Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Die Strategin
Die Strategin
Die Strategin
eBook500 Seiten4 Stunden

Die Strategin

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Genre: FICTION / HISTORISCH

Es handelt sich um eine surreale Zeitreise ins zwölfte Jahrhundert, während der anti-imperialen Kämpfe von 1164-1165

Nach einem starken Unwetter findet sich Alice, eine junge Frau aus dem XXI. Jahrhundert, ins Jahr 1163 versetzt, in einen Wald des wunderschönen Tals Valpolicella. Was ist passiert? Wer hat sie ins Jahr 1163, in die Zeit der anti-imperialen Kämpfe gegen Kaiser Federico il Barbarossa geschickt und vor allen Dingen, warum? War es ein Zufall oder ein Plan Gottes? Verletzt und verwirrt wird sie von einer Familie halbfreier Bauern gerettet, die sie in die Abtei des Sacro Cuore nach Arbizzano bringen, wo sie von freundlichen Nonnen gepflegt wird und wo sie die Anwendung von Heilkräutern lernt. Nachdem sie geheilt und in die Burg von Fumane gebracht worden war, muss sie sich entscheiden, wie sie handeln soll: Kämpfen, um in ihre Zeit zurückzukehren, oder, um den ungerechten Vorwürfen der Hexerei zu entkommen, an der Belagerung von Rivoli im Jahr 1165 an der Seite des Ritters Lorenzo Aligari teilzunehmen, in den sie sich dann unsterblich verliebt.

SpracheDeutsch
HerausgeberBadPress
Erscheinungsdatum5. Okt. 2016
ISBN9781507148075
Die Strategin

Ähnlich wie Die Strategin

Ähnliche E-Books

Historienromane für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Die Strategin

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Die Strategin - Giovanna Barbieri

    HAUPTFIGUREN

    BURG VON FUMANE:

    Graf Aliostro Aligari, Burgherr

    Gräfin Ludmilla Aligari, Frau des Burgherrn

    Riccardo Aligari, ältester Sohn

    Alessandra, Frau Riccardos und Mutter von Bruno und Elisabetta

    Lorenzo Aligari, aus dem Heiligen Land zurückgekehrter Johanniterritter

    Alice, Frau aus dem 21. Jahrhundert

    Marco, Johanniterritter, Freund und Kamerad Lorenzos

    Michele, junger Tuchmacher, Johannitermönch

    Angelica, Dienerin von Bruno und Elisabetta, Kinder von Riccardo und Alessandra.

    Maria Angela, die Köchin der Burg

    Matteo, Baumeister, der Zunft der Baumeister angehörend

    Luca und Giacomo, Kinder von Matteo dem Baumeister

    Antonio, Zimmermann, der Zunft der Zimmerleute angehörend

    Luigi, Bogenschütze der Burg

    Ernesto, Falkner und Stallbursche der Burg

    Lucilla, weitere Dienerin der Burg

    Belìn, ein Calcatrapole, Waldkobold.

    BURG VON SAN PIETRO IN CARIANO

    Herzog Borsetti, der Burgherr

    Eleonora, Erstgeborene des Herzogs Borsetti

    Chiara Aligari, Ehefrau des Burgherrn

    Martina, Tochter von Chiara und Luigi dem Bogenschützen

    Franca, alte Dienerin der Familie

    Melinda, jüngere Dienerin

    Drusilla, Magd der Burgherrin

    Ludovica, Magd von Eleonora

    Antonio, Schatzmeister der Burg

    Eugenio, Dorfoberhaupt

    Ruggero, Luca und Giovanni, Armiger der Familie

    Anselmo Marchetti, Prälat der Dorfkirche

    BURG VON RIVOLI

    Garzapano, Burgherr von Rivoli

    Federico il Barbarossa, deutscher Kaiser

    Isacco, Armeekommandeur

    Sofia, Isaccos Gefangene

    Emanuela, Garzapanos Geliebte

    Fabius, Kapitän der Armiger

    Karl, Schatzmeister der Burg

    HEER DER VERONESER MARKGRAFSCHAFT

    Aliberto, Mineur, Führer der Schutzwand

    Francesca, Verantwortliche der Prostituierten

    Rosa, Kindsprostituierte

    Lucia, schönste Hure

    Matilde, weitere Prostituierte

    Giorgio, anti-kaiserlicher Fußsoldat

    Osvaldo Calari, Bader der Armee

    Familie der Nogari in Negrar

    Familie der Galvari in Garda

    Familie der Parnesi in Parona

    Familie der Roccardo in Peschiera

    NEBENFIGUREN  

    Alessandro, Oberhaupt der Zunft der Baumeister von Fumane

    Abt Fedrigo, Mönch eines Klosters im Belo Wald 

    Bruder Educlide, Alchimist des Klosters im Belo Wald

    Schwester Amelia, Äbtissin der Abtei von Arbizzano

    Novizin Alilanda, Novizin der Abtei von Arbizzano

    Schwester Maria Claretta, weitere Nonne der Abtei von Arbizzano

    Eralbo, Diener des Hauses  Balduino della Scala

    Emeraldo, bester Schmied von Verona

    Onofrio, Hufschmied

    Querceto, Holzhändler in Verona

    Stefano,  Hufschmied, Gesetzloser aus Affi

    Lucia, Ehefrau von Stefano dem Hufschmied, Gesetzloser aus Affi

    Marta, Mutter von  Stefano dem Hufschmied

    Fedrica, Hebamme der Gesetzlosen aus Affi

    Pater Cristoforo, Abt des Santa Viola Klosters, in der Nähe von Bologna.

    Guglielmo, Novize des Santa Viola Klosters.

    BIBLIOGRAFISCHE ANMERKUNGEN:

    • La Valpolicella: dall'alto Medioevo all'età comunale di A. Castagnetti, Centro Doc, St Valpolicella, 1984

    • Rapine, assedi, battaglie, la guerra nel Medioevo di A. Settia, Laterza, 2009.

    • Le grandi battaglie del Medioevo di A. Frediani, Newton Compton, 2009

    • Miti, leggende e superstizioni del Medioevo, di A Graf, Mondadori, 1996L’uomo

    • L'uomo medievale di Le Goff, laterza, 2006

    • Alimentazione e cultura nel Medioevo, di M. Montanari, Laterza, 2012

    • Il Meraviglioso e il quotidiano nell'Occidente medievale, Le Gogg, Leterza, 2010

    • Il Basso Medioevo, di Le Goff, Feltrinelli, 1997.

    DANKSAGUNGEN

    Ich bedanke mich bei Marta Paparella, Angela Pegoretti, Luca Manfredi und Marina Pieroni, die sich um das Editing gekümmert haben. Von Herzen danke ich auch Paolo Marzola, dem Autor des Titelblatts und mein Liebster, der mich immer unterstützt.

    DIE STRATEGIN

    ––––––––

    Kapitel 1 

    Verärgert verließ Alice das Büro und ging zum Bus, mit dem sie wie gewöhnlich nach Hause fuhr. Eine plötzliche Windböe ließ sie frösteln, sie schaute zum Himmel hoch und bemerkte, dass dieser sich nach und nach mit dunklen Wolken bedeckte. Es sah nach Regen aus. Zu Hause angekommen stieg sie aus und lief schnell zum Gartentor. Sie hatte es kaum geöffnet, als ihr schon Pedro,  ihr Hund, mit dem Schwanz freudig wedelnd entgegengelaufen kam. Alice streichelte ihn, versprach ihm einen Spaziergang und ging mit ihm ins Haus. Bereits im Flur empfing sie ein herrlicher Duft aus der Küche. 

    «Mamma, ich nehme Pedro zum Joggen mit. Ich muss mich ein wenig abreagieren. »

    Ihre Mutter schaute sie stirnrunzelnd an. «Probleme auf der Arbeit? »

    «Endlose Besprechungen und Veränderungen in Sicht», seufzte Alice müde. «Ich weiß nicht, für wie lange ich noch bei Wisk weiterarbeiten werde ».

    Besorgt sah ihre Mutter sie an. «Lass uns doch erst einmal abwarten, wie sich die Dinge weiterentwickeln. » Die Sorge ließ ihre Stimme einen Ton höher klingen. Sie machte eine Pause, wandte sich vom Herd ab und setzte sich auf die schmale Bank am Tisch. «Alice, der Himmel sieht nicht gut aus, bist du dir sicher, dass du noch joggen willst? »

    «Mamma, reg dich nicht auf. Ich erzähle dir mehr darüber, sobald ich zurück bin. »

    Pedro nahm jetzt all ihre Aufmerksamkeit für sich an Anspruch. Alice streichelte mehrmals seinen Kopf und legte ihm anschließend die Leine an.

    «Wir werden bald zurück sein. Bis später! »

    Mit dem Hund an der Leine lief sie mit schnellen Schritten in Richtung des Stadtteils Novare. Als sie in die Nähe der aus dem neunzehnten Jahrhundert stammenden Villa kamen, löste sie Pedro von der Leine und ließ ihn frei laufen. Dann liefen beide den steilen, grünbewachsenen Hügel hinauf.

    Was soll ich tun, wenn man mir kündigen sollte? Werde ich in der Lage sein, eine neue Arbeit zu finden, obwohl die Wirtschaftskrise mein Land in die Knie zwingt?

    In Gedanken versunken lief Alice nun schneller, während die Weinberge hinter ihr verschwanden und durch einen dichten Wald ersetzt wurden. Sie hatte gerade die Hälfte ihrer üblichen Strecke hinter sich, als das Wetter sich verschlechterte. Pedro hatte sie schon hinter sich gelassen. Er tat es immer so, wenn er von der Leine war. Besorgt beobachtete sie, wie große, dunkle Wolken die Sonne bedeckten.

    Ein plötzlicher, eiskalter Windstoß ließ sie erschaudern. Vielleicht hatte ihre Mutter doch recht gehabt und es war diesmal wirklich nicht der richtige Zeitpunkt gewesen, um im Wald zu joggen. Sie pfiff, um den alten Beagle zurückzurufen, konnte ihn aber durch das dichte Laub des Waldes nirgendwo sehen. Plötzlich tauchte er aus einem Seitenweg neben ihr auf, mit hängender Zunge und die schwarzbraunen Ohren mit Erde verschmutzt.

    «Wo warst du? Ich hoffe in keiner Dachshöhle», schimpfte sie. «Wir müssen uns beeilen, um vor dem Unwetter noch nach Hause zu kommen. »

    Der Hund sah sie mit seinen dunkelbraunen, schwarz umrandeten Augen an, wedelte glücklich mit dem Schwanz und folgte ihr sofort. Alice lief nun schneller, sie wollte den täglichen Lauf vor Beginn des Unwetters beenden. Der Wind wurde stärker. Er ließ die Blätter der Bäume rascheln und Alice atmete die zunehmende Luftfeuchtigkeit ein. Sie befand sich in einem ziemlich abgeschiedenen, grünen Bereich des Valpolicella-Tals, jener, welcher nach Süden hin an die Reihenhäuser von Novare angrenzte.

    Nach dem ersten grellen Blitz hörte sie sofort den Donnerschlag. Es begann heftig zu regnen und nass bis auf die Knochen war Alice gezwungen, ihren Lauf zu unterbrechen und eine Schutzunterkunft zu suchen. Der Donner verängstigte den armen Hund dermaßen, dass er zu jaulen anfing.

    «Du hast ja recht. Es regnet so stark, dass ich nichts mehr sehen kann. Komm, wir suchen Schutz unter dieser Tanne...auch wenn es vielleicht keine so brillante Idee ist. »

    Hier ist es jedenfalls besser, als in einem Graben zu liegen oder von einem Blitz getroffen zu werden. 

    Diesmal gehorchte der Beagle jedoch nicht, er rannte sofort in Richtung nach Hause und ließ sie allein. Alice seufzte und versuchte erst gar nicht ihn zurückzurufen.

    Spätestens in zehn Minuten wird er im Warmen sein, dachte sie neidisch.

    Sie begann zu frieren, sie legte beide Hände um die nackten Unterarme und rieb sie kräftig. Der ohrenbetäubende Lärm des Donners ließ sie zusammenzucken und so drängte sie sich noch mehr an die raue Rinde des Baumes. Der Blitz schlug nur wenige Schritte entfernt im Wald ein und eine Welle der Furcht stieg in ihr hoch.

    «Hier kann ich auch nicht bleiben! Es ist bestimmt besser, wenn ich weiter laufe, auch wenn ich so eine Erkältung oder sogar einen Sturz riskiere! »

    Vorsichtig trat sie aus dem Schutz der Tanne und begann wieder zu laufen. Ein erneuter Blitz erhellte das Umfeld, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Donnerschlag. Jetzt bebte auch der Erdboden. Dann schien es, als würde eine unheimliche Stille Besitz vom Ort ergreifen.

    Ich muss so schnell wie möglich aus diesem Wald fliehen.

    Plötzlich wurde sie von einem grellweißen Blitz geblendet. Tiefe Dunkelheit umgab sie und sie wurde ohnmächtig.

    Mühsam öffnete Alice ihre Augen. Ein durch die Blätter der Bäume fallendes strahlendes Sonnenlicht blendete sie. Beunruhigt stellte sie fest, dass ihr dieser Ort hier völlig unbekannt war. Ihr war schwindelig und ein unangenehmer Geruch von verbranntem Fleisch hing in der Luft. Sich auf die Ellbogen stützend, versuchte sie sich aufzurichten. Ein brennender Schmerz ließ sie jedoch erneut in Ohnmacht fallen. Als sie wieder zu sich kam, kam auch die Erinnerung an den grellen Blitz zurück.

    «Bin ich tot? », fragte sie sich.

    Alles war still und niemand antwortete ihr. Unter starken Schmerzen kroch sie auf allen Vieren aus dem Wald, um Hilfe zu holen. Ihre Hose, ihr T-Shirt und ihre Tasche waren wer weiß wohin verschwunden und ihr Handy nicht benutzen zu können, ließ ihre Besorgnis noch größer werden. Für einige Zeit rief sie um Hilfe, dann aber, von den Schmerzen überwältigt, wurden ihre Hilferufe immer leiser und sie legte den Kopf wieder auf den Erdboden, der immer noch nach Regen roch. Als sie wieder aufsah, sah sie plötzlich ein kleines Mädchen vor sich, das sie verwundert ansah. Alice versuchte sie anzusprechen, aber das Mädchen floh so schnell, als würde ein Rudel Wölfe sie verfolgen. Sie setzte sich auf und untersuchte ihre Wunden: Die Schulter und der rechte Arm hatten Brandwunden, die aber Gott sei Dank nicht besonders schwer waren. Als sie ihre Haare betastete, stellte sie fest, dass auch diese teilweise verbrannt waren. Während sie mit Schmerzen da lag, vernahm sie Schritte und Geräusche, die näherzukommen schienen.

    Voller Hoffnung dachte sie: Vielleicht hat das Mädchen doch Hilfe geholt.

    Das Mädchen war tatsächlich in Begleitung eines jungen, ungefähr zwanzigjährigen Mannes zurückgekommen. Alice war von den Ereignissen noch so sehr betäubt, dass sie seiner Bekleidung nicht viel Aufmerksamkeit schenkte. Der junge Mann trug jedoch keinerlei Art von Uniform, stattdessen bedeckte ein Umhang seine Schultern.

    «Bitte helft mir», flüsterte sie.

    Er kam näher und sprach sie an. Sie verstand jedoch nicht, was der junge Mann ihr mitzuteilen versuchte. Der so strenge Veroneser Dialekt war ihr fast unverständlich. Mühsam half er ihr aufzustehen und legte vorsichtig seinen Umhang um ihre Schultern. Alice fühlte sich sehr schwach und ihr war übel. Der geheimnisvolle, junge Mann nahm sie in seine starken Arme und trug sie ins Tal hinunter.

    «Mutter, Mutter! », rief er, während er sie über die Schwelle eines Holzhäuschens trug.

    Aufgeregt erzählte er seiner Mutter, was sich zugetragen hatte und wo er Alice gefunden hatte. Die Frau starrte beide an, sagte mit leiser Stimme etwas zu ihrem Sohn und wies schließlich auf einen Platz in der Ecke der Hütte. Sanft legte er Alice auf ein Strohlager und zog sich zurück.

    Wieso schläft man hier noch auf Strohlagern? , fragte sie sich verwirrt. 

    Die Frau näherte sich vorsichtig, nahm ihr den Umhang des Sohns ab und begann ihren verbrannten Körper zu untersuchen. Unterdessen fuhr der junge Mann fort mit seiner Mutter im strengen Veroneser Dialekt zu reden, von dem Alice nur wenige Worte verstand: Krieg und Belagerung.

    Sie verstand gar nichts mehr: Belagerung! Bin ich vielleicht verrückt geworden? Wohin hat es mich verschlagen?

    Erst jetzt bemerkte sie die merkwürdige, seltsame Bekleidung der Leute: einzeln verschnürte Stoffsocken, Tuniken und Kleider mit langen Ärmeln und Ledergürteln um die Taille.

    Leide ich unter einer Halluzination? Wo bin ich hingeraten? , grübelte sie besorgt.

    Sie hatte sich nie für einen Menschen gehalten, der sich von Gefühlen treiben lässt, doch diese Situation stellte sie auf eine harte Probe.

    «Wo sind wir? », fragte sie den Tränen nahe.

    «Arbizzano», antwortete die Frau und blickte sie dabei fest an.

    Während sie auf dem Lager lag, hörte sie wie eine Tür geöffnet wurde. Ein Mann trat ein und war so überrascht sie zu sehen, dass er wie angewurzelt stehen blieb.

    «Wer seid Ihr? », fragte er in seinem Dialekt.

    Sie hatte die Frage verstanden und setzte sich gerade auf. Aus Angst betrogen zu werden schaute sie sich den ihr gegenüberstehenden Mann genau an, bevor sie antwortete. Der Mann, der wie der Sohn gekleidet war, mochte ungefähr 40 Jahre alt sein. Falten zeichneten jedoch bereits sein Gesicht und seine Haare und sein Bart waren schon fast völlig grau. Die Frau, die sie immer noch beobachtete, konnte nicht älter als 30 Jahre alt sein.

    Bin ich aufgrund der Arbeit zu gestresst?

    Ein Gefühl der Panik stieg in ihr hoch. Doch sie bekämpfte es entschlossen und begann sich im Zimmer aufmerksamer umzusehen. In einer Ecke der Holzhütte sah sie einen Bogen und einen mit Pfeilen gefüllten Köcher. Von draußen her war das Gackern von Hühnern zu hören.

    Diese seltsamen Menschen haben einen Bogen und einen Köcher voller Pfeile!

    Sie wurde immer verwirrter. «Ich heiße Alice», sagte sie nervös.

    Alles sah friedlich aus und es schien, als ob niemand ihr etwas antun wolle. Der Bauer versuchte nämlich, lächelnd mit ihr zu sprechen. Alice verstand nur Bauernhof und Autiero, zusammen mit Verona und Verwandte. Sie gab zu verstehen, dass sie fast gar nichts von dem Gespräch verstand, um zu zeigen, dass sie den Dialekt nicht kannte. Der Mann fuhr fort sie anzustarren, er über ihr Schweigen sprachlos. Als er erneut versuchte, mit ihr zu reden, konnte sie nur die Worte „Nonnen und Karre" verstehen.

    «Ja, einverstanden», stimmte sie dem Gesagten zu.

    Danach legte Alice sich von Müdigkeit übermannt wieder hin. Mittlerweile ging der Nachmittag schon in den Abend über. Die jungen Leute legten sich auf der gegenüberliegenden Seite der Hütte nebeneinander hin und nahe der Feuerstelle legten sich die Eltern nieder.  

    Alice erwachte, als der Junge sich in dem engen Raum bewegte. Er schaute nicht zu ihr rüber, zog sich an und schlich leise aus der Hütte. Kurze Zeit später hörte sie das Geräusch von Holz auf dem Erdboden und das Wiehern eines Pferdes. Als sie versuchte aufzustehen, gaben ihre Knie nach und sie wäre fast hingefallen. Doch Autiero bemerkte ihre Schwierigkeit und half ihr, indem er während ihrer ersten Schritte ihre Taille umfasste.

    Er lächelte sie an und sie errötete, denn ihr wurde auf einmal bewusst, dass sie halb nackt war. Der Mann reichte ihr daraufhin seinen Umhang, den sie fest um sich schlug. Dann gingen sie hinaus ins Freie. Es war die Stunde der Morgendämmerung und Alice ließ den Blick über die Landschaft schweifen.

    In der Ferne sah sie einen weiteren Bauernhof, getrennt von dem der Autiero‘s durch schon abgeerntete Getreidefelder. Keine asphaltierten Straßen, keine Autos oder andere Landwirtschaftsmaschinen, nur ein kleiner Landweg, der sich im Wald verlor. Als ihr Blick die Umgebung erkundet hatte, stellte sie fest, dass die Reihenhäuser von Novare nicht mehr da waren.

    Es ist Arbizzano, ich erkenne die Hügel, aber wo ist Novare?

    «Autiero, in welchem Jahr befinden wir uns? »

    Der Mann schaute sie verwundert an. Bestimmt dachte er, sie hätte aufgrund des Unfalls vielleicht ihr Gedächtnis verloren.

    «Anno Domini 1163», antwortete er.

    Alice schaute ihn mit weit aufgerissenen Augen ungläubig an.

    Es kann nicht sein, ich bin im Mittelalter? Oh, das ist das Ende! Hat man mich schon in eine Zwangsjacke gesteckt, fortgebracht und mit Medikamenten vollgestopft?

    «Hier entlang», mit diesen Worten rüttelte der Bauer sie wieder aus ihren Gedanken.

    Autiero half ihr auf eine Karre zu steigen, die derartig marode war, dass sie sich wunderte, wie diese noch fahren konnte. Mit einem Kopfnicken verabschiedete sie sich von der Frau und den Kindern, dann trieb ihr Begleiter schließlich sein Maultier an. An den Straßenrändern ragten große Eichen hoch in den Himmel und verhinderten, dass die Reisenden von Sonnenstrahlen geblendet wurden. Ab und zu hörte Alice Geräusche aus dem Unterholz. Sie sah eine Wachtel und einen Hirsch. Ein Strom trauriger Gedanken durchlief ihren Kopf, während die Karre durch den erwachenden Wald rumpelte.

    Ich bin im Jahr 1163 n. Chr.! Kein Scherz kann so verrückt sein wie dieser! Wie bin ich hier nur gelandet? Kann ein Blitz eine solche Zeitreise ausgelöst haben? Ob Mamma die Polizei schon verständigt hat? Hat mein Vater die Nachbarn schon um Hilfe gebeten? Bin ich vielleicht tot und das hier ist das Fegefeuer?

    Am späten Vormittag erreichten sie einen großen Platz, der von Mauern umgeben war. Rechts und links standen zwei Wohnhäuser aus massivem Stein und Holz, die beide durch schwere Eichentüren verschlossen waren. Autiero ließ sie absteigen, klopfte an die Tür des rechten Gebäudes und wartete, bis jemand herauskam. Eine Novizin erschien. Sie war jung und hübsch wie eine Rosenknospe. Alice verstand kein Wort von dem, was da geredet wurde. Nach einem kurzen Gespräch ging das Mädchen jedoch zurück ins Haus.

    Nach einigen Momenten des Wartens erschien eine zierliche Nonne mit klaren, grünen Augen und strengem Verhalten, begleitet von zwei Mitschwestern. Die Nonne, vielleicht die Äbtissin, drückte sich in einer unverständlichen Sprache mit venezianischem Dialekt und in Latein aus. Alice beobachtete sie sorgfältig, in ihren Augen sah sie Freundlichkeit und Wärme. Ein Gefühl des Vertrauens überkam sie und ihre Panik verschwand. Sie wandte sich an den guten Bauern, der so freundlich zu ihr gewesen war und der sie, ohne viel zu fragen, in sein Haus aufgenommen hatte.

    «Danke, Autiero. »

    Der Mann verneigte sich und ging mit einem Lächeln davon.

    Ich brauche keine Angst zu haben, die Nonnen werden mir nichts Schlechtes tun.

    Sie versuchte sich von diesem Gedanken zu überzeugen, während man sie in einen großen Raum führte, auf dessen Boden einfache Strohlager ausgelegt waren. Dann nahmen die Nonnen ihr den Umhang ab und sahen, dass sie praktisch ohne Bekleidung war. Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung und schweigend starrten sie sie einen Augenblick lang an. Alice nahm die Gelegenheit wahr, um ihre Verbrennungen genauer zu betrachten und erneut überfiel sie große Angst.

    «Prostitution? », flüsterte eine Nonne der Äbtissin zu.

    «Blätter der Klette», entschied diese, mit einem Kopfschütteln die Vermutung der anderen verneinend.

    Die Äbtissin legte eine erfrischende Kompresse auf ihre Verbrennungen und Alice stellte erfreut fest, dass sie sich noch an einige wenige Kenntnisse über die heilenden Kräfte verschiedener Heilkräutern erinnern konnte. Die Geschichte des Mittelalters war im einundzwanzigsten Jahrhundert eine ihrer Leidenschaften gewesen. Sie hatte viele Fachbücher über diese Themen gelesen. Daher wusste sie auch, dass Nonnen, da Frauen, keine Anatomie oder Medizin studieren durften. Nur reiche Leute, oder ehrgeizige Priester, durften, wenn sie es wünschten, in den Städten medizinische Wissenschaften studieren.

    Trotzdem behandelten diese Frauen zahlreiche Krankheiten, oft auch ohne einen Mediziner hinzuzuziehen, besonders dann nicht, wenn der Patient nicht zahlen konnte.

    Die Wochen verstrichen sehr langsam in dem von den Nonnen geleiteten Krankenhaus, unterbrochen nur von gereichten Heiltränken und Verbandswechseln. Einen Monat später wurde sie als geheilt erklärt, doch sie hatte keine Ahnung, wohin sie gehen sollte: Die Welt dort draußen war ihr fremd und machte ihr Angst. Sie wollte in ihre Zeit zurückkehren, wusste aber nicht, wie sie es anstellen sollte. Abends weinte sie sich oft vor Heimweh in den Schlaf. Und die Erinnerung an ihre Eltern und an die Schwester schmerzte sie sehr.

    Traurig dachte sie: Ich kann es immer noch nicht begreifen, dass ich im Jahr 1163 gelandet bin. Werde ich meine Lieben je wiedersehen?

    Während der Zeit ihrer Genesung hatte sie sich so sehr mit den sympathischen, frommen Frauen angefreundet und war ihnen für ihre Hilfe so dankbar, dass sie diese Dankbarkeit durch Mithilfe erwidern wollte. Mittlerweise konnte sie auch den Dialekt besser verstehen. Nur wenn die Nonnen in Latein sprachen, konnte sie gar nichts verstehen.

    «Sicher Alice, du könntest helfen Heilpflanzen zu sammeln, die wir vor Wintereinbruch benötigen. Ich erkläre dir, wie die Blätter aussehen und wie man sie sammelt » schlug Schwester Maria Claretta ihr vor.

    Es war jene Nonne, die bei ihrer Ankunft im Kloster gefragt hatte, ob sie eine Hure wäre.

    Im Morgengrauen des darauffolgenden Tages ging Alice in den Wald. Auf Anraten von Schwester Amelie, der Äbtissin, ging sie in Richtung des Flusses, der von Osten nach Westen floss und der die bewohnte Gegend vom Wald trennte. Am Ziel angelangt begann sie sofort emsig zu arbeiten, da sie am Ufer des Wassers jene Kräuter entdeckt hatte, nach denen sie Ausschau halten sollte: Klette, Seifenkraut, Brennnessel und Kamille.

    Sie grub den Erdboden mit Leichtigkeit, er war noch feucht vom Tau und durchweichte Blätter umschlangen die Wurzeln. Fleißig arbeitete sie für mehrere Stunden. Die Blätter durften vor der Weiterverarbeitung nicht austrocknen, sonst würden sie ihre Heilkraft verlieren. Nach langer Arbeit schaute sie schließlich müde, aber glücklich, auf ihren Korb voller Wurzeln und Heilkräutern.

    Vielleicht sollte ich zurückgehen, für meinen Geschmack wird es zu warm und außerdem habe ich auch keinen Platz mehr im Korb.

    Mit einer Hand wusch sie sich die Stirn ab. Sie war verschwitzt und von Erde und Staub verschmutzt. Seit Langem schon hatte sie nicht mehr gebadet, so wie es sich gehörte. Sie hatte das Gefühl zu stinken.

    Warum nicht? Hier ist doch niemand.

    Sie zog das kleine, braune Wollkleid aus und ging ins Wasser. Es war kalt, aber angenehm frisch, sie fröstelte ein wenig.

    Es ist sehr tief, dachte sie, während sie hinausschwamm.

    Dann näherte sie sich wieder dem Ufer und brach mit den Händen eine Wurzel des Seifenkrauts. Sie ließ die Wurzel auf einem Stein schäumen und wusch sich.

    Die Bücher, die ich bisher gelesen und studiert habe, sind mir jetzt endlich von Nutzen.

    Sie war gerade mit dem Waschen fertig, als sie das Geräusch von galoppierenden Pferdehufen und undeutlichen Männerstimmen vernahm. Rasch stieg sie aus dem Fluss und versteckte sich um Unterholz. Den Korb mit den Heilkräutern und auch ihr Kleid hatte sie schnell noch mitgenommen. Vom Pfad des Waldes, oberhalb des Ufers, tauchten drei Ritter auf, die mit Kettenhemden bekleidet und mit Bögen und Schwertern bewaffnet waren. Ohne die Männer aus den Augen zu lassen, zog Alice sich hastig das Unterkleid wieder an. Sie war sich noch nicht sicher, ob es besser wäre zu fliehen oder abzuwarten, bis die Ritter vorbei geritten waren. Einer von ihnen sprach in einer Sprache, die der französischen Sprache ähnelte, doch verstand sie nur wenig von dem, was gesprochen wurde. Sie versuchte, soviel wie möglich zu erlauschen, und vergaß darüber auch das Oberkleid anzuziehen.

    Vielleicht ist es Okzitanisch. Während des Mittelalters war diese Sprache in Frankreich und Italien die Verwaltungs- und Rechtssprache, in Konkurrenz mit Latein.

    Sie überlegte und beobachtete die Ritter genauer. Ihr kam in den Sinn, dass die jüngeren Kinder von italienischen Herzögen und Grafen keine Ländereien erbten und daher gezwungen waren, ihr Glück als reisende Ritter zu suchen. Geschickt drängten die Männer ihre Pferde ins Wasser. Sie hatten die Mitte des Flusses erreicht, als eines der Pferde, durch irgendetwas gestört, scheute und den Ritter abwarf, welcher krachend in das tosende Wasser fiel. Das Gewicht des schweren Panzerhemdes zog ihn sofort unter Wasser.

    Ohne Hilfe wird er ertrinken!

    Ihrem Instinkt folgend, kam Alice aus ihrem Versteck und sprang in die Strömung. Sie versuchte den Mann so schnell wie möglich zu erreichen, um ihm zu helfen. Er war schon bis über den Kopf in den Fluten verschwunden. Sie atmete einmal tief ein, tauchte unter und sah den Körper, der kämpfend versuchte sich vom Panzerhemd und den Waffen zu befreien. Sie nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände, presste ihre Lippen auf die des Kriegers und hauchte ihm so viel Luft wie sie es nur konnte ein. Dann kehrte sie prustend wieder an die Oberfläche zurück.

    Anschließend tauchte sie erneut in die todbringenden Fluten. Inzwischen war es dem Krieger gelungen, sich vom Schild und vom Schwert zu befreien. Nur das metallene Panzerhemd hinderte ihn noch am Auftauchen, doch er hatte keine Luft mehr. Hektisch befreite Alice ihn vom schweren Panzerhemd und zog ihn schließlich bewusstlos ans Ufer.

    Sie hob den Blick und sah, wie die anderen beiden Krieger sie verwundert anstarrten. «Helft mir ihn hochzuheben, er ist zu schwer, alleine schaffe ich es nicht!», schrie sie.

    Da sie schon fast am Ufer war, half ihr das Wasser nicht mehr das Gewicht des Mannes zu tragen. Einer der Männer erwachte aus seiner Erstarrung und half ihr schließlich.

    «Legt ihn auf den Rücken, schnell!», befahl sie.

    Mit ängstlichem Blick befolgte der jüngere Ritter, gerade mal ein Teenager, unverzüglich ihre Anweisung. Mit lebensrettenden Maßnahmen, wie mit künstlicher Beatmung und Herzmassage, versuchte sie den jungen Ritter zu retten.

    Ihre Erinnerungen an die Erste Hilfe Kenntnisse waren: dreißig Herzdruckmassagen, Halsdehnung, Befreiung der Atemwege und anschließend zwei künstliche Beatmungen.

    Nach nur wenigen Augenblicken hustete der Ritter endlich und erbrach das getrunkene Wasser. Anschließend, tief einatmend, drehte er sich zu ihr um und schaute sie lächelnd an. Er hatte wunderschöne, klare, schelmische Augen, wie die einer Siamkatze, und hatte dichte, dunkle Locken.

    Ich bin halb nackt und lächele diesen schönen Ritter wie eine Idiotin an! Ich muss verrückt geworden sein! Er wird mich sicher vergewaltigen! Sie zitterte bei diesem Gedanken, auch da ihr jetzt wieder bewusst wurde, dass sie nur ein leichtes Unterhemd trug.

    Schnell rannte sie zum Busch zurück, unter dem sie den Korb und das Kleid versteckt hatte, und zog rasch die lange Tunika über. Dann versuchte sie, ins Unterholz zu entfliehen. 

    Aber der ältere Ritter, jener, der im Sattel sitzen geblieben war, holte sie mit seinem Pferd sofort wieder ein und brachte sie zum Geretteten zurück. Plötzlich bemerkte sie den strengen Ausdruck in seinem Gesicht und ein Gefühl der Angst überkam sie so stark, dass sie fast ohnmächtig wurde.

    Ich hätte nicht fliehen sollen, jetzt wird er mich einem Verhör unterziehen, dachte sie vor Angst zitternd.

    «Wer seid Ihr?», fragte der Mann sie argwöhnisch.

    «Ich bin nur eine Frau», stotterte sie. «Ich war gerade dabei im Wald Heilkräuter für die Abtei der Nonnen von Arbizzano zu sammeln, als ich Euch ins Wasser fallen hörte.»

    «Ihr bewegt Euch recht flink im Wasser, obwohl er an einigen Stellen sehr heimtückisch und tief ist», sagte er, während er sie musternd anschaute.

    «Ich sehe, Ihr seid wieder gut auf den Beinen. Ich muss nun gehen, die Nonnen werden schon auf mich warten. Es hat mich gefreut, Euch zu helfen zu können», erwiderte Alice und verabschiedete sich, während sie ihren ganzen Mut zusammennahm.

    Dann stand sie auf, nahm den Korb, drehte sich um und ging in den Wald. Nach nur wenigen Schritten holte der ältere Ritter sie jedoch erneut ein und zerrte sie an den Schultern hoch auf sein Pferd. Diesmal kämpfte Alice und versuchte sich zu befreien, doch der Mann war zu stark. Er hielt sie mit festen Griffen auf seinem Pferd, während er mit dem Geretteten in Okzitanisch diskutierte.

    «Lasst mich los!», schrie sie panisch.

    Überrascht über ihren Ton ließ der alte Krieger sie wieder los, während der vor Kurzem gerettete, nette Mann dem dritten, jüngeren Ritter, ihn Michele nennend, Befehle zuschrie. Der Letztere packte sie schließlich, obwohl sie erneut versuchte, sich zu befreien und zu fliehen. Doch Michele war stark und entschlossen, sie nicht loszulassen. Er band sie auf das Kriegspferd des schönen Ritters, der sie rücksichtlos festhielt. Daraufhin konnte sie nichts anderes tun, als sich ihrem Schicksal zu ergeben und abzuwarten.

    «Ich bin Lorenzo Aligari, jüngster Sohn des Grafen Aligari, Burgvogt von Fumane. Und wer seid Ihr?»

    Sie wusste nicht, was sie ihm antworten sollte. Die Wahrheit zu sagen war ausgeschlossen: Ein Ritter würde sie nie verstehen. So schwieg sie und versuchte ihr klopfendes Herz zu beruhigen. Da ihr aber schließlich bewusst wurde, dass ihr langes Schweigen Verdacht erregen könnte, begann sie zu erzählen:

    «Ich heiße Alice und bin die Tochter eines Kaufmannes. Meine Verwandten sind im letzten Winter verstorben, nur ich habe überlebt. Der Herr hat mir den Tod erspart.»

    Lorenzo antwortete nicht, er spornte nur sein Pferd an und ritt in Richtung der Abtei. Seine beiden Begleiter folgten ihm.

    Einige Augenblicke später erreichten sie den Hof der Nonnen. Erst jetzt, als Lorenzo sie von seinem Pferd absitzen ließ, bemerkte sie, wie groß und stark er war. Er überragte all jene Männer, die sie bisher gesehen hatte, um gut zehn Zentimeter. Durch den Lärm vielleicht angezogen, erschien Amelia aufgeregt an der Tür.

    «Was geschieht hier? Warum wird Dame Alice auf solch eine Art festgehalten?»

    «Diese Frau hat den adligen Lorenzo von den Toten wiedererweckt, indem sie ihm die Brust berührte und ihn all das getrunkene Wasser erbrechen ließ», antwortete der ältere Ritter.

    Die Diskussion zog eine Anzahl von Bauern an, die vielleicht auf eine öffentliche Bestrafung hofften, eine angenehme Abwechslung vom alltäglichen Leben.

    «Alice, ich hatte dir geraten vorsichtig zu sein und dich zu verstecken, wenn du Leute kommen hören solltest!», tadelte Schwester Maria Claretta sie.

    «Es tut mir sehr leid, Schwester. Ich hatte mich zunächst auch im Unterholz in Nähe des Flusses versteckt. Doch dann schreckte das Pferd dieses Mannes und ich musste ins Wasser springen, um ihn vor dem Ertrinken zu retten.» Nervös zupfte sie an einem Faden, der aus dem Ärmelsaum hing und wartete auf die strenge Rüge der Äbtissin. «Ich habe nur eine künstliche Beatmung durchgeführt. Dort wo ich herkomme, ist es üblich, so etwas zu tun, es hilft das Wasser aus den Lungen herausfließen zu lassen.»

    Sie wand sich und versuchte zu fliehen, doch Lorenzo hielt sie noch fester. Alice zitterte und ihr Gesicht wurde bleich, daraufhin sah Lorenzo sie stirnrunzelnd an und ließ sie schließlich frei. Sie beeilte sich zu Amelia zu laufen, um in ihren Armen Trost zu suchen.

    Sie hat mich gerne und hat mich verstanden, seufzte sie.

    «Gut, aber wir wieder wiederkommen. Ich bin davon überzeugt, dass all das was Sie behauptet hat, nicht der Wahrheit entspricht.» Nachdem er seine Meinung geäußert hatte, stieg Lorenzo wieder auf sein Pferd und verschwand mit seinen Männern in Richtung Gardasee.

    «Diesmal habe ich noch entkommen können», murmelte Alice beruhigt zu sich selbst.

    Leuchtend stieg die Sonne hinter den Hügeln von Arbizzano hoch und ein Sonnenstrahl streifte das Lager, auf dem Alice schlief. Sie streckte sich, blinzelte und blieb aber noch etwas liegen. Sie versuchte sich zu erinnern, wo sie sich befand und warum.

    Ich werde nie wieder zu meinen Lieben zurückkehren können, schluchzte sie dann voller Angst. 

    Die Erinnerungen der letzten Wochen stiegen in ihr hoch und sie fragte sich zum x-ten Mal, wie sie diese Zeitreise hatte durchführen können.

    Raumzeitlücken sind doch auch im XXI. Jahrhundert noch Science - Fiction, überlegte sie.

    Deprimiert und dem Weinen sehr nahe stand sie letztendlich auf, sie war ja sowieso schon wach. In einer Schüssel voll Wasser wusch sie sich das Gesicht und den Körper und ging anschließend in die Küche der Abtei.

    «Guten Morgen, Alice. Nach dem Essen werde ich dich in das Kräuterlager zu Äbtissin Amelia bringen » sagte die Novizin.

    «Danke, Alilanda», sagte Alice, lächelte und nahm etwas Ziegenkäse und Brot.

    Noch nie zuvor war sie in diesem Raum gewesen, in welchem die Nonnen die Rohstoffe verarbeiteten. Sie hatte vorher nie darum gebeten, doch nun wünschte sie, die erhaltene Pflege zu erwidern. Nachdem sie mit dem Essen fertig war, führte die Novizin sie in das Gebäude. Sie stiegen drei Stufen hinauf und gingen nach rechts, zum Korridor hin öffneten sich zwei Türen. Alilanda klopfte ein paarmal an die Tür des Lagers und, gefolgt von Alice, trat sie ein.

    «Schwester Amelia, Alice ist gekommen. Braucht Ihr mich noch?»

    «Nein, danke, gehe nur Alilanda.»

    Die Fünfzehnjährige ging hinaus und ließ sie mit der Äbtissin allein. Ihr erster Eindruck war der einer perfekten Ordnung und Organisation. Verschiedene Behälter aus Stein waren in den Regalen aufgestellt. Einer davon lag offen auf einem groben, von Böcken gestützten, alten Tisch.

    Die Äbtissin drehte sich um und schaute sie an. «Ich habe gehört, du möchtest uns helfen.» Die grünen Augen der Nonne funkelten vor Interesse. «Du scheinst mir eine intelligente Frau zu sein und daher, wenn du es möchtest, werde ich dich persönlich lehren, wie Heilkräuter getrocknet und verarbeitet werden. Wenn es dir gefällt, kannst du dich entscheiden, ob du in den Orden eintreten möchtest», sagte sie anschließend lächelnd zu ihr.

    Alice war zwar gläubig, aber so tief war ihr Glaube nun auch wieder nicht. 

    Ich möchte sie nicht verletzen, ich will aber auch keine Nonne werden.

    «Ich möchte Eure Güte erwidern so gut ich kann», erwiderte sie, die Augen auf den Boden niederschlagend.

    Die Oberin machte sich an die Arbeit und zeigte ihr, wie die Kräuter geschnitten und unterteilt und die Wurzeln getrocknet wurden. So verging ein Großteil des Vormittags und erst um die Mittagszeit unterbrachen sie ihre Arbeit, um etwas zu essen. Alice dehnte sich, sie war ein bisschen müde und der Rücken tat ihr weh.

    «Möchtest du später weitermachen? Wir Nonnen werden nach dem Essen für ein paar Stunden beten.»

    «Eine Pause würde mir gut tun. Ich werde einen Spaziergang machen.»

    Am Nachmittag begegnete sie Luigi, Autiero’s Sohn, und sie unterhielten sich ein wenig. Er war ein aufgeweckter, junger Mann und er vertraute ihr an, dass er nicht wie sein Vater auf dem Land arbeiten wolle.

    «Doch ich habe keine Wahl, Alice. Ich bin ein an das Stück Land gebundener halbfreier Bauer», verriet er ihr niedergeschlagen.

    «Als Krieger wirst du töten müssen und könntest in einer Schlacht auch umkommen», erwiderte sie.

    «Ja, ich würde jedoch mit den Belagerungen von Städten und Einnahmen von Burgen viel mehr verdienen. Meine Familie würde im Winter keinen Hunger mehr leiden müssen», sagte er mit einem Ausdruck von Wut in seinen Augen.

    Die Lehre bei den Nonnen dauerte einige Wochen, immer durch Ausgänge auf die Felder unterbrochen. Normalerweise ging sie zusammen mit Schwester Maria Claretta, die sie über Kräuter und Wurzeln einwies. Alice interessierte sich sehr dafür und war sehr neugierig. Dennoch vermisste sie ihr altes Leben, vor allem ihre Eltern, ihre Schwester, ihre Freunde und ihre Bücher.

    Aber wenn ich überleben will, muss ich mich diesem Leben anpassen, dachte sie oft traurig.

    Kapitel 2 

    Garzapano aus Bussolengo erwachte an diesem Augustmorgen schon vor dem Morgengrauen. Er hatte mit einigen berühmten Gästen, Anhängern des Federico von Hohenstaufen, eine Hirschjagd organisiert. Emanuela, die derzeitige Geliebte, war schon aus seinem Bett verschwunden, denn er liebte es, allein zu schlafen. Noch schläfrig blinzelte er ein wenig, blieb jedoch im Bett liegen, um nachzudenken. Er hielt sich für einen zufriedenen Mann. Seine Ambitionen hatten ihn nämlich dazu gebracht, das Verwahrungsrecht für die Burg von Rivoli zu erhalten.

    Ein Schwall an Erinnerungen überfiel ihn und erinnerte sich an das, was er vor vielen Jahren Otto von Wittelsbach geraten hatte: «Mein Herr, ich rate Euch, diesen Weg zu nehmen. So werden wir den größten Teil des feindlichen Heeres umgehen und sie alle töten können!» Im Jahr 1155 hatte er nämlich seinem Herrn geholfen, die kaiserlichen Gegner a Ceraino zu besiegen, eine Gruppe von Männern des Tals, welche sich gegen das Reich aufgelehnt hatten. Isaac, der Befehlshaber seiner Armee, ein guter Kenner dieser Gegend, hatte ihm gezeigt, wie man die Bande der Verräter von hinten einnehmen konnte. Er erinnerte sich mit Freude, dass sie

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1