Heimatkunde. Alles über Hamburg
Von Heiko Kreft und Luis F. Masallera
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Buchvorschau
Heimatkunde. Alles über Hamburg - Heiko Kreft
Weltrekorde
Alster
Über 56 Kilometer schlängelt sich das
Flüsschen Alster durch Schleswig-Holstein,
bevor es sich mit der Hamburger Binnenalster
selbst einen krönenden Höhepunkt setzt.
Ursprünglich war der Fluss nahezu vollständig im Besitz der Holsteiner Grafen. Bis zu jenem schönen Tag im Jahr 1306, an dem der ständig klamme Adolf V. (1252–1308) ein Angebot bekam, das er nicht ablehnen wollte. Die Hamburger boten ihm doch tatsächlich 225 Mark für einen Viertel des Flusslaufes. Sogar eine Rückkaufoption versprachen sie ihm. Erfreut stimmte Adolf zu. Das gleiche Spiel wiederholte sich drei Jahre später. Da kauften die Hamburger ein weiteres Viertel, zahlten allerdings nur noch 200 Mark. Die restliche Alster-Hälfte wechselte schließlich 1310 unter Adolf VI. (1256–1315) den Besitzer. Diesmal ohne Rabatt. Hamburg gehörte nun der ganze Fluss. Gesamtkosten: schlappe 1.025 Mark. Rückgabe ausgeschlossen. Ein echtes Schnäppchen, das wichtige wirtschaftliche Privilegien sicherte und über das sich die Holsteiner noch 620 Jahre später ärgerten. 1930 verfassten sie ein Gutachten, um die Alster zurückzubekommen. Ein aussichtsloses Unterfangen. Die juristische Abhandlung verschwand im Tresor und kam erst 1952 an die Öffentlichkeit.
Sobald im Winter die Frostperiode einsetzt, bibbern viele Hamburger. Nicht unbedingt wegen der Kälte, sondern vor Aufregung. Das große Sehnsuchtsziel lautet: ein paar schicke Tage „Alstereisvergnügen". Doch fast immer macht das Wetter einen dicken Strich durch die schöne Rechnung. Das populäre Volksfest ist (und bleibt) eben eine echte Seltenheit. In den letzten 40 Jahren gab es nur sechsmal die Gelegenheit zum winterlichen Budenzauber. Zuletzt im Februar 2012. Wenn es ausnahmsweise einmal dazu kommt, lassen es die Hamburger dafür umso mehr krachen. Bis zu 500.000 Besucher stürmen aufs Eis und die 150 Verkaufsstände. Damit nichts Schlimmes passiert, besteht die Umweltbehörde auf hohen Sicherheitsstandards. Erst wenn an 50 Stellen der Alster das Kerneis mindestens 20 Zentimeter dick ist, dürfen Buden rauf. Nur Gulaschkanonen bleiben generell verboten. Auch außerhalb Hamburgs hat das Volksfest viele Fans. 1991 kam sogar eine Gruppe Finnen angereist, um auf der zugefrorenen Alster eine zünftige Partie Golf zu spielen.
Ganz unclever war der Plan eigentlich nicht, den sich Hamburger Behörden im Zweiten Weltkrieg ausdachten: Als nach deutschen Luftangriffen auf London und andere britische Städte Vergeltungsmaßnahmen drohten, verfiel man auf die Idee, feindliche Bomberpiloten mit einer List zu verwirren. 1941 wurde daher auf der Binnenalster ein riesiges schwimmendes Holzmodell der Innenstadt gebaut. Aus jeder Menge Sperrholz und Farbe entstanden falsche Straßen, Häuser und Kanäle. Kern der Anlage war eine zweite falsche Lombardsbrücke. Die Hoffnung: Aus der Luft können die Piloten echte und falsche Brücke nicht unterscheiden. Die Chance, dass das Original verschont bliebe, stand 50:50. Doch der Plan eines potemkinschen Hamburger Dorfes ging nicht auf. Aus einem einfachen Grund: Bevor Bomber Richtung Hamburg flogen, berichteten englische Tageszeitungen groß und breit über die Tarnaktion. Der Schutzeffekt des mühsam fabrizierten Modells war daher gleich null.
Richtig gelesen! Auf der Binnenalster, nicht an der Binnenalster. Des Rätsels Lösung: Die Badeanstalt war ein Badeschiff. Zusammengezimmert wurde das Holzboot 1792/93 im Auftrag der „Patriotischen Gesellschaft". Mit seinen zwölf getrennten Badekammern ermöglichte es fortan ein sittlich und moralisch einwandfreies Baden in der Alster – zunächst nur Männern. Schnell entwickelte sich das in Form eines prachtvollen Pavillons gehaltene Floß zu einem absoluten Muss für Hamburgs High-Society. Es lag vor dem Jungfernstieg und war nur per Ruderboot zu erreichen. Bereits im ersten Jahr wurden 3.960 Eintrittskarten verkauft. Lange hielt der Bau allerdings nicht. Schon im Jahr 1800 war er so kaputt, dass ein neuer her musste. Der hielt leider auch nicht viel länger, so dass 1808 eine öffentliche Aktiengesellschaft ins Leben gerufen wurde, die innerhalb von zwei Jahren ein größeres und repräsentativeres Badeschiff bauen ließ. Nun durften – natürlich sorgsam nach Geschlechtern getrennt – auch Damen in die Alster hüpfen. In einer angeschlossenen Schwimmlehranstalt konnte Schwimmen trainiert werden. Zeitgenossen rühmten beide als eine „Zierde des Alster-Bassins". Gänzlich unumstritten war das Badeschiff allerdings nicht. Mediziner und Chemiker diskutierten heftig darüber, ob die Badenden die Hamburger Trinkwasserversorgung gefährdeten. Da man Trinkwasser direkt aus der Alster entnahm, fürchtete man den Schmutz der Badegäste. Feuer erhielt der Streit durch die Behauptung einiger Hamburger Amtsfischer. Sie mokierten sich darüber, dass durch die Einrichtung Fische aussterben würden. Zum Verhängnis wurde dem Schiff allerdings nicht dieser Vorwurf, sondern ein Sturm, der es 1845 fast zum Sinken brachte. Nun verlegte man es an die Außenalster. 2008 kämpfte der damalige Bürgermeister Ole von Beust dafür, wieder ein Badeschiff auf die Alster zu bringen – ging mit der Idee jedoch spektakulär baden.
Fast fünf Jahre dauerte es, bis aus einer tollen Idee Realität wurde und der erste Dampfer zur Jungfernfahrt ablegte. Die Idee zum motorisierten Schippern über die Alster hatte der Versicherungsagent Gustav Adolph Droege. 1854 beantragte er beim Rat der Stadt eine Erlaubnis zum Betreiben einer Schiffslinie zwischen dem Jungfernstieg und Eppendorf. Mit damals hochmodernen Dampfschiffen wollte er schnelle Verkehrsverbindungen in der wachsenden Großstadt schaffen. Unter Besitzern von Ruderfähren erhob sich daraufhin ein Sturm der Entrüstung, den der Senat tapfer ignorierte. Nach „nur eineinhalb Jahren Prüfzeit gab er Droeges Plan seinen Segen. Ein Schiff war schnell besorgt. Droege kaufte einen gebrauchten Raddampfer, der bis dahin seinen Dienst auf dem Rhein versehen hatte. Über die Nordsee ließ er ihn nach Hamburg bringen. Dort kam er kaputt an. Die Mannschaft hatte sich dumm angestellt und den Dampfkessel mit Meereswasser gefüllt. Das Salz zerfraß ihn – ganz ohne Hexerei – in Windeseile. Und da bekanntlich ein Unglück nur selten allein kommt, schlug der Dampfer im Januar 1857 leck und sank auf den Grund der Elbe – ohne jemals einen Meter über die Alster gefahren zu sein. Droege ließ sich davon nicht entmutigen. In Koblenz besorgte er sich ein Ersatzschiff, das diesmal sogar unversehrt im Norden ankam. Dafür gab es nun Ärger mit den Behörden. Bei der polizeilichen Abnahme stellte sich heraus, dass das Dampfboot „Helene
ein klitzekleines bisschen zu groß war. Droeges Erlaubnis galt für ein Boot mit zirka 6 Passagieren, sein Dampfer hatte aber Platz für 230. Der Unternehmer verlor seine Lizenz und verkaufte die „Helene" an eine russische Wolga-Reederei. Unterdessen begann am 15. Juni 1859 eine andere Firma mit der regelmäßigen Alster-Dampfschifffahrt.
Auswanderer
Der anhaltende Erfolg von TVReality-
Soaps wie „Goodbye Deutschland!" zeigt:
Das alte Thema hat offensichtlich immer
noch einen ganz besonderen Reiz.
Über Hamburgs Hafen verließen innerhalb von 150 Jahren rund 5 Millionen Menschen ihre alte Heimat. In Boomzeiten waren es jährlich bis zu 300.000. Ein Großteil von ihnen ging in die USA, aber auch Australien, Ozeanien, Afrika und Südamerika waren Zielgebiete. Für Hamburg und seine Reedereien entwickelte sich die Angelegenheit ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem bombastischen Geschäft, das schrittweise ausgebaut wurde. Während man zu Beginn Auswanderer nur bis England chauffierte, wo sie in größere Ozeandampfer umstiegen, ging es bald per Direktverbindung in die Neue Welt. Die Idee vom Neuanfang am anderen Ende der Welt fasziniert Hamburger auch heute. Etwa 30.000 Hansestädter ziehen pro Jahr ins Ausland. Das sind vergleichsweise viele. Anfang der 1980er Jahre packten nur 11.000 Hamburger ihre Koffer und im Jahr 2000 waren es lediglich 18.000.
Um sich „einer Menge Vagabunden und müßigen Volkes zu entledigen" und ganz nebenbei eine Menge Geld zu sparen, schob der Hamburger Senat 1.824 Häftlinge nach Brasilien ab. Es war der Beginn einer wundervollen Freundschaft zwischen der Hansestadt und dem um seine Anerkennung kämpfenden brasilianischen Kaiser Pedro I. (1798–1834). Pedro hatte sich selbst zum Kaiser ausgerufen und brauchte zur Verteidigung des Anspruches dringend eine eigene Armee und Untertanen. Ein Trick: Auswanderwilligen, die sich für sechs Jahre Militärdienst verpflichteten, wurde die Überfahrt nach Südamerika geschenkt. Von Hamburg aus gingen bald zehntausende Deutsche und Osteuropäer als Soldaten und Siedler nach Brasilien. Unter falschen Versprechen, Vorstellungen