Wie ich in die Welt kam: Erinnerungen eines Älteren
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Über dieses E-Book
Wurzeln halten fest.
Wurzeln zu erkunden, ist unerlässlich.
Doch was, wenn die eigene Geschichte im Dunkeln liegt und kaum mehr erhellt werden kann?
Frank von Olszewski weiß um ebenjene Bürde, wenn Herkunftsfragen unbeantwortet bleiben müssen und Erinnerungen immer mehr verblassen. Seinen Vater hat er nie kennengelernt, galt er doch bereits zu seiner Geburt im Jahre 1945 als verschollen. Angetrieben von dieser Geschichte hat er sich nun zur Aufgabe gemacht, ein Zeichen gegen das Vergessen zu setzen, offenen Fragen seiner Kinder und Enkelkinder vorzubeugen und für sie wie auch für die vielen »Enkel« im Sinne von Menschen, die ebenso an der Vergangenheit interessiert sind, festzuhalten, was ihn und sein bisheriges Leben geprägt hat. »Wie ich in die Welt kam« schickt den Leser im ersten Teil auf eine Reise in die Zeit von 1945 bis 1970, von Olszewskis geliebter Heimatstadt Altenburg nach Eisenach, von der Brüderkirche auf die Wartburg. Diesen »Erinnerungen eines Älteren« lauscht man nur zu gern. Begleiten Sie ihn bei seinen ersten Schritten in die Welt der Nachkriegsjahre, folgen Sie ihm in seine Schulzeit vor dem prägenden politischen Hintergrund der damaligen DDR, werden Sie zum Besucher einer seiner Schlossführungen und seien Sie gespannt darauf, wie er sich von der Museologie über die Theologie schlussendlich zum Gesundheitswesen hinwendet.
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Buchvorschau
Wie ich in die Welt kam - Frank von Olszewski
2015
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Liebe Enkeltöchter und Enkelsöhne!
Warum Erzählen?
Die ersten Jahre
Von der Familie
Noch mehr über Familie
Unsere Wohnungen
Man richtet sich ein – Leben und Arbeit
Wie man wohnte
Die großen Feste
Taufe, Konfirmation und Kirche
Mein Altarerlebnis
Haushalt und Helfer
Noch etwas Haushalt
Essen und Trinken
Reklame in unserer Zeit
Großmutters sehr gastlicher Tisch
Das Geschäftsleben
Über das Kranksein
Schüler als Patienten
Zwei große Krankheitsereignisse
Das Krankenhaus zu Altenburg
Aus der Arbeitswelt
Die Schule ruft
Endlich in der Schule
Erste Schuleindrücke
Klassenkameraden
Das Schlossmuseum
Von der Bekleidung
Vergnügungen in freier Zeit
Zu Fuß durch die Stadt
Persönlichkeiten und Käuze in Altenburg
Das Theater für Stadt und Land
Vom Reisen
Schloss Weissenfels und Schloss Siebeneichen
Landestheater und Reisebüro
Die Wartburg und Eisenach
Etwas über Eisenach
Originale und Persönlichkeiten
Auf der Wartburg
Kollegen auf der Burg
Universitäres Zwischenspiel
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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© by Verlag Neue Literatur
www.verlag-neue-literatur.com
Gesamtherstellung: Satzart Plauen
ISBN 978-3-945408-27-8
Erzähle mir die Vergangenheit,
und ich werde die Zukunft erkennen!
Konfuzius
Oft sind Erinnerungen ganz vortreffliche Balancierstäbe, mit welchen man sich über die schlimme Gegenwart hinwegsetzen kann.
Theodor Mundt
Für meine Enkel Emilia-Felicitas, Lennart und Lars-Jannes!
Liebe Enkeltöchter und Enkelsöhne!
Das Buch ist eigentlich für Lennart, Emilia-Felicitas und Lars-Jannes bestimmt. So heißen meine jetzigen Enkel. Ob noch einige dazukommen werden? Gewiss, eure Eltern wissen so manches von mir, haben die bekannten Familiengeschichten kolportiert und mehr oder weniger gern zugehört, wenn Großmutter oder ich aus früheren Zeiten berichteten. Aber man kann sich ja nicht alles merken und auch nicht alles scheint in einem bestimmten Lebensalter von Interesse. Meine Mitteilungen an euch werde ich in zwei Bücher aufteilen. Das erste Enkelbuch umfasst eine Herkunfts- und Wurzelbetrachtung. In diesem Buch werden Begebenheiten, Erinnerungen und Menschen vorgestellt, die heimatliche Gefühle wecken mögen. Das einstige Osterland um Altenburg herum soll so mit Dankbarkeit bedacht werden. Mein Heimatland Thüringen und verschiedene Städte daselbst spielen gleichwohl eine Rolle. Das zweite Buch wird sich dann zwanzig Jahren Arbeit im medizinischen Dienst widmen. Daran wirkt auch Großmutter mit, die aus ihren vierzig Dienstjahren als Krankenschwester erzählt. Meine zwanzig Jahren im Gesundheitswesen sind im Verhältnis dazu vielleicht nicht viel, dennoch sehr intensiv ge- und erlebt. Die Erkenntnisse aus diesen Zeiten könnten manche erfreuen, die sich schon immer fragten, wie es wohl früher im Gesundheitswesen war. Das Buch ist aber auch für jene bestimmt, die sich für die Vergangenheit und ihre Probleme interessieren. In diesem Sinne gibt es doch sehr viele Enkel! Nun also los! Wer mit dem Großvater redet, wird alsbald bemerken, der Mann hat was erlebt und er hat viel zu erzählen. In der Tat, ich habe einige berufliche Funktionen bekleidet, mich in verschiedensten Bereichen umgetan, dabei interessante Orte und Landschaften kennengelernt. Eure Großmutter und ich sind zehn Mal umgezogen. Zu Zeiten, in denen ein Umzug von A nach B eine organisatorische, logistische wie körperliche Meisterleistung sein musste, sollte es denn gelingen. Selbst heute, wo man nur eine Firma anruft und dieser alles überlässt, was die eigene Habe ausmacht, gibt es genug zu tun. So etwas ist teurer, aber entspannend bequem. Einige Umzüge haben wir mit zuerst zwei, dann drei Kindern bewältigen müssen. Das gestaltete sich auf keinen Fall einfach! Dennoch haben wir es stets gemeistert, am Abend des Umzugstages einen Schlafplatz und Essen und Trinken für alle aufzubringen. Dann wurde gebetet und es war gut. Angekommen! Geführt von unserem Gott und seinen Schutzengeln!
Warum Erzählen?
In unserer schnelllebigen Zeit, die nur durch die Eindrücke von einem Tag zum anderen zu existieren scheint, ist es mir sehr wichtig, etwas zu berichten. Ja, zu erzählen aus Zeiten, die für euch – wenn überhaupt von Interesse – in der Geschichte und Vergangenheit verankert sind. Viel wird heute geschrieben, manchmal sind die Verfasser noch unter fünfzig, schreiben selbst oder lassen schreiben. Davon nehme ich hier Abstand. Euch soll authentisch berichtet werden aus Zeiten, die fast fünfzig Jahre zurückliegen. Dieser Bericht – Lebensbetrachtung oder Autobiografie genannt – kann helfen, ein wenig gegen das Vergessen anzukämpfen. Es soll um das Erinnern und Behalten gehen. Manches werdet ihr bei Familientreffen hören, vielleicht aus meinem Munde oder aus den Reflexionen eurer Eltern, wie sie das alles verstanden haben. Meine Kinder Franka, Alexander und Carsten, in der Reihenfolge ihrer Geburt, kennen mein Faible für Geschichte. Ihnen gegenüber konnte ich immer wieder ausholen, Zusammenhänge erklären, Orte und Geschichte lebendig machen. Das mochten sie nicht immer, »der Born sprudelt wieder«, haben sie oft gespottet. Aber es ist etwas hängen geblieben mit den Jahren des Älterwerdens und heute schätzen sie Vaters Vortrag plötzlich.
Ich will es so gestalten, dass Begriffe oder Gegebenheiten unter dem damaligen Blick und Erleben benannt werden. Vielleicht wende ich einen etwas unmodernen Sprachstil an, aber es ist eben der, der meine Zeit und mich prägte. Da ich kein Nachschlagewerk veröffentliche, werdet ihr – gemäß der Art heutiger Zeit – zur Erklärung die Möglichkeiten des Internets und der Suchmaschinen in Anspruch nehmen. Der gesamte Bericht öffnet euch Zeitfenster, die heute beinahe verschlossen sind. In diesem Erzähltext eures Großvaters werden Orte aufgerufen, die sein Leben und sein Wissen bereichert haben. Von Altenburg, Weißenfels, Meißen, Eisenach, Suhl, Jena, Nordhausen, Staaken bei Berlin, im zweiten Buch auch von Berlin selbst wird zu lesen sein. Um ein wissenschaftliches Werk mit genauen Quellenangaben handelt es sich allerdings nicht. Aber, so denke ich, wenn wir Alten gar nichts erzählen, wäre der Blick auf die Vergangenheit trübe. Vom Erlebten soll erzählt werden. Orte, Namen und manche Freuden und Leiden aus der Versenkung tauchen auf. Mancher Mitmensch, selbst lange schon nicht mehr unter uns, wird noch einmal zurückgerufen aus der Vergessenheit. Es soll euch Enkeln erzählt werden vom täglichen Leben und täglichen Brot, vom Reisen, von der Schule. Vom täglichen Leben in der ehemaligen DDR auch. Versucht wird, euch darzustellen, wie wir uns anzogen und was die Höhepunkte unserer kindlichen Spiele waren. In gewisser Art und Weise sind meine so dargestellten Lebenswurzeln schließlich auch die eurigen. Denn sie wiederum haben eure Eltern in gewisser Weise geformt. Und ohne Wurzeln ist Leben nicht denkbar. Ein Bekannter sagte mir vor einiger Zeit, nach dem Tod seines Vaters habe er gemerkt, wie viele Fragen er hätte noch stellen sollen. Er wollte fragen nach der Familiegeschichte, nach Erinnerungen. Aber der Tod des Vaters verhinderte dies. Das hat mich überzeugt, jetzt zu erzählen, jetzt im Jahr 2011 aus meinem Leben zu berichten. So will ich also mit Gottes Hilfe beginnen.
Ja, von Gott wird immer wieder die Rede sein. Er hat mich begleitet bis heute, von meinem Taufspruch an, den ich am 7. Oktober 1945 in der Brüderkirche zu Altenburg vom Oberpfarrer Pokojewski zugesprochen erhielt und der dem 91. Psalm entnommen war:
Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest!
Dies hat mich getragen alle die Jahre, und manchmal hatten die Engel wohl reichlich zu tun, mich zu halten, wenn die Steine des Lebensweges manchmal sehr groß und hinderlich waren. Sie mussten leider auch physisch ein großes Gewicht tragen, denn ich bin nie leicht gewesen!
Die ersten Jahre
Nun habt ihr das erste Mal ein Datum gelesen. Ja, das Jahr 1945 ist mein Geburtsjahr. Mein Geburtstag ist der 23. August 1945. Der Zweite Weltkrieg war seit vier Monaten zu Ende. Ich bin also in einem Deutschland geboren, dass sich seit Mai im Frieden befand. Doch kam ich in einem am Boden liegenden Land in die Welt. In Zerstörung, Not und Ungewissheit tat ich den ersten Atemzug. Gemerkt habe ich davon zunächst natürlich nichts. Meine Mutter und die Großeltern umso mehr! Sie wiederum hätten berichten können von der Not und den Entbehrungen in den ersten Jahren nach Kriegsende.
Nun habt ihr auch einen Ortsnamen gelesen. Das ist meine Geburtsstadt Altenburg. Damals lag sie noch im Land Thüringen, in Deutschland, dann später ab 1949 in der DDR, im Bezirk Leipzig, heute wieder im Bundesstaat Thüringen, in dessen östlichster Ecke, nahe Sachsen. Diese Stadt habe ich geliebt und besuche sie auch heute noch im 66. Lebensjahr stets mit großer Freude und der gleichen alten Zuneigung. Nach Altenburg zu fahren, ist immer ein Fest. Auch Großmutter verweilt gerne dort. Die Stadt atmet für mich all die Vertrautheit, die Kinderorte so wertvoll macht.
Das Gebirge der Erinnerungen ist gewaltig, manches weiß man noch sehr genau, manches verblasst, wie ein altes Foto, wird kleiner und unbedeutender. Das Erscheinungsbild des heutigen Altenburg ist anders, es präsentiert sich mir vertraut-verändert. Es ist nicht mehr mein Kinder-Altenburg. Sicher wachsen Städte weiter, durch Verlust von alten Gebäuden ändern sie ihren urbanen Charakter, aus welcher Ursache auch immer. Noch in den Fünfzigerjahren konnte man vom Schmidtschen Park bis auf den Lerchenberg gehen, wo rechts am Ende des sehr schlechten Weges eine Steinbank stand. Von da aus bot sich ein Blick über Felder, von den großen Kirschalleen links geradeaus zur Riebeck-Brauerei. Nebenbei bemerkt, diese Kirschenalleen rund um Altenburg wurden zur Reifezeit der Früchte bewacht. Sehr zum Leidwesen der nach Obst verlangenden Kindermägen! Dann wurden die ersten Neubauten errichtet. In den Zeiten von Kohle und Chemie hatte Altenburg beinahe 48. 000 Einwohner. Der Grundriss des alten Altenburg spiegelt allerdings noch heute in seinen wichtigen Straßen und Plätzen die Stadtkonfiguration der vergangenen Jahrhunderte wider. Das städtische Leben drängte sich in den alten Gassen und Straßen der heutigen sogenannten Altstadt, auch später in den Neubauvierteln Lerchenberg, Sperlingsberg, Altenburg Süd und Nord. Dort waren neue Viertel entstanden mit dem bescheidenen Komfort der Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts. Einen großen Teil der ehemals vielen alten Häuser, Treppen und Gässchen, die ich noch gekannt habe, die findet ihr heute nicht mehr. Sie sind in sich zusammengefallen, abgerissen, unbewohnt oder gar komplett eingeebnet. An einigen Stellen haben fleißige Menschen solche Häuser glücklicherweise erhalten, wieder aufgebaut und sich ihr Leben darin eingerichtet. Einer der erstaunlichsten Vorgänge ist in jüngster Zeit ans Tageslicht gekommen. Es wurde im Bereich der Pauritzer Gasse ein Friseursalon gefunden, dessen Besitzer ihn 1966 aus Altersgründen geschlossen hatte. Alles ist so erhalten geblieben, als wolle der Meister gleich zurückkommen!
Altenburg war einer der unzerstörtesten Orte in Mitteldeutschland nach 1945, besaß aber bis 1990 den zweifelhaften Ruf, einen der größten nicht mehr existierenden oder als Ruinen anzusehenden Häuserbestand zu verzeichnen. Die alte Stadt begann, zu zerfallen. Seitdem hat sich viel getan. Auffällig ist dennoch, dass die Stadt wegen fehlender Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten regelrecht leer, ja ausgeblutet erscheint. An einem Sommerabend, so um das Jahr 1999 gegen 20 Uhr, bin ich einmal, aus einem Kaffee kommend, quer durch die Innenstadt zu meinem Hotel an der Landstraße nach Schmölln gegangen. Sage und schreibe acht Menschen habe ich getroffen, die noch unterwegs waren. Das schmerzte mich gewaltig, war die Innenstadt früher abends doch immer lebendig gewesen.
Der Krieg hatte Altenburg, obwohl es am nordwestlichen Stadtrand einen Betrieb der Rüstungsindustrie besaß, die HASAG, von Bombenschäden eigentlich im Großen und Ganzen verschont. Altenburg ist etwa 45 Kilometer von Leipzig entfernt, doch die Verluste durch Bombardierung zeigten sich nicht so verheerend. Die Städte der weiteren Umgebung dagegen, wie Leipzig, Gera oder Zwickau, sahen furchterregend aus, waren erheblich oder fast zerstört. Das kleine Altenburg behielt seine historische Substanz, das Residenzschloss, die Kirchen, die Innenstadt. Etliche Todesopfer hatte es allerdings in den kleinen Dörfern der Umgebung und am nördlichen Stadtrand gegeben. Nach Westen hin gab es Treffer an Häusern der Zeitzer Straße, zu nah lagen im kleinen Städtchen Rositz die Werke der Deutschen Erdöl-AG. Die Altenburger nannten den Betrieb die DEA und litten auch Jahrzehnte nach dem Krieg bei Westwind unter den Abgasen und dem Schmutz dieses oder benachbarter Chemiestandorte. Zu Ulbrichts Zeiten existierte dann der agitatorische Spruch, dass Chemie Schönheit, Wohlstand und Brot erzeuge. Daran kann nur der Verdienst wahr gewesen sein, denn am Ende der Achtzigerjahre verzeichnete man – öffentlich nicht aussprechbar – sichtbar und riechbar im Gebiet von Leuna und der Gegend südlich von Leipzig gesundheitliche und ökologische Schäden unerhörten Ausmaßes. Gewiss, durch den Niedergang dieser riesigen Industriegebiete haben sich schöne Landschaften entwickelt, ist die Luft wieder atembar. Den Preis dafür bezahlt meine Heimat leider mit hoher Arbeitslosigkeit und Abwanderung junger Menschen. Somit stimmen die seit Jahrhunderten gewachsenen Strukturen nicht mehr. Es wird viel Geld und Intelligenz künftiger Generationen bedürfen, um diese Mängel auszugleichen.
Von der Familie
Wie war ich denn nun dahin gelangt?
Da müssen wir weitere, tiefere Wurzeln besehen: das Leben der Großeltern und der Mutter. Die Familie von Olszewski stammt aus dem Baltikum, den Ländern an der Ostsee: Litauen, Lettland und Estland. Ganz ursprünglich waren sie nahe der Königsstadt Krakow im heutigen Polen ansässig. Ein Vorfahr hatte sich dort als Mundschenk im Wawel, dem Königsschloß, ausgezeichnet. Die alte polnische Familie von Olszewski entstammte der Schlachta, der Gruppe des niederen polnischen Adels. Allerdings gelang es dieser Familie, durch Heiraten neue verwandtschaftliche Verbindungen auch mit bedeutenden Familien Polens zu gestalten. Durch Umstände, die ich nicht kenne, gelangten die ersten von Olszewskis nach Kurland. Dort legten sie auch den katholischen Glauben ab. Großvater und Großmutter lebten bis 1939 in Riga an der Ostsee, im heutigen Lettland. Die Baltendeutschen siedelten seit Jahrhunderten in den Städten und auf dem Land der heutigen Ostseerepubliken – Estland, Lettland und Litauen. Damals gehörten diesen Gebiete natürlich zum Russischen Reich. Die Zaren hatten das Sagen. Die Balten lebten in etwas abgeschotteten Zirkeln und hielten sich streng an ihre evangelische Kirche. Sie sprachen ein hartes, aber leicht schwingendes Deutsch, geprägt mit dem durch die Zunge gerollten Buchstaben »R«. Sie hatten sich eine eigene Kultur bewahrt, obwohl Amtssprache und politische Verwaltung durch das zaristische Moskau und Petersburg bestimmt waren. Der Zar war durch Gouverneure und Beamte immer präsent. Das mochten viele Balten nicht, besonders die Besitzer der großen Güter. Die baltendeutschen Herren fügten sich aber der russischen Oberhoheit, wenngleich oft unwillig. Ihr Vasallenverhältnis zu den russischen Zaren ließ sie aber in einzelnen Fällen doch zu hohen Ämtern, zum Beispiel am kaiserlichen Hof in St. Petersburg, gelangen. Sie waren die Ersten, die viele Opfer und Verluste durch die erste Russische Revolution von 1905 erlitten haben. Die kommunistischen Agitatoren hatten schon früh der estnischen und lettischen Bevölkerung zu suggerieren versucht, ihre eigentlichen Unterdrücker und Klassenfeinde seien die baltischen Barone, die Deutschen also. Die versuchte man zuerst zu treffen, indem Gutshäuser beschädigt, evangelische Pastoren und junge wie alte Adlige ermordet wurden. Die zweite Revolution von 1917 beendete durch den Zusammenbruch des Zarenreiches die lange baltische Zeit im Ostseeraum.
Das Problem baltendeutscher Familien war schon beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges wieder deutlich geworden. Eigentlich hingen sie an ihren deutschen Wurzeln und dem Kaiserreich, ob sie den letzten Kaiser sehr mochten, weiß ich nicht. Bedingt durch die politische und geografische Lage mussten viele Söhne baltendeutscher Familien in der russischen Armee dienen, im Russisch-Japanischen Krieg sowie zwischen 1914 und 1918. Großvater erklärte das mit der Bemerkung, Vasallentreue ginge vor Blutstreue – aus heutiger Sicht ein völlig rätselhafter Begriff, ein Dissens in sich, aber im Verständnis dieser alten Familien sei dies die ehrliche und aufrichtige Lösung gewesen. Das führte sogar im Extremfall dazu, dass sich junge Männer gleichen Namens auf russischer oder deutscher Seite gegenüberstanden. Großvater und viele Männer seines Jahrgangs haben dann sehr unter den Bolschewiki gelitten. Bevorzugt zwang man bürgerliche und auch adlige Baltendeutsche zu Strafarbeiten. Güter wurden abgebrannt, viele baltische Väter und Söhne erschossen, Familien ausgelöscht. Aber auch Esten, Litauer und Letten haben später unter der kommunistischen