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Dorian Hunter 56 – Das schwarze Grimoire
Dorian Hunter 56 – Das schwarze Grimoire
Dorian Hunter 56 – Das schwarze Grimoire
eBook326 Seiten4 Stunden

Dorian Hunter 56 – Das schwarze Grimoire

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Über dieses E-Book

In Hongkong spürt der Dämonenkiller Dorian Hunter dem "schwarzen Grimoire" nach – einem Zauberbuch, mit dessen Hilfe angeblich Tote zum Leben erweckt werden können. Aber auch die Schwarze Familie ist hinter dem Buch her! Zur selben Zeit erhält Coco Zamis die Nachricht, dass in Wien ein Familiengrab geschändet und die Leichen gestohlen wurden. Besteht zwischen dem Leichenraub und der Jagd auf das Grimoire ein Zusammenhang?

Der 56. Band der legendären Serie um den "Dämonenkiller" Dorian Hunter. - "Okkultismus, Historie und B-Movie-Charme - ›Dorian Hunter‹ und sein Spin-Off ›Das Haus Zamis‹ vermischen all das so schamlos ambitioniert wie kein anderer Vertreter deutschsprachiger pulp fiction." Kai Meyer

enthält die Romane:
229: "Das schwarze Grimoire"
230: "Das Pestbalg"
231: "In den Knochenkammern von Wien"
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. Sept. 2014
ISBN9783955720568
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    Buchvorschau

    Dorian Hunter 56 – Das schwarze Grimoire - Peter Morlar

    Das schwarze Grimoire

    Band 56

    Das schwarze Grimoire

    von Peter Morlar, Geoffrey Marks und Dario Vandis

    © Zaubermond Verlag 2014

    © Dorian Hunter – Dämonenkiller

    by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

    Titelbild: Mark Freier

    eBook-Erstellung: story2go | Die eBook-Manufaktur

    http://www.zaubermond.de

    Alle Rechte vorbehalten

    Was bisher geschah:

    Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen verschrieben, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor.

    Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den gesamten Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es Dorian, ihnen die Maske herunterzureißen.

    Bald kommt Hunter seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als französischer Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Bösen, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Um seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen, auf die de Conde es abgesehen hatte, blieben ungeschoren.

    Der Pakt galt, und als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, wanderte seine Seele in den nächsten Körper. Im Jahr 1713 wurde er als Ferdinand Dunkel in Wien Zeuge, wie Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, von einem Nachfolger verdrängt wurde, der sich fortan Asmodi II. nannte.

    Zwar plante Asmodi I. noch, seinen Geist in einen anderen Körper zu retten, doch der Versuch schlug fehl. Vor Kurzem erinnerte sich Dorian außerdem weiterer Ereignisse aus Ferdinand Dunkels Leben. Doch obgleich er Dunkels Tod miterlebte, blieb das eigentliche Todeserlebnis aus. Dies kann nur bedeuten, dass ein Teil von Ferdinands Leben noch nicht aufgearbeitet ist …

    Erstes Buch: Das schwarze Grimoire

    Das schwarze Grimoire

    von Peter Morlar

    1. Kapitel

    Hongkong Cemetery

    Keiner der dreißig jungen Menschen, die sich im Kellergewölbe der Krypta versammelt hatten, ahnte, dass einige von ihnen den nächsten Tag nicht erleben würden.

    Sie feierten, als gäbe es kein Morgen mehr. Ausgelassen, wild und ekstatisch. Der Alkohol floss in Strömen und vertrieb die letzten Hemmungen. Es zählte nur der Augenblick. Der Tod war für sie kein Thema.

    Nicht an diesem Abend.

    Nicht in dieser Nacht.

    Er schien meilenweit entfernt.

    Und doch streckte er bereits seine knöchernen Klauen nach ihnen aus …

    Die Stimmung näherte sich dem Siedepunkt. Aus fast mannshohen Lautsprechern, die neben steinernen, mit bunten Scheinwerfern bestückten Sarkophagen in allen vier Ecken der unterirdischen Gruft aufgebaut waren, drang überlaute Musik. Rock, Pop, Synthie – die internationalen Charts rauf und runter. Der Discjockey, ein schmächtiger Chinese mit widerspenstigen Haaren und auf den Rücken gedrehter Schirmmütze verstand sein Handwerk. Virtuos wirbelte er das Vinyl über die Plattenteller, mixte gekonnt einen Hit mit dem nächsten, erschuf ein endloses Medley, und mit jedem Song zog er das Tempo an. Hämmernde Beats und wummernde Bässe ließen – durch die Steinwände verstärkt – selbst den massiven Marmorboden vibrieren und trieben die sechzehn leicht bekleideten Frauen und die dreizehn sichtlich wohlhabenden Männer dazu an, sich ausgelassen im Rhythmus der Musik zu bewegen.

    Auch Françoise Dupont hatte sich unter die Massen gemischt. Die französische Journalistin hatte sich spontan entschlossen, John Lis Einladung anzunehmen. Dabei hielt sie sich eigentlich aus einem ganz anderen Grund in Hongkong auf. Sie wollte einen Artikel über die »Neumanichäer« schreiben – eine mysteriöse religiöse Gruppierung, die seit einigen Monaten in Hongkong von sich reden machte. Es gab Gerüchte, dass diese Neumanichäer düstere, grausame Rituale vollzogen und den Teufel anbeteten. Noch gab es keine handfesten Informationen, was das Thema aus journalistischer Sicht umso interessanter machte.

    Françoise ließ den Blick über die tanzende Menge schweifen. Einige der Besucher waren offenbar Gothic-Fans und trugen schwarze Gewänder und Masken. Françoise bekam eine Gänsehaut, während sie die Maskierten beobachtete …

    »Das ist total abgefahren«, rief sie ihrem Nachbarn zu, einem untersetzten Chinesen Mitte der dreißig, der ein Cocktailglas in der Hand hielt und gar nicht zu bemerken schien, dass die Hälfte des Getränks durch seinen unbeholfenen Tanzstil bereits auf dem Seidenhemd gelandet war.

    »Abge… was?«, schrie der zurück.

    »Die Party«, ergänzte Françoise und nahm einen Schluck von ihrem Cocktail, einem im Licht der Neonröhren giftig blau leuchtenden Swimming Pool. »Ich hab noch nie auf einem Friedhof gefeiert. Und in einer Krypta schon gar nicht.«

    »Einmal ist immer das erste Mal«, entgegnete der Mann, dessen Augen einen verdächtig glasigen Schimmer aufwiesen. Was auch immer der Typ zusätzlich zum Cocktail eingeworfen hatte, schien ihn richtig in Fahrt zu bringen. Er packte zwei Mädchen, die über die Tanzfläche wirbelten, und kam mit den beiden im Schlepptau auf Françoise zu. Sein debiles Grinsen wurde immer breiter, als er schwankend vor ihr stehen blieb und ihr ungeniert ins Dekolleté starrte. »Na, ihr drei Hübschen. Seid ihr zum ersten Mal hier?«

    Er versuchte ihre Brust zu berühren, aber sie schlug seine Hand zur Seite und blickte sich Hilfe suchend um. Wo um alles in der Welt steckten John Li, ihr Begleiter, durch den sie erst auf diese Insider-Party aufmerksam geworden war, und dessen Freundin Sue Ying?

    »He, was ist mit dir? Hast du etwa keine Lust?«

    Sie entzog sich der Aufmerksamkeit des Betrunkenen, der sich sofort auf seine anderen beiden Trophäen konzentrierte. Françoise ließ den Blick über die zuckenden Leiber auf der Tanzfläche schweifen. Aber sie konnte weder John noch Sue unter ihnen entdecken.

    »He, zier dich nicht so, Süße!«

    Der Angetrunkene war wieder da, ergriff ihre Schulter, versuchte, sie herumzudrehen. »Gefällt es dir hier?«

    »Ja, sicher«, sagte Françoise apathisch und unterdrückte den Widerwillen, der sie überkam, als sie die schweißnassen Finger des Kerls auf ihrer Haut spürte. Die beiden anderen Frauen nutzten die Gelegenheit, um sich aus dem Staub zu machen. Der Typ bemerkte es nicht einmal.

    »Ich heiße Trang. Phu Trang«, krächzte er und betonte seinen Namen so, als wäre es ein Sakrileg, ihn nicht zu kennen. »Ich bin ein hohes Tier an der Börse. Kaufen und verkaufen. Zehn Millionen hier, zwanzig Millionen da. US-Dollar, versteht sich. Peanuts für mich.« Er schnippte mit Daumen und Zeigefinger.

    »Dann gehört der feuerrote Testarossa am Eingang des Friedhofs bestimmt Ihnen.«

    Trang grinste überheblich. »Ist nur mein Zweitwagen. Der erste befindet sich gerade in der Werkstatt.«

    »War wohl ein billiger Japan-Import«, entgegnete die Französin kühl.

    Das Grinsen im Gesicht des Chinesen gefror, doch dann brach er in schallendes Gelächter aus. »Du gefällst mir, Kleine. Hast du auch einen Namen?«

    »Françoise Dupont. Ich bin Reporterin.«

    »Dem Akzent nach kommst du aus Frankreich.«

    »Sie sind ein Blitzmerker.«

    »Was für ein Zufall. Ich liebe nämlich Französisch. Nur mit der Sprache hapert es noch.« Er lachte grunzend.

    Arschloch.

    Françoise entwand sich seinem Griff.

    Doch Trang schien sie nicht so schnell gehen lassen zu wollen. »Hey, nicht so schnell. Ich spüre, du hast heißes Blut in den Adern.«

    »Lassen Sie mich sofort los.«

    »Erst, wenn du mir einen Kuss gibst.«

    Sie verpasste ihm eine Ohrfeige, dass seine Wange rot anlief.

    »Jetzt stell dich nicht so an«, knurrte der Chinese. »Ich weiß genau, dass du scharf auf mich …«

    »Gibt es vielleicht irgendein Problem?«

    Sowohl Françoise als auch Trang wandten die Köpfe ruckartig dem Sprecher zu, der wie ein Phantom aus dem Nichts aufgetaucht war.

    Ein erleichtertes Lächeln glitt über Françoises Gesicht. »John, endlich. Ich hab dich schon überall gesucht.«

    John Li gab dem alkoholisierten Mann mit dem Kinn einen Wink. »Ich glaube, du hast für heute genug, Trang. Françoise ist in meiner Begleitung hier. Such dir gefälligst jemand anderen.«

    »Ich hab sie zuerst …«

    »Du wirst sie auf der Stelle loslassen und verschwinden.« Johns Stimme war um keinen Deut lauter geworden. Und doch schwang eine unterschwellige Drohung darin mit, die den Chinesen sichtlich aufhorchen ließ. »Ich wiederhole mich nicht gerne, Trang. Verpiss dich.«

    Françoise hielt den Atem an, denn einen Moment lang schien es, als wollte sich der stiernackige Asiate auf John Li stürzen. Doch dann durchlief ein Ruck Trangs massige Gestalt. Er stieß die junge Französin wütend von sich, dass sie unsanft in Johns Armen landete, machte auf dem Absatz kehrt und verließ wutschnaubend die Krypta, sich rücksichtslos seinen Weg durch die tanzenden Menschen bahnend, von denen einige ihm erzürnte Kommentare hinterherriefen.

    »Der Idiot wird sich wohl nie ändern.« John wandte sich achselzuckend an Françoise. »Alles in Ordnung mit dir?«

    Die junge Französin strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn und nickte dankbar. Ihr Blick und der Johns trafen sich flüchtig. Sie spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Warum zum Teufel machte dieser Mann sie nur so nervös? Lag es an dem markanten, braun gebrannten Gesicht mit den dunklen, leicht geschlitzten Augen, den kurz geschnittenen, modisch gestylten schwarzen Haaren, der sportlichen Figur? War es sein Charisma, das Vibrieren seiner sonoren Stimme, der Duft seines Aftershaves? Oder war es die Kombination von alledem, die John Li, den Chinesen britischer Abstammung, für sie so unwiderstehlich machte?

    »Wo ist Sue?«, fragte Françoise hastig, um ihre Verlegenheit zu überspielen.

    Hoffentlich hatte John es nicht bemerkt, und wenn, so ließ er es sich wenigstens nicht anmerken. Er war eben ein Gentleman durch und durch, eine weitere Eigenschaft, die sie an ihm schätzte.

    »An der Bar«, sagte er, »wenn man den Sarkophag, auf dem die Spirituosen stehen, so bezeichnen möchte. Sie mixt sich gerade einen Cocktail.«

    »Ich hab euch vorhin gar nicht gesehen.«

    »Wir waren draußen.«

    »Ah. Verstehe.«

    John ergriff sanft ihre Schultern. Sie erschauerte unter der Berührung.

    »Es ist nicht, wie du denkst. Wir waren nur ein wenig frische Luft schnappen.«

    »So nennt man das jetzt«, zog sie ihn auf.

    »Wenn ich es dir doch sage! Sue und ich sind einfach gute Freunde. Nichts weiter.«

    Es scheint ihm wichtig zu sein, dass ich ihm glaube, dachte Françoise. Offensichtlich gefalle ich ihm.

    »Ich kenne Sue schon seit einer halben …«

    »Redet ihr gerade von mir?«

    John Li verschluckte den Rest des Satzes. Direkt neben seiner hochgewachsenen, durchtrainierten Gestalt war eine junge Frau aufgetaucht, deren schwarzes Kleid sich wie eine zweite Haut über ihren makellos geformten Körper spannte. Wohlgerundete Hüften, eine schmale Taille, runde, große, aber sichtbar feste Brüste und elfenbeinfarbene Schultern, die in einen schlanken Hals übergingen, auf dem ein fast puppenhaftes Gesicht mit Stupsnase, geschwungenen Lippen und dunklen, ausdrucksstarken Augen saß. Glatte, schulterlange schwarze Haare, die in einem leichten Blau schimmerten, umrahmten das ebenmäßige Gesicht wie ein Vlies.

    John Li setzte ein Lächeln auf. »Wir reden ausschließlich von dir.«

    »Heuchler.« Sue Ying richtete ihre dunklen Augen auf Françoise. »John und ich kennen uns seit fast zwei Monaten. Sieben Wochen und fünf Tage, um genau zu sein. Die meiste Zeit haben wir jedoch zusammen verbracht.«

    »Beruflich natürlich«, ergänzte John rasch.

    »Natürlich.« Sue Ying lächelte spöttisch, als sie sich an Françoise wandte. »Nichts für ungut, Miss Dupont. Ich hoffe, Sie amüsieren sich trotzdem.«

    »Ist echt nett hier«, antwortete die Reporterin kleinlaut, die unter dem sezierenden Blick der Asiatin unwillkürlich fröstelte. Auch war ihr der süffisante Unterton nicht entgangen. »Auf jeden Fall vielen Dank für die Einladung. Der Bericht über die Party wird bei uns in Frankreich bestimmt einiges Aufsehen erregen.«

    »Das wird er. Ganz bestimmt sogar. Das heißt, falls er jemals veröffentlicht wird.« Über Sues Gesicht huschte ein allwissendes Lächeln, das jedoch ihre Augen nicht erreichte.

    Im Gegenteil.

    Fast schien es, als zuckten winzige Funken über ihre Pupillen, die trotz des braunen Farbtons eine mitleidslose Kälte ausstrahlten. War es Neid? Niedertracht? Oder gar Eifersucht? Und was hatte ihre spitze Bemerkung zu bedeuten? Wollte die Chinesin ihr drohen?

    »Was wollen Sie damit sagen?«

    »Sind Sie wirklich nur wegen dieser Party in Hongkong?«

    »Was hältst du davon, wenn wir ein wenig nach oben gehen?«, mischte John sich ein. Ihm schien die Szene, die Sue Ying ihnen gerade machte, ebenfalls peinlich zu sein.

    Erfreut darüber, dass er ihre Gesellschaft der Yings vorzuziehen gedachte, warf die Reporterin der Nebenbuhlerin einen triumphierenden Blick zu und kuschelte sich an John Li. »Sehr gerne.«

    John räusperte sich. »Du entschuldigst uns doch, oder, Sue?«

    Sue Ying breitete gönnerhaft die Arme aus. Ein falsches Lächeln zuckte dabei um ihre Mundwinkel. »Natürlich, John. Was soll die Frage? Du kannst tun und lassen, was du willst.«

    Hongkong Chun Wan – Central District

    Peter Garner schnippte die aufgerauchte Filterlose in hohem Bogen in den Straßengulli. Aus der Futtertasche seines Mantels fingerte er einen abgegriffenen Stadtplan und vergewisserte sich, dass er sich auf dem richtigen Weg befand. Er nickte zufrieden, zog den Hut tiefer in die Stirn und bog zielstrebig in die Man Hing Lane ein, eine für Hongkonger Verhältnisse schmale und spärlich beleuchtete Straße, die nach wenigen Hundert Yards in einer Sackgasse endete.

    Obwohl Garner versuchte, möglichst kein Geräusch zu verursachen, hallten seine Schritte überlaut an den abgeblätterten Häuserwänden wider, die im Licht der trüben Straßenlaternen grau und leblos wirkten.

    Hier und da flackerten ausgeblichene Leuchtbuchstaben und lockten neben Mücken und Insekten ein paar menschliche Nachtschwärmer an, die auf ein schnelles und vor allem billiges Abenteuer aus waren. Doch auch dabei ging es nur ums Geld, und wer nicht zahlen konnte, hatte hier nichts zu suchen.

    Garner wollte gerade seinen Weg fortsetzen, als keine zehn Yards hinter ihm der Eingang eines Striplokals aufsprang. In hohem Bogen flog ein zappelndes Bündel durch die Luft und krachte schreiend auf den Bürgersteig. Lautstarke Beschimpfungen folgten. Ein Chinese von den Ausmaßen eines Kleiderschranks sprang auf die Straße und trat dem Opfer noch einmal kräftig in den Unterleib. Der Getretene rappelte sich schwerfällig auf und rannte, beide Hände auf die Genitalien gepresst, Richtung Aberdeen Road. Der Kleiderschrank rief ihm noch irgendetwas hinterher, dann zog er sich mit selbstgefälligem Grinsen ins Lokal zurück.

    Garner beachtete den Zwischenfall nicht weiter. Es war keine ungefährliche Gegend, in der er sich aufhielt. Die nahe gelegene Hongkong Central Station spuckte mehr lichtscheues Gesindel aus, als dem gemeinen Touristen lieb sein konnte. Selbst Einheimische vermieden es, nach Einbruch der Dunkelheit durch die abgelegenen Seitenstraßen des Central Districts zu laufen, und wenn, dann taten sie es niemals allein.

    Peter Garner hatte seine Gründe, weshalb er ohne Begleitung hier war. Er war auf der Suche nach einem ganz bestimmten Mann, von dem er sich einen ganz bestimmten Auftrag erhoffte.

    Durch den anthrazitfarbenen Hut, unter dessen Krempe zu einem kurzen Zopf gebundenes Haar hervorlugte, und den schwarzen Vollbart, der die untere Gesichtshälfte fast vollständig verdeckte, ließ sich Garners Alter nur schwer einschätzen; er mochte Mitte dreißig sein, fünf Jahre rauf oder runter. Auch der fast bodenlange, dunkle Mantel trug seinen Teil dazu bei, die hochgewachsene, athletische Gestalt des Mannes zu verschleiern.

    Als er etwa die Hälfte der Man Hing Lane hinter sich gelassen hatte, hielt er inne. Die dicht befahrene, von flackernden Neonreklamen erleuchtete Aberdeen Road, von der er in die Sackgasse abgebogen war, konnte er in der diesigen Dämmerung nur noch erahnen. Es war, als hätte er eine andere Welt betreten. Eine widernatürliche Stille schien über der Gasse zu lasten.

    Garner war auf der Hut. Er hatte seine Augen und Ohren jetzt überall. Ein winziger Moment der Unachtsamkeit nur, und er würde den nächsten Tag nicht mehr erleben.

    Da sträubten sich seine Nackenhärchen. Automatisch verlangsamte er die Schritte. Die rechte Hand ließ er langsam in der Manteltasche verschwinden. Die Fingerspitzen berührten das kühle Metall einer Pistole, die ihm ein Gefühl von Sicherheit verlieh.

    Einem weniger aufmerksamen Spaziergänger wäre der menschliche Schatten, der plötzlich in der unbeleuchteten Hofeinfahrt eines leer stehenden Bürogebäudes verschwand, nicht aufgefallen. Peter Garner jedoch hatte die Gestalt genau erkannt. Wo sich in dieser Gegend ein Krimineller herumtrieb, konnten die anderen aus der Gang nicht weit sein.

    Garner behielt recht.

    Die finstere Straße erfüllte sich von einem Augenblick zum anderen mit gespenstischem Leben. Maskierte Gestalten in pechschwarzen Jacken tauchten wie aus dem Nichts auf; aus Türen, Toren, Hinterhöfen und Einfahrten. Garner zählte über ein Dutzend von ihnen. Sie kamen von allen Seiten auf ihn zu. Kein einziger Laut war dabei zu hören, nicht einmal ein Schlurfen, so, als würden ihre Füße den Boden nicht berühren. Bevor Garner die Flucht ergreifen konnte, hatten sie ihn umzingelt. Rasch zogen sie den Kreis enger.

    Er saß in der Falle.

    Trotz der kühlen Nacht trat Garner der Schweiß auf die Stirn. Er zwang sich zur Ruhe, wollte sich vor den Schattenhaften keine Blöße geben. Zu viel stand auf dem Spiel, und noch mehr hing davon ab, wie überzeugend er sein Anliegen vorbrachte.

    Peter Garner wartete ab, bis der Anführer der Maskierten vor ihm stehen geblieben war. Die funkelnde Klinge eines Klappmessers, das der Angreifer in der behandschuhten Rechten hielt, streckte sich ihm entgegen.

    »Geld her!«, zischte der Maskierte zunächst auf Chinesisch, dann auf Englisch. »Oder du stirbst.«

    Um seine Worte zu untermalen, rückten die anderen bedrohlich näher.

    Garner gab sich betont lässig. »Ich fürchte, Mr Wang wird es nicht gern sehen, wenn du mir auch nur ein Haar krümmst. Du arbeitest doch für ihn, oder?«

    Für die Dauer eines Atemzugs stutzte der Maskierte. »Wang? Nie gehört. Wer soll das sein?«

    »Spar dir die Leier«, sagte Garner, während ihm das Herz bis zum Hals schlug. »Mr Wang ist in dieser Gegend bekannt wie ein bunter Hund. Richte ihm aus, da wäre jemand, der ihm einen geschäftlichen Vorschlag machen möchte.«

    »Das kann jeder behaupten.«

    »Und noch etwas …«, fuhr Garner ungerührt fort. »Vergiss nicht zu erwähnen, dass ein gewisser Mr Olivaro mich geschickt hat. Dein Boss wird dieser Information sicher die richtige Bedeutung beimessen.«

    Der Maskierte rang sichtlich mit sich selbst. Nach kurzem Zögern gab er seinen Kumpanen einen unauffälligen Wink. Sie zogen den Kreis um Garner noch enger, während er selbst abtauchte und geräuschlos in der Dunkelheit verschwand.

    Peter Garner tastete nach der Zigarettenschachtel. Sofort reckten sich ihm ein halbes Dutzend Klingen entgegen.

    Er grinste ungeniert, während er nun etwas langsamer die zerknautschte Schachtel aus der Brusttasche fischte und sich ein Stäbchen anzündete. Langsam kehrte seine Ruhe zurück. Er spürte, dass er die Kerle nachhaltig beeindruckt hatte.

    Wenig später tauchte der Anführer wieder auf. Die Maskierten bildeten eine schmale Gasse für ihn. Er blieb keinen halben Yard vor Garner stehen und blickte ihm durch die Sehschlitze der Maske direkt in die Augen.

    »Ich habe mit Mr Wang gesprochen.«

    »Und?« Garner hielt dem Blick des Chinesen stand, obwohl seine Nerven zum Zerreißen gespannt waren. Von einem Augenblick zum anderen war das Nervenflattern wieder da. Entweder hatte er auf die richtige Karte gesetzt und Wang angebissen – oder er war in wenigen Sekunden ein toter Mann.

    Der Maskierte ließ sich Zeit für die Antwort. Viel Zeit. Er genoss es sichtlich, Garner zappeln zu lassen. Schließlich sagte er: »Mr Wang lässt bitten.«

    Garner nahm die Nachricht scheinbar ausdruckslos zur Kenntnis.

    Der Anführer wandte sich von ihm ab und zischte ein paar Worte auf Chinesisch. Zuerst verschwanden die Messer, dann die Maskierten, ohne auch nur das geringste Geräusch zu verursachen. Einen Lidschlag später war die Straße wieder leer und verlassen, als hätte der geplante Überfall niemals stattgefunden. Nur der Anführer der Gang war zurückgeblieben. In seiner Hand blitzte plötzlich ein Revolver, den er auf Garner gerichtet hatte. Dann schwenkte er die Mündung und deutete auf die Hofeinfahrt eines leer stehenden Bürogebäudes.

    »Nach Ihnen.«

    Hongkong Cemetery

    Die Nacht, die Françoise und John empfing, war dunkel, feucht und kühl, aber nicht so kühl, wie es die Jahreszeit erwarten ließ. Der Spätsommer lag in den letzten Zügen und hatte der britischen Kolonie einige angenehm warme Tage beschert, die dafür sorgten, dass auch in der Nacht das Thermometer nicht unter die Zehn-Grad-Marke fiel.

    Milchig-grauer Bodennebel umwob die Grabsteine des Hongkong Cemetery, die im fahlen Licht des zunehmenden Mondes geisterhaft bleich wirkten. Kaum einer von ihnen glich dem anderen; vom einfachen Steinkreuz über die beschriftete Marmorplatte bis hin zum kunstvoll in chinesischer Tradition ornamentierten Grabstein war hier beinahe alles vertreten.

    Eine Windböe, die nach Salz und Algen schmeckte, fuhr durch die Wipfel der dürren Bäume und erfasste eine Handvoll Blätter, die sich mit letzten Kräften an den kahlen Ästen festklammerten, und trieb sie vor sich her.

    John und Françoise wechselten kein einziges Wort, als sie nebeneinander über den Friedhof schritten. Unter ihren Schuhen knirschten Kies und welkes Laub, von der angrenzenden Wong Nai Chung Road drang dumpf nächtlicher Verkehrslärm.

    Als Françoise die Krypta außer Sichtweite wusste, blieb sie so abrupt stehen, dass John sie überrascht anstarrte.

    »Wie hat sie das vorhin gemeint?«, platzte es endlich aus ihr heraus. Unbewusst hatte sie die Stimme gesenkt, vielleicht aus Ehrfurcht vor den Toten, vielleicht aber auch, weil sich ein eigenartiges Gefühl ihrer bemächtigt hatte, ein Gefühl, das tief in ihren Eingeweiden rumorte.

    War es Furcht? Hatte sie etwa Angst vor …?

    »Sue Ying?« Der Chinese lachte auf. »Das, was sie zu dir gesagt hat, darfst du nicht ernst nehmen. Sie hat es nicht so gemeint. Sie ist einfach nur ein wenig – temperamentvoll.«

    »Für mich klang es wie eine Drohung.«

    »Wahrscheinlich ist sie eifersüchtig auf dich.«

    »Hat sie denn Grund dazu?«

    »Verrate du es mir.«

    Françoise setzte zu einer Erwiderung an, doch stattdessen sah sie John tief in die Augen, als könnte sie dort die Antwort auf jene Frage finden, die seit einiger Zeit in ihr brannte. »Ihr hattet wirklich nichts miteinander?«

    John tippte Françoise zärtlich auf die Nasenspitze und lächelte besänftigend. »Wenn es nach Sue gegangen wäre, bestimmt, aber ich versichere dir, unsere Beziehung ist wirklich nur rein geschäftlicher Natur.«

    Françoise sah sich teils erleichtert, teils verlegen auf dem Friedhof um. Ihr Blick fiel auf einen alten Grabstein, den der Nebel zu einem Drittel verschluckt hatte. Dennoch war sie in der Lage, die Inschrift zu lesen.

    »Sieh mal«, rief sie leise und deutete auf das Grab. »Der Tote heißt genau so wie du: John.«

    »John Smith – so heißt hier jeder vierte«, entgegnete der Chinese achselzuckend. »Bei

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