Paul Scharner: Position Querdenker: Wie viel Charakter verträgt eine Fußballkarriere?
Von Lars Dobbertin
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Über dieses E-Book
"Paul Scharner spinnt", sagen die Einen. "Paul Scharner ist Individualist und Vorbild", sagen die Anderen. Fest steht: Der ehemalige österreichische Fußballer polarisiert.
Ein vorbildlicher Fußballer...
Während seiner aktiven Karriere im stromlinienförmigen Geschäft Profifußball blieb Paul Scharner sich stets selbst treu. Auf seiner Haben-Seite stehen 221 Premiere-League-Einsätze, 40 Mal wurde er in den Kader der österreichischen Nationalmannschaft berufen, er wurde Meister und Cup-Sieger mit Austria Wien, war Profi beim Hamburger SV und feierte seinen größten Triumph, als er mit Wigan Athletic den FA-Cup gewann. Seine Karriere war von Beginn an durchgeplant; er war einer der ersten, die mit einem Mental-Coach arbeiteten. Als vierfachem Familienvater war ihm das Wohl der Familie andererseits stets wichtiger als die nächste Stufe auf der Karriereleiter.
...der den Aufstand wagte
Und dann gibt es da die vermeintlich dunklen Flecken: das Zerwürfnis mit Jogi Löw zu seiner Zeit bei Austria Wien. Einmal gab Scharner seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft bekannt, ein anderes Mal flog er aus dem Kader. Und aus Frust über das Profigeschäft bat er schließlich um eine vorzeitige Vertragsauflösung beim HSV. Ende 2013 beendete Scharner seine aktive Karriere.
In dieser spannenden Autobiografie, die Paul Scharner zusammen mit dem Sportjournalisten Lars Dobbertin vorlegt, schildert der Ex-Profi seinen zwiespältigen Weg durchs Fußballgeschäft und zerrt eine unbekannte Seite des Profifußballs ans Licht: Er berichtet von gewalttätigen Mannschaftskollegen, Vertragsbrüchen und nie eingelösten Versprechen. Aber er lässt auch seine Kritiker zu Wort kommen.
Mit Beiträgen von Oliver Kreuzer (Ex-Sportchef des Hamburger SV), Peter Linden (österreichische Journalisten-Legende), Wolfgang Knaller (ehemaliger österreichischer Torwart mit über 700 Ligaspielen) und anderen.
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Buchvorschau
Paul Scharner - Lars Dobbertin
1
Zwei Verträge: Profitum in Gefahr?
»O pa, bleib sofort stehen, ich kann nicht mehr. Ich muss raus hier!«, schrie ich meinen Großvater an. Wir fuhren auf der Landstraße L 89 in Richtung Wien. Eineinhalb Stunden sollte unsere Reise dauern, und der ältere Herr, Herbert Plank, der Vater meiner Mutter Helga, hatte seinen grauen Mazda gerade behutsam aus unserem Heimatdorf Purgstall an der Erlauf herausgelenkt. Wir hatten das weiße Ortsausgangsschild passiert und fuhren entlang der L 89. Besonders eilig hatten wir es nicht, wir lagen gut in der Zeit, nachdem wir pünktlich losgekommen waren. Aber meine Anspannung war schon Tage vor diesem Termin greifbar gewesen. Und jetzt im Auto war sie plötzlich gar nicht mehr auszuhalten.
Oberndorf, die erste Ortschaft, lag jetzt hinter uns, und gerade fuhren wir nach Sattlehen hinein. Ich schrie »Aussteigen!«, und Opa merkte sofort, dass ich nicht schauspielerte und reagierte umgehend. Er bremste ziemlich abrupt, viel Verkehr war ja nicht, und hielt seinen Wagen rechts an der Auffahrt zu einem der wenigen Bauernhäuser dieser winzigen niederösterreichischen Ortschaft an.
Kaum einmal 20 Minuten hatte unsere Reise bis hierhin gedauert, und schon seit wir losgefahren waren, hatte ich mich im engen Wageninneren nur gekrümmt. Es war kein Brechreiz, ich musste mich nicht übergeben, aber mir schnitten die Schmerzen dermaßen durch den Leib, als würde jemand mit dem Messer durch meinen Bauch und meine Eingeweide rasieren. Mit allerletzter Kraft kletterte ich aus dem Auto und legte mich sofort mit zusammengekauertem Körper auf den Asphalt. Ich blickte in das besorgte Gesicht meines Opas, der jetzt über mir stand. »Was sollen wir jetzt machen, Paul?«, fragte er zögerlich. »Wir fahren zurück nach Purgstall, ich brauche sofort einen Arzt!« Nachdem ich mich ein bisschen erholt hatte, fuhren wir die Strecke zurück.
Eine knappe Stunde später lag ich im Sprechzimmer von Dr. Leopold Auer auf der Behandlungsbank. Dr. Auer, ein erfahrener Mediziner, war seit Langem der Hausarzt der Familie Scharner, eine Vertrauensperson auch für mich. Er horchte mich mit seinem Stethoskop ab und machte kein besonders sorgenvolles Gesicht. »Paul, du hast nichts Organisches. Alles ist eigentlich in Ordnung. Es sind bloß deine Nerven. Die Anspannung und die Aufregung haben dir einen Streich gespielt.«
Dr. Auer hatte ja keine Ahnung, warum ich so neben mir stand, warum die Angst und die Verzweiflung mir diese heftigen Magenkrämpfe beschert hatten.
Mich wunderte meine Aufregung wenig: Meine Karriere als Fußballprofi, von der ich geträumt hatte, seit ich zwölf Jahre alt war, stand auf dem Spiel. Gerade sollte alles losgehen, und schon schien alles zu zerplatzen. Ehe ich auch nur eine einzige Partie als Berufsfußballer bestritten hatte, stand ich nämlich plötzlich gleich mit zwei Spielerverträgen da, beide von mir unterschrieben: beim Grazer AK und gleichzeitig beim Liga-Konkurrenten FK Austria Wien, wo ich die drei Jahre zuvor verbracht hatte. Ein Verstoß gegen die Regularien!
Und an diesem Morgen im April 1999 waren Opa und ich aufgebrochen, um vor dem Senat 4 der Bundesliga über eine doch noch gütliche Einigung zu verhandeln, mit der ich, aber vor allem die beiden Vereine leben konnten, die beide auf einen rechtsgültigen Vertrag mit mir pochten. Mein Opa und ich, zwei unerfahrene Provinzler, im Gefecht mit den Juristen der Liga und den mächtigen, gewieften Funktionären beider Profivereine! Was konnte ich als kleines Talent – noch grün hinter den Ohren – in Begleitung von meinem Großvater da überhaupt ausrichten? Eine gütliche Lösung rückte für mich in immer weitere Ferne, je näher der Termin rückte. Ich hatte Angst, dass alles den Bach runtergehen würde und ich samt meinen Träumen und Erwartungen zwischen den grauen, unerbittlichen Statuten zerrieben würde.
Im Vorfeld des Termins war immer wieder auch die Rede von einer mehrjährigen Sperre gewesen. Aus heutiger Sicht bewerte ich das Ganze eher als Drohgebärde und weiß, dass es theoretisch die Möglichkeit gegeben hätte, mich zu bestrafen, es aber höchst unwahrscheinlich war. Aber damals nahm ich das natürlich für bare Münze, was meine Magenschmerzen ja eindrucksvoll bewiesen. Ich war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 19 Jahre jung, noch absolut unerfahren. Ich hatte auch noch keinen Manager oder einen professionellen Berater an meiner Seite wie viele andere junge Talente in Österreich. Diese Leute hatten lange mehr oder weniger einen Bogen um mich herum gemacht, weil mir ohnehin niemand zutraute, dass ich es bis ganz nach oben schaffen könnte. Und ein Spieler ohne ausreichend Talent, dessen Karriere irgendwo versandet, versprach kein einträgliches Geschäft.
Stattdessen war ich umgeben von meinen Eltern Helga und Josef, meinem Onkel Gerhard Plank, Fußball-Obmann bei der SVg Purgstall, und meinem Großvater Herbert Plank. Zudem war ich im Besitz von gleich zwei Profiverträgen, und ich hatte einen großen Traum: Profifußballer werden. Vermutlich kann niemand, der diesen Traum nicht selbst so lange und intensiv gelebt hat wie ich, sich vorstellen, dass eine Welt zusammenbricht, wenn alles zu platzen droht!
Mit zwölf Jahren hatte ich das Ziel gefasst, nein – besser gesagt –, ich hatte es mir in den Kopf und jede Körperzelle gebrannt, Profi zu werden, und von Beginn an ordnete ich diesem Ziel alles unter. Selbst meine Mutter konnte mich nicht von diesem Weg abbringen. Die derbe Sprache auf den Dorf-Fußballplätzen, das ewige Gezanke mit den Schiedsrichtern und vor allem die zerrissenen Wochenenden, an denen ich mit meinem Vater durch die Lande getourt bin, all das hat ihr partout nicht gefallen. Sie war und ist ein ausgesprochener Familienmensch, und der Sonntag ist ihr heilig. Doch darauf wollte ich nicht hören.
Stattdessen begann ich schon früh damit, meine Karriere mit Liebe zum Detail zu planen. Rückblickend kann ich sogar sagen, dass meine gesamte Karriere zu 80, 85 Prozent geplant war. Und ich bin der Überzeugung, dass dies nicht nur in meinem Fall funktionieren kann. Mit größtmöglichem Arbeitsaufwand, Einsatz und dem richtigen Betreuer an der Seite ist es möglich. Natürlich ist ein Grundtalent unabdingbar, um Profi werden zu können. Aber was genau ist Talent überhaupt? Bedeutet es, zehn Übersteiger in einer Sekunde zu beherrschen? Muss man drei Gegenspieler auf dem berühmten Bierdeckel schwindelig spielen können? Oder bedeutet Talent, den Ball 105 000-mal zu jonglieren? Dreimal nein! In England benutzen sie für Talent ein anderes Wort, das mir treffender scheint: ability – Fähigkeit! Und in meinen Augen sind viele Fähigkeiten erforderlich, um im Fußball erfolgreich sein zu können. Nimmt man eine Skala von eins bis zehn – zehn ist der Top-Wert, was Talent beziehungsweise fußballerische Fähigkeiten betrifft –, musst du über fünf sein. Das Entscheidende ist, dass man mindestens 51 Prozent mitbringt. Man muss gar nicht weit über der Hälfte sein, aber schon knapp darunter wird es nicht funktionieren. Was das betrifft: Ich habe immer gewusst, dass es bei mir reichen wird. Bei den Auswahlmannschaften war ich immer dabei, selbst als Jüngster und Kleinster. Im Verein war ich stets ein, zwei oder sogar drei Jahre jünger als die anderen und noch dazu eineinhalb Köpfe kleiner als meine meisten Mitspieler. Erst mit 15 Jahren hatte ich einen Wachstumsschub: Ich wuchs in kürzester Zeit um 38 Zentimeter!
Mein Talent, meine »ability«, war ordentlich, aber dieses Talent ist es eben nicht allein. Ich bin der Überzeugung, professioneller agiert zu haben als mein Umfeld. Von Anfang an, seit ich mir in den Kopf gesetzt hatte, einmal Profi zu werden. Als ich 15 Jahre alt war, erzählte mir meine Mutter von autogenem Training. Das klang sofort interessant. Also besorgte ich mir Audio-Kassetten mit sanfter Hintergrundmusik und einer eindringlichen Sprecherstimme und begann mit dem Training: Fortan schlief ich viel besser.
Dass die Ernährung ein entscheidender Faktor für den Erfolg ist, darauf bin ich früh selbst gekommen. Ich habe penibel darauf geachtet, dass ich kein Fett aufnahm. Überall, wo Fett war, habe ich es weggeschnitten, ich habe fettarmen Käse gegessen und fettarme Wurst. Teilweise sank mein Körperfettanteil sogar auf unter drei Prozent, was schon ungesund war, wenn man bedenkt, dass im Profibereich sieben bis zehn Prozent normal sind. Wenn ich das aus heutiger Sicht betrachte, muss ich sagen, dass dieser geringe Körperfettanteil nicht ungefährlich war. Aber dies war eben ein Ausdruck für meinen besonderen Ehrgeiz, deswegen habe ich meine Linie rigoros durchgezogen. Auch bin ich abends nicht fortgegangen, mit meinen Jugendfreunden habe ich relativ früh gebrochen, ich war mit anderen Dingen beschäftigt. Am Sonntag waren eben die Spiele, und deshalb lag ich samstagabends um zehn im Bett. Das war manchmal ein Horror, denn einschlafen konnte ich immer nur zur vollen Stunde. Ich weiß bis heute nicht warum, aber so war es. Ich war restlos davon überzeugt, nur zur vollen Stunde einschlafen zu können! Vollkommen irre. Erst mit dem autogenen Training wurde das allmählich besser, und mit 15 Jahren schlief ich dann auch schon mal zwischen den Kirchturmschlägen ein! Ein Jahr später rief die Austria aus Wien an.
Der Sprung ins Sportinternat Hollabrunn, 70 Kilometer vor den Toren der Hauptstadt, war mutig. Zwar kooperierte das Internat mit der Austria. Aber die Zeit der professionellen Nachwuchs-Akademien in Österreich, in denen serienweise junge Profis gezüchtet werden, hatte 1996 noch nicht begonnen. Es stand in den Sternen, ob man als Junior eines großen Vereins eines Tages auch tatsächlich den Sprung in die Profimannschaft schaffen würde. Und so erschien ein Wechsel nach Hollabrunn allen Mitgliedern meiner Familie als absolut riskant. Ich war ja schließlich mittendrin in meiner Lehre als Anlagenmonteur, einer Kombination aus Schlosser und Elektrotechniker. Und meine Eltern, die stets auf Sicherheit und Fürsorge bedacht waren, meinten, ich solle lieber zunächst einmal die Lehrzeit zu Ende bringen. Später könne man doch immer noch sehen. Auch wenn es in unseren Breiten unüblich war: Ich entschied mich schließlich, die Lehre abzubrechen. Und trotz der Bedenken haben mich meine Eltern dankenswerterweise voll dabei unterstützt, in Hollabrunn von Neuem zu starten. Also schmiss ich meine Lehre beim mittelständischen Autozulieferer ZKW und wagte den großen Schritt vom kleineren BNZ St. Pölten nach Wien zur Austria, wo brutale Jahre auf mich warteten.
Mein neues Zuhause war ein kleines, nüchternes Internatszimmer: zwei Betten, ein Schrank und ein kleiner Schreibtisch. Auch der helle Linoleumboden strahlte nicht sonderlich viel Wärme aus. Ich besuchte jetzt die Fachschule für Elektrotechnik. Die Tage mit der Doppelbelastung aus Training und Lernen waren hart und kaum noch zu bewältigen.
Der Unterricht in meiner Elektrotechnik-Klasse begann morgens um 7.45 Uhr und zog sich bis halb fünf am Nachmittag. Eine Viertelstunde nach Schulschluss stieg ich in einen Kleinbus, der mich und ein paar andere Internatsschüler zum Happel-Stadion nach Wien brachte, wo wir viermal pro Woche mit den Austria-Jugendmannschaften trainierten. Die Fahrt dauerte eine knappe Stunde, es war immer eng und hektisch, der kleine Bus nahm uns auf und bretterte nach Wien. Um 18 Uhr war Trainingsstart. Nach eineinhalb Stunden Training und Duschen ging es wieder retour nach Hollabrunn. Um 21 Uhr gab’s ein schnelles Abendessen, dann nichts wie ins Bett. Denn um sieben Uhr am nächsten Morgen klingelte bereits wieder der Wecker, 7.45 Uhr war wieder Unterrichtsbeginn. So ging das an jedem Wochentag.
Ich wollte Profi werden, aber wie sollte das gehen bei diesem Pensum? Keine Zeit zum Regenerieren! Nach einiger Zeit dachte ich darüber nach, die Schule zu schmeißen und dafür eine Ausbildung als Masseur zu beginnen, die besser mit dem Fußball zu vereinbaren schien. Aber meine Eltern waren strikt dagegen, und auch Onkel Gerhard hielt mich davon ab: »Paul, schau mal, wie viel Zeit von deinem Leben müsstest du investieren, um diese Doppelbelastung durchzustehen?« Der Abstand zwischen seinem Daumen und dem Zeigefinger war nicht sehr groß, als er das sagte, und schnell war ich davon überzeugt, weiterkämpfen zu wollen. Letztlich hat diese irrsinnige Anstrengung meine Entschlossenheit, es als Fußballer wirklich bis nach oben zu schaffen, noch mehr gefördert. Diese Strapazen, die ich in jungen Jahren auf mich nahm, kamen mir während meiner Profilaufbahn immer wieder zugute. Auch weil ich mir selbst eine Menge wert war, verkaufte ich mich in jeder Verhandlung für einen mir angemessen erscheinenden hohen Preis! Diese Phase war für meine charakterliche Ausbildung extrem wichtig.
Trotz allem nahm ich mir meine Auszeiten vom Unterricht. Die Fehlstunden häuften sich. Aber der Fußball genoss nun einmal Priorität, auf ihn war ich fokussiert, und darunter litt natürlich die Schule. Besonders an Montagen. Um meine Zeit bei Heimatbesuchen in Purgstall zu verlängern, nahm ich den Bus nach freien Wochenenden nicht schon am Sonntagabend, sondern erst am Montag in der Früh. 200 Kilometer von meinem Zuhause war ich schon von Heimweh geplagt, so heimatverbunden wie ich war. Die einzige Verbindung, die noch blieb, war also der Bus am Montagmorgen um 4.30 Uhr. Nach zweieinhalb Stunden Fahrt war ich jedes Mal komplett erledigt, wenn ich in Hollabrunn ankam, und da fing der Tag im Internat gerade erst an. Ich war schon fertig, als ich in der Schule ankam, und dann sollte ich noch zum Training gehen. Das schien mir unmöglich, ich brauchte Zeit, um mich zu erholen und fit für den Fußball zu sein. Also blieb ich einfach im Zimmer, und wenn der Erzieher auf seinem Rundgang vorbeikam, versteckte ich mich im Schrank, bis er den Raum wieder verlassen hatte. Dann ging ich zurück ins Bett und schlief mich stark. Dass meine Fehlstunden sich gerade an Montagen häuften, fiel natürlich bald auf, aber weil ich im Internat als Talent galt, das es eines Tages zum Profi schaffen könnte, drückte man bei mir beide Augen zu. Ein bisschen stolz waren sie ja schon. So wurde ich geschützt, und ohne diese Hilfe hätte ich diese Doppelbelastung nicht bewältigen können. Denn zu dieser Zeit ging ich phasenweise wirklich auf dem Zahnfleisch.
Man hatte mir am Anfang einen Einjahresvertrag auf Leihbasis gegeben und diesen dann Sommer für Sommer verlängert. Formal gehörte ich so immer noch der SVg Purgstall. Das zweite untrügliche Zeichen, dass das Vertrauen in den jungen Paul Scharner nicht allzu groß war, zeigte der Vergleich mit anderen Spielern meiner Altersklasse. Da waren Talente dabei, denen die Austria-Nachwuchsleute viel mehr zutrauten, und die bekamen schon eine vertraglich zugesicherte Aufwandsentschädigung von 3000 Schilling. Mich dagegen sahen sie mehr als Füllmasse. Groß und stark war ich ja inzwischen, auch athletisch, technisch und taktisch hatte ich genug drauf, um dabei zu helfen, einen Kader von 18 bis 20 Leuten zu komplettieren. Ich war in jeder Saison Stammspieler in den Nachwuchsmannschaften, die ich über die Jahre durchlief, aber am Ende boten sie mir bei der Austria immer wieder nur einen Leihvertrag auf Jahresbasis. Niemand sagte mir offen, wie sie mich einschätzten, aber die Signale waren eindeutig, und dies stachelte mich umso mehr an! Im Februar 1999 kam schließlich der Tag, auf den ich gewartet hatte.
Trainer Zdenko Verdenik hatte mich ins Trainingslager der Profis in die Türkei beordert. Und allzu schlecht hatte ich mich dort wohl nicht angestellt, denn gleich nach der Rückkehr sollte aus dem Jugendspieler Paul Scharner endlich ein Profi werden. So wollte es jedenfalls die Austria. Sie luden mich zu Vertragsgesprächen.
Mit meinem Vater und meinem Onkel saß ich im Büro von Jugendleiter Ralf Muhr, direkt im Happel-Stadion, dem Nationalstadion Österreichs, in dem die Wiener Austria ihre Geschäftsstelle hatte. »Paul, wir wollen dich.« Jugendleiter Muhr machte gar nicht erst große Worte. »Wir geben dir einen Jungprofi-Vertrag mit 8500 Schilling.« Seine kurzen Ausführungen sollten wohl Dankbarkeit bei mir auslösen, so bedächtig und eindringlich, wie er zu uns sprach. Dabei waren 8500 Schilling umgerechnet gerade einmal 400 Euro netto – im Monat! Und dafür sollte ich auch noch für fünf Jahre unterschreiben? Das war eine Zumutung, auch wenn der Vertrag eine Staffelung nach oben vorsah und mein Gehalt über die Laufzeit auf 15 000 Schilling brutto angestiegen wäre! Ich wollte das unter keinen Umständen unterschreiben. Klar: Das war die Chance, Profi zu werden. Aber doch nicht zu diesen Bedingungen! Ich hatte es verinnerlicht, mich gut zu verkaufen, niemals unter Wert. Ich wusste, was ich investiert hatte, um so weit zu kommen. Da wollte ich mich doch nicht gönnerhaft mit ein paar Schilling abspeisen lassen.
»Das kommt für mich nicht infrage!«, rief ich in die Runde. Ich wischte den Vertrag, der quasi unterschriftsreif vor mir lag, beiseite und sah meinen Vater, meinen Onkel und Jugendleiter Muhr an. Muhr hatte so etwas wohl noch nie erlebt. Da entschied sich ein Jugendlicher nicht gottergeben für den ersten Profivertrag, den ihm die Austria vorlegte. Muhr war dann jedenfalls schnell aus dem Spiel. Die Sache wanderte eine Etage höher.
Friedl Koncilia, der Sportdirektor der Austria, nahm sich der Angelegenheit an. Koncilia hatte bei der WM 1978 in Argentinien als Nationaltorwart das legendäre 3:2 von Córdoba gegen Deutschland mit vollbracht. Koncilias Wort hatte in Österreich Gewicht, natürlich auch im Klub, und dieses Schwergewicht Koncilia lud uns jetzt in sein privates Haus in Mödling ein. Es sollte wohl Eindruck machen, dass wir in seinem Weinkeller bewirtet wurden, und eine lockere Atmosphäre schaffen. So floss der Wein in Strömen, und meinem Vater und meinem Onkel schien er zu schmecken. Die Stimmung war fast schon ausgelassen. Doch kurz darauf waren alle wieder stocknüchtern.
Denn jetzt schob uns Markus Kretschmer, Koncilias Generalsekretär, der heutige Finanz-Vereinsvorstand, mit einem süffisanten Lächeln das neue Angebot herüber. Dieses Lächeln, dieser selbstgefällige Blick herüber zu Koncilia, hat sich bis heute bei mir eingebrannt. »Das mach’ ’ma schon; die haben wir im Sack, Friedl«, sollte das wohl heißen.
Ich blickte auf den Bogen und sah die Summe: Über 10 000 Schilling brutto. Austria hatte nachgebessert. Und diesmal sollte sich das Gehalt über die Laufzeit von fünf Jahren auf bis zu 20 000 Schilling steigern. Das Duo Koncilia und Kretschmer schien sich sicher zu sein, dass das jetzt ein Selbstgänger würde. Der Stift für meine Unterschrift lag bereits auf dem Tisch. Doch was folgte, ließ ihre gute Laune und die gelösten Gesichter augenblicklich erstarren: Ich erbat mir Bedenkzeit.
Schnell war uns allen klar: Das lassen wir nicht mit uns machen. Die dachten, wir sind leichte Beute, so unerfahren, wie wir schienen. Einfach verdoppeln und der Fall ist erledigt. Von wegen, Austria!
Zumal mir Schlimmes schwante, denn im Klub begannen gerade die berüchtigten Stronach-Jahre. Frank Stronach, der österreichische Unternehmer, der es in Kanada zum Milliardär gebracht hatte, war 1999 als Mäzen bei der Austria eingestiegen. Er fing an, irrsinnig viel Geld in den Verein und in neue Spieler zu pumpen, hauptsächlich Akteure aus dem Ausland. Stronach hatte ein verrücktes Ziel: In nur zehn Jahren wollte er mit Austria Wien die Champions League gewinnen. Das war nicht von vornherein Blödsinn, denn Visionäre braucht das Land, aber es wirkte auf mich in vielen Teilen plan- und ahnungslos. Unter diesen Umständen konnte ich absehen, dass meine Chancen, in der Profimannschaft auch wirklich Fuß zu fassen, minimal waren.
Am Tag nach dem Treffen