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Ein Drehbuch für Götz: Ein Sardinien-Roman
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Ein Drehbuch für Götz: Ein Sardinien-Roman
eBook311 Seiten3 Stunden

Ein Drehbuch für Götz: Ein Sardinien-Roman

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Über dieses E-Book

Eine sardische Aussteigerkomödie - Urlaubslektüre.
Das Glück kann so einfach sein: ein Wohnwagen, freies Essen und ein bisschen Taschengeld, dazu Sonne und Meer gratis - mehr braucht Zipp nicht, der studierte Aussteiger mit Vorliebe für Rotwein und Machiavelli. Sogar eine Traumfrau hält die Insel für ihn bereit. Dumm nur, dass ihr sein Lebenswandel nicht reicht, sie will einen Mann mit Ambitionen...
SpracheDeutsch
HerausgeberSatyr Verlag
Erscheinungsdatum1. Aug. 2012
ISBN9783944035000
Ein Drehbuch für Götz: Ein Sardinien-Roman

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    Buchvorschau

    Ein Drehbuch für Götz - Kersten Flenter

    Berlin)

    ERSTER TAG

    Siesta im Paradies

    Das Glitzern der Sonne auf dem Meer, blauer Himmel, klare, warme Luft und der Geruch nach Eukalyptusbäumen im Sommer. Kein Wunder, dass die kulturelle Wiege Europas im Süden stand, dachte sich Zipp.

    In diesen Breitengraden konnten Philosophen gedeihen und ihren Gedanken nachgehen. Hier konnten die Denker jene Fässer leer trinken, in denen sie später glücklich und erfüllt lebten, nur unterbrochen von lästigen Zeitgenossen, die durch ihre bloße Anwesenheit die Sonne verdeckten und die Sinne trübten.

    Selbst bei geschlossenen Augen blieb das Bild der Sonne im Meer für eine Weile erhalten, bevor das samtene Orange der dünnen Augenlider die Oberhand gewann. Einige Haarsträhnen wehten im Wind über sein Gesicht und kitzelten auf seinen Lidern.

    Seit einem halben Jahr war er bei keinem Friseur gewesen, und das Meerwasser und die salzige Luft hatten die Spitzen blond gefärbt. Beinahe schwarz waren seine Handrücken, auf denen gerade sein Kinn mit den Bartstoppeln ruhte. Die Hände hatte er auf dem breiten Griff des langen Spatens gefaltet, der in der kargen Erde steckte.

    Ein Fuß ruhte auf dem Spatenblatt, er trug sein einziges Paar Sandalen: Flipflops. Über seinen Fuß lief eine Ameise. Er hatte die schlichten Gummilappen bei seiner Anreise in dem kleinen Kiosk auf der Fähre gekauft, nachdem er die schwarzen Strümpfe in die Lackschuhe gestopft und diese, einen nach dem anderen, in weitem Bogen über Bord geworfen hatte.

    Im Schatten des Eukalyptusbaumes kaute eine Schildkröte auf einem Grashalm. Zipp lächelte das Gesicht mit den Knopfaugen und dem zahnlosen Mund an. Mit ihrer Behäbigkeit unterstrich sie seine innere Ausgeglichenheit.

    Er spürte, wie sich sein Puls verlangsamte. So ähnlich musste Meditation sein. Nur brauchte er dazu keinen Guru, keinen Lotussitz, keine Kopfstandpositionen, keine Räucherstäbchen, kein Monatsabo von Schneller Entschleunigen und keinen Mitgliedsbeitrag zum Mantrabrummen. Sein Mantra war das Meer, sein Guru die Natur. Die Natur, wie er sie hier auf Sardinien gefunden hatte. Eigentlich schon vor Jahren in den Semesterferien, aber er hatte es sich beharrlich ausgeredet. Er musste doch ein anständiges Leben führen, sein Studium beenden, eine Karriere starten und eine Familie gründen. Nachdem er Punkt Eins mit dem Abschluss in Philosophie erfüllt hatte, die Doktorandenstelle sicher und er verlobt war, entschloss er sich dazu, aus der brennenden Propellermaschine der Not-my-life-Airline zu springen und die Reißleine zu ziehen.

    Den Entschluss fasste er, als er an einer Fußgängerampel wartete und sich fragte, wie sich das wohl anfühlen würde, sich vor den vorbeifahrenden Bofrost-Laster zu werfen.

    Die erschreckende Antwort für ihn: Es gab Schlimmeres. Und so überquerte er die Ampel nicht, er ging nicht zum Monatstreffen der Gesellschaft zur Erforschung Kantscher Strukturen im Beamtentum, er kehrte an jenem Tag nicht zurück nach Hause, um eine Hochzeit zu planen, die sich anfühlte wie ein einziger großer Sargnagel, obwohl seine Braut, gelinde gesagt, wohlhabend und nach gängigem Geschmack auch äußerlich attraktiv war.

    Stattdessen warf er seine Tasche mit den beiden Ordnern in einen Müllcontainer hinter einem Supermarkt, hob den maximalen Betrag von tausend Euro von seinem Girokonto ab, knickte die EC-Karte, bis sie brach, schmiss sie in einen Gully und marschierte zum Busbahnhof für Fernreisen. Ein Überlandbus war nicht nur günstig und unauffällig, es würde auch seine erste derartige Reise sein, ein Abenteuer.

    Als er vor dem Fahrkartenschalter stand, hatte er aus fünf Abfahrten in der nächsten halben Stunde zu wählen: München, Kiew, Lyon, Bukarest oder Livorno. Die Wahl ging ihm einfach über die Lippen: Livorno. Den Ort kannte er von früher als Fährhafen für Sardinien. Mit einem Freund war er nach dem Abitur vier Wochen mit Interrail durch Frankreich und Italien gereist. Damit war das Nachdenken über sein Ziel erledigt.

    Einfach über Nacht alles hinter sich zu lassen, entpuppte sich als Glücksfall. In den ersten Tagen auf Sardinien kam es ihm vor, als schwebe er ein paar Zentimeter über dem Boden.

    War das wirklich schon ein halbes Jahr her?

    »Alles richtig gemacht«, flüsterte er zur Schildkröte, und sie schien zu nicken. Er wandte seinen Blick ab gen Meer, wo eine Möwe schreiend einen Looping flog. Dicht über dem Sandstrand, der zwanzig Meter weiter unterhalb der hohen schroffen Felsen lag, zog sie wieder hoch.

    Eine Böe rauschte in seinen Ohrmuscheln und das leise Klappern der Zweige, dazu das Gefühl im Hals, als hätte er ein Hustenbonbon gelutscht. Dafür liebte er den Eukalyptusbaum. Und er liebte Angelina. Und das Beste war: Sie liebte ihn auch.

    Mit der Zunge fuhr er vorsichtig über die seit vier Wochen wunde Stelle innen an der Unterlippe, die sie mit ihren leidenschaftlichen Küssen Nacht für Nacht und Siesta für Siesta aufzurauen wusste. Er öffnete seine Augen und atmete tief ein, als würde sie in seinen Armen liegen, und für einen Augenblick glaubte er sogar, ihren Duft zwischen all den Pflanzen riechen zu können.

    »Hey, beweg deinen Arsch! Soll der Spaten Wurzeln schlagen?«

    Zipp hatte Nobby gar nicht bemerkt. Dabei war er eigentlich gut zu sehen, denn er trug wie immer eines seiner schrillen Fußballtrikots von Hertha BSC. Die regelmäßigen Besucher, die jedes Jahr für ein paar Wochen in einer der Hütten auf Nobbys und Caros italienischem Bauernhof Urlaub machten, wussten um sein Faible für den Verein und brachten ihm manchmal ein Geschenk mit. Die Trikots beulten sich über seinem Bauch und standen eine Hand breit ab von den Bermudashorts. Frische weiße Tennissocken in Turnschuhen rundeten das Bild des ehemaligen Frührentners ab. Über dem Ende der Socke am rechten Bein landete gerade eine Mücke.

    »Das sieht aus, als wolltest du den Spaten da einpflanzen.«

    »Nein.«

    »Das Feld gräbt sich nicht von alleine um.«

    »Ich bin doch dabei.«

    »Das sehe ich, wie du dabei bist. Du bewegst dich wie Angela Merkel im Strafraum. Bei der Arbeit hat dir noch niemand die sechs Espressi angesehen, die du uns jeden Morgen wegtrinkst. Aber seit du verknallt bist, scheinst du dein bisschen Restenergie anderweitig zu vergeuden.«

    In dem Moment, als die Mücke ihren Rüssel durch den dichten Haarwald in Nobbys Schienbein bohrte, wurde sie an der Spitze eines feinen Blutstrahls einen halben Meter durch die Luft zu Boden geschossen. Dieses Schauspiel demonstrierten Bluthochdrucks faszinierte Zipp jedes Mal.

    »Jetzt hör auf, mir so schuldbewusst vor die Füße zu gucken. Darauf falle ich nicht mehr rein«, meinte Nobby.

    Zipp richtete seinen Blick auf. »Eine Vergeudung würde ich die Liebe nicht nennen.«

    »Vielleicht solltet ihr beide euch hier auf dem Feld lieben, dann hätte das auch was davon. Ich wünschte, ich könnte es selber, aber es geht nun mal nicht mehr.«

    »Liebe machen?«

    »Den Acker umgraben! Grab!«, und dabei griff er sich mit der linken Hand an die Bandscheibe, als würde ihm der bloße Gedanke Schmerzen bereiten.

    »Apropos Liebe, kann ich den Wagen nehmen? Ich möchte gleich kurz runter ins Dorf.«

    »Möchtest du nicht erst den Acker fertig umgraben?«

    »In der Sonne? Da kriege ich ja einen Hitzschlag. Die Siesta hat schon ihre Berechtigung. Danach schaffe ich das auch noch.«

    Nobby stemmte seine Hände in die Hüften und schaute sich über die Schulter um, als könnte er von dort Hilfe erwarten. »Danach klappt aber nicht. Danach hast du nämlich was vor, oder hast du das vergessen?«

    Mit Fragen wie dieser konnte Zipp noch nie etwas anfangen. Er musste dann absolut davon ausgehen, dass er etwas vergessen hatte, denn sein Gegenüber wusste etwas, das ihm selbst verborgen blieb. Wieso sollte man sich ausgerechnet auf diese vage Frage hin an etwas erinnern können, das man offensichtlich vergessen hatte?

    Zipp strengte sich dennoch an, und ihn durchströmte ein wohliges Gefühl von Stolz, als ihm die Antwort einfiel.

    »Die Spitzen vom alten Olivenbaum schneiden!«

    Nobbys Kopf zuckte nach vorne, und er riss seine Augen weit auf. »Das hast du auch noch nicht gemacht? Das sollte doch schon letzte Woche …«

    Stimmt, dachte Zipp, das war die Kehrseite der Frage: Es bestand eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit, sich bei einer Antwort tiefer reinzureiten. Eigentlich konnte man nur verlieren. Ob man antwortete oder nicht.

    »Ich habe die Leiter nicht gefunden, als ich den Olivenbaum machen wollte«, entschuldigte er sich.

    Nobby riss sich jetzt arg zusammen, das war ihm anzusehen. Wäre er zwanzig Jahre jünger gewesen, er wäre wohl handgreiflich geworden.

    »Wo steht die Leiter denn immer?«, zischte er zwischen dem deutschen Kassenteilgebiss hervor.

    »Neben der Scheune«, und jetzt fiel es Zipp wieder ein. »Genau! Und da war sie nicht, als ich sie brauchte. Ha!«

    Das »Ätsch« verkniff Zipp sich in seinem persönlichen Triumph, seinen Kopf aus der Schlinge gezogen zu haben. Er war unschuldig, und er war froh, dass ihm dieses Detail noch eingefallen war.

    Ein Knurren drang durch Nobbys halb offenen Mund. »Eine andere Frage: Womit hast du die Dachrinne am Haupthaus gestrichen?«

    »Mit gelber Farbe.«

    »Genau, anstatt grüner! Aber was ich meine, ist: Worauf hast du dabei gestanden?«

    Auf der Leiter, dachte Zipp.

    Nobby nahm ihm die Antwort vorweg. »Auf der Leiter. Und an der Dachrinne lehnt sie immer noch. Weil du sie nicht dorthin zurückgebracht hast, wo sie hingehört.«

    Wütend winkte er ab und stampfte los Richtung Haupthaus. Nach fünf Metern sprang er herum wie ein Revolverheld, der ein verdächtiges Geräusch gehört hatte.

    Mit dem Zeigefinger zielte er auf Zipp: »Und du … du … Jetzt hast du … auch noch ...«

    »Was? Was? Was?«

    »Sagt dir mein Fleisch und Blut etwas?«

    Er sprach in Rätseln.

    »Meinst du dein Übergewicht, Bluthochdruck?«

    »Quatsch. Tabea! Du hast meine Enkelin vergessen! Du hast vergessen, dass du Tabea vom Flughafen abholen sollst.«

    Zipp klatschte sich mit der Hand an die verschwitzte Stirn. »Stimmt ja! Nein, habe ich nicht, natürlich nicht. Um wie viel Uhr landet der Flieger noch mal?«

    »Um drei! Zipp!« Er fasste sich an die Nasenwurzel.

    »Sch... so früh ist das?«

    »Ja«, seufzte Nobby und schaute zum Himmel.

    »Dann nehme ich doch besser den Fiat ins Dorf. So kann ich von dort aus direkt zum Flughafen fahren.«

    »Nein! Ich möchte lieber sehen, wenn du losfährst. Nimm das Fahrrad und gut. Und danach kannst du den Fiat zum Flughafen nehmen.«

    »Aber das Radlager von dem alten Ding ist kaputt.«

    »Nicht, wenn man anständig tritt.«

    »Niemand wird ein hinkendes Pferd gerne reiten, denn es strengt zu sehr den Reiter an.«

    »Bleib mir mit deinen Philosophensprüchen vom Leib.«

    »Das war Machiavelli. Also? Auto? Bittebitte, Nobby! Hab ein Herz.«

    Bei der Schussfahrt schepperte der gebrochene Gepäckträger an das Schutzblech wie das Rasseln einer sterbenden Klapperschlange. Lose Speichen peitschten aneinander, und der Lenker zitterte in seinen Händen, als würde eine ausgehungerte Hyäne versuchen, ihm das Vorderrad zu entreißen. Verbissen wehrte sich Zipp gegen die auf ihn einwirkenden Kräfte. Seine Fingerknöchel stachen weiß hervor, und seine Zehen krallten sich um die Pedale. So, eins mit der Maschine, schaffte er es, in einer Kurve einen Kleinlaster innen zu überholen, dessen Fahrer das gewagte Manöver mit einem Hupen belohnte. Gleich darauf musste er vor dem Laster wieder einscheren, um nicht den Schotterweg zu verpassen, der durch den Wald zum Strand am Rande des Dorfes Cala Sogno führte.

    Hinter ihm radierten die abgefahrenen Reifen des Lkws bei dessen Vollbremsung über den heißen Asphalt, dazu gesellte sich abermals das Signalhorn, gerade als Zipp mit seinem Fahrrad zu weit nach außen getragen wurde und über einen großen Stein raste. Er hob ab und setzte fünf Meter weiter wieder auf. Hart stieß der alte Sattel gegen seinen Allerwertesten und brach ab. Zipp selbst landete glücklicherweise mit dem Hintern auf dem Gepäckträger, anstatt auf dem abgebrochenen Rohr, das jetzt zu einer rostigen Bedrohung für sein Rektum wurde. Seine Arme streckten sich weit zum Lenker, als säße er auf einer Harley-Davidson.

    Aus den Augenwinkeln sah er eine herausgerissene Speiche durch die Luft sirren wie einen metallenen Eingeborenenpfeil, bis sie sich in die Rinde einer Kiefer bohrte.

    Bei der Geschwindigkeit, die Zipp drauf hatte, schwammen die Räder förmlich über die Schotterpiste. Das Fahrrad schüttelte sich, als wäre es in einen Meteoritenhagel geraten. Vögel flogen erschrocken auf, Schlangen und Nager huschten durchs Dickicht in Sicherheit. Zu treten brauchte er nicht, es reichte der Schwung der Bergetappe.

    Endlich tauchte vor ihm zwischen den Ästen das Türkis des Meeres auf und zwischen den Bäumen am Ende des Weges die grazile Silhouette Angelinas.

    Der Gedanke kam Zipp plötzlich in den Sinn: Wenn andere Frauen ein Gedicht sind, dann ist sie ein Sonett. Schönheit, Ausstrahlung und Leidenschaft zeigten sich bei ihr in einzigartiger, nie zuvor gesehener Komposition der Weiblichkeit.

    Er bremste und stellte das Fahrrad an einen Baum. Wie auf Kommando rieselte mehr als die Hälfte der Speichen aus dem Vorderrad.

    Adrenalinangereichert rauschte das Blut durch seinen Körper, gleichzeitig musste er seine Erregung kontrollieren. Angelina hatte ihren Kopf auf die Seite gelegt, sodass ihre langen braunen Haare über ihre rechte Schulter fielen, während sie lächelnd den Kopf leicht schüttelte. Dabei spannte sich bei jeder Bewegung eine Sehne im Hals, die sich im weiten Dekolleté ihres roten Sommerkleides verlor. Eine Hand hielt sie angewinkelt an der Hüfte, in der anderen trug sie ihre Sandalen, die sie ausgezogen hatte, weil sie von der Pension ihres Onkels aus, in der sie arbeitete, den Strand entlanggegangen war.

    Zipp marschierte auf sie zu und breitete seine Arme aus. Das Einzige, was ihm fehlte, war ihr Duft und ihr unvergleichlicher Geschmack.

    Sie rollte ihre großen dunklen Augen, und mit ihrem italienischen Akzent sagte sie auf Deutsch: »Kannst du deine Flipflops aus dem Mund nehmen, bevor du mich küsst?«

    Die hatte Zipp ganz vergessen. Wegen des kaputten Gepäckträgers und weil er die Sandalen schon zweimal unterwegs verloren hatte, als er sie während der Fahrt an den Füßen trug, transportierte er seine Flipflops zwischen den Zähnen. Deren Abdrücke waren nun auf dem Gummi der Sohle zu sehen. Er warf die Sandalen zur Seite, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und umarmte die laut lachende Angelina. Der Klang ihres Gelächters lockte die Engel an.

    Zum Kuss schlossen sie ihre Augen. Sie war einen guten Kopf kleiner und musste sich auf ihre Zehenspitzen stellen.

    Sofort fand seine Linke ihren Nacken mit den weichen Härchen, und seine Rechte wanderte den Rücken hinab und schob sich unter ihren Rock, wo ein knapper Slip die Pobacken frei gab.

    Schon bewegten sie sich vom Schotterweg und Strand weg zwischen den Bäumen hindurch, ohne einander loszulassen oder den Kuss zu lösen. Äste brachen und kratzten über ihre Arme und Beine, während sie sich beide ihr erregtes Lachen verkniffen. In seinem Kopf tanzten die Synapsen, und die Hormone feierten Silvester.

    Diese Momente würden nie alltäglich werden, würden immer etwas Besonderes bleiben. Mit Angelina Liebe zu machen, unterschied sich in seiner Erfahrung zu ihren Vorgängerinnen wie Butterstulle von Bruschetta.

    Als er loslachen wollte, biss sie sich in seiner Unterlippe fest, sodass er unweigerlich zum Kuss gezwungen wurde, ihre Hände abwechselnd auf seinem Po und an den Wangen und in seinen Haaren. Sie zog ihm sein T-Shirt aus, und legte es über einen niedrigen dicken Ast, auf den sie sich setzte.

    Ihr Fuß kreiste langsam über den Estrich der kleinen Terrasse des Strandcafés, in dem sie auf weißen Plastikstühlen saßen. Hell hob sich der feine Sand, der bei ihrem gemeinsamen Strandspaziergang an ihren Füßen kleben geblieben war, von ihrem dunklen Teint ab. Wie zwei alberne Teenager hatten sie sich gegenseitig geschubst, sodass einer von ihnen immer wieder ins Wasser getreten war. Es störte sie nicht, sie wischte die Kristalle nicht von ihrer Haut. Angelina musste das Kribbeln an den Fußsohlen gefallen. Vollkommenes Glück konnte so einfach sein.

    Trockener Sand rieselte von ihrer Haut an den Beinen auf den Boden. Ihr Kleid war etwas weiter als erotisch unbedenklich hochgerutscht, aber sie schien es nicht zu bemerken. Es war auch egal, denn außer dem Wirt waren sie alleine. Touristen verirrten sich selten bis zu diesem Strandcafé. Es lag am äußersten Ortsrand, und die Einheimischen kamen immer nur zur letzten Stunde der Siesta.

    Angelinas Hintern war eigentlich zu schade zum Draufsitzen, dachte sich Zipp, sie sollte auf dem Bauch liegen, auf die Ellenbogen gestützt, den Kopf gerade, edel. So waren die Ägypter wahrscheinlich auf die Sphinx gekommen.

    Edel, ohne affektiert zu sein. Natürlich, »edel«, das Wort, fand er, passte am besten zu Angelina, zu ihrem Profil, das sie ihm gerade zugewandt hatte, weil sie über den Strand hinweg auf das Meer schaute. Mit seinen Augen folgte er den Linien ihres Gesichtes, während seine Zunge über die Unterlippe fuhr.

    Woran sie wohl gerade dachte? Ihre vollen Lippen geschwungen zu einem steten Lächeln, ihre Nase nicht zu groß, nicht zu klein, und ihre dunklen Augen, in denen er manchmal seine eigene Reflexion sehen konnte, wenn sie eng beieinander saßen und das Licht stimmte. Selbst die Augenbrauen fielen ihm auf, und Augenbrauen waren ihm noch nie bei Frauen aufgefallen. Strähnen ihres Haares hingen über ihre Stirn.

    So sah also eine italienische Studentin der deutschen Sprache aus. Dies waren ihre letzten Semesterferien, die sie bei ihrem Onkel in der Pension Lucatoni’s verbrachte, wo sie sich im Restaurant etwas Geld verdiente. Nächstes Jahr würde sie ihren Abschluss machen, in Genua. Dort war sie geboren, dort besuchte sie die Universität.

    Die Sterne hatten es gut mit ihm gemeint, richtig gut. Für ihn war das pure Magie: Da entschließt er sich dazu, alles hinter sich zu lassen, und ein paar Wochen später begegnet ihm nicht nur seine Traumfrau, sondern sie verliebt sich auch noch ebenso sehr in ihn wie er in sie.

    Ohne ihren Blick vom Meer abzuwenden, griff ihre Hand nach der Flasche Cola auf dem runden Plastiktisch. Sie umfasste die Flasche mit der ganzen Hand am Hals, eine burschikose Geste, eines sardischen Maurers würdig. Sie hatte diese Gesten drauf. Er beobachtete ihren Hals beim Schlucken. Sie liebte ihn, ausgerechnet ihn. Er schüttelte den Kopf.

    Angelina warf ihm einen Blick zu, der ihn traf wie eine Wasserbombe bei vierzig Grad im Schatten. »Was ist?« Sie strahlte ihn an und setzte die Cola wieder ab. »Was denkst du?«

    Dass du umwerfend aussiehst, dass du bezaubernd bist, dass du mich verzaubert hast, dass du das bei jedem Mann schaffen kannst, dass ich nicht weiß, was du ausgerechnet an mir findest, dass mir das nur egal sein kann, dass ich nicht gedacht habe, dass ich so etwas jemals erleben würde, dass ich nicht weiß, ob ich das verdient habe, mir aber auch das egal ist, dass mich nur das Heute und Morgen mit dir interessiert und sonst nichts, Zipp und Angelina, und er sagte: »Zangelina.«

    Sie lachte los.

    Er mochte das. »Ich liebe dich.«

    Sie lachte, eine spritzige Lache mit ihrem etwas heiseren italienischen Stimmbändern, die eine Spur zu laut und daher stets ansteckend ausfiel. Wenn ein Margarita-Cocktail lachen könnte, er würde klingen wie Angelina.

    »Und?«, fragte Zipp und nippte an seinem Espresso.

    »Und was?«

    »Pass mal auf: Kommen zwei Menschen zusammen, sagt der eine: Ich liebe dich, sagt der andere?«

    Sie lachte noch lauter.

    Zipp ließ nicht locker: »Kennst du so Momente? Gut, vielleicht nicht von dir, weil du da nicht so Bescheid weißt, weil du froh sein kannst, wenn du überhaupt einen Kerl abkriegst, aber so aus Filmen oder aus Büchern, wenn ein Mann zur Frau sagt ...«

    »Ja-ja-ja, ich liebe dich, ich hab’s kapiert«, unterbrach sie ihn lachend und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die Haare.

    »Genau!« Dabei zeigte er auf sie: »Dann sagt der andere ...« und er imitierte ihre Stimme übertrieben beiläufig: »Ja-ja-ja, ich liebe dich, ich hab’s kapiert, ja-ja-ja, ich liebe dich, ich hab’s kapiert.«

    »Zipp, es ist Urlaub.«

    Da hatte sie halb recht, für sie war es ihr Urlaub, für ihn war es sein Leben.

    »Ja, genau, wie machen wir das denn in einer Woche?«, fragte er.

    »In einer Woche?«

    »Da wolltest du eigentlich zurück nach Genua.«

    »Da

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