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Sei froh, dass du nicht Joghurt heißt: Vom komischen Kauz zum Rabenvater
Sei froh, dass du nicht Joghurt heißt: Vom komischen Kauz zum Rabenvater
Sei froh, dass du nicht Joghurt heißt: Vom komischen Kauz zum Rabenvater
eBook250 Seiten3 Stunden

Sei froh, dass du nicht Joghurt heißt: Vom komischen Kauz zum Rabenvater

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Über dieses E-Book

Ein heimlicher Rabenvater packt aus. Eine Frau, ein Mann. Und plötzlich ein Kind. Na und? Haben andere auch schon hingekriegt. Aber die haben sich nie getraut zuzugeben, wie doof das eigentlich sein kann. Der Kabarettist Nils Heinrich nennt das Kind beim Namen. Böse Geschichten und amüsante Stoßseufzer eines leidgeprüften Vaters.

Ja, es gibt diese Momente, sagt Nils Heinrich, in denen man sich insgeheim wünscht, ein Rabenvater zu sein: diese langen Momente zwischen den wenigen schönen, in denen man versucht, den Elterngeldantrag zu verstehen. Oder in denen man verschreckt Nachrichten guckt und sich fragt, wer in eine solche Welt Kinder setzt. Und einem einfällt: "Ach, ich!" Und in denen einem schlagartig bewusst wird, dass das bisherige Leben definitiv vorbei ist. Und erst in circa fünfunddreißig Jahren weitergeht - wenn das Kind endgültig aus dem Haus ist.
SpracheDeutsch
HerausgeberSatyr Verlag
Erscheinungsdatum13. Juni 2016
ISBN9783944035727
Sei froh, dass du nicht Joghurt heißt: Vom komischen Kauz zum Rabenvater

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    Buchvorschau

    Sei froh, dass du nicht Joghurt heißt - Nils Heinrich

    verreist)

    UNSERE GROSSE WILDE FEIER

    Mein guter Freund Heiko und ich feiern zusammen Geburtstag. In seiner Wohnung. Im Rahmen einer großen Party. Wie immer seit circa zehn Jahren. Wir sind beide am selben Tag geboren, liegen aber ein Jahr auseinander. An unsere früheren Partys habe zumindest ich so gut wie keine Erinnerung mehr – und wenn, dann nur an die nüchternen Abschnitte ganz am Anfang. Und an die dreitägigen Kopfschmerzen danach. Beide haben wir das Kap der 40 Jahre umrundet und segeln von dort in unbestimmte Richtung weiter. Heute feiern wir zusammen unseren 83. Geburtstag. Doch das interessiert eigentlich keinen. Prinzipiell sind die Leute einfach nur froh, dass wir überhaupt noch leben und sie jedes Jahr einmal auf unsere Feier einladen. Das Interesse auf so einer Fete gilt erfahrungsgemäß nicht so sehr dem Veranstalter, sondern im vollen Umfang den Freigetränken. Also dem Bier. Und allen Frauen, die ohne Freund da sind. Oder ohne Freundin. Und allen Männern, die ohne Freundin da sind. Und allen Männern, die ohne Freund da sind. Wie auch immer man drauf ist. Von Anfang an gilt: Das Büffet der Flachlegmöglichkeiten ist eröffnet. Ich habe meine Jacke an einer Stelle in dieser riesigen Wohnung deponiert, wo ich sie später, das weiß ich jetzt schon, unter Garantie nicht suchen werde, und will in die Küche gehen, als mich Heikos Freundin im Flur stoppt: »Toll, dass ihr wieder zusammen Geburtstag feiert. Hattest du schon oder hast du noch?«

    »Ich habe heute. Seit 41 Jahren am selben Tag wie Heiko.«

    » Na, das ist ja ein irrer Zufall. Lass dich drücken.«

    Komisch. Letztes Jahr wusste sie noch, dass wir beide am selben Tag auf die Welt kamen. Nur war sie im letzten Jahr noch nicht schwanger. Es ist also kein Gerücht, dass werdende Mütter ihr Gedächtnis verlieren. Alles, was sie mal wussten, ist weg. Einfach so. Schwangerschaftsdemenz gibt es wirklich. Tragisch. Dabei ist sie noch so jung.

    »Sag mal«, fragt sie, »sind deine Augenbrauen länger geworden?«

    Ich versuche, meine Augenbrauen anzugucken, und drehe meine Augäpfel hoch. Dabei wird mir schwarz vor Augen. Sind es meine langen Augenbrauen, die mir die Sicht verdunkeln? Oder habe ich die Augäpfel so weit verdreht, dass meine Augen gerade krampfhaft versuchen, in mein Gehirn zu gucken? Und wie sie sehen, sehen sie nichts. Offenbar sind große Teile davon schon abgestorben. Dabei bin ich noch total nüchtern. Oder habe ich mir meine Augen soeben ausgerenkt? Kann man sich Augen überhaupt ausrenken? Eine durchaus berechtigte Frage, auf die nur eine Mutter eine Antwort hat. Wäre meine Mutter jetzt hier und wäre ich noch ein kleiner Junge im Alter von vier Jahren, würde Mutter mich sicher ermahnen: »Lass das, du renkst dir sonst die Augen aus!«

    Nur dank ihrer Warnungen war mir als Kind bewusst, in welcher Tür ich mir die Finger effektiv einklemme, wie ich mich möglichst schmerzhaft am Küchenherd verbrenne und von welchem Kirschbaum im Garten ich am besten runterfalle.

    Heikos Freundin unterbricht meine Gedanken: »Es gibt Friseure, die auf Augenbrauen alter Männer spezialisiert sind. Die frisieren ganz diskret.«

    Dann lässt sie mich allein mit ihrem Tipp und verdrückt sich ins Wohnzimmer.

    Darauf erst mal ein Mezzo-Mix. Für ein Bier ist es jetzt, um kurz vor 17 Uhr und im Alter von 41, noch zu früh.

    »Prost Heiko, alter Sack! Wie viele Kästen Bier hast’n gekauft?«

    »Zehn, vierzehn, keine Ahnung. Und vier Kästen Alkoholfrei.«

    Der Kühlschrank, die Badewanne, das Kinderzimmer – alles voller Bier.

    »Kommen heute überhaupt so viele?«, sinniert Heiko.

    »Na, so viele wie letztes Jahr werden das doch sicher. Also mindestens. Oder?«

    »Wie viele hast du so eingeladen?«

    »Dreißig, glaube ich. Und du?«

    »Äh, fünfundzwanzig bis fünfundvierzig etwa. Also alle aus meinem E-Mail-Verteiler, denke ich«, murmelt Heiko.

    So weit ist es also schon. Die Schwangerschaftsdemenz seiner Freundin ist auf ihn übergesprungen. Ansteckend ist dieser Gedächtnisrückbau also auch noch. Schrecklich!

    Einige Partygäste sind schon da. Also ganz junge Leute. Enorm junge Leute. Die bei unserer ersten, zweiten und dritten Party noch gar nicht geboren waren. Die jetzt aber Jahr für Jahr größer werden. Und lauter. Sie verbuddeln draußen im Sandkasten Plastikspielzeug. Dann graben sie es wieder aus. Dann bolzen sie sich gegenseitig Bälle an den Kopf. Dann weinen sie. Dann hören sie wieder auf zu weinen, sitzen im Gras und bohren mit ihren kleinen Fingern in sich rum. Und stecken sich Sachen in den Mund, die sie aus anderen Öffnungen im eigenen Kopf rausgeholt haben.

    Seit etwa zwei Minuten ist die Stimmung am Kochen. Grund dafür ist eine riesige Schüssel Kartoffelchips, die der hinterlistige Heiko scheinbar arglos in Reichweite der Kinder platzierte.

    »Hab ich bei Edeka entdeckt: Crunchips Cheeseburger. Die schmecken nach Cheeseburgern!«

    »Nach den Cheeseburgern von McDonald’s oder den Cheeseburgern von Burger King?«

    »Was weiß ich? Ich bin froh, dass sie nicht nach Burger-King-Scheuerlappen schmecken. Was hast du eigentlich zum Geburtstag geschenkt gekriegt?«

    »Eine Steven-Seagal-DVD-Box.«

    »Oh. Das tut mir leid.«

    Wir beobachten die Kinder. Sie stürzen sich auf die Chips wie ausgehungerte Inselkrebse auf einen abgestürzten Zugvogel mit gebrochenem Flügel.

    Mit irrem Blick bellt mich von unten ein offensichtlich verhaltensgestörter Träger eines Topfschnittes an: »Chips sind alle!« Aus dem weit aufgerissenen Mund des Jungen riecht es gegen den Wind nach Trockenpaprika und Natriumglutamat. Sein Gesicht glänzt fettig, seine Haare sind gespickt mit Chipskrümeln. Auch sind seine Pupillen deutlich vergrößert, was aber nicht am politisch korrekten Licht der Energiesparlampen hier in Heikos Hinterhofwohnung liegt. Was will dieses schreckliche Kind von mir?

    »Chips! Mehr Chips! Und Schaumküsse!«

    Sein überforderter Vater rennt hinter ihm her: »Marvin, wir haben das doch zu Hause geübt! Das geht im ganzen Satz!«

    Der Junge: »Die Chips, die Chips, die sind alle. Gibt es mehr? Und hast du auch Schaumküsse für uns? Das ist doch eine Party, da kriegt man doch was als Gast! Also gib mir was!«

    Ich bin entzückt: Ein junger Mensch duzt mich. Das hatte ich lange nicht mehr!

    »Hättet ihr keine Alnatura-Cracker oder so was hinstellen können?«, knurrt der Vater.

    Der Mann folgt uns in die Küche: »Sagt mal, habt ihr alkoholfreies Bier?«

    »Ja, hier.« Heiko reicht ihm eine Flasche.

    Der Mann guckt weiterhin verkniffen und verlässt mit seinem Jever Fun die Küche.

    »Kennst du den?«, frage ich Heiko.

    »Und ob ich den kenne. Aus dem Internet kenne ich den. Von LinkedIn. Also: der Typ arbeitet bei einer Werbeagentur, den Namen habe ich vergessen. Einer dieser Läden, wo sie sich diese Branding-Kampagnen ausdenken für diesen überflüssigen, hochpreisigen Dreck namens Fruchttiger und Paula-Pudding und Ferdi-Fuchs-Kinderwurst. Leider muss ich das Zeug meinem Erstgeborenen immer kaufen, weil er mich mit seinem Geheule bei Edeka regelmäßig lächerlich macht. Den Ärger hab ich demnächst doppelt, haste ja an meiner Freundin gesehen. Hab ich den Typen halt mal eingeladen. Nenn mich blauäugig, aber ich hab mir gedacht: Vielleicht kann ich diese Kommunikationsdesignmarionette subtil terrorisieren. Vielleicht kann ich diesen Menschen, und sei es auch nur für einen Abend, brechen. So wie mich mein kurzer Nachfahre bei jedem Einkauf bricht. Mach kaputt, was dich kaputt macht! Verursacherprinzip, haha!«, knurrt Heiko.

    Seit Heiko seiner zweiten Vaterschaft entgegensieht, wachsen ihm graue Haare. Ein anderer Bekannter von mir wird gerade zum dritten Mal Vater. Er hat keine grauen Haare. Seine Haare haben gesagt: »Entweder die Kinder oder wir!« Seitdem trägt er eine Glatze. Steht ihm auch besser als Grau. Er ist ja noch nicht mal dreißig.

    Heiko guckt auf sein Bier: »Mir hat sich übrigens noch nicht erschlossen, wieso das alkoholfreie Jever ›Fun‹ heißt, obwohl man damit gar keinen Spaß hat. Beck’s ›Blue‹ ergibt da wesentlich mehr Sinn – alkoholfreies Bier macht dich nämlich weder lustig noch aggro, sondern einfach nur niedergeschlagen. Und definitiv nicht blau!«

    Es klingelt. Neue Gäste kommen. Sie kommen nicht mit leeren Händen: »Wir wussten nicht, ob ihr alkoholfreies Bier habt. Darum haben wir uns welches mitgebracht. Hier, das von Beck’s, das heißt ›Blue‹, lustig, ein Bier zum Traurigsein. Ein Blues-Bier, haha. Wir würden ja gern richtiges Bier trinken, aber wir dürfen noch nicht wieder loslegen, die Kinder sollen nicht sehen, wie wir hier besoffen rumproleten. Die posten das sofort bei Instagram, da hast du verloren, wenn du beim nächsten Elternabend gegen den Weingummiverkauf in der Schulkantine protestieren willst.«

    Sie gehen schnurstracks ins Wohnzimmer. Da sitzen schon die anderen Eltern. Die haben ordentlich zu tun, reden sie doch pausenlos auf ein sehr junges Pärchen ein, das gerade schwanger ist. Ängstlich sitzen die designierten Jungeltern auf dem großen Sofa und rücken immer mehr zusammen, während sie von der näher kommenden Meute mit Tipps versorgt werden. Es geht um Geburt, Stillen, wundgenuckelte Brustwarzen, Kinderwagen und Kindersitze. Willkommen in einer Welt aus Eierstöcken und Zysten.

    »Baby Björn ist scheiße! Da sitzt euer Kleiner ziemlich unnatürlich gespreizt mit seinem vollen Gewicht auf dem Hodensack. Das rächt sich später. Ich sag nur: Rollatorspermien. Eh die da angekommen sind, wo sie was befruchten können, ist die Frau schon in der Menopause. Das Fertilitycenter ist da vorprogrammiert!«

    »Prinzipiell geht ja nix über Maxi-Cosi!«

    »Was ist das?«

    »Ein Kindersitz fürs Auto. Mit Kind braucht ihr uuuuunbedingt ein Auto!«

    »Wir wohnen in Berlin, wir brauchen kein Auto!«

    »Wir wohnen auch in Berlin!«

    »Ihr wohnt in Pankow!«

    »Na ja, auf jeden Fall könnt ihr euch schön von eurem Sozialleben verabschieden. Und von einer sauberen Wohnung. Und von sauberen Klamotten eh. Und von Zeit für euch. Und vom Durchschlafen. Aber trotzdem isses irgendwie schön.«

    Heiko hält sich an seinem Wasser fest. Ich mich an meinem Mezzo-Mix.

    »Hast du das ganze Bier wenigstens auf Kommission gekauft?«, frage ich ihn.

    Er schüttelt den Kopf. Seine Augen starren ins Leere. So wie meine vorhin.

    »Die Hundertvierzig Flaschen kriegen wir heute nie alle! Womöglich spende ich sie der Tafel. Oder wir bringen sie morgen zu den Trinkern am Bahnhof. Die wissen noch, wie man richtig feiert.«

    Es klingelt. Ein weiterer gemeinsamer Freund betritt die Wohnung. Auch er hat die 40 längst überholt und sich ein paar dazu passende Probleme zugelegt. Wer Probleme hat, trinkt. Und er gilt als zuverlässiger Biertrinker. Er ist unsere letzte große Hoffnung. Da steht er nun, in der Küche. Und fragt, ob er einen Kaffee haben könnte. Er sei nämlich gerade abstinent, einfach mal so zur Selbstfindung. Nur Wasser und Kaffee, nicht mal alkoholfreies Bier. Wenn man so ernsthaft abstinent sei wie er, könne man nichts trinken, wo »Fun« drauf steht.

    »Du machst hier einen auf Privat-Ramadan? Im Ramadan darf man aber mit Einbruch der Dunkelheit das Fasten brechen. Draußen ist es dunkel. Brich mit dem Fasten! Du trinkst jetzt Bier!«

    »Nein, kein Bier, bitte!«, sagt er. »Wenn ich nur eins davon habe, muss ich brechen, Finger, Selbstdisziplin, Automatismus, verstehst du?«

    Sein Gesicht verformt sich ins extremsportlerhafte.

    »Warum gehst du dann zu einer Party, wenn du keinen Spaß haben willst?«, fragt Heiko.

    »Weil ich rausfinden will, wie weit ich bereit bin zu gehen.«

    Dann zieht er sich zurück, um seinen Followern seine Blutfettwerte zu twittern. – Leute Mitte vierzig. Entweder legen sie sich Kinder zu oder eine Macke.

    Eine halbe Stunde später. Geschrei aus dem Wohnzimmer. Marvins Vater schreit verzweifelt, dass Marvin sich endlich losreißen soll, es ist Zeit fürs Bett, und der Heimweg ist weit. Haha – dieser Weg wird kein leichter sein!

    Marvin, der Junge mit dem fettglänzenden Gesicht und den Schaumkussresten in den Ohren fummelt im Mund einer kleinen Nele rum. Nele beißt dabei kraftvoll zu. Jetzt kriegt Marvin seine Finger nicht mehr aus ihrem Mund raus, in dem er das allerletzte Gummibärchen vermutet.

    Der minutenlange Kampf der beiden findet ein großes Publikum. Lauter Eltern, die träge und übermüdet und ruhiggestellt vom alkoholfreien Bier zugucken.

    Heiko kommt aus der Küche. Er grinst diabolisch. Feixend zischt er: »Da wollten gerade welche ganz normales Bier mit Alkohol, endlich! Vielleicht wird’s ja doch alle!«

    »Wer wollte eins?«

    »Also, der Junge vom Sofa, der bald Vater wird, der Vater von Marvin und Neles Mutter. Sie haben auch gefragt, ob was zu rauchen da ist. Vielleicht sind sie gleich auch reif für Schnaps.«

    »Haben wir welchen?«

    »Natürlich nicht. Wir haben Jever Fun!«

    Und da hab ich mich dann doch sehr geärgert, dass ich in der Einladung ausdrücklich darum bat, mir dieses Jahr keinen Schnaps zu schenken. Drei Flaschen stehen noch ungeöffnet vom letzten Jahr in meiner Küche. Nächstes Jahr bringe ich das Zeug mit zur Party. Die Kinder kommen doch so schnell in die Pubertät. Die trinken das dann. Und die Eltern erst recht. Aus demselben Grund. Und wenn dann wieder keiner was trinkt, verfügen wir immerhin über literweise flüssigen Grillanzünder, der beim Anzünden schön verpufft. Das ist doch auch schön, für die Kinder. Die wollen doch immer unterhalten werden. Ständig. Rund um die Uhr.

    Schrecklich.

    DARMVERSCHLUSS

    Heiko ist längst zum zweiten Mal Vater geworden. Respekt. Schon wenige Monate nach der Geburt des zweiten Kindes ist die nicht mehr ganz so kleine Familie zu einem mehrwöchigen Campingtrip in die USA aufgebrochen. Scheint ja doch nicht ganz so kompliziert zu sein, das Leben mit Kindern.

    Doch seltsam: Noch nie hatte mir Heiko während seines Urlaubs eine Mail geschickt. Schon gar nicht aus den USA. Warum auch. Im Urlaub mailt man nicht. Im Urlaub urlaubt man. Erst recht, wenn man ganz weit weg ist, in Amerika. Es sei denn, man hat ein Problem. Und darauf deutete gleich der erste Satz seiner Mail hin.

    Er lautete: »Ich hab da ein Problem …«

    Die darauf folgenden Zeilen waren vollgestopft mit einem wortreichen Cocktail aus Selbstkasteiung und persönlich gestellter Diagnose seiner psychischen Verfassung. Kurz auf den Punkt gebracht, teilte er mir mit: »Ich kann nun mal nicht Nein sagen.«

    Das ist allerdings die sinnloseste Ausrede, die es gibt. Ich vermute, es ist ihm einfach alles zu viel geworden. Mit seiner Familie, also Sohn, Säugling und Mutter im Campingurlaub. Zusammengepfercht auf engstem Raum in einem fremden Land.

    Einfach weil er mal ausbrechen wollte, würde der Berliner Lesebühnenkünstler Heiko W. in wenigen Tagen schon etwas vollkommen Absurdes tun. Er würde ein Rockfestival in Cottbus moderieren. Und zwischen den Auftritten diverser Rockbands auf derselben Bühne vor etwa 5000 Besuchern selbst geschriebene Lesebühnentexte vorlesen.

    Wie trist muss das Leben eines Familienvaters sein, wenn er so etwas tut, einfach nur um mal rauszukommen?

    Eigentlich hätte ich Mitleid haben müssen. Heiko ist nämlich ein bodenständiger, nachdenklicher Westfale, der vorzugsweise Funktionsklamotten trägt und gerne seine Ruhe hat. Alles, was er tut, ist gründlich durchdacht. Er züchtet Echsen, forscht an seltenen Lurchen und schreibt wissenschaftliche Aufsätze über diese Tiere. Musikalisch ist er der Hamburger Schule zugeneigt. Gleichermaßen ist er stolzer Besitzer des musikalischen Gesamtwerkes von Reinhard Mey.

    Ich kann mir Heiko sehr gut vorstellen als Teilnehmer einer fundamentalkritischen Diskussion über die Rolle der Grünen hinsichtlich zweifelhafter Friedensmissionen der Bundeswehr und der Einstufung kaputter, korrupter Balkanstaaten als sichere Herkunftsländer. Oder als kenntnisreichen Redner vor dem schuppigen Fachpublikum eines internationalen Reptilienkolloqiums. Oder als Literaturkritiker, der fundiert, wortreich und zerstörungswütig das massenkompatible Gesamtwerk von Frank Schätzing verreißt.

    Aber nicht auf einem Rockfestival, in Cottbus und auf einem Rockfestival Texte vorlesend. Drei Dinge, die sich beißen. Aber es sei für eine gute Sache, schrieb Heiko in seiner Mail, das Festival heiße nämlich »Laut gegen Nazis«, und es werde sogar von Radio Fritz live übertragen.

    »Laut gegen Nazis« ging in Ordnung, aber der Rest waren nur noch Dinge, die sich gegenseitig ausschlossen.

    Während ich mich noch fragte, in welch große Scheiße sich ein Mensch alleine eigentlich reinreiten kann und was Heiko eigentlich von mir will, fing mein Blick beiläufig das Kleingedruckte am Ende der Mail ein. Ich erschrak: »Das ist mir unheimlich. Hättest du Lust, das zusammen mit mir zu machen?«

    Ich las mir den zweiten Satz noch mal laut vor, damit sich mir dessen Sinn erschloss: »Hättest du Lust, das zusammen mit mir zu machen?«

    Umgehend klickte ich auf »Antworten« und schrieb in Großbuchstaben: »BIST DU BESCHEUERT? KRIEG ENDLICH MAL DEINE PROBLEME IN DEN GRIFF! NACH COTTBUS KANNST DU ALLEINE FAHREN. KEINE ZEHN PFERDE KRIEGEN MICH IN DIE LAUSITZ. DIE GRAUPENSUPPE KANNST DU ALLEINE AUSLÖFFELN, FREUNDCHEN.«

    Beim Senden der Mail muss jedoch irgendwas schiefgegangen sein. Der Kollege hatte nämlich eine ganz andere Antwort im Postfach. Eine Antwort, die ich, weil ich psychisch, physisch, privat und beruflich okay und generell gesund bin, unmöglich geschrieben haben kann: »Klar, das machen wir, endlich wird mein ereignisarmer Alltag mal durch einen aufregenden Trip ans Ende der Welt aufgepeppt. Vielleicht fällt ja

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