Wie ich zu den Kranken kam: Erinnerungen eines Älteren - Teil 2
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Über dieses E-Book
Diese Annonce war im Sommer 1970 in der "Thüringischen Landeszeitung" zu lesen. Inserent: Frank von Olszewski. Nach seiner Zeit auf den Schlössern und Burgen in der grünen Mitte Deutschlands hatte sich der gebürtige Altenburger auf die Suche nach einer neuen beru ichen Herausforderung begeben.
Just an ebenjene Findungsphase knüpft der vorliegende biogra sche Abriss an und begleitet den Autor durch die Jahre 1970 bis 1990, die er vor dem politischen Hintergrund der DDR im Gesundheitswesen verbringt. Vom Kreiskranken haus Eisenach, über Intermezzi in Suhl, Jena und Nordhausen zieht es den Krankenp eger schlussendlich in die renommierte Berliner Charité, als in der Hauptstadt bereits die Mauer zu bröckeln beginnt ...
Detailreich, zuweilen in Bildern, beruhend auf persönlichen Emp ndungen und eigenem Verständnis, berichtet der heute 66-Jährige in Anlehnung an die 2011 aufgezeichnete MDR-Dokumentation "Gesundheit DDR!", an der er maßgeblich mitgewirkt hat, in seiner Rolle als beteiligter P eger von einem Gesundheitssystem zwischen selbst gestelltem Anspruch und einer von Kostendruck und Mangel geprägten Realität.
Mit "Wie ich zu den Kranken kam" würdigt von Olszewski all diejenigen, die in diesen lang anhaltenden ideologisch wie materiell-technisch schwierigen Zeiten für die Kranken gearbeitet haben, Kraft investierten, Wissen und Einfühlsamkeit aufbrachten, um zu helfen, zu lindern und zu heilen.
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Buchvorschau
Wie ich zu den Kranken kam - Frank von Olszewski
Frank von Olszweski
Wie ich zu den Kranken kam
Erinnerungen eines Älteren Teil 2
1970 bis 1990
Verlag Neue Literatur 2013
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts ohne Zustimmung des Verlages ist unzulässig.
© by Verlag Neue Literatur | www. verlag-neue-literatur. com
Gesamtherstellung: Satzart Plauen
ISBN 978-3-940085-13-9
Wir sollten nie vergessen, daß die Gegenwart allein real und gewiss ist,
hingegen die Zukunft fast immer anders ausfällt,
als wir denken.
Arthur Schopenhauer
Es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch anwenden,
es ist nicht genug, zu wollen, man muss auch tun!
Johann Wolfgang von Goethe
Dies Büchlein ist all jenen Frauen und Männern gewidmet, die in lang anhaltenden ideologisch wie materiell-technisch schwierigen Zeiten für die Kranken gearbeitet und gelebt haben. An die soll erinnert werden, die Kraft und Zeit in Fülle investierten, Wissen und Einfühlsamkeit aufbrachten, um zu helfen, zu lindern und zu heilen. Dafür haben sie keine Mühen gescheut und waren sich nicht immer des Dankes gewiss. Die Erinnerungen an die Arbeit sämtlicher Schwestern und Pfleger, Ärztinnen und Ärzte, ja aller Mitarbeiter des Gesundheitswesens in der ehemaligen DDR, mögen durch vorliegendes Büchlein ein wenig transparenter werden! Gleichzeitig sei es auch für all jene gedacht, die unter heutigen Vorzeichen in dieser Nachfolge stehen und gern wissen wollen, wie es damals war!
Liebe Enkel, interessierte Leserinnen und Leser!
Nun lässt man sich also auf ein zweites Buch des gleichen Autors ein. Gut! So will ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, nicht enttäuschen!
Im ersten Band habe ich über mein Dasein und manche Ereignisse und Beobachtungen von 1945 bis 1970 berichtet. Natürlich setzte sich das Leben aber auch nach 1970 fort. So soll ein weiterer Zeitabschnitt beleuchtet werden, der diesmal nur zwanzig Jahre umfasst. Wenngleich dies keine große Spanne ist, wurde sie jedoch sehr intensiv – in beruflicher wie persönlicher Hinsicht – gelebt.
Beim Zusammenstellen des Erzählten habe ich mich abermals auf meine Erinnerungen verlassen und das Erlebte in einzelnen Abschnitten reflektiert. Sollten bisweilen Menschen und Orte, Ereignisse und Gestalten betrachtet werden, gilt auch hier, wie im ersten Buch, der subjektive Charakter des Lebensberichtes – es handelt sich um keine wissenschaftliche Analyse.
Das Leben in ebenjenen beiden Dekaden verlief immer noch unter denselben politischen Vorzeichen: hier die DDR, dort die Bundesrepublik, hier die Warschauer Vertragsstaaten, dort die NATO. Über Eisenach flogen weiterhin die Karavellen von West-Berlin nach Frankfurt am Main, ohne dass man teilhaben konnte. Wenn um 20 Uhr die Tagesschau auf Sendung ging, ergriff ein Großteil der DDR-Bürger nach wie vor die Flucht in den Westen. Beide Staaten und Bündnisse zeichneten sich überdies beharrlich durch ihre antipodenhaften Charaktereigenschaften aus. Wie es schien, beide unverrückbar in den jeweiligen Grundsätzen. Immerhin waren sie, neben der wirtschaftlichen Positionierung, in ihren militärischen Blöcken fest gebunden – die Bundesrepublik in der NATO, die DDR im Warschauer Pakt. Das sollte bis zum Herbst 1989 und dem Jahr 1990 so bleiben. Die schmerzhafte Teilung Deutschlands, die man im Eisenacher Land, das ja immer noch Grenzgebiet war, sehr deutlich zu spüren bekam, bestimmte fortwährend das Leben. Gelangten Besucher aus den USA, aus Italien, England oder woanders her aus dem »Westen« zu uns, so blieben das lediglich kurze, wenngleich interessante und solitäre Ereignisse. Auch hochgebildete Besuchergruppen aus Polen, Rumänien oder Ungarn besuchten die Wartburg.
Bei Letzteren merkte man deutlich, dass sie zwar auch aus sogenannten sozialistischen Ländern kamen, aber bessere Informationsmöglichkeiten als wir besaßen. Menschen aus den USA, England, Frankreich, Italien und anderen Staaten waren unsere Gäste. Manche verstanden unsere Klagen über die sperrende Grenzsituation, andere mochten sich nicht näher damit befassen.
Ich erinnere mich an drei amerikanische Pastoren in einer meiner Führungen auf der Wartburg, die aus dem nächsten Umfeld von Martin Luther King stammten. Die haben uns sehr gut verstanden, wenn wir Unfreiheit beschrieben und meinten!
In manchem anderen Besuchergespräch bekam ich leider den Eindruck, dass sich selbst die Bürger der Bundesrepublik wie auch manche in der DDR irgendwie mit der Teilung Deutschlands abgefunden hatten. Die Wirkungen der 1968er-Jahre waren bereits zu konstatieren. Die veränderten Auffassungen von westlicher Freiheit, besonders die der Individuen, nahmen auch meine Freunde und ich zur Kenntnis. Wir konnten in Eisenach, dank des ausgezeichneten Empfanges im Fernsehen vieles sehr gut verfolgen, auch wenn wir nicht begriffen haben, was in Westeuropa und im Westen Deutschlands so vor sich ging. Die Krawalle der Studenten verstanden wir nicht, nicht Dutschke, nicht Teufel, nicht die Bewegung der Wohnungskommunarden. Im Grunde genommen wussten wir noch überhaupt nicht, dass man sich auch mit Hilfe demokratischer Formen durchsetzen konnte.
Nun hat man damals aber auch nicht jeden Tag intensiv an die Situation der Brüche und Widersprüche der Teilung Deutschlands gedacht. Dafür war die Zeit im beruflichen Leben nicht ausreichend. Der harte Alltag erforderte, sich mit den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen des eigenen Lebens im eigenen Land vordergründig zu beschäftigen und das täglich. Unsere Situation war manchmal geradezu paranoid, denn in den Bezirken der DDR mit gutem Empfang der ersten und dann der zweiten Programme des bundesdeutschen Fernsehens wusste man sehr gut Bescheid über den Westen, die Bundesrepublik, Europa und Amerika. In Sachsen hingegen wusste man nicht sehr viel. Das lag jedoch nicht am sächsischen Menschen!
Sehr deutlich erinnere ich die Sendungen des Journalisten Peter von Zahn, der mit wunderbar strukturierter und scharf pointierter Sprache und Betonung aus der Welt berichtete. Mitunter habe ich seinen Sprachstil für Wartburg-Führungen nachgeahmt. Interessant waren für uns stets Übertragungen aus dem Bundestag, die Wahlen in den Bundesländern und zum Deutschen Bundestag. Diese Wechsel beobachteten wir sehr genau. Was immer an Kultur und Technik im Westen neu war, sahen wir staunenden Auges. Es war ein Kontrastprogramm zu unserer politischen Welt in der DDR. So näherten wir uns Stück für Stück einer West- und Welterkenntnis. Auf Bücher und Zeitungen aus dem Westen mussten wir verzichten. Den Spiegel und Die Welt las man, wenn man in Prag, Budapest oder Krakau war. Wer als Besucher oder Verwandter aus Westeuropa oder der Bundesrepublik zu uns kam, verfügte nur über begrenzte Zeit. Wer im Westen lebte, so musste ich leider gelegentlich feststellen, verstand die Hintergründe, unsere jugendliche Neugierde, ja, die Begierde auf ein anderes Leben als das in der DDR nur schwerlich bis gar nicht. Meine Freunde und ich waren so voller Fragen, die konnten nur äußerst selten ausgiebig beantwortet werden. Wir schulterten nun mal den Alltag in der östlichen der beiden deutschen Republiken.
Bei uns in der DDR, den Bezirken und Kreisen, regierten weiterhin das Politbüro, die Bezirks- und die Kreisleitungen der SED in ihren scheinbar ewig gleichen Zusammensetzungen. Anfang der 1970er-Jahre verstarb Ulbricht und wurde von Honecker beerbt. Mielke war immer noch da, ebenso das Politbüro, der Begriff »Stasi« blieb in seiner geheimnisvollen und drohenden Aura erhalten. Gewiss erlangte die DDR auch manchen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Fortgang. Aber die Ideologie blieb beim Alten, und das machte uns Jungen zu schaffen. Natürlich gab es auch in unserer Kulturszene Genossen der SED, die realer dachten als die leitenden Stellen. Aber es änderte sich nur wenig. Der Grundcharakter des Staates, wie die Diktatur des Proletariats hatten Bestand. Die Begriffe von Wahrheit und Klarheit in der Politik, auch heute muss das fortwährend neu eingefordert werden, blieben verdeckt von einer immer noch gewaltigen, wenngleich etwas raffinierter gewordenen Propaganda. Das Misstrauen gegenüber dem Bürger blieb bestehen. Daran änderte zunächst auch der sogenannte KSZE-Prozess nichts. Das Misstrauen gegenüber dem Staat und den handelnden Personen erhärtete sich. Besonders in den 1970er- und 1980er-Jahren wandte sich das staatliche Misstrauen immer häufiger gegen Einzelne, später gegen Gruppierungen von Menschen, in den Kirchen und selbst dort, wo man arbeitete.
In diese Zeit hinein erwuchs meine selbst gewählte große berufliche Veränderung. Es hieß nun Abschied zu nehmen, von den besonderen Problemstellungen der Kunst- und Kulturgeschichte, von Burgen und Schlössern, von musealen Fragen. Das bedeutete aber nicht, dass mein Interesse für all das erloschen war. Bei der Erziehung meiner Kinder habe ich davon noch reichlich Gebrauch machen können, was sie manchmal mehr, manchmal weniger mochten. »Der Born sprudelt wieder« haben sie oft gesagt. Viel später hat sie dieser sprudelnde Born dann in die Lage versetzt, bei kunstgeschichtlichen und kulturrelevanten Themen sehr fundiert mitreden zu können. Ich für meinen Teil bin noch heute in der Lage, bei der Zeitstellung von Bildern in Schlössern und Burgen exakt die Kleidung zu bestimmen. Kostümgeschichte war und ist meine Spezialität. Doch nun zurück.
Die Zeit im Gesundheitswesen der DDR war zunächst nicht so einfach. Auch wenn mir erbetene Weiterbildungen zugesagt worden waren und sich neue, ungeheuere Horizonte eröffneten. Selbstbestimmt stand ich im September 1970 vor einem gewaltigen Gebirge, das es zu erforschen galt. Nichts wusste ich von den Höhen und Tiefen, nichts von den oft unwegsam erscheinenden Schluchten der medizinischen Fachgebiete. Es war ein Wagnis! Heute kann ich mit jeder Faser meines Herzens sagen, es war gut, was getan wurde! Die folgenden zwanzig Jahre haben mich ausgefüllt und in ihren Bann gezogen. Immer tiefer gelang es mir, in unbekannte Gefilde vorzudringen. Bald genügten die Kenntnisse nicht mehr. Ich wollte nicht nur Bergbesucher sein, sondern als Bergführer die Menschen mitnehmen.
Ebenso groß und unwägbar wie das damalige Gebirge der Medizin, vor dem ich sehr klein, ja geradezu unwissend stand, ist nun das Gebirge der Erinnerungen. Wo soll man anfangen, wo aufhören? Habt Geduld mit mir! Ich werde diese Zeit so schildern, wie ich sie erlebte.
Heute sind Heilen und Pflegen völlig anders strukturiert als damals. Ärzte und Kliniken werden ganz anders organisiert und geleitet. Alles ist anders. Wobei unbeantwortet bleibt, ob es heute besser ist als damals. Da jeder seinen Grund hat, die alten Zeiten anders zu bewerten, gibt es kein Richtig oder Falsch. Zu unterschiedlich sind damals und heute, umgeben von unterschiedlichen politischen Rahmenbedingungen.
Das Gesundheitswesen verkörpert dieser Tage einen Teil sehr medial begleiteter Politik. Es ist öffentlich geworden. Millionen von Fachleuten, Bundes- und Landesregierungen, Patientenverbände und -vereine, Presse und Fernsehen tun das ihrige dazu und beschäftigen sich mit den Prozessen der Humanmedizin. Entsprechende Filme im Fernsehen, die Klinikalltag schildern und mit Konflikten umgehen wollen, sind leider nur zum Teil zu gebrauchen. Oft fehlt das objektive Bild, bei aller Beigabe liebenswerter Filmmenschen. Es ist mir derzeit aber kaum möglich, Veränderungen und Verbesserungen lauthals zu preisen. Ich kann nicht alles für gut befinden, so wie ich auch ja nicht alles verdammen kann. Beim Wissenszuwachs, im Forschungsprozess und bei den am Patienten angewendeten Methoden und Techniken ist der Fortschritt gewiss. Eine Aussage allerdings, ob es heute besser ist als früher, kann auch ich nur schwerlich treffen. Meine Antwort beruht auf ganz persönlichen Empfindungen und eigenem Verstehen. Ich will auch nicht von mir auf andere schließen, sie alle haben eigene Erfahrungen. Was den technischen Fortschritt und die Möglichkeiten der Therapien anbelangt, kann man sich zum Beispiel nur freuen, wie heute Schmerztherapie eingesetzt wird, unter der Voraussetzung allerdings, sie fällt keinem Kostendenken zum Opfer. Ich sehe aber auch deutlich die Nachteile moderner Medizin und Gesundheitspolitik. Sie setzt den Menschen, der sie ausüben will und muss, unter heftigen Druck. Das Reden mit den Patienten, das Erklären leidet darunter. Heilende untereinander werden zu Unzufriedenen, die aufgebürdete Last wird weitergereicht an Untergebene. Das Aussprechen notwendiger Wahrheiten und objektiver Fakten gestaltet sich zunehmend schwieriger. Die Medizin hat von Staats wegen immerfort gekostet. Heute verschlingt sie geradezu Unsummen an Geld. Das empfinde ich allerdings nicht gerade als Nachteil. Würde der Staat als solcher erkennen, dass innere und äußere Sicherheit, soziale Absicherung in allen Fällen sowie eine gut organisierte Medizin Grundaufgaben darstellen, die eine Gesellschaft zusammenhalten, die sie in der Gesamtheit gesund und lebensfähig und -freudig erhält, bräuchte nicht über ausgegebene Mittel geklagt werden. Etwas unruhig werde ich schon, wenn ich mir vor Augen führe, welche Folgen der Einsatz des medizinisch notwendigen Materials heute nach sich zieht. Man denke nur an die Unmengen von Sondermüll und schwer zu entsorgendem Abfall, die tagein, tagaus mittags aus den OP-Sälen geradezu ausgestoßen werden! Jetzt, in Zeiten zunehmender und deutlich sichtbar werdender Erdölknappheit und des Mangels an manch anderen Gaben der Mutter Erde, glaube ich, dass wir in der Medizin im täglichen Gebrauch zu Materialien gelangen müssen, die aus wieder sterilisierbaren und heimischen Rohstoffen hier vor Ort produziert werden. Es ist vorstellbar, dass sich die Medizintechnik und die Hersteller patientennaher Produkte bald in diese Richtung umstellen müssen. Eines jedoch glaube ich noch sicherer, nämlich dass modernste Wirtschaftsführung und Medizin kaum vereinbar sind. Ein Patient ist eben kein Kunde und ein Arzt sollte kein Manager sein. Das Heilen darf nicht von Kosten abhängig sein! Es ist ein ethischer und fachlicher Prozess, der den Staat Geld kostet!
Eine Medizin, wie ich sie euch in ihren Abläufen schildern will, die gibt es so nicht mehr. Sie spielte sich ab in Gebäuden, die zum Teil am Beginn des 20. Jahrhunderts oder früher noch, wie am Beispiel einiger Häuser des Klinikstandortes in Jena-Stadtmitte zu besehen ist, entstanden waren. Zudem war die Struktur der im Mittelalter angelegten Verkehrswege noch bis in das dann prägende 19. und frühe 20. Jahrhundert vorhanden. Daran orientierten sich auch die Gesundheitsbauten. Entsprechend gab es allerorts bauliche und technische Vorhaltungen. Nur eine Handvoll Krankenhäuser waren nach dem Krieg neu errichtet worden. Jedoch bedurfte es im Bereich der Polikliniken noch so mancher Neubauten. Man lebte bei ausgesprochenen Krankenhausbauten eigentlich vom Bestand, den die Väter uns errichtet hatten, wenngleich auch vieles im Krieg zerstört worden war. Wenige Ausnahmen für Bauten nach 1945 stellten zum Beispiel das Klinikum in Bad Berka für die Tuberkulosekranken und das Südstadtkrankenhaus in Rostock, einige Zeit Großmutters Arbeitsplatz, das Krankenhaus in Nordhausen oder die Charité in Berlin dar.
Für die neuen Bauten waren gewaltige Mengen Devisen und Materialien notwendig, die sich nur schwer aufbringen ließen. Ungeachtet dessen wurde sich in diesem alten Krankenhausbestand, der sich von Nord nach Süd erstreckte, bemüht, aus dem Vorhandenen das Beste herauszuholen. Es gab Ärzte und Mitarbeiter, die den Bestand an Wissen um ihre Disziplinen erweiterten. Es wurde geforscht unter den zum Teil unglaublichsten Bedingungen! Wer mag sich heute ausmalen, dass Hängebauchschweine durch Kellerfenster heimlich in eine Klinik gebracht wurden, um zu bestimmten Ergebnissen in der experimentellen Chirurgie zu kommen, nur weil ein Chef das anders nicht duldete? Wäre es heute denkbar, dem Wunsch eines leitenden Chirurgen zu folgen und eine Nierenentnahme in eine Poliklinik zu verbannen, weil ihm dafür der antiseptische Saal im eigentlichen OP zu schade war? Wer kann sich heute noch vorstellen, dass im Keller einer chirurgischen Klinik Ratten für Versuche lebten, deren Gerüche bis in die Eingangszone derselben Klinik drangen?
Bevor ich beginne, sei Folgendes vorangestellt: Meine Zeit im Krankheitswesen stand unter besonderen Vorzeichen, weshalb ich diese, meine erlebte Medizin, mit allen Facetten, unter den ökonomischen und politischen Gegebenheiten der DDR beschreiben muss. Es zeigten sich sowohl finanzielle als auch technische Mängel, es fehlte immer wieder an Devisen, um medizinische Gebrauchsgüter besonderer Qualität im Ausland zu erstehen und zu importieren. Das hat uns klar abgegrenzt von der Bundesrepublik.
Aus Platzgründen wird es wohl kaum möglich sein, zwanzig Jahre so aufzuschlüsseln, wie es mancher gern hätte. Das soll den Medizinhistorikern vorbehalten bleiben. Bestimmte Begriffe aus der medizinischen Fachsprache lasse ich so zu Wort kommen, wie sie eben waren oder noch sind. Ich versuche, alles so darzustellen, wie es verständlich und möglich ist. Den Rest erklärt euch bitte aus den zugänglichen Quellen! Oder macht euch die Mühe und seht euch medizinhistorische Sammlungen, wie zum Beispiel in Jena, an! An einigen Stellen wird auch Großmutter zu Wort kommen, die fast vierzig Jahre lang als Schwester und Fachkrankenschwester gearbeitet hat. Länger also als ich! An Unterlagen über diese Zeit besitzen wir viele Dokumente, die meisten Arbeitsverträge, meine Vorträge, Tagungsabläufe und Zeitungsausschnitte, sogar einige Fotos sind noch da. Beginnen wir im Herbst 1970 in Eisenach.
Entschluss und Beginn
Im September 1970 war ich nun fest entschlossen, im Kreiskrankenhaus Eisenach, damals wie heute in der Mühlhäuser Straße, jetzt aber als St.-Georg-Klinikum firmierend, eine Stelle als Hilfskrankenpfleger anzutreten. Nach meiner Anzeige in der Thüringischen Landeszeitung bekam ich etliche Zuschriften. In Eisenach existierten damals noch zwei konfessionelle Häuser, das Katholische Krankenhaus und das Diakonissen-Krankenhaus. Diese beiden Einrichtungen, wenngleich in altem Baubestand, erfreuten sich über Eisenach hinaus eines sehr guten Rufes. Das heute existente St.-Georg-Klinikum ist manchen Lesern vielleicht aus einer Fernsehserie mit einer gewissen Arztfamilie bekannt. Es sah damals ganz anders aus; am Hauptgebäude und sicher im gesamten Gelände sind Veränderungen vorgenommen worden, wenn auch erst nach 1990. Allerdings erkannte ich in besagtem Film mit Freude die Eingangslampen des Klinikums, heute wie damals mit dem Roten Kreuz in der Nacht leuchtend geziert, wieder. Die Rampe vor dem Haus, als Auffahrt genutzt, wurde abgetragen, ganz Neues ist hinzugekommen. Im Mai 2011 habe ich das Haus abermals besichtigt und festgestellt, wie modern der Zuwachs an Gebäuden und technischer Kapazität sind! Das hat mich sehr gefreut, wenngleich es mir auch nahe ging.
Erste Tage und Wochen
Nach den verwaltungstechnisch vorgeschriebenen Anlaufstellen, vermittels Laufzettel abzuklappern, wurde ich, mit meiner neuen Berufsbekleidung versehen, der Station Chirurgie III zugeteilt. Die vorgeschriebene Garderobe bestand damals aus Rückenschlusskittel, Hosen und einer langen Pflegerschürze, die ich fast nie trug. Später gab es auch Hemden, da der Kittel im Sommer doch recht warm war, zudem hinderlich, da er meist am Rücken offen stand und sich gern nach vorn verschob. In späteren Jahren wurde Berufsbekleidung wahlweise in blau oder grün angeboten. Das kam zu Zeiten auf, in denen auch die Schwestern keine Hauben mehr trugen. Darüber waren sie, so glaube ich, sehr glücklich, wenngleich damit ein wichtiges äußeres Erkennungszeichen für den Berufsstand der Krankenschwester verschwand. Die Patienten brauchten lange, ein Wesen ohne Schwesternhaube als ordentliches, pflegendes Exemplar anzuerkennen.
So ausgestattet, meldete ich mich nun beim Stationspfleger, der mir zugedacht war, Herrn Otto Schwarzer. Dieser war ein sehr erfahrener, mit vielen Kenntnissen versehener Mann, der schon im Krieg in der Krankenpflege, dort im Sanitätsdienst, gearbeitet hatte. Kurz nach dem Krieg soll er sogar in der Hautklinik in Eisenach recht maßgeblich gearbeitet haben und kundig in der damals sehr notwendigen Behandlung von Geschlechtskrankheiten und Meister im Anwenden von Salben und Verbänden gewesen sein. Er zeigte mir zuerst die Station, die nach Süden lag, im ersten Stock, und einige Patientenzimmer mit Balkon beherbergte. Es waren Mehrbettzimmer, nur selten gab es ein Zimmer mit nur zwei Betten. Schwarzer hatte die mundartliche Aussprache seiner Heimat, das Sudetendeutsch, mitgebracht und nie abgelegt. So tat ich mich anfangs schwer, Begriffe und Medikamentennamen, die ich bisher noch nicht kannte, aus dieser Mundart heraus für mich verständlich umzuformen. Man stelle sich vor, ein Medikament wird verlangt, mir völlig fremd, und diese Bitte wird auch noch sudetendeutsch formuliert! In etwa so: »Hole a mal das Bittarartterin!« Nach gewisser Zeit kamen Stationspfleger Schwarzer und ich gut miteinander aus, die anfänglichen Verständigungsprobleme waren vergessen. Die übliche »Mundart« der Mediziner, das Medizinerlatein, bereitete mir deutlich weniger Schwierigkeiten als Schwarzers Sudetendeutsch. Hatte ich doch ab der 5. Klasse in Altenburg privaten Lateinunterricht bekommen. Das kam mir nun zugute und das Sprechen und vor allem Schreiben der medizinischen Fachsprache ging mir glänzend von Hand und Mund. Ich lebte mich ein in einer besonderen Welt.
Nun lernte ich Eisenach und seine Bürger aus einer völlig anderen Perspektive kennen. Hier in der Klinik wurden aus den fröhlichen Konzert- und Wartburgbesuchern, von denen ich viele kannte und viele sich an mich erinnerten, hilfesuchende Patienten und nachfragende Angehörige!
Ein wenig über Station und Haus
Die Station Chirurgie III nahm Frauen und Männer mit den Diagnosen Blinddarmentzündung, Leistenbruch, Gallenbeschwerden und manch anderem auf. Darunter befand sich eine weitere chirurgische Station, die Chirurgie IV. Dort lagen die großen Frakturen, darunter meist sehr betagte Frauen und Männer mit der berüchtigten Schenkelhalsfraktur. In der Regel summierte sich der Bruch der Knochen hier mit einem recht ungünstigen Allgemeinzustand. Den Stationen III und IV gegenüber befand sich die innere Station, zum Haupteingang hin lag links die septische, die Station Mitte, darunter die Kinderstation und ganz am Ende, hinter dem Zimmer des Chefs, die Chirurgische Wachstation, die spätere erste Intensivstation. Gegenüber dem Haupteingang fand sich der OP-Fahrstuhl, der in die zweite Etage, in die Operationsräume führte. Im Erdgeschoss reihten sich Küche, Wäscherei- und Nähstube, Wäschelager und ein Speisesaal für die Mitarbeiter aneinander. Die Küche war damals sehr wichtig, denn Caterer und Essensdienste gab es nicht. In unserer Krankenhausküche wurde täglich frisch gekocht. Alle Mahlzeiten für das recht große Kreiskrankenhaus: ein Mittagessen für die Mitarbeiter und eine Diätküche für alle geltenden Diäten, die man auf einem vorgedruckten Zettel fand, der jeweils für den kommenden Tag ausgefüllt wurde. Dabei stellte ich fest, dass diätetische Kost, gut gemacht, etwas sehr Köstliches sein konnte. Überdies gab es jeden Tag Suppen und eine schmackhafte Brühe, die man als Zusatzkost für die Patienten ordern konnte. Zu den Wochenenden und Feiertagen verließen selbstgebackene Kuchen und verschiedene Arten Pudding die Küche. Zu dieser Zeit hielten zwei tüchtige Frauen das Zepter in der Hand und kümmerten sich mit etlichen Mitarbeitern um das leibliche Wohl des Krankenhauses. Barsch in ihrer Art, aber herzlich im Humor, so gaben sich diese aus dem Osten durch den Krieg umgesiedelten Frauen. Es dauerte nicht lange und der immer ein wenig bedürftige junge Krankenpfleger hatte einen nahrhaften Draht in die Küche aufgebaut. Die fachliche Oberaufsicht über die Speisen und Diäten gebührte allerdings den Internisten. Jeweils einer von ihnen musste am späten Vormittag als Verkoster und Begutachter in der Küche erscheinen, um das gesamte Speisespektrum zu prüfen. Einige Jahre später in Suhl hatten wir keine Innere und so habe ich, als Mitglied der Küchenkommission, diese Prüfaufgabe für einige Zeit übernommen.
Ein bisschen problematisch war das Holen der täglichen Mahlzeiten aus der Küche: eine lange Reihe von Schiebewagen, geführt von Schwestern.
An die Küche schlossen noch einige Bereitschaftsräume für Ärzte und Pfleger an. Leider waren die Flure, Kranken- und Dienstzimmer recht schlecht erhalten. Es schien lange nicht renoviert worden zu sein, dafür fehlten Mittel für Personal und Farben. Zum Teil waren Wände noch mit sogenanntem »Ölsockel« gestrichen, meist etwas grünlicher Färbung. Durch die Zimmer flirrte trübes Licht, zusätzliche Bettlampen wie heute gab es nicht. Zum Lesen war es meist etwas zu dunkel. Um diesen Zustand zu ändern, kam irgendein Genosse der Kreisspitze auf eine pfiffige Idee. Er stellte fest, dass diverse Patienten aus den umliegenden Dörfern stammten. Also wurde jeder Gemeinde oder der jeweiligen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft eine Station im Kreiskrankenhaus zugeteilt und ihr die Verschönerung der Räume aufgetragen. Die Produktionsgenossenschaften waren zum Teil recht betucht und verfügten über entsprechende Arbeitskräfte für solche Arbeiten. Also nahm man sich am Feierabend und an den Wochenenden die Zimmer des Krankenhauses vor. Nach