Schonzeit für Zwerge: ...und andere Geschichten
Von Peter Vinzens
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Buchvorschau
Schonzeit für Zwerge - Peter Vinzens
Schonzeit für Zwerge und andere Geschichten
Titel: Schonzeit für Zwerge
Der Mann am Fluss
Vom Nichts
Schonzeit für Zwerge
Ein Hahn kräht
Nur ein kleiner Betrug
Adagio für Herbert
Über den Autor
Schonzeit für Zwerge
und andere Geschichten
Peter Vinzens
Impressum
Texte: © Copyright by Peter Vinzens
Umschlag:© Copyright by Ursel Jaeger
Verlag:vtvfra.de, Vinzens
Stettiner-Str. 18
61348 Bad Homburg
produktion@vtvfra.de
Druck:epubli - ein Service der
neopubli GmbH, Berlin
ISBN Print:978-3-7450-2416-6
ISBN eBook:
Inhalt:
Der Mann am Fluss
Vom „Nichts"
Schonzeit für Zwerge
Ein Hahn kräht
Nur ein kleiner Betrug
Adagio für Herbert
Über den Autor
Der Mann am Fluss
Der alte Mann sitzt im Liegestuhl und fühlt sich als Herr über ein Reich. Er hat einen Auftrag, und den füllt er aus. Seit vielen Jahren nun schon. Er bewacht einen Platz, den eigentlich niemand haben will. Ein gemütlicher Job. Sein Gehalt ist klein, dafür aber hat er auch kaum Kosten. Nur sein Essen muss er bezahlen.
Balken liegen umher, Bretter, Schrott. Weit entfernt tuckern Schlepper vorbei. Flach fällt das Ufer ab, eine ehemalige Werft. Schon lange aber werden hier keine Schiffe mehr gebaut. Hier könnten spannende Kinderfilme gedreht werden, Models könnten über verrostete Schrotteile flanieren, Fotografen könnten die besten Motive finden. Allein, der Platz ist noch unentdeckt. Nebenan, der Fluss. Hier rauschen Frachtschiffe und Jachten vorbei, aber sie fahren eben vorbei. Ein wunderbar ruhiger Platz.
Sein Name ist Rex Mailman, aber niemand glaubt, dass der Name auch stimmt. Angeblich war er früher Zauberkünstler, Arbeiter in einem Schlachthof, Kriegsteilnehmer und Sänger. Neben einem alten, verrosteten Gewehr hängt eine verstimmte Gitarre an der Wand, und in der Ecke ruht eine verstaubte Bassgeige. Hinter der Türe klirrt eine stattliche Versammlung leerer Schnapsflaschen, und draußen rostest ein alter Buik vor sich hin. Manchmal, so sagt er, käme sein Freund der Sheriff vorbei. Dann würden sie einen „Kleinen" zu sich nehmen und von vergangenen Zeit erzählen. So zum Beispiel auch diese, natürlich völlig unglaubhafte Geschichte:
Da war nämlich dieser Samuel Langhorne Clemens. 1910 hat man ihn zu Grabe getragen. Der war, so behauptet Rex, ein langjähriger Freund seines Vaters gewesen. Und der habe ihm eine heute noch unbekannte Geschichte erzählt: Da ist also die Geschichte in der Geschichte, in der Geschichte. Da soll noch einer klarkommen, und ob sie der Wahrheit entspricht kann natürlich niemand nachprüfen. Aber warum auch?
Es gab also eine Werft in einem kleinen Nest am Mississippi, und dieses Unternehmen stand kurz vor der Pleite. Da kam der Besitzer, ein gewisser John Alexander Krasnow, auf die Idee ein Rennschiff haben zu wollen. Also nicht so recht ein Rennboot, wie wir es heute kennen, sondern eher was Größeres. Und unter „größer" verstand man im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert ein Dampfschiff, das Passagiere und Fracht befördern konnte und auf dem man um Geld spielen und beliebig viel trinken durfte.
So ein Schiff musste man natürlich erst einmal haben. Erst dann konnte man zahlende Gäste und schreibende Journalisten einladen. Damals war es nämlich üblich die Beobachter von Schiffsrennen an Bord zu haben. So konnten diese das Ereignis aus der Nähe genießen, dabei den einen oder anderen Drink nehmen und außerdem das überflüssige Geld auch noch im Spiel verjubeln. Gegebenenfalls, bei Interesse, konnte man schlicht an die Reling treten und den Weitergang des Rennens zur Kenntnis nehmen. Und wenn dann die eigene Mannschaft zu lahm war, dann brauchte man nur zu den Dollars langen, um ihre Motivation zu fördern. Schließlich hatte man ja auch in Wetten für die Rennfahrt investiert. Aber noch immer stand ein kleines Problem im Raum: Dazu brauchte man ein Schiff.
John Alexander Krasnow wollte seinen Laden und natürlich sich selbst sanieren. Dies aber war schwierig. Fahrten wollten schließlich viele gewinnen, viele hatten sogar eigene Schiffe, sie konnten sie sogar herzeigen, er aber hatte nur eine eigene, zugegebenermaßen abgewirtschaftete Werft, gute Leute und viele Ideen. Deshalb entwickelte er einen Plan, er gebrauchte seinen Verstand:
In einer kleinen Kneipe, dicht unten am Hafen sitzen Matrosen und andere Trunkenbolde, schließlich war die Zeit der Prohibition in den Staaten noch nicht erfunden. Hinter der Theke wurstelt ein missmutiger Wirt herum. Der Spiegel, Bestandteil eines jeden Westerns der heutigen Tage, ist nicht zu finden. Dafür aber wird Musik vom Feinsten gegeben, die keiner hören will. Alle reden wild durcheinander. Es ist also wie im richtigen Leben: Das Wahre, Edle, Gute, niemand will es zur Kenntnis nehmen.
Auf einmal geht draußen so richtig die Post ab. Irgendwelche Frauen kommen sich wegen irgendwelcher Probleme in die Wolle, streiten herum, reißen sich die Kleider vom Leibe und krakeelen, was das Zeug hält. Das ist natürlich richtig interessant. Alle rennen hin, gucken, feuern an, finden den Disput wunderbar. Endlich ist mal richtig was los in der Bude.
Auch die beiden Wachen auf der „Spirit of St. James", einem edlen Schiff der Superklasse, kommen natürlich herunter. Wäre es doch ein Verbrechen sich das Schauspiel entgehen zu lassen. Deshalb hin und mitgemacht. Natürlich bilden sich sofort Parteien für und gegen die eine oder andere der Damen. Mit Fäusten und Worten, also eigentlich mehr mit Fäusten, wird die Angelegenheit geregelt. Endlich mal eine Abwechslung.
Am nächsten Morgen war in der Zeitung zu lesen, dass in der Nacht unter wundersamen Umständen, die berühmte „Spirit of St. James abhandengekommen war. Sie war schlicht weg. Nur noch abgeschnittene Leinen erinnerten an das wunderbare Schiff. Auch die intensive Suche auf allen Teilen des näheren Flusses blieben ergebnislos. Die „Spirit of St. James
gab es nicht mehr. Sie hatte sich in Luft aufgelöst. Irgendwie.
Kaum hatte nämlich die schöne Schlägerei begonnen, da schlenderten einige Herren herbei, durchschnitten die Taue und enterten den Kahn. Die Strömung, an dieser Stelle nicht unerheblich, tat ihr übriges und so entschwand diese wertvolle Investition der „Mississippi Steam Company", das Juwel unter den Schiffen, sang und klanglos in der Dunkelheit.
Der Rest der Nacht war sehr „busy, das heißt viele Leute mussten hart arbeiten. Aber gegen Geld konnte man schon in den „goldenen Zeiten
der Vereinigten Staaten, jederzeit schweigsame Leute bekommen. Denn kaum war das schöne Schiff in der Dunkelheit untergetaucht, da kam ein kleiner Schlepper der uns bereits bekannten Werft, und nahm den großen Bruder an den Haken.
Niemand soll nun meinen, amerikanische Bürger seien besonders kriminell veranlagt. Das ist natürlich grundfalsch. Sie besitzen nur bisweilen einen besonderen Geschäftssinn. Besonders, wenn ihnen das Wasser bis zum Halse steht.
Auf jeden Fall lief das schöne Schiff in den kleinen Seitenarm ein und wurde von vielen fleißigen Händen erwartet. Zuerst verschwand natürlich die wunderschöne Holzverkleidung mit dem Namen. Die konnte man nun wirklich nicht gebrauchen. Den hölzernen Rumpf und die wertvolle Dampfmaschine konnte und wolle man natürlich nicht verändern. Dazu wäre der Aufwand nun wirklich zu groß gewesen. Die Ingenieure der Werft, es waren zwei, und sie hießen Paul Newton und Sergjev Gnüth, hatten sich das alles genau ausgerechnet. Schließlich wollten sie ein „Rennpferd bauen. Da es für ein komplettes, also ein neues, finanziell nicht reichte, hatten sie sich deshalb einfach einen Rumpf „ausgeborgt
. Extraschichten wurden geschoben, Zulage gab es, und der Chef selbst verteilte Alkoholika, Kaffee und Sandwichs.
Am Morgen lag ein etwas klappriges Schiff im Seitenarm, nur wenig Aufbauten, die Maschine teilweise offen, das gigantische Schaufelrad von Lumpen verborgen. Träge schlichen einige faule Arbeiter herum, der Chef, betrunken in der Hütte, und aus so einem Betrieb konnte selbst nach der Meinung der Sheriffs nichts werden. Pinkerton- Detektive kamen später und alle fanden, dass dies ein Pleiteunternehmen war. Zu viel Schrott auf dem Platz. Unaufgeräumt. Berge von Holz. Niemand machte sich die Mühe die Schriften auf den Brettern zu erkennen. Das allerdings wäre auch peinlich gewesen.
Ein paar Wochen später, wiederum in der Zeitung zu finden, gab die Werftleitung bekannt, dass nun doch ein Schiff fertiggestellt sei. Niemand hatte es erwartet, niemand nahm es ernsthaft zur Kenntnis. Bis an den Tag, an dem die erste Geschwindigkeitsmessung des neuen Kahns bekannt wurde. Das Unternehmen hatte einen „big deal" gelandet. Die Kiste war ungeheuer schnell. Und das war natürlich wieder eine Meldung wert. Woran man wieder einmal ermessen kann, wo die Interessen und Vorlieben einer freien Presse liegen. Aber das hat sich ja bis heute nicht geändert.
Da war zudem die Sache mit einem gewissen Herrn Hearst. Wir alle kennen ihn, denn er war, und sein Konzern ist es noch heute, Zeitungskönig der USA. Damals. Heute beherrscht die Firma immer noch den Nachrichtenmarkt, auch wenn sich der verändert hat. Dieser Herr Hearst war ursprünglich ein fauler Kerl. Als er aber die Zeitung seines Vaters geerbt hatte, da fand er den Weg zur Arbeit und sein Interesse für publikumswirksame Vermarktung. Ihm verdanken wir auch den Begriff „Yellow Press". Und das kam so:
Amerika, also der „Amerikaner als Solcher, fühlte sich zum Ende des vorvergangenen Jahrhunderts von den Chinesen bedroht. Die wollten nämlich nicht das, was die amerikanische Regierung wollte und damit hatten die Amerikaner - zwangsläufig - ein Problem. Schließlich hatten sie gerade begriffen wie Kapitalismus funktioniert. Sie begannen sich gerade dem Rest der Welt zu öffnen und da stellten sich doch diese arroganten Chinesen quer. Das war natürlich eine ernste Bedrohung für den „Amerikaner als Solchen
, für die freie Welt, und deshalb war das natürlich auch ein Thema für die Zeitung.
Selbstverständlich auch für die Zeitung eines gewissen Herrn Hearst. Das Blatt beschäftigte Reporter und Politiker, Wissenschaftler und Karikaturisten und letztere waren es, die den Begriff prägten: „Yellow Press. Da war das Bild zu sehen wie ein Chinese, die „Gelbe Gefahr an sich
eben, das arme Amerika beutelte. Und nebenan stand ein gewisser Herr Hearst und trotzte der „Gelben Gefahr". Nur mit seiner Zeitung in der Hand. Ein Held, der sich nichts gefallen ließ.
Emotional, publikumswirksam, polemisch, und sehr dicht an „Volkes Stimme. Und damit war die „Gelbe Presse
, „the yellow press" erfunden, und wir haben sie immer noch am Hals.
Und warum erzählen wir das? Nur um zu sagen: Die Yellow Press war bereits vorhanden und vollendete nun das Werk von Mr. Krasnow, denn ohne diese Presse hätte die Nummer mit dem Schiff nie funktioniert. Nie wäre Krasnow reich geworden und ob er es geblieben ist, war für die „Presse" natürlich erst einmal völlig uninteressant. Krasnow hatte ja gerade erst angefangen.
In der schmutzigen Baracke sitzt er, und ein Mensch mit Hut ist bei ihm. Getränke sind da, Kaffee und Scharfes, zu essen und zu trinken gibt es auch. Was aber viel wichtiger ist: Krasnow kennt seinen Gast, ein Kumpel, der von Anfang an dabei war, ein Journalist. Der soll ihm nun helfen, sollte sein PR- Manager sein, denn nun ging es ums Geldverdienen.
Schließlich entsteht ein Schiffsrennen nicht einfach so aus dem Hut heraus. Da gilt es Sponsoren zu finden, Pressearbeit ist zu bringen und wettfähige, zahlungskräftige Kunden sind aufzutreiben. Ohne die Zeitungen geht da eben nichts. Woran man wieder mal erkennen kann: Es hat sich nichts geändert in der langen Entwicklungszeit dieses Mediums. Daran muss man sich einfach gewöhnen.
Der Herr Clemens, der aufmerksame Leser kann sich erinnern, saß also seinem Freund Krasnow gegenüber und baldowerte mit ihm eine große Nummer aus. Clemens war übrigens auch in der „Nacht der Entführung" dabei, denn damals litt er gerade wieder einmal unter chronischem Geldmangel. Das aber war für ihn nichts Neues, das hatte er schon an anderen Orten erfolgreich hinter sich gebracht. Nun aber brauchte er eine gute Story, die möglichst US-weit vermarktet werden sollte.
Schon damals, aber so lange ist das nun auch wieder nicht her, verbreiteten bereits Nachrichtenagenturen gute, fetzige Storys über das ganze Land. Telegrafenleitungen erreichten schließlich selbst die verschlafenste Redaktion. Und die Meldung von weit weg, vermittelt über die Agentur, war zudem billiger als der eigene Reporter. Und, es kommt noch was: Die Provinzzeitung war ohne jede Konkurrenz. Niemand konnte ermessen, ob der Reporter ein eigener, ein wildfremder oder ein erfundener war. Hauptsache die Story war gut.
So wurde die Geschichte von langer Hand vorbereitet.
Es entstanden Reportagen über die Versuchsfahrten. Das Schiff war kleiner geworden. Den Rumpf konnten sie, man bedenke die Kürze der Zeit, leider nicht beeinflussen. Die Größe der Maschine auch nicht. Nur die Aufbauten wurden verändert. Auf den Ponton wurde ein neues Gerüst gestellt. Ein Stockwerk niedriger. Anders sollte das Schiff aussehen. Das war wichtig. Außerdem sollte es gewinnen im Wettkampf Der aber war nur interessant, wenn die Quoten ungünstig sind. Der Spitzenreiter bringt schlechte Quoten, der Außenseiter abenteuerliche. Es galt also ein Schiff zu haben, das schnell war, weit laufen konnte, ohne dass ihm dies irgendwer zutraute.
Die Presse ist dafür ein wunderbarer Nachrichtenträger.
Am 18. Juli 1895 ist die erste „Erprobungsfahrt des neuen Schiffes. Kurz vorher war es auf den unbedeutenden Namen „Adventure
getauft worden. Das aber sollte nur eine pressewirksame Veranstaltung sein. Eine Vorstellung, sonst nichts. Eigentlich war die „Adventure" ein hässlicher