Lesereise Katalonien. Die ewige Suche nach des Esels Seele
Von Christian Leetz
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Über dieses E-Book
Auf der Suche nach einer Antwort begibt sich Christian Leetz auf eine faszinierende Reise: Sie führt ihn zu kleinen Pyrenäen-Dörfern im Norden und den Reisfeldern im Süden des Ebrodeltas, zu den einst so reichen Fischern und Thunfischjägern der Costa Brava und den sich überschlagenden Ereignissen der Millionenmetropole Barcelona mit ihren Festen und architektonischen Meisterwerken.
Es ist eine Reise ins kollektive Bewusstsein Kataloniens, zu historischen Schauplätzen im Gestern und packenden Momentaufnahmen im Heute.
Fast immer erzählen diese Geschichten von Freiheit; von der Suche nach ihr, von den Früchten ihrer Kunst - und dem irrigen Glauben, sie in Händen halten zu können. Kaum eine Region in Spanien hat unter der Herrschaft von General Francisco Franco so gelitten wie Katalonien und seine stolzen, manchmal auch sturen Menschen. Und trotzdem: Keine Region auf der Iberischen Halbinsel steht heute so gut da wie Katalonien.
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Rezensionen für Lesereise Katalonien. Die ewige Suche nach des Esels Seele
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Buchvorschau
Lesereise Katalonien. Die ewige Suche nach des Esels Seele - Christian Leetz
Rechts des Flusses
Die Entscheidung in Terra Alta
Maria und Alma waren Kinder, als es anfing. Der Sommerwind strich böig an der Serra entlang, die Hügel lagen als mattgrüner Scherenschnitt unter einem hellblauen Himmel, in den auch der Kirchturm von Corbera d’Ebre ragte, ringsum junge Weinstöcke, alte Olivenbäume, hellbraune frisch gepflügte Erde. Die Kamille blühte, Reste von Mohn, gelbe Blumenfelder. Es war ein Bilderbuchtag, als die Bomber am nordwestlichen Himmel auftauchten.
Die Staffel unter dem Befehl des von den Nazis als Fliegerass verehrten Werner Mölders nahm genau Maß: Es dauerte nur wenige Minuten und das Dorf in der Region Terra Alta wurde im Juli 1938 von der Legion Condor in Schutt und Asche gelegt, jener Staffel, die auch den von Pablo Picasso später gemalten Angriff auf Guernica im Baskenland flog. Der Spanische Bürgerkrieg war für Hitlers Luftwaffe, die in Spanien Millionen Tonnen Bomben abwarf, eine Generalprobe für den Zweiten Weltkrieg. Für Katalonien war die Schlacht am Ebro eine um die eigene Zukunft, ein Stellungskrieg mit der größten Front, die es je auf katalanischem Boden gab. Eine Schlacht, in der insgesamt neunzigtausend Soldaten den Tod fanden.
Maria und Alma sind heute beinahe siebzig Jahre alt, sie leben immer noch in Corbera d’Ebre, jeden Abend gehen die beiden hier oben spazieren, halten einander manchmal bei der Hand. Die Ruinen ihres alten Dorfes stehen noch genauso da wie an jenem Sommertag, ihrem persönlichen Albtraum. Es ist ein Mahnmal, wie es nur wenige gibt, ein Geisterdorf, die noch stehenden Mauern von Rissen durchzogen, Kanten und Details der romanischen Kirche von Granaten weggesprengt, verkohlte Balken ragen ins Leere, Wunden klaffen, Kakteen wuchern. Alles ist so vergänglich, der nächste Windstoß könnte alles zusammenschmeißen, ein Zeugnis von Gewalt und brutalem Bombardement.
In der neueren spanischen Geschichte hatten friedliche Lösungen wenig Tradition. Es waren wirre Zeiten, gewaltbereit, mit brüchigen Allianzen und Bündnissen. Katholisch-nationalistische, bürgerlich-liberale und sozialrevolutionäre Gruppierungen standen einander in langer Feindschaft gegenüber. Die unterprivilegierte Land- und Industriearbeiterschaft strebte radikale gesellschaftliche Umbrüche an, Katalonien und das Baskenland forderten die totale Emanzipation von der Zentralregierung; naheliegend, dass beide Seiten im Spanischen Bürgerkrieg (Juli 1936 bis April 1939) auf Seiten der Republik gegen die Putschisten unter General Franco kämpften, der den Großteil des Militärs um sich scharte.
Der Krieg wurde von Demagogen und politischen Verklärern zum Kampf zwischen liberaler Demokratie und Faschismus hochgejubelt, Revolutionsträume, denen auch prominente Ausländer wie George Orwell erlagen. Der Brite kam Ende 1936 als Zeitungsreporter nach Barcelona, um über den Spanischen Bürgerkrieg zu berichten. Mitgerissen von der Stimmung schloss er sich der Miliz des kleinen Partido Obrero de Unificación Marxista an und wurde im Kampf schwer verwundet. In seinem Buch »Mein Katalonien« schildert ein faszinierter Orwell die Szenen einer katastrophalen Front, vom »Krieg der Weltanschauungen« ist die Rede, geführt mit veralteten Waffen und unbändigem Siegeswillen. Der ehemalige deutsche Bundeskanzler Willy Brandt kam als Kriegsberichterstatter, andere reflektierten den Krieg in ihren Werken: Ernest Hemingway in seinem Roman »Wem die Stunde schlägt«, Bertolt Brecht in »Die Gewehre der Frau Carrar«, Egon Erwin Kisch schrieb eine Reihe von Reportagen. Der in Wien geborene Geschichtsphilosoph Franz Borkenau beschrieb die Soziale Revolution als etwas »Überwältigendes«, als etwas, »das sich von allem unterschied, was ich bisher gesehen hatte«.
Die Kriegsbegeisterung und das internationale Engagement waren groß: Die Sowjets lieferten Panzer an die Republik, Deutsche und Italiener halfen fleißig mit Material auf der anderen Seite. Beinahe jede Division der Republikaner hatte mindestens eine Internationale Brigade, neben Spaniern und Katalanen fielen Tausende von Österreichern, Deutschen, Ungarn, Franzosen, Polen, Briten und Amerikanern. Ihre Fotos, Briefe und Abzeichen zeigt das Centre d’Estudis de l’Ebre im Historischen Museum von Gandesa. Original-Filmaufnahmen zeigen die singenden Truppen beim Marsch in die Hügel, Geschütze donnern, Dreck spritzt, Tiefflieger kreischen, Bomben fallen, Maultiere schleppen Nachschub, Panzer pflügen durch Weinstöcke. Granaten und Gasmasken, Uniformen aller Länder vereinigt euch, Feldstecher, Munitionskästen, Gewehre, Tod.
Für den Ausgang des Bürgerkriegs gab es bei allem Idealismus von Anfang an nur zwei Möglichkeiten: eine stalinistische Diktatur, die all ihre Rivalen innerhalb der Linken zerschmettert hätte, oder das grausame militärische und klerikale Regime mit faschistischem Putz, wie es Franco letztlich zustande brachte.
Um der nicht allzu fernen Vergangenheit zu gedenken, wurde ein Wanderweg durch die Bergketten von Pàndols und Cavalls eingerichtet, die »Route des Friedens«. Wer ab Gandesa dem Symbol der weißen Taube folgt, läuft drei Tage lang die einst so schwer umkämpften Schicksalsorte ab: Miravet, Corbera d’Ebre, Benifallet, La Fatarella, Flix und Móra d’Ebre. Es sind sechsundsiebzig Kilometer durch eine Gegend, die friedlicher nicht anmuten könnte. Wer die Dörfer von den Hügeln aus sieht, bekommt ein Gespür für das Schreckgespenst der Zeit. Man fragt sich, wie verrückt Offiziere gewesen sein müssen, in solch landschaftlicher Schönheit Artilleriegeschütze auf Ortschaften abfeuern zu lassen, die wie sandfarbene Oasen daliegen.
Als die Ebroschlacht (25. Juli bis 16. November 1938) verloren war, die Front endgültig zusammengebrochen, erfolgte die Eroberung von Katalonien während der ersten beiden Monate des Jahres 1939. Tarragona fiel am 14. Januar, Barcelona am 26. Januar, Girona keine zwei Wochen später.
Die Folgen waren drastisch: Die katalanische Kultur wurde vom neuen Staatschef und Diktator Francisco Franco generell verboten, die Verwendung der katalanischen Sprache in der Öffentlichkeit streng bestraft, das eigene Schulsystem abgeschafft, Bücher öffentlich verbrannt, der Druck katalanischer Bücher und Tageszeitungen unterbunden, Bibliotheken gesäubert. Dem Krieg auf dem Schlachtfeld folgte ein Kulturkrieg. Identitätsstiftendes wie das Feiern katalanischer Feste, Tänze und Bräuche fand öffentlich nicht mehr statt. Hunderttausende Katalanen flohen aus Angst vor Repression ins Exil, gleichzeitig wurde die Einwanderung aus anderen Teilen Spaniens nach Katalonien gefördert.
Franco schaffte es trotz aller antikatalanischen Maßnahmen jedoch nicht, die Kulturnation Katalonien ihrer Dynamik zu berauben. Sie verfügt heute über eine große Lebendigkeit, das Bewusstsein von der jahrhundertelangen eigenständigen Geschichte ist stärker als je zuvor.
Die neue spanische Verfassung bildete 1978 die Grundlage für die Wiedereinführung des Katalanischen als Amtssprache. Die Zeit nach Francos Tod war geprägt von einer überbordenden Begeisterung für die eigene Kultur und Sprache. Im Jahr 1979 erlangte Katalonien den Autonomiestatus. Die Narben aber, die Francos Maßnahmen nach der verlorenen Schlacht am Ebrobogen im kollektiven Bewusstsein hinterlassen haben, führten zu einer Radikalisierung, einer Rückeroberung verlorenen Kulturraums bis hinunter nach Valencia und auf die Balearen: Das català wird heute mehr denn je als Sprache der Befreiung angesehen, alles Spanische offensiv zurückgedrängt. In Schulen und Universitäten wird auf català unterrichtet, Spanisch, castellano, ist inzwischen im öffentlichen Leben auf den Status einer Zweitsprache degradiert, Geschäfte müssen Waren per Erlass in català auszeichnen und Firmen ihre Stellen in Katalanisch ausschreiben, und auf den ehemals zweisprachigen Wegweisern an Landstraßen kann man die spanische Bezeichnung kaum noch finden.
Die Generalitat de Catalunya, in stetem Clinch mit der spanischen Zentralregierung, unterstützt diesen Trend nach Kräften, nach Meinung vieler Spanier treiben es die Katalanen mit ihrem Wir-sind-eine-Nation-Fieber allerdings zu weit. Überall weht an Gebäuden die rot-gelb-gestreifte katalanische Flagge, La Senyera, es gibt ein Gesetz, das die »Präferenz« des català im Regionalfernsehen, in Kinos und privaten Sendern mit Quoten festsetzt: fünfundzwanzig Prozent der im Rundfunk ausgestrahlten Lieder müssen auf Katalanisch erklingen – auch, wenn es der größte Schrott ist.
Das neue Selbstverständnis birgt Probleme: Katalonien zieht als Spaniens Wirtschaftsmotor Nummer