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Soccermatics: Fußball und die Magie der Zahlen
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eBook420 Seiten4 Stunden

Soccermatics: Fußball und die Magie der Zahlen

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Über dieses E-Book

Jemand mag ein Dribbelkünstler sein oder ein Flankengott, aber ohne eine Struktur auf dem Platz nützt das wenig. Fußball ist mehr als Statistik und Taktik, mehr als Ausnahmespieler und mehr als der unbedingte Wille zu gewinnen. Fußball ist mehr als ein Spiel. Mathematik auch. David Sumpter entwirft in seinem Buch eine Fußball-Mathematik, die weit über Alex Fergusons Taktiken und Lionel Messis Tempodribblings hinausgeht.
SpracheDeutsch
HerausgeberecoWing
Erscheinungsdatum10. Mai 2016
ISBN9783711051684
Soccermatics: Fußball und die Magie der Zahlen

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    Buchvorschau

    Soccermatics - David Sumpter

    978-3-7110-5168-4

    Anstoß

    Mathematik kann mit Fußball nicht mithalten. Der Fußball kanalisiert die Hoffnungen und Träume ganzer Nationen. Er vereint uns in unserer Bewunderung von Können und Hingabe. Er kann mit Superstars und Taktik, Unterhaltung und Spannung aufwarten. Fußball füllt die letzten Seiten der Zeitung und unseren Twitter-Feed. Zehntausende Fans drängen sich auf den Tribünen und Milliarden Menschen verfolgen die Weltmeisterschaft im Fernsehen. Im Vergleich dazu die Mathematik: Obskure Fachzeitschriften liegen unbeachtet in menschenleeren Bibliotheken. An Seminaren nehmen zwei sanft schnarchende Professoren und ein kleines Häufchen gelangweilter Doktoranden teil. Fußball und Mathematik? Der Kampf ist schon entschieden.

    Wenn Mathematik mit Fußball mithalten könnte, würden wir 50 Euro pro Monat für ein Abo von Sky Mathematik hinlegen. Anstatt am Mittwochabend die Champions League zu gucken, würden wir uns ein Video der Khan Academy über lineare Ungleichungen reinziehen. Wenn Mathematik mit Fußball mithalten könnte, würden wir unsere Novembernachmittage auf eiskalten Plastiksitzen verbringen und dabei zusehen, wie Marcus du Sautoy diesen eingebildeten Fernseh-Physiker aus Manchester von der Tafel putzt. Arsenal 1, Oldham Athletic 0. Anstatt zu sagen: »Es ist ein Spiel mit zwei Halbzeiten« würden wir sagen: »Es ist eine einfache Teilung des Einheitsintervalls in gleich große Mengen.« Anstatt zu sagen: »Er gab 110%« würde der Kommentator sagen ... tja, er würde sagen: »Er gab 100%.«

    Es ist ja nicht so, als hätte die Mathematik nicht ihre Chance gehabt. Wir alle haben in der Schule das Einmaleins gelernt und Zahlen in Taschenrechner getippt. Stundenlang haben wir versucht uns einzuprägen, ob 7 mal 8 56 oder 54 und ob Pi die Quadrat- oder die Kreiszahl ist. Man sollte meinen, angesichts all der investierten Zeit und all des Übens müsste es den Menschen aufgefallen sein, wenn Mathematik so aufregend wäre wie Fußball. Aber so leicht lassen sich die Menschen offenbar nicht täuschen. Es kann schon sein, dass es etliche Menschen gibt, die Mathe mögen, aber es gibt viele, viele, die Fußball über alles lieben.

    Ich gehöre zu denjenigen, die Mathe fast genauso sehr mögen wie Fußball. Ich bin Mathematikprofessor und verbringe meine Zeit damit, mathematische Modelle zu erstellen und zu verstehen. Aber nicht einmal ich würde so weit gehen zu behaupten, dass Mathematik mit Fußball mithalten kann. Das kann sie nicht. Die Zahlen sprechen dagegen.

    Manchmal, wenn ich von einer Fußballübertragung in meine Mathematikbücher blicke, frage ich mich, was ich eigentlich mit meinem Leben anfange. Hier bin ich, ein Professor für angewandte Mathematik. Ich beschäftige mich mit einer breiten Palette unterschiedlicher und interessanter Probleme und arbeite mit Wissenschaftlern aus aller Welt zusammen. Ich kann in ferne Länder reisen, meine Arbeit auf Konferenzen präsentieren und die besten Universitäten der Welt besuchen. Das sollte alles in allem damit vergleichbar sein, in der englischen Nationalelf zu spielen. Ist es aber nicht, und das weiß ich auch. Mathematiker zu sein ist respektabel, aber nichts im Vergleich zu einer erfolgreichen Karriere im Fußball.

    Große Fußballer sind nicht nur Meister der Technik und Kunstfertigkeit, sie besitzen auch eine unglaubliche körperliche Fitness. Und Fußballer sind bestimmt nicht dumm, ganz im Gegenteil. Bei Nachwuchsfußballern achten Talentscouts vor allem auf »Intelligenz«, auf die Fähigkeit, rasch aufzunehmen, was um einen herum vorgeht und für alle Eventualitäten zu planen – wir Akademiker würden vielleicht räumliches Denken dazu sagen. Und Fußballer sind auch nicht faul. Sie sind hoch motivierte, fokussierte, engagierte Individuen, die sich schon in jungen Jahren für den Weg des Erfolgs entscheiden. Fußballer werden verehrt, weil sie wirklich Großes erreicht haben. Uns Normalsterblichen bleibt nur das Träumen.

    Ich bin ein Mensch, der das Träumen nicht lassen kann. Obwohl ich inzwischen 43 Jahre alt bin, zwei linke Füße habe und mit mäßigem Interesse Sport betreibe, möchte ich den Glauben daran nicht aufgeben, dass ich dem Fußball etwas zu geben habe. Schließlich stand das Planen und Denken auch auf der Liste der Voraussetzungen für fußballerischen Erfolg, oder nicht? Diese Dinge kann ich gut. Vielleicht hat die Mathematik dem Fußball etwas zu bieten? Und vielleicht hat der Fußball der Mathematik etwas zu bieten?

    Es gibt berechtigte Gründe zu der Annahme, dass sich meine hart erarbeiteten Modellierkünste als nützlich erweisen könnten. Zahlen spielen im Fußball eine immer wichtigere Rolle. Spieler- und Mannschaftsranglisten, Vorlagen und Tore, Ballbesitz- und Passquote, Zweikämpfe und abgefangene Bälle sind nur einige der statistischen Daten, die in Spielberichten erfasst werden. Auf ihrem Computer präsentieren Trainer in der Nachbesprechung von Spielen detaillierte Tabellen mit Eckballwinkeln, der zeitlichen Abfolge von Pässen und Heatmaps von Positionen. Aber diese Zahlen sind nur der Anfang. In der Mathematik geht es darum, statistische Daten so zusammenzufügen, dass wir ein Bild davon bekommen, was vor sich geht. Sobald wir Zahlen haben, hilft uns die Mathematik dabei, zu verstehen.

    Eine ganze Reihe von Fußballfragen lassen sich mithilfe der Mathematik beantworten. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass in der letzten Minute eines Champions-League-Finales zwei Tore fallen? Fans von Manchester United haben dazu sicher ihre eigene Meinung, aber eigentlich geht es um die Frage, wie reiner Zufall beschaffen ist. Warum ist Barcelonas Tiki-Taka-Passspiel so effektiv? Das ist eine Frage von Geometrie und Dynamik. Warum vergeben wir für den Sieg bei einem Ligaspiel drei Punkte? Das ist eine Frage der Spieltheorie und von Anreizen. Wer ist der Beste, Messi oder Ronaldo? Das ist eine Frage von Ausreißern in der Statistik. Was sagen uns Heatmaps und Passdaten tatsächlich über ein Spiel? Das ist eine Frage der Auswertung großer Datenmengen und vernetzter Systeme. Wie bekommen es Buchmacher hin, so verlockende Spreadwetten anzubieten? Das ist eine Frage des Kombinierens von Wahrscheinlichkeit und Psychologie. Und warum ist es so schwer, richtig zu tippen? Das ist eine Frage kollektiver Intelligenz und von Mittelwertbildung.

    All diese Fragen und noch mehr werde ich in diesem Buch beantworten, aber damit ist mein Ehrgeiz noch nicht befriedigt. Mit Soccermatics möchte ich Ihnen nicht nur ein paar mathematikbezogene Fußballfakten liefern, mit denen Sie Ihre Freunde in der Kneipe beeindrucken können; ich möchte Ihren Blickwinkel auf die Mathematik einerseits und den Fußball andererseits verändern. Auch wenn Mathematik nicht mit Fußball mithalten kann, können meiner Ansicht nach beide Bereiche voneinander profitieren und lernen. Die Mathematik hilft dabei, den Fußball zu verstehen, und der Fußball hilft dabei, die Mathematik zu erklären.

    Fußball und Mathematik haben denselben Ausgangspunkt. Die Grundlage im Fußball sind die »Spielregeln«, die Regeln, die vom International Football Association Board festgelegt werden. Fußballtrainer müssen das Problem lösen, ihre Mannschaft innerhalb der Grenzen dieser Regeln zum Sieg zu führen. Die Mathematik hat ihr eigenes Regelwerk, das der Mathematiker beachten muss, um die richtige Antwort auf eine bestimmte Frage zu erhalten. Durch die Befolgung dieser Regeln und mit einer Prise Inspiration versuchen sowohl der Fußballer als auch der Mathematiker, ihr Ziel zu erreichen. Trainer und Mathematiker fangen beide mit der Theorie an.

    Aber Spielregeln sind nicht alles. Der Trainer erklärt den Spielern vielleicht, wie wichtig es ist, die Position zu halten, aber wenn sich ein zentraler Verteidiger den Ball in der eigenen Hälfte schnappt, zielstrebig auf das Tor des Gegners zustürmt und den Ball in der linken oberen Ecke des Tors versenkt, wird sich nicht einmal Louis van Gaal beschweren. Die meisten von uns sind gerne bereit zu akzeptieren, dass zwischen Theorie und Praxis ein grundlegender Unterschied bestehen kann. Wenn sich alle strikt an die Theorie hielten, wären Fußballspiele – und das Leben generell – wirklich sehr langweilig.

    Dasselbe gilt für die Mathematik. Natürlich bleiben mathematische Theorien immer wahr, wenn sie einmal bewiesen sind. Der Satz des Pythagoras beschreibt das Verhältnis der Seiten eines Dreiecks zu einem rechten Winkel, und dieses Verhältnis ist ewig gültig. Aber in der echten Welt gibt es keine perfekten Dreiecke, und wenn Mathematik auf die echte Welt trifft, kann alles passieren. Manchmal bildet unser mathematisches Modell die echte Welt korrekt ab, manchmal aber auch nicht. Manchmal stellen wir, wie Fußballtrainer, eine wunderschöne Theorie auf, nur um dann feststellen zu müssen, dass die tatsächlichen Beobachtungen in eine ganz andere Richtung gehen. Die Mathematik dem Praxistest zu unterziehen ist genauso wichtig wie eine genaue Detailkenntnis der Theorie.

    Diese Kombination aus Theorie und Praxis macht Fußball zu dem Sport, den wir lieben. Selbst wenn Sie dribbeln können wie Messi oder einen Freistoß schießen wie Beckham – wenn Ihrer Mannschaft die Struktur fehlt, werden Sie nie Gelegenheit haben, Ihre Künste zu zeigen. Sie können die Nationalhymne voller Inbrunst und Stolz singen, aber eine halbe Stunde später liegen sie 5:0 gegen eine gut organisierte deutsche Elf zurück. Und auch wenn Sie jedes Spielsystem auswendig kennen, wird Ihnen ohne all die Übungsstunden auf dem Schulhof und dem Trainingsgelände das zum Erfolg nötige Ballgefühl fehlen. Fußball ist mehr als Taktik, mehr als Ballbeherrschung – und mehr als das Gefühl zu gewinnen.

    Während jeder Fußballexperte weiß, dass Theorie und Taktik nur ein kleiner Bestandteil von Fußball sind, wird das der Mathematik seltener zugestanden. Wir hören von Figuren wie Andrew Wiles, der sich in seinem Büro in Princeton einschloss und sieben Jahre später mit einem Beweis für den Großen Satz von Fermat wieder herauskam. In Filmen werden Mathematiker als Wunderkinder, verstaubte und mit Kreide verschmierte Professoren oder geniale Eigenbrötler dargestellt. Man erzählt uns, dass Mathematik ein kompliziertes, sich ständig veränderndes Schachspiel sei, das man jahrelang studieren muss, um die Regeln zu lernen. Das ist so ziemlich das genaue Gegenteil zur fanatischen Welt des Fußballs. Allzu oft bewundert man die Mathematik für ihre Reinheit und Mathematiker für ihre Hingabe, aber nicht für ihre Impulsivität oder Vorstellungskraft.

    So schön die reine Mathematik sein mag, sie ist nicht die Art von Mathematik, die mich fasziniert. Mein Bestreben war immer, die Mathematik in ungewöhnlichen Feldern anzuwenden. Ich habe Netze benutzt, um Zersiedelung, Bahnnetze und segregierte Stadtviertel darzustellen. Ich sehe Gleichungen vor mir, wenn ich den Blicken von Pendlern folge, den Applaus von Studenten nach einem Vortrag höre und beobachte, wie Heavy-Metal-Fans in der Moshpit hüpfen. Ich habe Modelle von Fischen erstellt, die in den Korallenriffen des Great Barrier Reefs schwimmen, vom demokratischen Wandel im Nahen Osten, von den Straßen kubanischer Blattschneiderameisen, von Wanderheuschreckenschwärmen in der Sahara, von sich ausbreitenden Krankheiten in ugandischen Dörfern, der Entscheidungsfindung europäischer Politiker, tanzenden Honigbienen in Sydney, amerikanischen Börseninvestoren und den röhrenförmigen Strukturen, die von japanischen Schleimpilzen gebaut werden. Für mich gibt es bei der Erstellung mathematischer Modelle keine Grenzen. Alles kann und sollte modelliert werden.

    Schon früh in meiner Karriere habe ich erkannt, dass ich mich von vielen meiner Kollegen unterscheide, die sich auf spezifische Gleichungen oder einzelne Anwendungsfelder spezialisiert haben. Ich wollte mich in die Daten vergraben und mit Biologen und Soziologen zusammenarbeiten. Ich liebe die abstrakte Schönheit von Gleichungen, aber Formeln sind bedeutungslos, wenn sie nicht etwas über die Realität aussagen. Und obwohl ich den Großteil des Tages vor meinem Computer oder damit verbringe, auf einer Tafel Ideen zu skizzieren, kann man mich auch dabei antreffen, wie ich eine Rennbahn für Heuschrecken baue, mit Regierungsministerien über die Lösung gesellschaftlicher Probleme spreche, durch den Wald spaziere und Ameisen zähle oder Tablets in Schulklassen verteile, um die Schüler beim Spielen interaktiver Mathematikspiele zu beobachten. Bei der Auswahl der untersuchten Probleme gehe ich nicht allein nach logischen Gesichtspunkten vor, sondern lasse mich von meinen Emotionen, meinen Empfindungen und meinem Sinn für Humor leiten. Mathematik ist für mich ein Spiel wie Fußball, nur dass ich es viel, viel besser beherrsche.

    Bei all meinen scheinbar zufällig ausgewählten Projekten hat es immer einen gemeinsamen roten Faden gegeben. Mir fällt auf, dass sehr unterschiedliche Teile der Welt miteinander zusammenhängen, und ich benutze die Mathematik dazu, Verbindungen zwischen ihnen herzustellen. Die Mathematik, die ich dabei anwende, hat keine Angst davor, sich dreckige Knie zu holen, nach der Halbzeit die Taktik zu ändern oder mit Spielern aus allen Milieus und aller Welt eine riesige Bolzerei zu veranstalten. Es ist eine Mathematik, die sowohl unterhalten als auch beeindrucken will und mit der wir die Mannschaft ebenso feiern wie den Einzelnen. Diesen Ansatz nenne ich »Soccermatics«.

    In diesem Buch verwende ich Soccermatics, um eine ganze Palette völlig unterschiedlicher Probleme anzugehen. Fußball ist immer der Ausgangspunkt, aber dabei bleibe ich nicht stehen. Jedes Kapitel ist eine Geschichte darüber, wie sich durch das Zusammenwirken von Fußball und Mathematik beachtliche Analogien entdecken lassen. Ich zeige, dass Trainer beim Kampf um Punkte dieselbe Taktik anwenden wie Vögel beim Kampf um einen Wurm und Krebszellen im Kampf gegen unseren Körper. Ich zerlege die Netzstruktur einer Champions-League-Mannschaft, ich zeige, dass sich anhand dessen, wie sich Fußballfangesänge ausbreiten, alles Mögliche erklären lässt – von höflichem Zuschauerapplaus über Transfergerüchte bis hin zu Krankheiten in den ärmsten Gegenden Afrikas. Ich zeige, dass die La-Ola-Welle vielleicht lustig für Fußballfans, für Fische jedoch überlebenswichtig ist. Diese Geschichten stellen eine Verbindung her zwischen der Welt der Physik, der Biologie, der Soziologie und des Fußballs.

    Hinter den einzelnen Geschichten liegt eine tiefere Botschaft. Bei der Soccermatics-Philosophie geht es um einen offeneren und kreativeren Umgang mit Mathematik. Es geht um eine Mathematik, die Grenzen überwindet, die Verbindungen und Analogien aufzeigt. Es geht um eine Mathematik, die man auf alles anwenden kann. Ich benutze Fußballanalogien, um andere Teile unserer Welt zu erklären, und erkläre Fußball anhand anderer Teile unserer Welt. Es ist möglich, diese Analogien zu ziehen, weil mathematische Modelle eine effektive Methode liefern, um Verbindungen zu erkennen. Wenn man beruflich mathematische Modelle erstellt, findet man Beziehungen, die andere Menschen übersehen.

    Genauso wie Fußball kann auch jeder den Modellierer spielen. Wenn Sie zu den Menschen gehören, die Sachverhalte durch Fußballanalogien, Sportanalogien, Wetteranalogien, Film- und Musikanalogien, Naturanalogien oder irgendwelche anderen Analogien klarer erkennen können, sind Sie bereits auf dem besten Weg, ein mathematischer Modellierer zu werden. Wenn Sie gut darin sind, Analogien zu ziehen, sind sie auch gut im Erstellen mathematischer Modelle. Ein Modellierer braucht zuallererst eine lebendige Vorstellungskraft, dann kann er sich den Problemen annähern. Es ist ein kreativer Vorgang, aber einer, der bestimmten Regeln und Vorgehensweisen unterliegt. Ich möchte Ihnen diese Denkweise vermitteln und Ihnen hoffentlich dabei helfen, Ihr eigenes Leben und die Welt um Sie herum besser zu verstehen. Mathematik ist eine Art, Probleme zu sehen und Lösungen zu finden.

    Indem Sie soccermatisch denken, werden Sie Spieler, Mannschaften, Trainer und Fans in einem neuen Licht betrachten. Sie werden erfahren, warum Bastian Schweinsteiger ein Wirbelwind ist, warum die Verteidiger von Bayern München Löwinnen sind und warum die 2015er-Mannschaft von Barcelona ein Kampfjet ist. Sie werden lernen, wie man eine Mannschaft motiviert, indem man sie wie Ameisen zusammenarbeiten lässt, und wie man Spieler zu vollem Einsatz treibt, indem man andere Anreize schafft. Sie werden erfahren, warum Wetten mit dem Versuch vergleichbar ist, in die Zukunft zu telefonieren, verstehen, warum auch Menschen, die kaum eine Ahnung von diesem Spiel haben, beim Wetten gemeinsam kluge Vorhersagen treffen können, und erkennen, warum Sie den Experten niemals trauen sollten. Vielleicht finden Sie sogar heraus, wie Sie beim Buchmacher ein paar Euro gewinnen können.

    In diesem Buch erkläre ich die wichtigen Modelle anhand von Worten, Computersimulationen und Bildern. Anstatt die Seiten mit geheimnisvollen Symbolen zu füllen, mache ich aussagekräftige Berechnungen, die das Innenleben einer Fußballmannschaft offenbaren. Ihren Grafik-Taschenrechner werden Sie nicht brauchen, denn ich kann mit meinem Laptop riesige Mengen von Spieldaten verarbeiten. Unsere gute alte Tafel werden wir nur dazu benutzen, Diagramme und intuitive Bilder zu zeichnen. Ich setze kein tieferes Mathematikwissen voraus, aber denjenigen, die mehr erfahren wollen, liefere ich in den Fußnoten nähere Erläuterungen. Ich werde zeigen, dass es beim Erstellen mathematischer Modelle darum geht, Muster zu erkennen und Analogien zu ziehen. Am Ende des Buchs werden Sie in der Lage sein, die Mathematik überall zu entdecken.

    Und ich setze auch kein fundiertes Fußballwissen voraus. Ich will von Anfang an ehrlich zu Ihnen sein. Zwar garantiere ich Ihnen, dass Ihnen dieses Buch eine einzigartige Sicht auf den Fußball vermitteln wird, bin mir jedoch meiner Grenzen bewusst: Ich bin selbstverständlich kein weltberühmter Trainer, sondern nur ein einigermaßen erfolgreicher Akademiker. Bevor ich anfing, für dieses Buch zu recherchieren, ging es mir wie vielen anderen Engländern: Ich schaue gern Fußball, ich lese darüber, ich kicke mit Freunden und trainiere in meiner Freizeit eine (sehr talentierte) Mannschaft von Zehnjährigen. Aber wer mich einmal hat spielen sehen, der wird sich totlachen, dass ich ein Buch über Fußball geschrieben habe.

    Anstatt mich als Fußballexperte aufzuspielen, vermittle ich Ihnen einen neuen Blickwinkel. Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler haben sich schon früher an Büchern über Fußball versucht. Könnten Mannschaften nur anders einwerfen und Ecken treten, behaupten sie zum Beispiel, dann würden mehr Tore fallen. Sie geben den besten Spielern der Welt Tipps, wie man einen Elfmeter schießt und liefern überzeugende statistische Argumente dafür, dass England der nächste Weltmeister wird – oder auch nie wieder Weltmeister wird. Manche dieser mathematisch inspirierten Vorschläge sind sinnvoll, andere aber nicht. Ich werde untersuchen, wie wir diese Behauptungen evaluieren und unsere eigenen modellgestützten Argumente dagegensetzen können.

    Das Gleiche gilt für Fußballübertragungen im Fernsehen. Die Studios sind heute mit der neuesten Technik ausgerüstet, um die Highlights und die Taktik des Spiels zu zeigen und zu analysieren. Für uns Zuschauer stellt sich die Frage: Welche nützlichen Informationen liefern uns diese Darstellungen eigentlich? Eine Animation der Spielerpositionen mag gut aussehen, wenn Jamie Carragher davorsteht, aber schließlich ist ja Jamie Carragher der Fußballexperte, nicht der Programmierer der Grafik. Wenn Daten auf neue Art dargestellt werden, sollten wir aufpassen, Präsentation nicht mit Inhalt zu verwechseln. Dafür müssen wir verstehen, welche Mathematik hinter den großen tollen Bildschirmen steckt.

    Dieses Übermaß an Daten und Statistiken gibt es nicht nur im Fußball. Die Mathematik wird heute benutzt, um Probleme in der gesamten Wissenschaft und Gesellschaft zu lösen. Immobilienpreise, Projektplanung, das Freundenetzwerk bei Facebook, virales Marketing, künstliche Intelligenz, Online-Poker, Wirtschaftswachstum, Gentechnik, Bioinformatik, Sicherheitskonzepte für Menschenmengen und Katastrophenplanung – all das und so ziemlich der Rest des modernen Lebens sind von der Mathematik beeinflusst. Auch wenn es Sie also nicht sonderlich interessiert, was 22 Menschen auf einem Platz mit einem Ball anstellen – der Welt der Mathematik können Sie sich nicht entziehen. Sie müssen verstehen, wie angewandte Mathematik funktioniert und wie wir Mathematiker denken.

    Fußball bietet eine Möglichkeit, die Verbindung zwischen Mathematik und der modernen Welt zu verstehen. Bei Soccermatics geht es darum, Analogien zu nutzen, um Wissenschaft, Gesellschaft und Fußball zu verstehen. Vergessen Sie also die langweiligen Sinus- und Cosinusregeln – ich werde Ihnen zeigen, dass es beim Modellieren darum geht, frei und in alle Richtungen zu denken. Wir werden auf dem Platz anfangen, uns dann auf die Trainerbank begeben und uns schließlich unter die Zuschauer mischen und versuchen, die Online-Buchmacher zu überlisten. Es wird eine mathematische Abenteuerreise durch ein wundervolles Spiel.

    ERSTER TEIL: Auf dem Platz

    Kapitel 1: Ich mache nie Voraussagen und werde das auch niemals tun

    KAPITEL 1

    Ich mache nie Voraussagen und werde das auch niemals tun

    Von dem englischen Mittelfeldspieler Paul Gascoigne stammt der Ausspruch: »Ich mache nie Voraussagen und werde das auch niemals tun.« Diesen Satz finde ich genauso genial wie sein Tor gegen Schottland bei der Europameisterschaft 1996. In nur zehn Worten beweist er, dass Vorhersagen unvermeidlich sind: In den ersten fünf Wörtern irrt er im Hinblick auf Vergangenheit und Gegenwart und im Rest auch noch im Hinblick auf die Zukunft. Doch obwohl Gazza gründlich falsch lag, sagte er uns doch etwas Tiefsinniges. Er brachte eine grundlegende Tatsache über das Leben zum Ausdruck: Alles lässt sich auf Muster zurückführen.

    Wie lange wir in der morgendlichen Rushhour für den Arbeitsweg brauchen, folgt einem Muster. Welche Freunde wir haben und wie oft wir sie treffen, folgt einem Muster. Was wir zu Abend essen und was wir im Supermarkt kaufen, folgt einem Muster. Und natürlich gibt es auch im Fußball Muster. Die Herausforderung besteht darin, diese Muster zu finden und zu verstehen. Sobald wir die Muster erkannt haben, können wir anfangen, Voraussagen zu treffen.

    Zufalls-Subbuteo

    Meine Faszination für Muster lässt sich auf ein dickes orangefarbenes Buch voller Fußballstatistiken zurückführen, das ich mit acht Jahren zu Weihnachten bekam. Stundenlang saß ich da und studierte die mit Zahlen gefüllten Seiten. Ich liebte die Tabellen mit den Namen der Mannschaften von links nach rechts und von oben nach unten, in die die Ergebnisse der von ihnen in einer Saison gegeneinander ausgetragenen Partien eingetragen waren. Ich ging die Tabelle von oben nach unten durch, zählte sämtliche Tore zusammen und suchte nach Spielen mit ungewöhnlichem Ausgang. Mein Lieblingsendstand war 4:3, aber 5:2 klang auch gut.

    Heute habe ich nicht mehr so viel Zeit, Fußballjahrbücher zu lesen, aber glücklicherweise findet man alle Ergebnisse und Tabellen innerhalb weniger Sekunden im Internet. Sie vermitteln einem ein Gefühl für die Unvorhersagbarkeit, von der Gascoigne sprach. Die Saison 2012/13 der Premier League ist ein gutes Beispiel – es gab einige aufregende Partien und überraschende Ergebnisse. Liverpool gewann zweimal 5:0 und einmal 6:0, konnte sich aber trotzdem nicht für die europäischen Wettbewerbe qualifizieren. Die Saison endete mit dem Rücktritt von Alex Ferguson, dem König der unerwarteten Schicksalswende in letzter Minute. Sein letztes Spiel als Trainer von Manchester United fügte sich da gut ein: Ein 5:5-Unentschieden, in dem Bromwich Albion drei Tore in den letzten zehn Minuten erzielte. »Football, bloody hell« (»Fußball, verdammte Hölle«), wie Fergie einmal sagte.

    Diese Ergebnisse sind die spannenden Ausnahmen, die denkwürdigsten Spiele der Saison. Es gab auch eine beträchtliche Anzahl langweiliger 0:0-Unentschieden, die vielleicht die Fans vergessen haben, die Saisonstatistik aber nicht. Aber wenn wir das zugrunde liegende Muster verstehen wollen, müssen wir diese ebenfalls in unsere Analyse miteinbeziehen. Das Histogramm in Abbildung 1.1 bildet ab, wie viele Tore in jeweils wie vielen Premier-League-Spielen der Saison 2012/13 erzielt wurden. Im Durchschnitt waren es etwas weniger als drei Tore pro Spiel, 2,79, um genau zu sein.

    Abbildung 1.1 Histogramm der in der englischen Premier League 2012/13 erzielten Tore.

    Das Histogramm zeigt, wie häufig die verschiedenen Ergebnisse auftraten. Es gab insgesamt 35 0:0-Unentschieden, dargestellt durch den ersten Balken im Diagramm. Fergusons letztes Spiel war eines von zweien in jener Saison, bei dem 10 Tore fielen, wie ganz rechts zu sehen ist. Das häufigste Ergebnis, der mittlere Balken, waren 3 Treffer, und in den meisten dieser Spiele lautete der Endstand 2:1. Es schält sich bereits ein Muster heraus. Der nächste Schritt besteht darin zu verstehen, woher dieses Muster kommt – dafür brauchen wir ein mathematisches Modell.

    Und für mathematische Modelle interessiere ich mich schon fast genauso lange wie für Statistik. Zu der Zeit, als ich das große orangefarbene Fußballjahrbuch las, hatte ich noch ein anderes großes Hobby: das Tischfußballspiel Subbuteo.[1] Mit meinem Freund David Paterson stellte ich eine Subbuteo-Fußballliga auf. Wir spielten jeden Tag nach der Schule, schoben vor dem Essen fünf oder sechs Partien ein und notierten uns jedes Ergebnis. Aber uns reichte nie die Zeit, um alle 380 Paarungen einer echten Liga durchzuexerzieren (20 Mannschaften mit jeweils 19 Heimspielen ergibt 20 × 19 = 380 Spiele). Der Tag hatte einfach nicht genügend Stunden.

    Gebremst von Eltern, die zu glauben schienen, dass wir auch essen und schlafen sollten, mussten Patzi und ich einen anderen Weg finden, die Liga zu vervollständigen. Wir verlegten uns aufs Würfeln. Patzi würfelte für eine Mannschaft und ich für die andere. Dann zogen wir von dem erzielten Wert jeweils einen Punkt ab. Wenn also Arsenal gegen Manchester City spielte, warf er einen roten Würfel und ich einen blauen. Wenn der rote Würfel 5 anzeigte und der blaue 3, gewann Arsenal 4:2. Dieses Modell generiert Spiele mit 0 bis 10 Toren, wie sie auch in meinem Histogramm der Premier League auftreten.

    Nach ausgiebigem Würfeln und einigen kleinen Korrekturen zugunsten unserer Lieblingsvereine füllten wir die Tabelle anhand der gewürfelten Zahlen aus. Auf diese Weise stellten wir ganze Ligen mit Statistiken zusammen und notierten alles sauber auf liniertem Papier. Ich glaube, ich war schon immer dazu bestimmt, Mathematiker zu werden. (Der andere David ist heute erfolgreicher Wirtschaftsprüfer.)

    Würfeln ist ein recht simples Beispiel für ein mathematisches Modell, aber es bringt auch ein paar Probleme mit sich. Kurz vor Weihnachten 2012 schlug Chelsea Aston Villa 8:0, ein Ergebnis, das mit unserer Würfelmethode nicht auftreten kann. Ein weiteres Problem ist, dass 0:0-Unentschieden im realen Fußball ziemlich häufig vorkommen. Beim Würfeln ist ein 0:0 genauso wahrscheinlich wie ein 5:5, aber im Histogramm sind 0 Tore fast 20 Mal wahrscheinlicher als 10 Tore. Das Modell funktioniert nicht. Ein Fußballspiel ist nicht auf gleiche Weise zufällig wie ein Wurf mit einem Würfel.

    In anderer Hinsicht allerdings sind Fußballspiele doch dem Zufall unterworfen. Was Fußball und Teamsportarten an sich so aufregend macht, ist ihre Unvorhersehbarkeit. Wenn man sich ein Spiel ansieht und nur wenige Sekunden unaufmerksam ist, kann man einen wichtigen Spielzug und ein plötzliches Tor versäumen. Für mein Modell sagt mir das etwas Wichtiges. Es ist zu jedem Zeitpunkt des Spiels gleich wahrscheinlich, dass ein Tor fällt. Zwar gibt es viele Faktoren für die Torquote einer Mannschaft, doch der Zeitpunkt der Tore ist mehr oder weniger zufällig.

    Diese Annahme können wir in eine Simulation umwandeln. Stellen Sie sich ein Fußballspiel als 90 einminütige Abschnitte vor, in denen ein Tor jeweils gleich wahrscheinlich ist. Bei durchschnittlich 2,79 Toren pro Spiel beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass in einem dieser Abschnitte ein Tor fällt, 2,79/90 = 0,031. Die Wahrscheinlichkeit, in einer beliebigen Minute ein Tor zu sehen, liegt also bei etwa 1 zu 32. Keine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, aber genug, um die Zuschauer bei der Stange zu halten.

    Mit diesem Modell können wir eine Computersimulation über 90 Minuten durchführen, bei der in jeder simulierten Minute mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,031 ein Tor erzielt wird. Wenn wir die Simulation über viele, viele Spiele lang laufen lassen, ergibt sich so das Bild einer typischen Saison. Diese simulierte Saison ist in Abbildung 1.2 als durchgezogene Linie dargestellt, die über das Histogramm der echten Premier-League-Saison 2012/13 gelegt wurde.

    Modell und Realität stimmen ziemlich genau überein. Bedenken Sie all die komplexen Faktoren, die hier mitwirken. Das Gebrüll des Trainers von der Seitenlinie. Die Fans, die ihre Mannschaft anfeuern oder – noch öfter – sie wissen lassen, wie grottenschlecht sie ist. Die Überlegungen der Spieler, wenn sie eine Torchance zu erkennen glauben. Keiner dieser Faktoren scheint die Verteilung der erzielten Tore zu beeinflussen. Im Gegenteil, genau ihr Zusammenspiel erzeugt die Art von Zufall, von dem das Modell ausgeht. Je mehr Faktoren beteiligt sind, desto willkürlicher fallen die Tore und desto besser stimmt unser Modell mit der Realität überein.

    Die durchgezogene Linie in Abbildung 1.2, die durch meine Simulation erzeugt wurde, stellt eine sogenannte Poissonverteilung dar. Diese Verteilung tritt immer

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