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Zwischen Godorf und Gomorrha: 23 mörderische Geschichten aus Kirche und Unterwelt
Zwischen Godorf und Gomorrha: 23 mörderische Geschichten aus Kirche und Unterwelt
Zwischen Godorf und Gomorrha: 23 mörderische Geschichten aus Kirche und Unterwelt
eBook304 Seiten3 Stunden

Zwischen Godorf und Gomorrha: 23 mörderische Geschichten aus Kirche und Unterwelt

Von cmz

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Über dieses E-Book

Die Abgründe des Rheinlands.
Die dunklen Seiten der Kirche.
Und schwarzer Humor.


Es gibt sie, die finsteren Geschichten um missachtete Gebote, um tödliche Sünden und um gebrochene Gesetze. Einige Stichworte dazu? Mord, Neid, Rebellenblut, Wollust, Hass, Friedhöfe …

23 Krimi-Autoren aus Deutschland haben u.a. die zehn Gebote der Bibel, die sieben Todsünden der katholischen Kirche und die vier Hochfeste des Christentums näher betrachtet und sich ihre ganz eigenen kriminellen Gedanken dazu gemacht.

Religion, die – Tochter von Hoffnung und Furcht; erklärt der Unwissenheit das Wesen des Unbegreiflichen.
Ambrose Bierce, Des Teufels Wörterbuch
SpracheDeutsch
Herausgebercmz
Erscheinungsdatum18. März 2017
ISBN9783870622558
Zwischen Godorf und Gomorrha: 23 mörderische Geschichten aus Kirche und Unterwelt

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    Buchvorschau

    Zwischen Godorf und Gomorrha - cmz

    Autoreninfo

    Gitta Edelmann, Jahrgang 1961, früher Übersetzerin in Rio de Janeiro, Freiburg und Edinburgh, Fremdsprachenlehrerin und Stadtführerin in Bonn. Heute Leiterin von Schreibworkshops, Krimiautorin (u. a. Canterbury Requiem und Canterbury Serenade) und Kinderbuchautorin (u.a. Ludwig und die Suche nach dem Geheimcode und Weltreise London – Die Meisterdetektive).

    Haupttitel

    Gitta Edelmann (Hg.)

    Zwischen Godorf und Gomorrha

    23 mörderische Geschichten

    aus Kirche und Unterwelt

    Impressum

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    © 2017 by CMZ-Verlag

    An der Glasfachschule 48, 53359 Rheinbach

    Tel. 02226-9126-26, Fax 02226-9126-27, info@cmz.de

    Alle Rechte vorbehalten.

    Umschlagfoto (Nächtliche Raffinerie):

    Mario Voigt, Schwalmtal

    Umschlaggestaltung:

    Lina C. Schwerin, Hamburg

    eBook-Erstellung:

    rübiarts, Reiskirchen

    ISBN Paperback 978-3-87062-176-6

    ISBN epub 978-3-87062-255-8

    ISBN mobi 978-3-87062-256-5

    20160717

    www.cmz.de

    Inhalt

    Vorwort

    Gisbert Haefs: Der Trauzeuge

    Die zehn Gebote

    Gabriele Hamburger: Appartement 08/15, Bonn-Tannenbusch

    Arnold Küsters: Ich, der wahre Diener des Herrn

    Vera Stegh: Gulasch

    Regina Schleheck: Doppelkopf

    Andreas Schnurbusch: Im Mittelpunkt der Welt

    Regine Kölpin: Der Umschlag

    H. P. Karr: Der Herr sieht alles

    Gitta Edelmann: Die Schwiegermutter

    Hans Helbach: Rebellenblut

    Heidi Möhker: Das Original

    Andrea Z. Rhein: Game over

    Die sieben Todsünden

    Andreas J. Schulte: Die blöde Kuh

    Günter Detro: Glück und Glas

    Rudi Jagusch: Das Geschäft meines Lebens

    Alexa Thiesmeyer: Félines Festvorbereitung

    Kerstin Brichzin: Herzschmerz

    Jutta Wilbertz: Giftgrün

    Anne Grießer: Vom verlorenen Sohn

    Die vier Hochfeste

    Cécile Ziemons: Gänsebraten

    Klaus Stickelbroeck: Ein faules Ei für Hartmann

    Paul Schaffrath: Tausend Zungen

    Jennifer Rendla: Halloween-Party

    Autorenverzeichnis

    Vorwort

    In Kirchen gibt es häufig Feste. Anlässe können Hochzeiten oder Taufen sein. Oder wie kürzlich ein Jubiläum: 200 Jahre evangelische Kirche in Bonn. Weihnachten und Ostern zelebriert man natürlich, und 2017 feiert zumindest ein Teil der Christen 500 Jahre Reformation. Bei solchen Gelegenheiten zeigt man sich im Allgemeinen gut gelaunt, festlich gekleidet und insgesamt von der besten, hellsten Seite.

    Aber wie sieht es mit der anderen Seite aus? Der dunklen, der möglicherweise … kriminellen?

    Wir haben einen Blick in düstere Ecken im Umfeld der christlichen Kirche im Rheinland geworfen und sind tatsächlich fündig geworden. Es gibt sie, die finsteren Geschichten um missachtete Gebote, um tödliche Sünden und um gebrochene Gesetze.

    Unsere 23 Autorinnen und Autoren haben ihre kriminelle Fantasie spielen lassen und sich an verschiedenen Orten im Großraum Köln / Bonn voller Ernst, aber auch mit schwarzem Humor der wichtigsten kirchlichen Themen angenommen. So entstanden ganz besondere Auslegungen der zehn Gebote und – schließlich sind wir im Rheinland – zusätzlich des elften Gebots »Du sollst dich nicht erwischen lassen«. Die Bibelstellen mit den zehn Geboten – in der sprachmächtigsten deutschen Übersetzung, nämlich der von Martin Luther – leiten die Geschichten ein. Für die Autoren stellten sich weiter die sieben Todsünden als ebenso inspirierend heraus wie die vier Hochfeste: Weihnachten, Ostern, Pfingsten und – Halloween, und so enthält dieses Buch nun eine bunte Kurzkrimi-Mischung.

    Neben Storys von bekannten und preisgekrönten Autoren finden Sie hier auch die drei Sieger-Geschichten des Schreibwettbewerbs, der zu Jahresanfang für unsere Anthologie »Zwischen Godorf und Gomorrha« ausgeschrieben wurde.

    Wir danken Jennifer Rendla, Vera Stegh und und Günter Detro für ihre ausgezeichneten Kurzkrimis und gratulieren noch einmal herzlich.

    Am Anfang unserer Sammlung steht die wunderbare Erzählung »Der Trauzeuge« von Gisbert Haefs, in der auf der Insel Patmos ein Römer dem Evangelisten Johannes entschieden widerspricht …

    Wir wünschen beste Unterhaltung und freuen uns, vielleicht auch von Ihnen zu hören: info@cmz.de.

    Bonn, im Juni 2016

    Gitta Edelmann, Herausgeberin

    Winrich C.-W. Clasen, Verleger

    Um das schlimme Gerücht aus der Welt zu schaffen, der Brand sei auf seinen Befehl gelegt worden, schob Nero die Schuld auf andere und verhängte über die, die durch ihr schändliches Gebaren verhaßt waren und im Volksmund ›Christianer‹ hießen, die ausgesuchtesten Strafen. Dieser Name leitet sich von Christus ab, der unter der Regierung des Tiberius durch den Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden war. Der für den Augenblick unterdrückte verhängnisvolle Aberglaube griff von neuem um sich, nicht in Judäa, wo dieses Übel entstanden war, sondern auch in Rom, wo alle Scheußlichkeiten und Abscheulichkeiten aus der ganzen Welt zusammenströmen und freudigen Anklang finden.

    Tacitus, Annalen XV, 44

    Gisbert Haefs:

    Der Trauzeuge

    Die Schiffer aus Miletos machten den einmastigen Frachter fest; der Schatten des Bergs bedeckte den Poller und kroch hinaus in die Bucht. Die Besatzung begann mit dem Ausladen der Waren – Körbe mit Früchten und Gemüse, Amphoren mit Wein, große Krüge mit eingelegtem Fleisch, bastumwickelte Schinken –, wobei Kinder, einige Frauen und ein paar Greise aus dem Dorf eher hinderlich als hilfreich waren.

    Zwei alte Legionäre musterten die gestapelten und aufgereihten Güter, machten Stichproben und gaben sie dann frei. Ein dritter betrachtete ohne Interesse den Fahrgast, der mit steifen Bewegungen an Land geklettert war, einen Moment auf dem festen Boden schwankte, die Hände gen Himmel hob und dann zwei Körbe mit Tragriemen über die Bordwand zerrte. Noch ein Verbannter, der elfte oder zwölfte, den sie auf Patmos zu hüten hatten. Der Kapitän des Schiffs reichte dem alten Soldaten die Papyrosrolle, auf der Name, Tat und Urteil verzeichnet waren.

    Der Legionär, der nicht lesen konnte, grinste und hob die Schultern. »Dein Name, exoticus«, sagte er.

    Der Verbannte schüttelte den Kopf und versuchte ein Lächeln, aber es endete weit unterhalb der dunkel glimmenden Augen. Der Mann starrte nach den flachen hellen Häusern des Orts, schien die Kinder, Frauen und Greise neben dem Schiff zu zählen, blickte dann hinauf zum Berg und den Sträuchern und Ziegen. Er war ungepflegt, mit zottigem Bart, strähniger Mähne, grauer Wollkleidung, und er stank.

    Der alte Legionär knurrte etwas und wiederholte die Frage auf Griechisch. »Dein Name, Barbar?«

    »Jochanan«, sagte der Fremde. »Oder Ioannes. Das ist gleich.«

    »Mir sowieso.« Der Legionär spuckte aus. »Komm.« Er winkte mit der Papyrosrolle.

    Die Soldaten – zwei Dutzend – und der invalide Centurio bezogen etwa ein Drittel ihres früheren Solds, 100 Denare jährlich, der Offizier 150; sie hatten Grundstücke zwischen Bucht und Berghang erhalten, Material für den Bau ihrer Häuser und genaue Anweisungen. Nun lebten sie dort, zum Teil mit Familien, und bewachten die zwei- oder dreihundert Fischer samt ihrem uralten Hang zu Schmuggel und Piraterie und die wechselnde Zahl dauerhaft oder vorübergehend Verbannter. Der Neue mochte vor ein paar Tagen irgendwo König gewesen sein, Prophet, hoher Beamter oder kleiner Unruhestifter; für sie war er nur neu und lästig. Kein Grund, ihm mit den beiden Tragekörben zu helfen. Der eine war mit Wachstuch bespannt und enthielt wahrscheinlich Rollen und Schreibzeug – ein verrückter exoticus.

    Jochanan folgte dem Legionär über den Kai, dessen Pflasterung nach ein paar Schritten endete. Er ging unsicher unter der Last, auf dem unebenen Boden, nach der Bootsfahrt. Wieder betrachtete er die weißen Häuser, die wenigen Schiffe – die meisten Fischer waren auf dem Meer –, die Gärten mit Obst- und Ölbäumen, Gemüsebeeten und Kleinvieh, die struppigen Hänge mit Ziegen und Felsen. Dann seufzte er.

    Wenig später seufzte auch Marcus Calpurnius. Der alte Centurio hatte die Fischer zu beachten, die Verbannten zu bewachen, den Priester des Orts zu lenken, die emeritierten Legionäre bei Laune zu halten und den Sold zu verwalten, damit die Männer nicht alles auf einmal beim Händler aus Samos ausgaben, der einmal im Monat Patmos anlief; er hatte seine kränkelnde Frau zu versorgen, wobei der allmählich wunderlich werdende Sklave Otho kaum noch half, und bei schlechtem Wetter hatte er Schmerzen im Stumpf des rechten Beins. Nach einer üblen Verletzung mit beginnendem Wundbrand hatte man es ihm unter dem Knie abgeschnitten, vor 21 Jahren. Patmos war ein allzu ruhiger Ort für einen alten Krieger; immerhin hatten er und die emeriti eine Art Aufgabe, für die sie Sold bezogen; also keine Klage. Und manche der Verbannten brachten gute Geschichten mit in diese Einöde, Geschichten, die die Zeit schneller tropfen ließen und die Nächte erhellten. Aber in diesem Fall zerstörte der erste Blick bereits alle Hoffnungen. Marcus hatte das Bein in Jerusalem verloren, bei der Befriedung unter Titus. Jochanan brauchte kein Wort zu sagen; der Centurio wußte sofort, wohin der Mann gehörte und daß der Grund für die Verbannung eine absonderliche Ausprägung religiösen Wahns sein mußte. Deshalb seufzte er.

    Zu allem anderen kam das Problem der Unterbringung. Stumm betrachtete er den bärtigen, strähnigen Mann im schweißigen Wollgewand (Wenn er sich wenigstens wüsche! dachte er und fragte sich, warum so viele, die am Mund eines Gottes hingen, die Nasen der Menschen vergaßen); dann musterte er den Korb, der vermutlich die mehr oder weniger unheiligen Schriften enthielt. Die emeriti und ihre Angehörigen nahmen einmal täglich gemeinsam ein warmes Mahl zu sich; die Verbannten bewohnten ein großes Haus und hatten sich selbst zu versorgen. Wohin mit dem Neuen? Marcus sah bereits den Ärger – Reden, Streitgespräche, Predigten, der Neue und sein grimmiger Ein-Gott gegen die anderen und ihre vielen verträglichen Götter. Dann schob er das Kinn vor und wies auf eine Biegung des Ziegenpfads am Berghang, nördlich der Siedlung.

    »Da oben, siehst du? Die Büsche wie eine Pyramide? Dahinter ist eine kleine Höhle, in der Nähe eine Quelle. Sieh zu, daß du allein zurechtkommst. Kein Streit; ich will keine Göttergespräche; nichts. Du wirst dich selbst versorgen. Vorräte kriegst du von uns. Geh.«

    Abends ließ Marcus sich vom milesischen Schiffer den neuesten Klatsch erzählen. Sie saßen auf der Terrasse aus gestampftem Lehm, unter dem Spalier, wo Efeu den Wein längst erwürgt hatte, tranken und sahen zu, wie die Fischer in den Hafen liefen. Der Mileter erzählte, Kaiser Domitianus, dominus et deus, habe aus Furcht vor weiteren Verschwörungen fast alle Philosophen und Schriftsteller aus Rom verbannt. »Als ob man besonders gebildet sein müßte, um diesen Kaiser loswerden zu wollen.« Der Provinzgouverneur habe einige Prediger einer neuen Sekte hinrichten lassen, weil sie durch ihre Unduldsamkeit den öffentlichen Frieden störten. Ein Buchhändler aus Miletos habe ihn gebeten, diese Rollen mitzunehmen; er habe elf Denare vorgelegt.

    Der Centurio gab dem Schiffer das Geld am nächsten Morgen. Als das Boot in die Bucht glitt, klemmte er sich die Rollen unter den linken Arm, nahm den Stock in die rechte Hand, verfluchte sein Holzbein und machte sich auf den steilen Weg.

    Sextus Pomponius Albus war weit über achtzig Jahre alt; vor zehn Jahren hatte er der Welt freiwillig den Rücken zugewandt und sich auf dem flachen Gipfel des Bergs über der Bucht ein Haus errichten lassen. Er kannte das für Bürger gesperrte Patmos und die für Sondergenehmigungen zuständigen Leute. Von der Terrasse sah man im Osten und Westen das Meer, im Norden und Süden die kargen Hügel. Der ehemalige Kavallerieoffizier, später hoher Beamter der Provinzverwaltung in Numidien, lebte dort mit drei Sklaven und vielen Buchrollen. Er kam nur noch selten herab; für den Greis war der steinige, gewundene Pfad allzu beschwerlich. Marcus hätte die Rollen einem der Sklaven geben können, wenn sie Fisch oder Früchte im Dorf kauften, aber er sprach gern mit dem alten Mann – zwei greise Krieger am Ende der Welt und der Jahre.

    Pomponius begrüßte den Centurio mit einem Knurren. Der alte Mann lag auf einem leichten lederbespannten Gestell, trank verdünnten Wein und starrte nach Westen übers Meer. Marcus Calpurnius zog einen Scherenstuhl neben das Bettgestell, setzte sich und legte sein Holzbein auf die Bettkante.

    Pomponius richtete sich mühevoll auf, klatschte in die Hände, stützte sich auf die Ellenbogen. Der schwarze Sklave aus dem südlichen Mauretanien erschien.

    »Wein«, sagte Pomponius. »Wasser. Und Kissen.«

    Als der Sklave alles gebracht hatte, half Calpurnius dem Älteren dabei, die Kissen halbwegs behaglich in den Rücken zu stopfen. Dann reichte er ihm die Rollen.

    Pomponius deutete auf die Amphore und den Krug, dann entrollte er die Bücher und hielt sie mit ausgestreckten Armen vor sich, eines nach dem anderen. Er kniff die Augen zusammen; dennoch bereitete es ihm Mühe, die Titel zu lesen.

    »Ein Thukydides – Ersatz für den verbrannten Text«, sagte Calpurnius. Er schielte hinüber, identifizierte die nächste Rolle. »Xenophons Schrift über die Staatsfinanzen. Das dritte Dings könnte ganz interessant sein. Die lateinische Fassung vom Bericht eines karthagischen Händlers über die Goldlande am westlichen Ozean und einige Reisen dorthin.«

    Pomponius lächelte, legte die Rollen beiseite. »Ich danke dir sehr, Freund. Es wird mühsames Lesen; der Britannier macht nur langsam Fortschritte, und der Inder?« Er hob die Schultern.

    Calpurnius kratzte sich den Kopf. »Noch immer nichts von dem Sklavenhändler, der dir einen Schreiber besorgen soll. Und ich verstehe zu wenig davon, außerdem …«

    Pomponius winkte ab. »Ich weiß, du hast andere Sorgen. Und gute Schreiber kommen selten auf den Markt. Es wird noch dauern. Gibt’s was Neues? Da war doch gestern ein Boot …«

    Calpurnius nickte und berichtete von den Klatschgeschichten des Kapitäns. Schließlich sagte er: »Ach ja, und ein neuer exoticus. Ah, überhaupt – er hat Rollen, müßte lesen können. Könnte sich nützlich machen. Ich weiß nicht, ob er auch schreiben kann. Soll ich ihn zu dir schicken?«

    Pomponius stülpte die Lippen vor. »Tja. Weshalb ist er verbannt? Du weißt, ich kann mich nicht mehr wehren …«

    Calpurnius keckerte leise. »Brauchst du nicht.« Er berichtete von Jochanan, beschrieb ihn kurz und sagte schließlich: »Und er stinkt.«

    Pomponius deutete aufs Meer. »Hier ist genug frische Luft. Also Jude, wegen religiösen Wahns und Anzettelung von Aufruhr hierher verbannt?«

    Calpurnius zögerte. »Ijaaa – sieht aber alles seltsam aus.«

    »Inwiefern?«

    »Für einen großen Aufruhr hätte man ihn gekreuzigt oder gesteinigt. Und für einen kleinen wird man aus der Stadt geschickt, nicht auf die Insel verbannt. Der Mileter sagt, diese Wahnsinnigen, wie heißen sie, Nazoräer? Christianer? Egal, also die Leute, zu denen Jochanan gehört, hätten inzwischen auch Leute in den höheren Ämtern der Provinz. Er weiß nichts Genaues; sieht aber so aus, sagt er, als ob jemand dafür gesorgt hat, daß Jochanan hierher geschickt wird.«

    Pomponius rieb sich die tiefliegenden Augen. »Kommt mir seltsam vor. Wenn da jemand die Hand über ihn hält, dann doch wohl eher, um ihn freizukriegen, oder?«

    Der Centurio schwieg. Eine fette, schillernde Fliege krabbelte sein heiles Bein entlang. Als sie den Oberschenkel erreicht hatte, kurz unter dem Saum des Chitons, schlug er zu.

    »Patsch. Mieses Viehzeug. Also, dieser Jude – könnte er deinetwegen hergekommen sein?«

    Pomponius fuhr sich mit dem Zeigefinger über die Nase. »Hm. Meinst du? Bloß weil ich damals mit diesem Sha’ul geredet habe? Oder weshalb?«

    Marcus schnaubte. »Was weiß ich! Vielleicht will er dich fragen, weil du dabeigewesen bist, aber nach Patmos kommt man nur als Verbannter.«

    »Schick ihn rauf. Vielleicht hat er ja eine erträgliche Stimme und kann lesen. Weniger Langeweile für beide.«

    Calpurnius runzelte die Stirn. »Und du meinst nicht, daß er dich mit seinem Unfug behelligen wird?«

    Pomponius lachte hohl. »Ich bin unzugänglich für allgemeine oder spezifische Formen jüdischen Aberglaubens.«

    Pomponius lehnte am Geländer der Terrasse, als Jochanan erschien – mit gestutzten Haaren, gestutztem Bart und sauberer, heller Kleidung. Etwas an den Augen des Mannes mißfiel dem Römer, aber dann war der Verbannte schon zu nah, und Pomponius sah nur noch verschwommene Züge.

    »Du brauchst einen Vorleser, Herr?« Jochanans Griechisch war fast akzentfrei. »Der Centurio sagt es. Er sagt auch, daß Verbannte einem alten römischen Offizier zu gehorchen haben.«

    Pomponius ging mit langsam schleifenden Schrittchen zu seiner Liege und ließ sich sinken. »Die Augen eines Greises gehen in die Ferne und in die Vergangenheit. Meine Sklaven stammen aus Mauretanien, Britannien und Indien, und was sie laut lesen, ist meinen Ohren unzuträglich. Ja, ich wäre dankbar, wenn du gelegentlich für mich lesen könntest. Du bist Jude?«

    Jochanan setzte sich erst, als Pomponius auf den Scherenstuhl deutete. »So ist es, Herr – und dann auch wieder nicht.«

    »Wie kann etwas sein und auch nicht sein?«

    »Ich stamme von Juden ab, habe aber nie Judäa oder Galiläa betreten. Und mein Glaube ist nicht mehr der meiner Ahnen.«

    Pomponius schloß einen Moment die Augen. »Ich weiß. Du bist einer von diesen Fisch-Leuten, die dem gekreuzigten Aufrührer Jehoschua anhängen, nicht wahr? Deshalb hat man dich verbannt.« Er öffnete die Augen wieder. »Nein, natürlich nicht deshalb. Rom kümmert sich nicht um deinen oder einen anderen Glauben. Du hast einen Aufruhr verursacht, deswegen.«

    Jochanan schwieg, senkte nur den Kopf.

    Pomponius wartete; schließlich sagte er: »Nun, wie auch immer, es ist nicht mein Geschäft … Nimm die oberste Rolle und laß mich deine Stimme hören.«

    Jochanan gehorchte. Er las Xenophons absurde Finanzlehre mit einer kräftigen, offenbar geschulten Stimme, die für Pomponius weder angenehm noch unangenehm war, sondern einfach gut zu hören. Er hatte Ausdauer, bat nur irgendwann um Wasser. Da er von sich aus nichts zu seiner Person und seinem Glauben sagte, erschien er Pomponius erträglich genug, so daß er ihm befahl, am nächsten Tag wiederzukommen. Den Sklaven sagte er, sie sollten bis auf weiteres die Mahlzeiten für einen zusätzlichen Esser einrichten.

    Das Wetter blieb ruhig; Pomponius und sein Vorleser konnten tagelang auf der Terrasse sitzen, lesen, bisweilen über das Gelesene reden. Jochanan behauptete zwar, kein Latein zu verstehen, aber nach einigem Zögern und Stocken konnte er sogar den karthagischen Reisebericht lesen. Pomponius hatte zwar nicht das Gefühl, der Vorleser verstünde, was er las, aber es war hinnehmbar.

    Als sie mit der dritten Rolle fertig waren und Pomponius vorschlug, am folgenden Tag zu Homer zu greifen, bat Jochanan darum, einige Minuten etwas anderes tun zu dürfen.

    »Wie du wohl weißt, Herr, denn der Centurio wird es dir gesagt haben, besitze auch ich einige Rollen. Nun wäre ich dir dankbar, wenn ich an einem deiner Tische ein wenig damit arbeiten dürfte. In meiner Höhle ist es beschwerlich.«

    Pomponius stimmte zu, mit einem leicht spöttischen Lächeln.

    Am folgenden Tag las Jochanan ihm den ersten Gesang der Odyssee vor; danach aßen sie. Pomponius schleppte sich zu seiner Liege und dämmerte in den Nachmittag, während Jochanan an einem Tisch saß und Schriften entrollte, murmelte, hin und wieder ein wenig kritzelte, eine andere Rolle befragte, seufzte, wieder schrieb. Schließlich bat er darum, die Rollen im Haus lassen zu dürfen, wo sie besser und trockener aufgehoben seien als in der Höhle am Berghang. Pomponius gestattete es ihm; in den großen offenen Regalen des Hauses lagen viele Tonröhren mit Papyrosrollen, aber noch war genug Platz. Abends, lange nachdem Jochanan ihn verlassen hatte, kam der alte Centurio.

    »Es geht gut mit ihm«, sagte Pomponius. Dann kicherte er. »Zuerst hat er vorgelesen. Dann hat er gebeten, mit seinen eigenen Rollen arbeiten zu dürfen, an einem Tisch, statt auf den Steinen seiner Höhle. Ich bin gespannt, wie er es anstellt, mich für sie zu interessieren.«

    Calpurnius grinste. »Wahrscheinlich wird er, statt zu murmeln, irgendwann beim Lesen seiner Rollen lauter werden, ächzen, was auch immer. Bis du nicht mehr weghören kannst.«

    Am nächsten Morgen kam Jochanan später als gewöhnlich. Er wirkte ein wenig verstört.

    »Herr, verzeih die Verspätung. Ich hatte einen schlimmen Traum und fürchte, daß mein Gott mir entsetzliche Dinge gezeigt hat. Deshalb …«

    Pomponius lächelte verhalten. »Eine gute Eröffnung«, murmelte er. Dann sagte er: »Was hat dein Gott dir gezeigt?«

    Jochanan sprudelte einiges an wirren, bildhaften Sätzen hervor, unterbrach sich aber bald.

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