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Wie man schlafen soll
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eBook208 Seiten2 Stunden

Wie man schlafen soll

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Über dieses E-Book

Mit abgründiger Komik und kühler Schönheit erzählt Cordula Simon über nichts weniger als die düstere Zukunft, die uns allen bevorsteht.

In einer namenlosen Steppe blinken die Lichter von Lightraff, einer künstlichen Stadt, die rund um eine Raffinerie aus dem Boden geschossen ist und Arbeit in einer von Klimakatastrophen verwüsteten Welt verspricht: Koslov, Barkeeper im Darkraff, sucht hier sein Glück, genauso wie der ehemalige Landwirt Schreiber und der aalglatte Haye, der Arbeit in der Stadtverwaltung gefunden hat. Doch die drei teilen nicht nur den Glauben an Lightraff, sondern im Schichtbetrieb auch ihr Bett, das jedem für genau acht Stunden gehört. Als die Ölquellen versiegen und das straff organisierte Gefüge der Stadt zu zerbröckeln beginnt, treffen die drei Bettgeher erstmals aufeinander. Das aber kann eigentlich nur böse enden...
SpracheDeutsch
HerausgeberResidenz Verlag
Erscheinungsdatum16. Aug. 2016
ISBN9783701745333
Wie man schlafen soll

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    Buchvorschau

    Wie man schlafen soll - Cordula Simon

    45)

    00

    Sie würden die Leiche wegschaffen müssen. Das wussten sie beide, sogar Rob wusste es vermutlich, und es war anzunehmen, dass sogar die Leiche es wissen musste.

    »Aber wie?«

    »Die Bettdecke, den Körper in die Bettdecke wickeln.« Die weiche Kunstfederdecke war groß genug, um die Leiche vollständig einzuhüllen.

    »Jetzt ist es gut, jetzt ist es günstig, die Stadt ist wie ausgestorben, alle schauen sich den Meteoroiden an.« Das Ereignis würde sie retten, das Ereignis würde sie alle retten, der Meteoroid und seine Eventhaftigkeit waren der Messias, den sie benötigten. Fast war es wie früher, als in Lightraff noch überall rund um die Uhr gearbeitet wurde.

    »Die nächsten Mülltonnen sind auf der anderen Straßenseite, in der kleinen namenlosen Gasse.« Vielleicht hatte die Gasse sogar einen Namen, aber niemand kannte ihn, an den Hausecken waren jedenfalls keine metallenen Beschilderungen angenagelt. Allein, dass die Gasse so winzig, so unbedeutend war, dass sie keinen Namen benötigte, schien das ganze Vorhaben sicherer zu machen.

    »Nein, auf der anderen Seite der Grünfläche hinter dem Haus.«

    »Sicher?«

    »Ja, sicher.«

    »Ich meine: Sicher, dass wir die Leiche nicht einfach anzünden sollen?«

    »Erst in die Mülltonne, dann die Mülltonne anzünden.« Die Mülltonne und vor allem die Bettdecke würden wunderbar brennen.

    »Vielleicht bringen wir alles zum Schlachthaus. Werfen es in eine der Maschinen.« Schreibers früherer Arbeitsplatz. In Koslovs Bar oder in Hayes Büro gab es die Möglichkeit nicht, einen Leichnam einfach zu Gelatine werden zu lassen.

    »Spinnst du? Das ist auf der anderen Stadtseite. Und wie kommen wir dort hinein? Und überhaupt hätte das alles nicht passieren dürfen.«

    »Was alles? Dass das hier nicht hätte passieren dürfen, ist klar, aber wieso alles?«

    »Lightraff.«

    Das alles eben.

    I

    »Das macht also meine Seele aus?«, fragte Koslov und zog wenig begeistert die Augenbrauen hoch und zugleich die Hand zurück, während der Gast auf der anderen Seite der Theke am Fusel nippte. Koslov konnte es nicht besonders leiden, wenn Menschen Körperkontakt suchten, aber hier in Lightraff schien niemand genug davon bekommen zu können, und die Hand des Gastes war beständig näher gerückt. Nun klopfte er mit nervösen Fingern auf dem Holz herum. Der Tag war lange genug gewesen. Erst vor ein paar Stunden hatte Koslov die Tische abgewischt, sich kurz gestreckt, beide Arme weit vom Körper weg, und ein anderer Gast, der die Bar mittlerweile hurtig verlassen hatte, hatte es als Aufforderung zur Umarmung betrachtet, bis Koslov ihn grob zurückgestoßen hatte.

    Vielleicht war den Gästen aber auch nicht mehr klar, wen sie vor sich hatten, und dass derartige Interaktionen in der Bar ohnehin unerwünscht waren. Vielleicht hatten sie Koslov alle nicht erkannt, denn dieser hatte sich am Vortag die langen Haare schneiden lassen und war mit einem sauberen Haarschnitt zur Arbeit zurückgekehrt. Der Vorgesetzte hatte sofort losgeflucht, als er Koslov erblickte: »Schon wieder so ein scheiß-neuer Praktikant. Na gut, was soll’s. Gratisarbeitskräfte nimmt man eben. Der langhaarige Idiot, der aussieht wie ein Mädchen, erklärt dir alles.« Er wollte sich offensichtlich zu Koslov umdrehen, und sagte ins Leere: »Sieh zu, dass der Neue nichts durcheinanderbringt.« Vielleicht unterlief den Gästen gerade permanent der gleiche Fehler. Der mit der Umarmung war immerhin ein Stammgast gewesen. Das musste knapp nach acht gewesen sein. Die Leute kommen so schrecklich früh, um zu trinken, und sind dann schrecklich anhänglich. Das war es wohl, was die Schichtarbeit aus allen machte: anhängliche Trinker, die einen nächtlichen Ort suchten, um sich zu verkriechen. Hier in der Bar war immer Nacht. Die Bar hatte ihren Namen verdient: Darkraff. Man wollte ja international klingen, darum musste der Ort Lightraff heißen und auch die Bar einen solchen Namen tragen. Alle zwei Wochen gab es eine Party, die drei 8-Stunden-Schichten lang dauerte, damit alle Arbeiter und Angestellten die Gelegenheit hatten zu feiern.

    Koslov rieb sich die Augen, überlegte, ob er vor die Tür gehen sollte, um zu rauchen oder immerhin so zu tun als ob, aber grelles Sonnenlicht war auch keine Lösung. Das nächtliche Leuchten der Raffinerie am Rande der Stadt löste das gleiche Unwohlsein aus. Verkriechen müsste man sich können. Koslov hielt schon seit Monaten immer die gleiche Zigarette zwischen den Fingern. Raucher wurden in Lightraff schief angesehen. Der Gast an der Theke fragte, ob Koslov einen Lightraff-Account hätte, und Koslov nickte – man konnte das Anlegen eines Accounts verhindern, hatte dann aber keinen Zutritt zu den meisten Annehmlichkeiten Lightraffs. Nicht einmal ins Schwimmbad konnte man gehen. Der Gast erklärte, dass die Augen brannten, wenn man zu lange vor dem Computer säße, was bei Koslov ein Kopfschütteln auslöste, das wiederum ein kaltes Gefühl im Nacken verursachte, weil seine Haare nun kurz waren. Koslov war seit einer halben Ewigkeit nicht im Internetcafé gewesen. Und der Gast meinte, dass es gut sei, nicht zu viel Zeit vor dem Computer zu verbringen, und schlecht, überhaupt einen Account zu haben, denn die Firma wüsste dann ja ständig, wann man wo wäre, auch wenn man selbstverständlich nichts zu verbergen hätte – das sagte der Gast lauter –, ginge es die Firma nichts an, und Koslov ärgerte sich, dass gerade jemand die Toilette aufgesucht hatte, denn das war die letzte Fluchtmöglichkeit vor solchen Gästen. Eine Bastion. Niemand wusste die Momente des Alleinseins in der Bar so zu schätzen, wie Koslov es tat. Die Firma wusste ohnehin immer, wo man war: in Lightraff. Auch die Lightraff-Card informierte die Stadtverwaltung ständig darüber, wenn man sie benutzte.

    Koslov griff nach dem Tablett, um die Tische abzuräumen, und fühlte nun etwas Kaltes am Bein hinabkriechen. Er sprang, erschrocken nach dem kalten Etwas fassend, dabei das Tablett natürlich fallen lassend, einen Schritt zurück, doch das kalte Etwas hatte seinen Weg durch die Hosenröhre schon beendet: Es war eine Münze. Koslov hatte ein Loch in der Hosentasche. Wie lange sie schon in der Hosentasche gewesen war, war schwer zu sagen. Sie musste noch aus der Zeit stammen, in der die Großmutter am Friedhof warmen Wein und Schnaps verkauft hatte. Dort wurde noch mit richtigem Metall bezahlt. Zumindest, als Koslov wegzog. Koslov hätte nicht einmal sagen können, wie lange das her war. »Noch einen Schluck Tee, Frau Manenko?« Koslov wusste noch aus der Zeit am Friedhof, wie man mit Kunden umging. Ein Tag war wie der andere. Ob Monate oder Jahre machte kaum einen Unterschied.

    Der Vorgesetzte betrat just in diesem Moment wieder die Bar, und Koslov fragte sich häufig, was er den ganzen Tag so trieb, wann er schlief und wo er sich aufhielt, denn er kam zu allen möglichen Uhrzeiten vorbei, kontrollierte manchmal die Buchhaltung, meist aber nur die Mitarbeiter, und es war gleich, ob Koslov von acht Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags arbeitete, oder von vier Uhr nachmittags bis zwölf Uhr nachts oder von Mitternacht bis zum Morgen, der Vorgesetzte tauchte immer wieder auf. Koslov richtete sich auf und entschied, auch später nach der weitergerollten Münze suchen zu können. Ein Relikt.

    Der Vorgesetzte wies seine Mitarbeiter, sie waren wie immer zu zweit, darauf hin, dass die Happy Hour bald beginnen würde. Happy Hour war dreimal täglich und bezeichnete nicht eine Zeit, in der es verbilligte Getränke gab, sondern einen Zeitraum, in dem Arbeiter aus Lightraff, die gerade freihatten, in größerer Menge in die Bar kamen, um sich zu betrinken. Er betonte diesmal, dass sie besser achtgeben sollten, wann die Kunden zu viel hätten, und dass sie ihnen dann nichts mehr geben, sondern sie nach Hause schicken sollten. Nur ein lebendiger Trinker war ein guter Trinker. Meyer, die heute mit Koslov arbeitete, fragte ihn, woran sie denn erkennen könne, wann es Zeit wäre, und der Vorgesetzte zeigte auf Koslov: »Wenn sie anfangen, die da anzugraben, ist es so weit.« Dann warnte er Koslov noch, er solle endlich aufhören, die Stammkunden zu beleidigen, und zeigte auf die dicke Mensenchefin, die jeden Tag nach ihrer Schicht hierherkam. Außer dem Darkraff, dem Internetcafé und der Mensa gab es in Lightraff nichts, wohin man gehen konnte, und Alkohol wurde nur hier ausgeschenkt. Koslov verstand erst nicht, was er meinte, da der Vorgesetzte noch am Vortag gesagt hatte: »Hört auf, der fetten Schlampe gratis Kostproben von allem zu geben.« Die Mensenchefin bat immer darum, alles probieren zu dürfen, gab dann vor, Entscheidungsschwierigkeiten zu haben, und hatte schließlich schon zwanzig halbe Schnäpse intus, bevor sie bestellte. Der Vorgesetzte behauptete, niemals etwas Derartiges gesagt zu haben. Koslov schluckte und der Vorgesetzte fragte noch: »Koslov, wie wird das Wetter nächste Woche?«, während er sich die Jacke anzog. Koslov antwortete: »Laut Bericht schön.« Koslov hörte immer den Wetterbericht, denn ohne Sonne kann man in ihrem Schein nicht sitzen. Der Vorgesetzte machte sich auf, hob auf dem Weg nach draußen noch die Münze vom Fliesenboden auf und zog zufrieden ab. Die Happy Hour konnte beginnen, und sie kamen, sie kamen in Massen, wie Koslov und Meyer es kannten. Auch Haye betrat das Darkraff.

    II

    Jeder, der Haye auch nur ein wenig kannte, wusste, er war kein Mann für die Ehe. Ausgenommen seine Freundin, Valentina, die diesbezüglich anderer Meinung war. Valentina, der man durchgehen ließ, dass sie sich in Lightraff ohne Familiennamen eintrug. »Valentina, wie Madonna«, hatte sie bei der Anmeldung in Lightraff erklärt, und Haye bereute, diesen Moment nicht miterlebt und die Reaktion des für die Anmeldung in diesem Moment Zuständigen nicht gesehen zu haben. Muss auch ein dummes Arschloch gewesen sein, dachte er. Er hätte mehr Informationen aus ihr herausgelockt. Aber zugegeben, viel mehr wusste auch er bis heute nicht. Für Haye jedenfalls waren schon Versprechen an sich eine schwer verständliche Sache, geschweige denn eines, das sich bis ans Lebensende ziehen sollte. Er selbst hatte jedenfalls kaum ein Versprechen in Erinnerung, das er gehalten hätte. Scheiß drauf, dachte er. Man kann immer noch umziehen. Valentina hingegen schaffte es immer wieder, ihn dazu zu bringen, das eine oder andere Versprechen zu machen, weil er mit ihr schlafen wollte, um am Ende die Einlösung weniger genau zu nehmen. Das Ergebnis waren theaterhafte Spektakel für die Bevölkerung von Lightraff: wütende Szenen in der Öffentlichkeit. Ihm war sehr wohl klar, dass es Gemunkel darüber gab, dass er ein typischer Taugenichts sei, der sein Mädchen schlagen würde, und dass sie ihn selbstverständlich schütze. Aber ihm war der Eindruck, den er beim Publikum derartiger Schauspiele hinterließ, vollkommen egal, da er sich immer in der überlegenen Position fühlte, schon alleine deshalb, weil er einen administrativen Job hatte, und die Firma auf ihn angewiesen war. Meinte er immerhin. Er gehörte nicht zu denen, die mit Muskelarbeit in der Raffinerie ihr Geld verdienen mussten. Er sprach drei Sprachen fließend und noch drei weitere angeblich fließend, in Wahrheit jedoch gebrochen, was allerdings nie auf die Probe gestellt wurde. Der »Organisatorische Apparat«, wie sich sein Fachbereich nannte, war zentral für das Funktionieren der Stadt. Die Sache mit Valentina hielt er zumeist für ein Spiel der erotischen Provokation, womit er in manchen Fällen recht haben mochte. Er zog Frauen, die gelegentlich mit Geschirr nach ihm warfen, um ihn dann doch gekonnt zu verfehlen, den langweiligen Exemplaren vor. Je mehr Energie sie in ihren Zorn investierten, umso grauenhafter verhielt er sich. Nun hatte Valentina gerade ein neues Zimmer in der Stadt gemietet, um nicht mehr mit ihren Kolleginnen die Schlafräume hinter der Wäscherei teilen zu müssen. Sie hatte sich genug zusammengespart, um die Kaution aufbringen zu können, woran Haye einen wesentlichen Anteil hatte, denn wenn sie ausgingen, ließ sie ihn immer für beide bezahlen. Haye war auch sicher, dass jemand im Referat für Wohnraum des »Organisatorischen Apparates« einen Fehler gemacht haben musste, da so etwas wie das Vermieten von Wohnungen doch Stadtsache war. Alle Immobilien gehörten doch eigentlich der Stadt. Dieses Zimmer war nun aber erst beziehbar, wenn es frisch ausgemalt war, und Haye hatte ihr in einem schwachen oder eher gleichgültigen Moment versprochen, ihr beim Ausmalen zu helfen. Natürlich hatte er das bereits vergessen gehabt, als er ihre neue Wohnstätte das erste Mal betreten hatte, und war dementsprechend erstaunt gewesen, als sie ihm eine Farbwalze in die Hand drückte. Für Valentina bedeutete, Haye würde ihr helfen, nämlich, dass Haye die Arbeit alleine zu erledigen hatte. Farbwalzen waren zudem eigentlich eine Angelegenheit der Reparaturabteilung. Die Bürger Lightraffs sollten sich doch nicht die Hände schmutzig machen müssen. Haye hielt ihr die Weinflasche unter die Nase und fragte: »Wo ist das Bett?«, was sie dazu veranlasste, ihm zu sagen, dass er wohl Gedanken lesen könnte, denn auch das Bett musste noch in die Wohnung geschleppt werden. Auch wenn sie kein Bett, sondern eine Klappcouch meinte, die sie einer Kollegin, die die Stadt verlassen wollte, aber doch nirgendwo hingegangen war und nun vermutlich auf dem Boden schlief, billig abgelöst hatte. Billig und auch noch in innerstädtischer Währung. Nein, die Kollegin verzog bestimmt nicht. Haye entledigte sich also widerwillig seines Sakkos, auf dem sich sofort eine schwarzweiß gefleckte Katze niederließ, um sich den Hintern zu lecken.

    »Du hast eine Katze?«, fragte er. »Seit wann hast du eine Katze?« Aber Valentina antwortete nicht auf seine Frage, denn sie hatte inzwischen schon genug Zeit gehabt, sich in die Vorstellung hineinzusteigern, dass er wirklich Gedanken lesen konnte, obwohl er meinte, er sei einfach gut im Raten, wie auch Illusionisten gut im Raten wären, und die Unterhaltung endete damit, dass sie kreischte, er solle aufhören, ihr etwas vorzumachen und so zu tun, als wäre es nicht so, und wenn er nicht endlich zugäbe, dass er ihre Gedanken lesen könnte, würde sie ihm im Schlaf die Kehle durchschneiden, und Haye erwiderte, dass es doch beruhigend war, dass

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