Einbruch ins verschlossene Kurdistan
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Über dieses E-Book
Der spannende Reisebericht wurde erstmals 1937 veröffentlicht. Die zweite Auflage erschien 1956, die letzte Fassung 2005.
Gottfried Johannes Müller (1914 – 2009) wurde später bekannt als Gründer der gemeinnützigen christlichen Hilfsorganisation SALEM, die zahlreiche Hilfsprojekte in aller Welt aufgebaut hat.
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Buchvorschau
Einbruch ins verschlossene Kurdistan - Gottfried Johannes Müller
Einbruch ins verschlossene Kurdistan
Gottfried Johannes Müller
Dr. Ronald Henss Verlag
Dr. Ronald Henss Verlag
Sudstraße 2
66125 Saarbrücken
www.ronald-henss-verlag.de
verlag@ronald-henss-verlag.de
© Gottfried Johannes Müller
Umschlaggestaltung: Ronald Henss unter Verwendung zweier Fotos von Gottfried Johannes Müller
eBook im epub-Format
ISBN 978-3-939937-79-1
Weitere Ausgaben
ISBN 978-3-939937-00-5 (Buch)
Vorwort zur Neuauflage 2006
Dieses Buch wurde das letzte Mal im Jahr 1956 herausgegeben. Viele Jahre war es verschollen. Selbst Gottfried Müller, der Autor, besaß kein eigenes Exemplar mehr.
Aufgrund einer glücklichen Fügung schickte ein Salem-Freund uns ein Buch, das er in seinem Bücherschrank gefunden hatte. Dies diente uns als Manuskript zur neuen Auflage, anlässlich des 50-jährigen Bestehens von Salem (am 16. September 2007). Der Inhalt wurde behutsam überarbeitet, Einband und Bildmaterial original übernommen.
Lesen Sie selbst, wie aktuell das Thema unsere heutige Zeit berührt.
Samuel Müller
Verzeichnis der Abbildungen
* Buchcover der Ausgabe von 1937
* Der Verfasser (zu Pferd) mit seinem Freund im Innern der kurdischen Bergwildnis, als Kurde gekleidet
* Der Verfasser vor den Pyramiden von Gizeh
* Blick auf Bagdad
* Eines der vielen Kaffeehäuser in Bagdad
* Elende Bagdader Vorstadthütten
* Prachtvolle Außenwand der heiligen Moschee von Kasimen
* Blick in das Innere der heiligen Moschee Kasimens
* Ein Wüstensohn beim Gebet
* Straßenbild aus Suleimanie, der Hauptstadt Kurdistans
* Auf beschwerlichen Wegen
* Scheich Mahmud, der kurdische König mit einer persönlichen Widmung an den Verfasser
* Kurdisches Dorf
* Kurdische Bergverhältnisse
* Der kurdische Banditenführer Schuach Maschid
* Kurdische Landschaft
* Der Verfasser mit Sepp bei Mittagessen auf dem Dach des Hauses Schuach Maschids
* Kurden
* Besuch beim höchsten mohammedanischen Priester Kurdistans
* Schaureiten Schuach Maschids. Der Verfasser macht auf Hohner Regina Festmusik
* Der Verfasser beim Kurdenführer Ahag Bassar
* Kurden auf ihren wilden Streifzügen
* Arabische Polizeistation vor den kurdischen Gebirgseingängen
* Der Verfasser im Innern des verschlossenen Kurdistan
Mit Fahrrad, Freund und sechzig Mark in den Orient
Seit Jahren ist es meines Herzens Wunsch und Sehnsucht, den Orient, von dem ich schon so viel gelesen habe, persönlich kennenzulernen. Längst habe ich dazu allerlei Vorbereitungen getroffen.
Jetzt ist der Wunsch zum Entschluss gereift.
Auch die vielerorts ausgebrochenen Unruhen können mich nicht mehr zurückhalten.
Überall ist Kriegsgeschrei …!!!
Aus Bulgarien hören wir Putschversuche, die Türkei meldet Anschlag auf Kemal Pascha, Griechenland hat große Revolution, Italien beginnt den Kolonialkrieg gegen Abessinien, drüben in Ägypten sind Unruhen und Schießereien, auch in Palästina und Syrien ist kein Frieden.
Kurz und gut: Alles ein Hexenkessel!
Und mitten hinein geht meine Fahrt. Jedoch keine Fahrt als Salonreisender. Keine Luxuszüge, keine modernen Autos sollen mich befördern. Elegante Schiffskabinen werden mir fremd bleiben, ebenso die vornehmen Hotels.
Wenn ich von der Welt und ihren Bewohnern etwas sehen und hören will, muss ich mich von vornherein auf eine einfache Lebensweise einstellen, um möglichst Land und Leute wirklich kennenzulernen.
Der Entschluss ist bald gefasst: Ich nehme ein Fahrrad!
Die äußerst schwierigen Vorbereitungen sind beendet. Nun wird gepackt: Ersatzteile für das Fahrrad, Reservekleidung und Wäsche, reichlich Medizin und ein Zelt mit Gerät.
Eine Trennung von meiner lieben kleinen Ziehorgel „Hohner-Regina" ist undenkbar. Also nehme ich sie mit. Es hat mich nicht gereut, denn oft hat sie mir einsame Stunden erleichtert, oft mich aus peinlichen Situationen gerettet.
Eine Pistole mitzuführen, ist mehr als gefährlich. Werde ich erwischt, kann ich bös hereinfallen und einige Monate im Gefängnis brummen.
Aber: Wer wagt, gewinnt!
An einem schönen Septembermorgen geht’s los.
Natürlich mit einem gleichgesinnten Freund, der mir durch dick und dünn zur Seite steht.
Unsere Geldmittel sind äußerst bescheiden. Sechzig Reichsmark in Devisen genehmigte das Gesetz. Die gleiche Zahl betrug unser Fahrrad samt Gepäck: 60 Kilogramm!
Etwas beklemmend ist der Übertritt in ein fremdes Land. Schon bin ich nicht mehr in der schützenden Obhut und Fürsorge des Heimatlandes, sondern ganz auf mich selber angewiesen und unsagbaren Gefahren ausgesetzt.
Prag, die herrliche alte Stadt an der Moldau ist ein angenehmer Auftakt.
Budapest finde ich entzückend.
Siebenbürgen macht uns mit den Leiden und Freuden der dortigen Deutschen bekannt.
Bukarest zeigt uns schon einen schwachen Hauch orientalischen Lebens.
Dann liegt das Schwarze Meer vor uns. Die erste Seefahrt von Konstanza aus über Bulgarien in die Türkei ist wie ein Traum. An einem frühen Morgen geht’s durch die einzigartigen Naturschönheiten des Bosporus, und bald liegen wir im „Goldenen Horn", dem Hafen Konstantinopels, vor Anker.
Wir staunen lange ob des bezaubernden Anblicks, den uns das Stadtbild mit den vielen Menschen und Minaretts bietet. Aber eine recht unangenehme Zollkontrolle ruft uns in die raue, schon echt orientalische Wirklichkeit zurück.
Früher als vorgesehen schiffen wir uns wieder ein. Denn gestern noch waren die Dardanellen wegen wilder Kriegsgerüchte durch Minenketten gesperrt. Heute jedoch ist die Durchfahrt gestattet.
So gelangen wir vorzeitig auf dem kleinen, schmutzigen Türkendampfer „Inebolu" bei Nacht und Nebel durch die Meerenge, hinüber nach Kleinasien.
Nach zwei Tagen, die wir mit über hundert zerlumpten Rekruten verbringen müssen, welche uns nebenbei eine gehörige Ladung von billigem Ungeziefer besorgen, landen wir gegen Abend in Smyrna.
Unvergesslich sind die Ausflüge zu den antiken Ruinenstätten von Ephesos und Pergamos.
Wie wir dann in die Hafenstadt zurückkommen, stockt uns fast der Atem. In einer uns wohlbefreundeten Familie hören wir zu unserem nicht geringen Schrecken, dass die „Inebolu" auf ihrer nächsten Fahrt hierher in einem Sturm mit Mann und Maus untergegangen sei …
Welch eine göttliche Bewahrung! Denn unsere Schiffskarten für die „Inebolu", die wir in Deutschland schon gekauft hatten, lauteten genau auf das Datum ihres Untergangs!
„Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag." Das ist von vornherein unsere Devise gewesen. So landen wir bald auf der Insel Rhodos (d.h. Roseninsel), berühmt durch ihre überragende Schönheit.
Nach zwei Wochen setzen wir die Reise fort nach Ägypten und damit nach Afrika.
Von Alexandrien aus radeln wir weiter in die Hauptstadt Kairo, die uns das Wort „Orient" in allen Variationen vorführt. Hier lernen wir auch den ganzen Schmutz, das fürchterliche Elend, die unsagbare Armut, vermischt mit unbeschreiblichen Krankheiten, kennen.
Wehe, wenn hier im Orient jemand von Mitleid erfasst wird. Er wird bald auf Schritt und Tritt verfolgt und kann sich nur noch durch ganz rasches Verschwinden retten. Anstelle eines „Bakschisch (Geschenk) bekommt der Bittende nicht selten einen Fußtritt, oder er wird angespuckt, wenn nicht gar verflucht. Immer wieder hören wir Flüche wie „In al abuk
, d.h. „verflucht sei dein Vater, oder „Ebnil kälb
, d.h. „du Sohn eines Hundes".
Hier in Kairo sind wir mitten in den blutigen Unruhen. Nicht selten sehen wir, wie ein Demonstrationszug die Polizei angreift oder einen Straßenbahnwagen völlig demoliert.
Wir machen noch einen kurzen Besuch bei den Pyramiden, in Sakkara und Memphis. Dann soll’s weiter gehen gen Osten, hinein nach Asien.
In Ismaila erreichen wir den Suezkanal und treffen noch am selben Tag in Port Said ein.
Es sind noch wenige Tage bis Weihnachten. Nach all den bisherigen Sonnentagen ist es heute etwas stürmisch, und unser Kapitän überlegt, ob wir bei dem augenblicklichen Seegang vor Jaffa anlegen können oder gleich nach Haifa weiterfahren müssen. Schließlich bleiben wir aber doch hier.
Bald stehe ich mit meinem Freund auf dem Boden des Heiligen Landes.
Nach einem äußerst anstrengenden Tag, der uns die Fahrräder mit dem schweren Gepäck in strömendem Regen hinauf auf die Berge von Juda schieben sah, kommen wir endlich nach Jerusalem.
Ein deutscher Freund erwartet uns hier, und bald haben wir ein neues Nest gefunden, von dem aus wir unsere weiteren Ausflüge unternehmen werden.
Am Christabend wandern wir zusammen mit anderen Deutschen hinaus nach Bethlehems Fluren, um auf dem Hirtenfeld, in der Geburtskirche und später dann in der kleinen deutschen Kirche Weihnachten zu feiern.
Kann man solch erhebende Stunden auf geweihter Erde je vergessen? Ich nicht!
An Silvester ereilt meinen lieben Reisegefährten ein tragisches Schicksal. Schon bald nach unserer Ankunft überliefen ihn kalte Fieberschauer. Schüttelfrost! Der herbeigerufene Arzt stellt Typhus fest und steckt den armen Kerl fünf Wochen ins Hospital.
Nach dieser Zeit und der notwendigen Erholung muss er auf direktem Weg heim, zurück nach Deutschland, fahren.
Schweren Herzens muss ich mich von ihm trennen.
Aber meine brennende Sehnsucht zieht mich vorwärts!
Die Frage der Finanzierung dieser Weiterreise war natürlich nicht einfach. Bis hierher hatte ich mit manchen Einschränkungen kommen können, hatte ich doch die Schiffskarten schon zu Hause gekauft. Außerdem übernachtete ich mit meinem Freund fast ausschließlich in unseren praktischen Zelten.
Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!
Was irgendwie entbehrlich war, wurde verkauft: Fahrrad, Zelt, Medizin, Instrumente und eine Menge Kleinkram. So bekam ich schon ein ganz nettes „Taschengeld" für die Weiterreise zusammen.
Dazu spendete mein lieber palästinischer Freund noch einige Englische Pfunde.
Nun konnte ich es also wagen!
Wer den tieferen Orient nicht kennt, kann sich keine Vorstellung machen, wie billig man in diesen primitiven Gegenden lebt! Tatsächlich kommt man mit „Pfennigen" aus. Nur muss aller europäische Komfort wegfallen.
Später stellte sich heraus, dass ich richtig kalkuliert hatte.
Schon für vier Pfennige bekamen wir eine ordentliche Portion arabischer Kost. Lange Zeit ernährten wir uns täglich mit wenig mehr als einer Handvoll getrockneter Datteln; Kostenpunkt: zwei Pfennige. Für Droschkenfahrten zahlte man zehn Pfennige, für Stiefelputzen drei Pfennige. Unsere Autofahrt im „eleganten Salonwagen" durch die tausend Kilometer lange Syrische Wüste zurück nach Damaskus kostete nicht mehr als sechs Reichsmark. Das sind nur einige Beispiele!
Was meine Reisekasse aber am wenigsten beanspruchte, war die orientalische Gastfreundschaft. Hierin hatte ich ein ganz besonderes Glück. Manche Woche war ich irgendwo zu Gast. Ich hätte den Gastgeber kaum schwerer beleidigen können, als wenn ich ihm für den Aufenthalt Geld angeboten hätte.
Macht sich der Leser von dieser billigen Lebensweise eine Vorstellung, dann kann er begreifen, wie ich mit wenigen Mitteln ehrlich und aufrecht durchgekommen bin.
Es soll aber niemand in die Versuchung kommen, mit ein paar Groschen in der Tasche den Orient zu bereisen!
Ach, wie werden jene, die mit den Verhältnissen und der Sprache nicht vertraut sind, kräftig übers Ohr gehauen! Oft wird ihnen ein unverschämt hoher Preis abverlangt und man bezahlt ihn am Ende, nur um der Aufdringlichkeit und dem fürchterlichen Geschrei der Markthändler zu entgehen.
Ist aber ein solcher Reisender wirklich einmal blank, dann lernt er den wundervollen Orient von einer anderen Seite kennen!
Ich habe auch solche Arme getroffen, welche aus dieser Not nicht mehr herausgefunden haben.
Für meinen heimgekehrten Freund lerne ich auf einer meiner umfangreichen Reisen kreuz und quer durch Palästina „Sepp", einen Tiroler Studenten, kennen.
Auch er hatte die Absicht, noch weiter nach Osten zu reisen.
Nie hat es mir leid getan, diesen edlen, frommen, aber auch eisernen Kerl mit mir genommen zu haben. Ich kann wohl sagen, er wurde mir ein Freund im wahrsten Sinne. Die Freude üppiger Tage, aber auch das bittere Leid von Not, Verfolgung und Überfällen hat er geduldig mit mir getragen.
Unsere Blicke wandern nach Norden. Wir warten schon bald eine Woche, bis die Revolution in Syrien, hauptsächlich der Ausnahmezustand von Damaskus, beendet ist, denn vorher ist es unmöglich, das syrische Visum zu bekommen. Von dort aus wollen wir dann nach Mesopotamien fahren.
Wieder einmal sitzen wir im Kaffeehaus eines Griechen, schön gelegen am See Genezareth, und lesen die neuesten Nachrichten von dem Nachbarland Syrien.
Plötzlich fährt draußen wie ein spukhafter Feuerteufel ein roter Lastwagen vorüber. Ich springe hoch, bin schon auf der Straße und pfeife mit aller Kraft durch die Finger.
Tatsächlich hören es die Fahrer und halten an.
Ich eile hin und lese, wie ich es gehofft hatte: „Overland-Desert-Route."
Ein Wagen nach Bagdad!
Klar, wir fahren mit!
Nach einer Stunde haben wir die palästinische Grenze schon hinter uns. Nun geht es hinein in die wuchtigen Moabiterberge Transjordaniens.
Dann folgt Wüste, unendliche Wüste. –
Was wird uns wohl die nächste Zeit alles bringen? Wohin werden uns die Wege führen?
Über Bagdad hinaus haben wir noch keine Entschlüsse fassen können. Aber eins steht fest, dass wir später unter keinen Umständen erfolglos gereist sein wollen.
Meine Erwartungen wurden weit übertroffen. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich mit Sepp gewisse Gegenden des sagenhaften Kurdistan als erster Fremder betreten sollte!
Noch heute kommt mir diese Zeit wie ein Märchentraum vor. Kaum ein Mensch kann sich die Wildheit und Primitivität des inneren Kurdistan vorstellen. Und so mag auch mancher fast ungläubig den Kopf schütteln, wenn er von meinen abenteuerlichen Reiseerlebnissen liest.
Solchen Zweiflern möchte ich sagen, dass dieses Buch kein aufpeitschender Phantasieroman ist, sondern dass darin in aller Einfachheit meine in Wirklichkeit erlebten Dinge erzählt sind.
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