Die Freimaurer in Österreich: Weg und Schicksal der "Königlichen Kunst"
Von Reinhard Lamer
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Buchvorschau
Die Freimaurer in Österreich - Reinhard Lamer
ZWECK UND ZIEL DER KÖNIGLICHEN KUNST
SYMBOLE UND RITUALE
Ein Schleier des Geheimnisvollen liegt seit jeher über der Bruderschaft der Freimaurer und ihren Logen, und tatsächlich erscheint vieles an der Freimaurerei oder – wie die Logenbrüder gerne sagen – an der „Königlichen Kunst" auf den ersten Blick rätselhaft und unerklärlich. Schon der Versammlungsraum ist kein gewöhnliches Vereinszimmer, sondern eine Andachtsstätte ganz eigener Art. Die Brüder sind seltsam gekleidet und das Zeremoniell wird von einer rätselhaften Bildsprache beherrscht, in der Symbole aus der Werkmaurerei der mittelalterlichen Dombaumeister und Steinmetzen eine dominierende Rolle spielen. Vor allem aber werden die Logenfeiern von einem zeitlos anmutenden, feierlichen Ritual geprägt, das sich an den Verstand ebenso wendet wie an das Gemüt.
Um diese seltsamen Einrichtungen und rätselhaften Vorgänge zu verstehen, die eine Loge von allen Vereinen und Organisationen so augenfällig unterscheiden, sollte man die Logenbrüder einmal in Gedanken in jenen Versammlungsraum begleiten, in dem „Loge gehalten wird. Zunächst fällt auf, daß weihevolle Stimmung die Brüder empfängt, wenn sie sich nach des Tages Arbeit festlich gekleidet im Vorraum der Loge versammeln, den man in vielen Logen den „Raum der verlorenen Schritte
nennt. Haben sie sich mit dem weißen und meist blau verbrämten Lederschurz, dem Sinnbild der Arbeit, und weißen Handschuhen, dem Symbol reiner Gesinnung und ehrlichen Handelns, gelegentlich auch mit dem Zylinder, dem Zeichen des freien Mannes, bekleidet und das „Bijou angelegt, das Wappen der Loge am blauen Bande, so betreten sie schweigend und „in geordnetem Zuge
den nur schwach erleuchteten Logenraum. Dieser „Logentempel ist überall auf der Welt weder rund noch quadratisch, sondern hat die Form eines „rechtwinkligen länglichen Vierecks
, wie es in der Sprache der alten Werkmaurer heißt. Er ist also rechteckig und erinnert damit an die antike Vorstellung, die im Rechteck ein Abbild der Erde sah, über dem sich der Sternenhimmel wölbte. Der Fußboden des Tempels oder der Teppich, der auf dem Boden liegt, zeigt zum Teil schachbrettartig angeordnete weiße und schwarze Felder, und dieses sogenannte musivische Pflaster symbolisiert das Gute und das Böse in der menschlichen Existenz.
Unter den Klängen feierlicher Musik treten die Brüder in das mystische Halbdunkel des Tempels und schreiten gemessenen Schrittes nach Osten, „dem Licht entgegen, wo sich der Hauptaltar erhebt und dahinter der Sitz des „Meisters vom Stuhl
oder „Logenmeisters, wie der Vorsitzende der Loge genannt wird. Am Eingang des oft in blau gehaltenen Logentempels stehen zwei Säulen. Sie erinnern an die beiden Säulen im Vorhof des salomonischen Tempels und gelten in der Freimaurerei als die Symbole der Gerechtigkeit und der Toleranz und damit als die Grundpfeiler der Humanität. Sie bilden sozusagen das Fundament, auf das der Bund der Freimaurer sich stützt. In der freien Mitte des Tempels stehen drei Säulen, nicht selten eine dorische, eine ionische und eine korinthische, die in einem rechtwinkligen Dreieck angeordnet sind und je eine Kerze tragen. Sie gelten als die „drei kleinen Lichter
der Freimaurerei und symbolisieren Weisheit, Stärke und Schönheit. Auf ihnen soll dereinst das Dach jenes geistigen Gebäudes der Menschheit ruhen, an dem die weltweit rund sechs Millionen Brüder des Freimaurerbundes bauen. In Anlehnung an das Alte Testament nennen sie dieses geistige Gebäude gern den „Salomonischen Tempel, den „Tempel der Humanität
oder den „Dom der Menschheit".
Meister vom Stuhl einer deutschen Loge
Der Bau ist also noch längst nicht fertig, und das ist einer der Gründe, weshalb an der Decke vieler Logen der Sternenhimmel leuchtet. Das Fundament aber – bestehend aus Gerechtigkeit und Toleranz – ist bereits gelegt, und auch die Säulen, die das Gebälk tragen sollen – Weisheit, Stärke und. Schönheit – sind wie gesagt schon aufgerichtet. Und da diese drei Säulen die tragenden Stützen des ganzen Gebäudes sind, heißt es auch in einem Gedicht, das in vielen deutschsprachigen Logen während der Tempelarbeit gesprochen wird:
„Hoch steht vor uns das Ziel,
groß sind die Zwecke des Bundes.
Nur wer wandelt im Licht,
schreitet die Stufen empor.
Ewiger Schöpfer des Alls,
laß Weisheit und Stärke und Schönheit
nimmer fehlen dem Bau,
dem wir uns brüderlich weihen."
Die drei Säulen versinnbildlichen aber auch zugleich die Maximen maurerischer Arbeit. Denn die Weisheit plant und leitet den Bau, die sittliche Kraft und Stärke führt aus, was die Weisheit erdachte, und die harmonische Schönheit, oder mit anderen Worten, die Brüderlichkeit soll zieren, was die Stärke vollbracht hat.
Nach diesen fundamentalen Grundsätzen arbeiten die Brüder an der Vollendung des großen Menschheitsbaus, der Zweck und Ziel aller maurerischen Arbeit ist und der nicht aus Steinen und Mörtel errichtet wird, sondern aus Menschen und Menschenliebe. So wie der Mörtel die Steine zusammenhält, so ist die Menschenliebe und die Brüderlichkeit das Bindemittel, das die Menschen zum großen Dom verbinden soll. Das Bauwerk, das die Freimaurer errichten wollen, ist also ein geistiges und moralisches, und daher ist auch die Arbeit der Freimaurer eine geistige und moralische. Dennoch ist es genau genommen Maurerarbeit, wenn auch nur eine symbolische, und deshalb ist es nicht überraschend, daß Maureraber auch Baumeisterwerkzeuge, wie etwa das Reißbrett, als Symbole eine so wichtige Rolle spielen, und daß die Brüder ihre feierlichen Zusammenkünfte „Arbeiten nennen. Sehr anschaulich sind diese Bestrebungen der Bruderschaft schon vor hundert Jahren im Allgemeinen Handbuch der Freimaurerei definiert worden. Dort heißt es treffend: „Freimaurerei ist die Tätigkeit engverbundener Männer, die unter Anwendung sinnbildlicher, größtenteil dem Maurerhandwerk und der Baukunst entlehnter Formen für das Wohl der Menschheit wirken, indem sie sich und andere sittlich zu veredeln suchen, um dadurch einen allgemeinen Menschheitsbund herbeizuführen, den sie unter sich im kleinen Kreis bereits darstellen wollen.
Die Logen sollen also Vorbild sein, damit allmählich, wie der Dichter und Freimaurer Christoph Martin Wieland vor fast zweihundert Jahren sagte,
„das menschliche Geschlecht
eine Bruderkette werde,
teilend Wahrheit, Licht und Recht."
Da die Freimaurer – wenn auch nur in übertragenem Sinne – Bauleute sind, die am großen „Dom der Menschheit bauen, bezeichnen sie ihre Vereinigung ebenso wie ihre Versammlungen als Loge, was im Grunde nichts anderes bedeutet als „Bauhütte
. Gemeint war damit ursprünglich jene Werkstatt, die an den Dom angebaut war oder in seiner unmittelbaren Umgebung lag, und in der die Werkzeuge und Baupläne aufbewahrt wurden, die jedoch auch als Versammlungsraum diente. Schon im Mittelalter bezeichnete man mit Bauhütte aber auch die genossenschaftliche Vereinigung aller an einem Kirchenbau arbeitenden Steinmetzen. Daher betrachten sich die Logen des weltweiten englischen Systems als Bauhütten in übertragenem Sinne. Die Logen des schwedischen Systems oder – wie man auch und vielleicht zutreffender sagt – der schwedischen Lehrart dagegen verstehen sich mehr als Glieder eines geistigen Ritterordens denn als symbolische Bauhütten und nennen ihre Organisation daher den Freimaurerorden, an dessen Spitze neben dem Großmeister ein Ordensmeister steht, dessen Hauptaufgabe die Bewahrung von Lehre und Brauchtum ist.
Obzwar erst künftige Generationen den Bau vollenden werden, haben die Freimaurer aller Zeiten die Hände nie in den Schoß gelegt, sondern waren unermüdlich am Werk, wie es die „Alten Pflichten verlangen. Wegweiser bei ihrer Arbeit ist seit jeher eine Art Arbeitstafel, die entweder in Form eines Reißbretts die Blicke auf sich lenkt oder die in Form eines Teppichs zwischen den drei Säulen auf dem Boden liegt. Dieser Teppich oder – wie die österreichischen Freimaurer sagen – Tapis zeigt die wichtigsten Maurerwerkzeuge und Sinnbilder, wie etwa die Wasserwaage und das Senkblei, die für den Freimaurer die ursprüngliche Gleichheit aller Menschen und das gerechte Urteil symbolisieren. Dahinter, auf dem etwas erhöhten Altar im Osten liegen Bibel, Winkelmaß und Zirkel, die als die „drei großen Lichter
der Freimaurerei gelten, meist auch das Logenschwert als Symbol der Gerechtigkeit. Bei manchen Großlogen ist die bei Großlogenarbeiten auf dem Altar liegende Bibel ein Exemplar mit interessanter Vergangenheit und auch das Logenschwert hat zuweilen musealen Wert. So liegt bei den Tempelarbeiten der in London residierenden Großloge von England der Degen des Schwedenkönigs Gustav Adolf aus dem 17. Jahrhundert auf dem Altar.
Ältester österreichischer Tapis
Die „drei großen Lichter Bibel, Winkelmaß und Zirkel mögen als eine recht wahllose und willkürliche Kombination erscheinen, doch für den Freimaurer sind sie eng miteinander verbunden. Denn die Bibel ist für ihn der Ausdruck des Glaubens an eine sittliche Weltordnung; das Winkelmaß, mit dem die Werkmaurer den rechten Winkel maßen, ist das Symbol für Rechtschaffenheit und Ehrlichkeit; und der Zirkel schließlich, mit dem man die vollkommenste geometrische Figur, den Kreis, zeichnen kann, versinnbildlicht die Brüderlichkeit und den Dienst am Mitmenschen. Überglänzt werden diese drei großen Lichter vom „Flammenden Stern
, der für den Freimaurer das Sinnbild des „Allmächtigen Baumeisters aller Welten" ist und den der Freimaurer Johann Wolfgang von Goethe so deutet:
„Zum Beginnen, zum Vollenden
Zirkel, Blei und Wasserwaage,
Allee starrt und stockt in Händen,
leuchtet nicht der Stern am Tage."
Einige dieser Symbole sind zugleich auch die Insignien jener Brüder, die ein Amt in der Loge ausüben. So trägt der Meister vom Stuhl als Emblem seines Amtes das Winkelmaß am blauen Bande, der erste Aufseher die Lotwaage, der zweite das Senkblei. Andere Symbole sind weniger auffallend und auch nicht so bedeutsam, aber keineswegs nebensächlich. So etwa der Spitzhammer, mit dem die Werkmaurer den rauhen Stein bearbeiteten und ihn zum kubischen Stein werden ließen, die Maurerkelle als Symbol der Bruderliebe, die Rose als das Zeichen der Verschwiegenheit, oder auch der 24-zöllige Maßstab, der den Freimaurer an die 24 Stunden des Tages erinnert und ihn mahnt, die Zeit mit Weisheit einzuteilen. Auch bestimmte Zahlen haben in der Freimaurerei, ähnlich wie schon in der Antike, eine besondere Bedeutung, allen voran die Drei, die als heilige Zahl gilt und die oft im Logennamen auftaucht. Und schließlich haben auch die Himmelsrichtungen für den Freimaurer eine tiefere Bedeutung, vor allem der Osten, in dem schon die ältesten Kulte die Quelle des Lichts und der Weisheit erblickten. Ebenso wie in den Kirchen erhebt sich auch in den Logentempeln der Hauptaltar im Osten. Von hier leitet der Meister vom Stuhl die Loge und von hier empfängt der neu aufgenommene Logenbruder das „maurerische Licht. Diese besondere Bedeutung des Ostens macht verständlich, daß die Freimaurer jenen Ort, der Sitz einer Loge ist, „Orient
nennen.
Schurze und Werkzeuge
Die freimaurerischen Symbole präzise zu erklären, ist nicht leicht, weil manche eine mehrfache Bedeutung haben und weil es für die meisten keine genaue und allgemeingültige Definition gibt. Jeder kann sie für sich ein wenig anders deuten, sofern die Grundidee erhalten bleibt. Andererseits sind Symbole in ihrem bildhaften Ausdruck anschaulicher als jede sprachliche Interpretation und machen damit die Freimaurerei wahrhaft international. Winkelmaß und Zirkel sind nun einmal einprägsamer als jede gelehrte Definition von Rechtschaffenheit und Brüderlichkeit. Da beide, Rechtschaffenheit und Brüderlichkeit, Grundprinzipien der Freimaurerei sind, ist es kein Zufall, daß das „Winkelmaß des Rechts und der „Zirkel der Pflicht
miteinander kombiniert das traditionelle Freimaurerabzeichen sind. Fast immer findet sich in der Mitte zwischen Winkelmaß und Zirkel der Buchstabe „G", der nicht nur als Hinweis auf Gott verstanden wird, sondern der auch an die Geometrie erinnert, also an jene der sieben Freien Künste des Mittelalters, die in der Baukunst eine so hervorragende Rolle spielt.
Aus der überragenden Bedeutung, die den Symbolen zukommt, ergibt sich ganz zwangsläufig, daß die Freimaurerei kein genau festgelegtes Programm hat, das für alle Logen verbindlich wäre. Sie besaß nie ein solches detailliertes Programm, und sie wird es auch in Zukunft nicht haben.