5.642: Elbrus – Berg meiner Träume
Von Frank Bergmann
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Über dieses E-Book
Mein Buch wendet sich aber nicht nur an den begeisterten Bergsteiger. Da ich weiß, dass mein Reisebericht viel lebendiger wird, wenn es auch etwas zu schauen gibt habe ich mit Fotos nicht gegeizt. Sie sollen über eventuelle Unzulänglichkeiten meines Erzählens hinweghelfen.
Für den ambitionierten Neuling habe ich im Anhang noch einige Fakten aufgenommen: So die GPS-Daten unseres Aufstieges, den Inhalt meiner Reiseapotheke, sowie meine Ausrüstungsliste.
Diese Informationen sollen helfen, wenn ich mit meinem Bericht auch andere dafür begeistern kann, meinen Spuren zu folgen.
Ich wünsche allen meinen Lesern viel Vergnügen.
Frank Bergmann
Frank Bergmann, geboren am 04.07.1960 in Leipzig, gelernter Buchhalter und IT-Spezialist, Hobbybergsteiger, will allen, die zu viel Zeit vor dem PC zubringen, Mut machen, neue Abenteuer in ihrem Leben zu finden. Der Vater von drei erwachsenen Kindern lebt und arbeitet in Berlin.
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Buchvorschau
5.642 - Frank Bergmann
Asau, Karbadino-Balkarische Republik, September 2008
Es ist der 4. September 2008 und tatsächlich stehen wir am Fuße des Elbrus. Unser persönlicher Hotelbusfahrer macht sich völlig verstört auf den Rückweg, nachdem Elke ihren Beschluss verkündete: Wir laufen das Stück (13 km die Straße runter) zum Hotel zurück!
Wenige Tage nach dem Ende des Georgienkrieges hatten wir Mühe vorab im Internet hier im Baksantal eine Unterkunft zu buchen. Aber für „nur" 250,- Euro die Nacht fand sich im Dorf Elbrus dann doch noch eine Bleibe für uns.
Als die einzigen Gäste in diesem großen Hotel steht uns eine Armada von Personal zur persönlichen Verfügung. An der Rezeption von zwei attraktiven, jungen Russinnen empfangen, sorgen vier muskulöse Herren rund um die Uhr für unsere Sicherheit. Im Restaurant werden wir von zwei Köchen und einer süßen Bedienung umsorgt. Für unsere Mobilität sorgt Igor, unser persönlicher Busfahrer. Wir schwelgen sozusagen im absoluten Luxus in einem schicken Hotel mitten in den kaukasischen Bergen.
Schnell finden wir den Eingang zur Station der Seilbahn, die uns auf fast viertausend Meter bringen soll. Lange müssen wir nicht warten, denn da kommt sie auch schon angegondelt, die altehrwürdige Elbrus-Kabinenbahn. Gebaut und in Betrieb genommen im Jahre 1969 aus Anlass des 52. Geburtstages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, ist das Ding zwar alt und renovierungsbedürftig, aber sehr robust und funktional. Mehr ist auch nicht nötig. Sicher bringt sie uns in 20 Minuten auf 3.550 Meter Höhe. An der Station Mir
endet die Fahrt. Wir steigen um in einen kleinen, typisch russischen, Sessellift. Weitere 10 Minuten später stehen wir endlich auf dem Gletscher. Vor uns, unter blauen Himmel und zum Greifen nahe, der Doppelgipfel des Elbrus. Hinter uns das grandiose Panorama der Vier- und Fünftausender des Kaukasushauptkammes.
Mir brummt der Schädel vom schnellen Aufstieg in die Höhe. Ich habe starke Kopfschmerzen. Elke scheint die Höhe nichts auszumachen. Ohne Anstrengung besteigt sie den nächst-besten Schneeberg, zückt ihr Handy und telefoniert, als wäre es das Normalste auf der Welt, mit der Heimat. Lärmend purzelt eine Gruppe völlig enthusiasmierter Russen nach uns aus den kunterbunten Holzsesseln des Liftes. Die Jungs mit freiem Oberkörper und Wodkaflasche in der Hand, die Mädels im Bikinioberteil und High Heels, posieren sie im Schnee.
Direkt neben der Station hat ein kleines Café in einem alten LKW-Aufbau (wie haben die Russen den hier hoch geschafft?) geöffnet. Bei strahlendem Sonnenschein lassen wir uns auf einer kleinen Holzbank nieder und ordern russischen Tee und selbstgebackene Kekse. Fast 4.000 Metern über den Wellen des Schwarzen Meeres sitzend, nehmen wir ein Sonnenbad. Immer wieder geht der Blick hinauf zu den beiden Gipfeln und dem breiten und langen Elbrusgletscher davor.
Einige Zeit später, offensichtlich aufgrund höhenbedingten Sauerstoffmangels und damit einhergehender selektiver Wahrnehmung, fragt Elke mich plötzlich: Kann man da rauf?
Ich: Worauf? Auf den Elbrus?
Sie: Ja, das sieht doch so einfach aus!
Ich: Das kann man bestimmt. Mit der richtigen Ausrüstung und so, sollte es gehen.
Sie schaut mich mit glänzenden Augen an.
Ich: Du willst tatsächlich da hoch?
Sie: Ja!!!
Ich: Verrückt, aber ich bin dabei!
Beschlossen und verkündet im August 2008 im Basislager des Elbrus in Russland.
Oh mein Gott und jetzt muss ich auch noch 13 Kilometer die Straße runter bis ins Hotel laufen.
Losung des Jahres 2008:
Zwischen Prijut 11 und dem Pastuchow-Felsen, Karbadino-Balkarien, August 2010
Da steh ich nun, ich armer Tor, und bekomme keine Luft mehr. Wie ein 80-jähriger Opa mit Herzschrittmacher hänge ich an meinen ultramodernen Hochtourenstöcken und pumpe.
Gerade hat mich eine Babuschka mit ihrer Enkelin fröhlich schnatternd überholt. Die beiden überprüfen die Fähnchen, die den Normalweg zum Gipfel markieren. Die Omi ist mindestens siebzig Jahre alt und die Enkelin gerade mal in der vierten Klasse, aber für beide ist es das Normalste auf der Welt hier oben, dort wo ich gerade am Sterben
bin, herum zu stiefeln. Auf gerade mal 4.200 Metern fühle ich mich wie jemand, der auf über 8.000 Metern am Fixseil in der Lhotseflanke hängt, während sein Flaschensauerstoff langsam zur Neige geht.
Einsam und verloren stehe ich auf dem Gletscher des Elbrus. Elke hatte sich am Tag vor unserer Abreise die rechte Ferse verletzt und ist im Basislager geblieben. Auf jeden Fall, will sie aber übermorgen mit auf den Gipfel gehen. Bisher hat sie nur eine Akklimatisierungstour mitgemacht. Die anderen Tage hat sie lesend im Hotel verbracht. Um ihr ein wenig beizustehen und Gesellschaft zu leisten, habe ich jede zweite Tour ausgelassen. Deshalb ist meine Anpassung an die Höhe sicher nicht die Beste, aber muss ich deshalb gleich sterben?
Auf unserem Weg zum Pastuchow-Felsen sind die anderen Gipfelaspiranten meiner Gruppe schon einige Meter voraus-geeilt. Ich muss sie unbedingt einholen, denke ich. Ok, dann mal weiter. Ein wenig erholt bin ich ja. Nur wenn ich nach oben blicke und mir vorstelle, wo ich am Gipfeltag noch hinauf muss, wird mir mulmig: Mann oh Mann, ist das weit und dort oben wird die Luft noch dünner
sein. Das sah vor zwei Jahren, bei Keksen und Tee im Café noch viel, viel leichter aus.
Nach weiteren 10 Metern hänge ich schon wieder in den Seilen und schnappe nach Luft. Als ich mich schwer keuchend umschaue, tänzeln vier wohlgerundete Südafrikanerinnen freundlich lächelnd auf ihren Steigeisen an mir vorbei. Der Wind, den sie machen, vertreibt mir ein wenig den Schweiß, aber Motivation fühlt sich irgendwie anders an. Niemand weit und breit, der mich mal so richtig in den Hintern treten könnte. Elke sonnt sich im Basislager und die anderen sind weit voraus.
Irgendwie und irgendwann komme ich dann doch noch, aber schwer gezeichnet, bei meiner Truppe am „Rastplatz Pastuchow-Felsen an und verkünde:
Männer, das war es für mich! Ich gehe wieder runter!"
Ok, alles klar. Mach langsam, wir gehen noch ein Stück höher. Wir sehen uns dann unten
, sagt Steffen, unser Guide. Ich will nicht mehr. Will mich nicht mehr quälen. Will nicht mehr nach Luft ringend in den Stöcken hängen und mich nur Meter für Meter nach oben schieben. Hier ist Schluss für mich. Ich will runter vom Berg.
Im Basislager angekommen, bin ich völlig von der Rolle. Flennend liege ich auf meinem Schlafsack und verkünde, dass ich aufgeben will. Überraschenderweise versucht Elke nicht, mich zum Bleiben zu überreden. So packen wir also unsere Sachen und machen uns auf den Weg zurück ins Hotel.
Losung des Jahres 2010:
.
Pastuchow-Felsen, Karbadino-Balkarien, Juni 2012
Ich gehe jetzt auf diesen beschissenen Berg rauf. Und dann, dann beginne ich ein neues Leben.
Ständig kreiseln diese Gedanken in meinem Kopf, während ich unterwegs zum Pastuchow-Felsen bin.
Das Jahr 2011 war ein Jahr zum Vergessen und auch 2012 ist bisher nicht wirklich besser. Als ich das letzte Mal hier unterwegs war, hatte ich einen Traum: Hand in Hand mit meiner Frau auf dem höchsten Berg Europas zu stehen.
Übrig blieben von diesem Traum ein paar Seifenblasen und das Gefühl, mein Leben ist zu Ende. Vor genau 12 Monaten ist Elke ohne jegliche Vorwarnung aus unserem gemeinsamen Leben ausgestiegen.
Plötzlich