsten Mal auf seine Uhr, hielt sie ans Ohr, überzeugt, sie müsse stehengeblieben sein. Ist es möglich, dachte er, daß zwei Stunden so unendlich lang sein können? Ist es möglich, daß dies die gleichen Stunden sind, die mir noch gestern, bei meinen Krankenbesuchen, viel zur kurz wurden? Dieselben zwei Stunden, die jenem Mann dort hinter seiner Zeitung als angenehme, leider viel zu kurze Mittagspause erscheinen? Zwei Stunden, die vielleicht eine Dame bei der Besichtigung neuer Modestoffe vertrödelt und die irgendeinem Liebespaar vorübergehen wie ein Augenblick? Vielleicht gehen diese zwei Stunden für Sybil und Shortwell auch vorüber wie ein Augenblick?

    Es ist unglaublich, wie jäh sich auch ein unablässig bohrender Schmerz bei gewissen Gedanken steigern kann.

    Und doch vergingen auch für Thomas diese zwei Stunden und noch eine dritte dazu, denn erst gegen ein Uhr bekam er die Auskunft:

    »Ralph Robert Shortwell, Großkaufmann aus Portsmouth, derzeit Hotel Astoria.«

    Shortwell hat sich also mit seinem richtigen Namen gemeldet! Denkt wahrscheinlich gar nicht daran, ich könnte ihn zur Rechenschaft ziehen. Thomas wies den Chauffeur an: »Hotel Astoria!« Ein kleiner Kurarzt wird doch nicht mitten in der Hochsaison davonlaufen, nicht wahr, und Sybil wird ihm gesagt haben, daß ich sanftmütig bin und keine Katze ertränken könnte. »Ihre Hochachtung vor dem Leben –!« hat Shortwell vor ein paar Tagen gesagt, weil ich eine Raupe von der Promenade aufhob und ins Gras trug. Das war – wann war das? – am Freitag. Heute ist Mittwoch. Ich habe den Revolver in der linken Brusttasche. Hochachtung vor dem Leben! Erscheint das einem Großkaufmann aus Portsmouth so verächtlich, daß er glaubt, ein Mann, der Raupen rettet, kann sich nicht wehren, auch nicht, wenn man ihm das eigene Leben vernichtet? Wer mir am Freitag gesagt hätte, ich könnte mit einem geladenen Revolver hinter Menschen her sein …

    »Ist Herr Shortwell aus Portsmouth zu sprechen?« fragte Thomas.

    Der Portier des Hotels Astoria warf einen Blick über die Schlüsselfächer und besann sich dann. »Herr Shortwell ist heute morgen abgereist.«

    Thomas biß die Zähne zusammen; das war der verlorene Nachmittag, die Übergabe der Patienten. Hochachtung vor dem Leben. Vielleicht hatte Shortwell recht, einen solchen Mann nicht zu fürchten.

    »So, abgereist. Nach Deauville – nicht wahr?«

    Anstatt zu antworten schlug der Portier in einem großen Buch nach, nahm dann einen Zettel, einen Bleistift und malte eine Reihe von Buchstaben. »Dorthin sind seine Briefe nachzusenden.«

    Auf dem Zettel stand: »66, Jefferson Avenue, Portsmouth, USA.«

    Thomas ging, ohne zu danken. Er setzte sich in die Halle und starrte vor sich hin. Sybil hatte ihn also doch irreführen wollen, sie war weder in Deauville noch in Como, sondern auf voller Flucht nach Amerika.

    Er saß eine ganze Weile still und starr und verarbeitete diese neue Tatsache. Er war niemals ein Mann schneller Entschlüsse gewesen, im Gegenteil, die wenigen Entscheidungen, die sein gleichmäßiges, vorgezeichnetes Leben von ihm gefordert hatte, waren ihm sauer geworden, hatten ihn schlaflose Nächte und angestrengte Überlegungen gekostet. Er saß still und starr, bis er sich zu dem Entschluß durchgerungen hatte: seine Frau, wenn es sein mußte, auch über das große Wasser zu verfolgen. Als er so weit war, stand er auf und ging wiederum zu dem freundlichen Portier: »Können Sie mir sagen, mit welchem Schiff Herr Shortwell gereist ist?« Aber in diesem Augenblick wälzte sich eine vielköpfige Familie, gefolgt von gepäckbeladenen Boys in die Halle und riß die Aufmerksamkeit des Portiers an sich, er mußte nach Zimmerschlüsseln suchen, dem Stubenmädchen des dritten Stocks telefonieren, den Liftjungen holen lassen und schließlich auf Weisung des Familienoberhauptes auf die Straße laufen, um den Chauffeur auszuzahlen.

    Thomas, der eben noch ganz still und starr gesessen hatte, um seinen Entschluß ausreifen zu lassen, mußte jetzt, da dieser Entschluß gefaßt war, mit aller Kraft an sich halten, um sich nicht von seiner unerträglichen Ungeduld zu Grobheiten hinreißen zu lassen. Endlich konnte er seine Frage wiederholen: »Mit welchem Schiff reist Herr Shortwell?«

    Der Portier wußte es nicht. Vielleicht wisse man es in der Direktion, vorausgesetzt, daß die Karten durch das Hotel besorgt worden waren.

    Mit dröhnendem Schädel ging Thomas durch die Halle zum Zimmer des Direktors. Es war leer. Er empfand es als unerträglichen Schicksalsschlag, daß er wieder warten mußte; aber es war gut so, denn nun hatte er Zeit zu überlegen, womit er sein Interesse für Herrn Shortwells Schiff begründen konnte.

    Als der Direktor schließlich eintrat, sagte Thomas ziemlich vernünftig: »Ich befinde mich in einer peinlichen Lage. Ich habe von Herrn Shortwell Geld geliehen und ehrenwörtlich versprochen, es noch vor seiner Abreise zurückzuerstatten. Leider ist mir das erst heute möglich, und nun erfahre ich, daß Herr Shortwell am Morgen abgereist ist. Ich lege unendlichen Wert darauf, ihm das Geld telegrafisch an Bord zu überweisen und mein Wort strikt einzuhalten.«

    Das leuchtete dem Direktor ein. Fünf Minuten später wußte Thomas, daß Shortwell Karten für die Columbia genommen hatte. »Zwei Kajüten erster Klasse.«

    »Ach, er fährt mit seiner Frau?« fragte Thomas und betrachtete die Innenfläche seiner Hände. Den Ehering werde ich fortwerfen, ging es ihm durch den Kopf.

    »Nein, mit seiner Sekretärin, Frau Sybil Wohlmut.« Darauf war Thomas nicht vorbereitet gewesen. Als er seinen eigenen Namen hörte, schoß ihm das Blut so jäh zu Kopf, daß er aufsprang und mit einem flüchtigen »Danke, danke« aus dem Zimmer lief. Es nützte nichts, sich zu sagen, daß Sybil der Paßkontrollen wegen unmöglich auf einen anderen als ihren eigenen Namen reisen konnte; und daß dieser Umstand, bei allem Kränkenden, das ihm widerfahren war, eine höchst nebensächliche Rolle spielte. Er war doch nicht mehr imstande gewesen, den Direktor zu fragen, wann und aus welchem Hafen die Columbia ausfahren sollte.

    Aber das war schließlich das wenigste. Unter den Linden – das wußte er – gab es fast in jedem Haus ein Reisebüro. Zehn Minuten später unterhielt er sich mit einem freundlichen Angestellten eines solchen Büros.

    »Die Columbia, mein Herr, jawohl, morgen mittag, Schlag zwölf, ab Bremen. Ach, Sie wollen ein Billett? Nicht zu machen. Möglich, daß noch ein Platz frei ist, obwohl die Hochsaison bereits begonnen hat, aber wir haben gestern bereits abgerechnet. Die Vertretungen außerhalb Bremens schließen die Kartenausgabe achtundvierzig Stunden vor Abgang eines Dampfers. Aber wenn Sie wünschen, können wir nach Bremen telefonieren und Ihnen am Nachmittag Bescheid geben. Sie haben dann um acht Uhr abends einen ausgezeichneten Zug. Ihre Papiere, Visa usw. sind doch in Ordnung?«

    Thomas sagte kurz: »Danke bestens, bemühen Sie sich nicht«, und ging auf die Straße. Er wollte auf alle Fälle nach Bremen fahren und versuchen, Sybil noch vor der Abfahrt des Dampfers zu erreichen. Die Frage des Beamten, ob sein Paß in Ordnung sei, hatte ihn erschreckt.

    Eine Stunde später saß er im Zug nach Bremen. Wer jemals im Leben eifersüchtig war, der weiß, daß die Eifersucht eine Art Jagdinstinkt zu wecken vermag, der zwar aus simpler Rachsucht entspringt, bald aber zur selbständigen Leidenschaft wird, der einzigen, der es gelingt, die unerträgliche Spannung des passiven Schmerzes wenigstens zeitweilig zu lindern. Thomas dachte auf dieser sechsstündigen Eisenbahnfahrt nicht mehr darüber nach, wie es zu Sybils Verrat gekommen war, er dachte nicht mehr daran, was er später, wenn er sie erst gestellt hatte, mit ihr anfangen würde – er dachte bloß an das unmittelbar nächste Ziel: wie er Sybil noch vor Abfahrt der Columbia erreichen – oder wie er sich im Laufe des nächsten Vormittags die notwendigen Ausweise verschaffen konnte, um selbst an Bord gehen zu können. Denn die Columbia – das hatte er sich unterdes klar gemacht – war der letzte Ort, wo er Sybil erreichen konnte.

    Wenn er acht Tage nach ihr in New York ankam, war sie ihm für ewig entschwunden. Shortwell konnte sie nach dem Westen entführen, nach Florida, nach Brasilien, Shortwell war reich, er kannte das Land, hatte Beziehungen. Für Thomas, der 1500 Dollar in der Tasche hatte, mit seinem mangelhaften Englisch, war an eine Verfolgung nicht zu denken. Er mußte Sybil heute nacht auftreiben – oder morgen an Bord der Columbia sein.

    Er kam um halb zehn in Bremen an. Wieder ließ er den Koffer an der Bahn, nahm ein Auto und fuhr

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1