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Franz und Klara von Assisi: Eine Doppelbiografie
Franz und Klara von Assisi: Eine Doppelbiografie
Franz und Klara von Assisi: Eine Doppelbiografie
eBook497 Seiten4 Stunden

Franz und Klara von Assisi: Eine Doppelbiografie

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Über dieses E-Book

Seit 800 Jahren fasziniert Franziskus mit seiner Liebe zur Welt, der spirituellen Tiefe, aus der er schöpft, und der Freiheit, in der er gelebt hat. Und Klara wird heute neu entdeckt: Gerade Frauen bewundern ihre sensibel-mutige Art, trotz vieler Widerstände eine eigene Form der Jesusnachfolge zu leben.
Niklaus Kuster betrachtet erstmalig und umfassend das Leben und die Spiritualität der beiden Gestalten aus Assisi in ihrem Zusammenspiel. Kenntnisreich stellt er die äußeren und inneren Wege beider Heiliger dar und ermöglicht so einen bewegenden Einblick in zwei bis heute bedeutsame Lebensgeschichten.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum22. Nov. 2012
ISBN9783786729822
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    Buchvorschau

    Franz und Klara von Assisi - Niklaus Kuster

    NAVIGATION

    Buch lesen

    Cover

    Haupttitel

    Inhalt

    Chronologie

    Personenverzeichnis mit Stammtafeln

    Glossar

    Quellenverzeichnis

    Bildteil

    Über den Autor

    Über das Buch

    Impressum

    Hinweise des Verlags

    Niklaus Kuster

    Franz und Klara von Assisi

    Eine Doppelbiografie

    Matthias Grünewald Verlag

    INHALT

    Vorwort

    Der Wegbegleiter: Bruder Rufin

    Streiflichter auf die Vorgeschichte

    Assisi in der Antike und im Frühmittelalter

    Selbstbewusst und zerrissen

    Assisi in den Jahren 1174–1210

    Ein neuer Blick auf Assisi

    Franziskus und Klara entdecken die Schattenseiten ihrer Stadt

    Ein radikaler Seitenwechsel

    Franziskus bricht mit Familie, Zunft und Stadt

    Eine mutige Odyssee

    Klara entscheidet sich

    Ein Geist – zwei Wege

    Vita apostolica für Brüder und Schwestern

    Die Freiheit der Armut und die Sorge der Kirche

    Jahre im Zeichen des Wachstums

    Krisenjahre mit Lichtblicken

    Schwellenerfahrungen zwischen 1221 und 1224

    Abschied und Vermächtnis

    Franziskus’ letzte Jahre

    Ringen mit Mutter Kirche

    Die Schwestern und Brüder von 1227 bis 1243

    Der Weg zur eigenen Regel

    Klaras letzte Jahre

    Ein Geist – zwei Orden

    Franziskaner und Klarissen auf dem Weg durch die Zeit

    Chronologie

    Personenverzeichnis mit Stammtafeln

    Glossar

    Quellenverzeichnis

    Bildteil

    Vorwort

    Seit 20 Jahren boomt die Klaraforschung. Sie eröffnet faszinierende Einblicke in die Lebenswelt einer Schwester, die jahrhundertelang im Schatten des berühmten Bruders stand. »Schattenfrau und Lichtgestalt« heißt denn auch die Dissertation von Martina Kreidler-Kos aus dem Jahr 2000, die das menschliche und spirituelle Profil Klaras eindrucksvoll herausarbeitet. Sie betont Klaras Eigenständigkeit und kritisiert moderne Autoren, deren Bücher und Artikel die große Schwester über Franziskus definieren.

    Klara ist keine Jüngerin des Heiligen. Die beiden großen Gestalten von Assisi sind auch kein mystisches Paar. Die Schwester ist nicht »die starke Frau, die hinter jedem großen Mann steht«. Und doch sind die beiden Lebenswege untrennbar miteinander verknüpft. Klara hätte ihren mutigen Weg der Nachfolge ohne männliche Verbündete nicht gehen, ihre lebendige Frauenkirche vor den Toren Assisis ohne Brüder nicht bauen und die Konflikte mit der Amtskirche ohne brüderlichen Rückhalt schwerlich durchhalten können. Franziskus selbst überrascht mit einer weiblich geprägten Spiritualität: Die Sorge der Brüder füreinander soll mütterlich sein, ihr Leben kann an den Schwestern Marta und Maria von Betanien Maß nehmen, Gott darf mit weiblichen Namen gepriesen werden und alle Menschen sollen in den schwesterlich-brüderlichen Gesang des Kosmos einstimmen.

    Es fehlt nicht an modernen Versuchen, Franziskus und Klara enger zu verbinden. Filme tun es meist romantisch. Franco Zeffirellis »Bruder Sonne – Schwester Mond« lässt die beiden schon in jungen Jahren gemeinsam durch blühende Mohnwiesen streifen. Liliana Cavanis Film »Franziskus« zeichnet ein kritischeres Bild, gesellt Klara jedoch ohne Gefährtinnen zu den Brüdern, mit denen sie als einzige Frau die eine Bruderschaft bildet. In der Miniserie »Chiara e Francesco«, die Fabrizio Costa 2007 für das italienische Staatsfernsehen RAI gedreht hat, schreitet Klara in heller Kutte barfuß hinter Franziskus über eine taufeuchte Wiese. Auf seine verwunderte Frage, ob sie seinen Spuren folge, antwortet sie lächelnd: »Tieferen Spuren!« In krassem Gegensatz zu romantischen Spielfilmen glauben Historiker wie Helmut Feld und Jacques Dalarun Indizien einer unglücklichen Liebesgeschichte zu entdecken. Der französische Mittelalterforscher Dalarun stellt irritiert fest, dass Franziskus den Namen Klara in keiner seiner überlieferten Schriften verwendet, während die Schwester immer wieder auf den Bruder zu sprechen kommt. Der süddeutsche Historiker Feld spekuliert in kühner Ferndiagnose über ein verliebtes Mädchen, das Franziskus wohl so aufdringlich nachlief, dass er es in die Klausur von San Damiano einsperren musste. Leonardo Boff zeichnet in seinem Buch »Zärtlichkeit und Kraft« ein sensibleres Bild vom Zusammenspiel der beiden Heiligen, wobei der Befreiungstheologe mehr der modernen Psychologie und Seelsorge als einer geschichtlichen Spurensuche verpflichtet ist.

    Diese Doppelbiografie möchte die beiden Lebensgeschichten in eine historisch verlässliche Zusammenschau bringen. So sehr sich Franziskus und Klara durch ihre Herkunft, ihre Lebenswelt und ihre Berufung unterscheiden, so untrennbar hat ihre neue Lebensweise sie miteinander verbunden: nicht in einer Freundschaft, sondern in einem Bündnis, nicht als Liebespaar, sondern mütterlich und geschwisterlich, nicht nur mystisch, sondern auch politisch.

    Bruder Rufin von Assisi wird in diesem Buch zum kundigen Begleiter der Leserinnen und Leser: Als Cousin Klaras und als vertrauter Gefährte des Franziskus kennt er beide Lebenswege, die Differenzen ihrer sozialen Herkunft ebenso wie ihre spirituelle Verwandtschaft. Die biografische Zusammenschau sucht den Stand der aktuellen Forschung wiederzugeben und bemüht sich um eine sachlich-nüchterne Darlegung. Wo Bruder Rufin erzählt, wird die mittelalterliche Lebenswelt der beiden Hauptpersonen subjektiver ausgeleuchtet. Der mystisch begabte Gefährte kommt auch auf die »innere Biografie« der beiden zu sprechen, ihre tieferen Quellen und die Weite ihrer Spiritualität. Bruder Rufin gilt zudem als eigentlicher Informant der Dreigefährten-Sammlung, die zuverlässiger als alle offiziellen Biografien über die Ereignisse in Assisi berichtet: Unser Gewährsmann ist mit der Quellenlage vertraut und vermag zeitgenössische Zeugnisse auch kritisch zu beleuchten.

    Hinter diesem Buch, das die äußere und die innere Biografie zweier großer Persönlichkeiten skizziert, steht nicht nur ein Autor, sondern gibt es auch »Mitautorinnen«: Sr. Ancilla Röttger und Dr. Martina Kreidler-Kos, mit denen ich seit zehn Jahren in gemeinsamer Forschungsarbeit verbunden bin, haben mir wertvolle Zugänge zu Klaras Welt eröffnet. Als Schwester und als Freundin Klaras werden sie an vielen Stellen Früchte eigener und gemeinsamer Arbeit wiedererkennen. Nicht weniger dankbar nenne ich meine Lehrer am Spiritualitätsinstitut und an der Hochschule für Mittelalterstudien der franziskanischen Universität Antonianum in Rom: speziell die Professoren Leonhard Lehmann, Fernando Uribe und Marco Bartoli, die mich mit der Vielfalt an Quellen von und über die beiden Heiligen vertraut gemacht haben.

    Ich danke den beiden Verlagslektorinnen Daniela Naumann und Andrea Langenbacher, die diese Doppelbiografie angeregt und ihren Werdegang engagiert begleitet haben. Das Buch erscheint in einer speziellen Jubiläumszeit: 800 Jahre, nachdem Klara sich im Frühling 1211 als Schwester zu den Brüdern gesellt und ihren eigenen Weg der Nachfolge gefunden hat.

    Assisi, in der Osterwoche 2011

    Br. Niklaus Kuster

    Zur zweiten Auflage

    Etwas mehr als ein Jahr nachdem dieses Buch die Druckerei verließ, Zeilen für die zweite Auflage zu schreiben, übertrifft alle meine Erwartungen. Echos von berührten Leserinnen und angeregten Lesern auch über den deutschen Sprachraum hinaus unterstreichen die Chance, welche die weltweit erste Doppelbiografie der beiden Heiligen zu nutzen hoffte: Zwei Lebensgeschichten in der Zusammenschau zu betrachten, Franz und Klara in ihrem Zusammenspiel zu verstehen und Spiritualität männlich-weiblich zu lesen. Parallel zu diesem Buch erschien Unheilige Paare? Liebesgeschichten, die keine sein durften. Die Freiburger Dogmatikerin Elke Pahud de Mortanges widmet sich darin auch Franz und Klara. Bruder Rufino begleitet Sie auf eine spannende Spurensuche, die allerdings keinem Paar gilt – und einer Liebesgeschichte der anderen Art.

    Olten, im November 2012

    Rufino, Cousin Claras und Gefährte des Franziskus.

    Glasfenster des sizilianischen Franziskaners Alberto Farina im Felskloster Greccio (1989). © Franziskanerkloster Greccio

    Der Wegbegleiter: Bruder Rufin

    Sie möchten das hochmittelalterliche Assisi kennenlernen und zwei großartigen Biografien nachspüren. Es freut mich, dass ich Ihr Wegbegleiter sein darf. Mein Name ist Rufin und ich bin ein Sohn dieses Städtchens. Als Rufino di Scipione aus dem edlen Geschlecht der Offreduccio wuchs ich in der Oberstadt auf. Mein Weg war aufs engste mit Francesco und Clara verbunden. Die berühmte Schwester ist meine Cousine. Wir wurden miteinander im selben Wohnturm erwachsen: ich als junger Ritter und sie als ›nobildonna‹, eine bildhübsche Adelstochter und von manchen jungen Rittern der Stadt umschwärmt. Mit dem Kaufmannssohn Francesco, seinem Freundeskreis und seiner Zunft hatten wir Aristokraten nichts zu tun. Wir gehörten zur Oberschicht, den ›boni homines‹. Er dagegen war ein Bürger, ein Neureicher aus der Unterschicht. So nahe wir in der Kleinstadt Assisi auch zusammenlebten, unsere Welten waren klar getrennt. Man legte Wert auf den Status der Geburt und die feudale Gesellschaftsordnung. Erst als Francesco mit seiner Vaterstadt brach und sich ihm Gefährten anschlossen – so auch ich –, geriet vieles durcheinander. Nicht mehr Abstammung und Besitz zählten da draußen vor den Mauern. Wir nannten uns Brüder und begannen, in allen Menschen unsere Geschwister zu sehen: Bauern und Ritter, Bürgerinnen und Aussätzige. Eine »revolutionäre Bewegung«, würde man Jahrhunderte später sagen. Ich war der erste Ritter aus dem alten Adel Assisis, der zur neuen ›fraternitas‹ stieß. Damit begann auch für mich ein neues Leben. Eine verrückte Geschichte, von der noch die Rede sein wird.

    Als einer der vertrautesten Gefährten Francescos ging ich viele Wege mit ihm und bin Teil seines Lebens geworden. Als auch Clara Feuer fing und ebenfalls den Fußspuren Jesu folgen wollte, stellte ich die ersten Kontakte her. Ich kenne Claras Weg auch nach ihrer Flucht, begleitete das Entstehen ihrer Gemeinschaft und blieb San Damiano verbunden, bis die Schwestern nach Claras Tod in ein neues Kloster zogen. Bruder und Weggefährte des Francesco, Cousin und Vertrauter Claras: die Nähe zu beiden erlaubt mir, Sie durch zwei sehr unterschiedliche Lebensgeschichten und durch unsere gemeinsame Welt zu begleiten.

    Streiflichter auf die Vorgeschichte

    Assisi in der Antike und im Frühmittelalter

    Sie möchten zwei große Menschen kennenlernen, die Geschichte geschrieben haben. Diese Geschichte begann in der kleinen Stadt Assisi. Mein Heimatort zählt heute nicht einmal 30000 Einwohner und doch treffen sich da die Weltreligionen zu gemeinsamen Friedensgebeten. Assisi verbindet wie kein anderer Ort die Religionen und die Völker der Erde. Ich staune selbst, wie es dazu kam! Hätten wir damals im Jahr 1210 geahnt, welche Kreise unser kleiner spiritueller Aufbruch ziehen würde!

    Unser Weg beginnt im Herzen Assisis: Der belebte Hauptplatz war nie meine Welt. Als Adliger wuchs ich am Domplatz weiter oben auf, und unser Wohnturm stand ganz nahe beim romanischen Kirchturm, der heute noch würdevoll und mächtig über die Stadt schaut. Die ›Piazza del Comune‹ erinnert an die Revolution, die zu meiner und Francescos Jugendzeit die alte Ordnung zerschlug. Seither ist sie der Mittelpunkt der Stadt.

    Der Hauptplatz erinnert zugleich sichtbar an eine ältere Geschichte. Der antike Tempel mit seinen korinthischen Säulen zählt zu den besterhaltenen in ganz Italien. Johann Wolfgang von Goethe schrieb fasziniert in sein Reisetagebuch, ein Besuch Assisis lohne sich einzig dieses antiken Tempels wegen. Der große Dichter der deutschen Klassik ist nicht der Erste und längst nicht der Letzte, der sich nur sehr kurz in Assisi aufhält. Der wirkliche Reiz der Stadt lässt sich so nicht entdecken und der Geist von Assisi, den die Weltreligionen hier finden, nicht erfahren. Dazu muss man sich tiefer auf Assisi und seine reiche Geschichte einlassen.

    Schauen Sie sich die Piazza an: Schon frühmorgens erwacht hier das Leben. Beamte marschieren mit Aktenkoffern ins Rathaus. Aus den Bars der Piazza dringen Stimmen, Gelächter und das Geräusch der Espressomaschinen. Ladenbesitzer kurbeln die Jalousien hoch. Drei Restaurants rücken ihre Tische auf dem Pflaster der Piazza zurecht. Vor dem Zeitungsladen diskutieren reifere Herren leidenschaftlich die neuesten Schachzüge der Regierung in Rom. Bis Mitternacht wird hier das Leben pulsieren. Bisweilen muss man sich durch Scharen von Menschen schlängeln. An Sommerabenden wird da oft getanzt und gesungen: Jugendliche aus allen Ländern Europas feiern Feste, oft improvisiert und lebensfroh.

    Francesco gehörte zu jenen, die schon um 1200 auf der neuen Piazza del Comune tanzten, politisierten und Geschäfte machten. Der Adel blieb diesem Treiben damals fern. Clara hat die Piazza kaum je betreten. Mädchen und junge Frauen lebten ohnehin eingeschlossen im adligen Turmhaus. Auch ich habe sie gemieden, die Welt der Zünfte, den Markt, den Ort der Volksversammlung, den Tummelplatz der verwöhnten Bürgerjugend, Schaubühne ihrer Feste und ihrer nächtlichen Streiche.

    Tausend Jahre früher war diese Piazza das religiöse Zentrum des antiken Assisi. Der Minervatempel an ihrer Nordseite geht auf die frühe römische Kaiserzeit zurück. Assisi bewahrt mehrere Zeugen seiner antiken Glanzzeit: Im Fundament des Domturmes werden wir ein antikes Reservoir antreffen. Ganz oben bei der Porta Perlici treten wir dann in die Reste des antiken Amphitheaters. Ein Teil seiner ovalen Arena ist vom Halbrund eines Häuserrings bebaut. Doch nicht erst seit 2000 Jahren leben da Menschen. Die Geschichte der Stadt beginnt lange vor der Zeitenwende. Lassen wir den Historiker die Vorgeschichte in kurzen Zügen skizzieren. Wer sich erst für die Zeit um 1200 und die Welt von Francesco und Clara interessiert, kann sich hier ausklinken und nach einem Espresso beim nächsten Kapitel wieder dazustoßen.

    Geschichtliche Meilensteine des alten »Asisium«

    Assisis Geschichte beginnt mit den Umbrern, einem der vielen alten Völker Italiens. Sie siedelten im Herzen des italienischen Stiefels. Ihr Kerngebiet lag südlich der rauen Apenninzüge hinter Gubbio, westlich der Picener in der Mark Ancona, östlich der Etrusker in der Toskana und nördlich der Sabiner und der Latiner. Bis heute ist Umbrien die einzige Binnenregion der Halbinsel südlich des Po: die einzige Region ohne eigenen Zugang zum Meer. Hirten und Halbnomaden, die mit ihrem Vieh durch das Spoletotal zogen, hinterließen keine Spuren, die uns von ihrem Leben erzählen würden. Erst das Sesshaftwerden macht ein Volk für spätere Zeiten fassbar. Archäologische Funde im Gebiet Assisis reichen bis 1900 vor Christus zurück. Schon damals, als weite Gebiete nördlich der Alpen noch von Urwald bedeckt waren, haben sich hier Menschen niedergelassen, haben Vasen geformt, Werkzeuge hergestellt, Tauschhandel getrieben, Felder bestellt und Gottheiten verehrt.

    Antike

    Spätestens im sechsten vorchristlichen Jahrhundert stand auf dem Gipfel des Monte Subasio ein Heiligtum: Der höchste Ort über dem Zusammenfluss von Spoleto- und Tibertal war den Göttern geweiht. Auch in Assisi, auf der sonnigen Flanke des Berges, deuten Bronze-Statuetten auf einen Kultort hin. Die Funde zeigen griechische Einflüsse. Die Kultur Athens prägt Umbrien schon früh über die griechischen Kolonien in Süditalien und über die Etrusker in der nahen Toskana.

    Damals gewann das Kulturvolk der Etrusker in halb Italien dominante Bedeutung. Es dehnte seine Macht von der Poebene bis nach Latium aus. Das heute umbrische Orvieto wird zum Delphi Etruriens: heilige Stadt und Pilgerzentrum. Auch Perugia wird etruskisch, nachdem sich die Umbrer über die Tibergrenze zurückdrängen ließen. Das Kerngebiet der Umbrer bleibt im Vergleich zum mächtigen Nachbarn viel kleiner. Es umfasst die Städte Gubbio, Gualdo Tadino, Spoleto, Norcia, Todi und Assisi. Eine besondere Siedlungsdichte weist das Spoletotal, die Valle umbra, auf. Es war in vorgeschichtlicher Zeit von einem See bedeckt, ähnlich wie das Rietital, die Hochebene von Gubbio und bis heute das flache Becken des Lago Trasimeno. Die vielerorts noch sumpfigen Ebenen erklären die Vorliebe der alte Umbrer, ihre Städte an Hanglagen oder auf Hügelkuppen zu bauen. Weitere Beispiele sind Spello, Trevi, Nocera Umbra, Giano und Bettona.

    Im vierten Jahrhundert vor Christus entwickelt sich auf dem nordwestlichen Ausläufer des Subasio eine kleine Umbrerstadt, die in der Senke zwischen großer und kleiner Burg vermutet wird. Im dritten Jahrhundert gerät dieses Städtchen unter den Einfluss Roms, das seine Macht zielstrebig in alle Richtungen ausdehnt. Im großen Punierkrieg sieht Assisi Hannibals afrikanisches Heer vorbeiziehen. Es hat im Juni 217 vor Christus in der legendären Schlacht am Trasimenischen See die römischen Legionen unter Konsul Gaius Flaminius vernichtet. Auf ihrem Weitermarsch Richtung Rom fackeln Hannibals Soldaten auch die Getreidefelder in Assisis Ebene ab. Das punische Heer wird erst von der Stadt Spoleto gestoppt und über den Apennin gedrängt.

    Erst um 100 vor Christus befestigt Assisi sich mit einer starken Mauer von 1500 m Länge. Im Jahr 89 vor Christus wird Assisi ein municipium und damit eine römische Landstadt mit vollem Bürgerrecht. Neben der Amtssprache Latein bleibt Umbrisch Umgangssprache. Unter Augustus und den folgenden Kaisern erlebt die Stadt die Blütezeit ihrer römischen Kultur. Minervatempel und Amphitheater markieren nicht nur den Glanz jener Epoche, sondern auch die Ausdehnung der römischen Stadt. Sie reicht von der Senke der Porta Perlici, wo sich das Amphitheater seit 50 nach Christus an den Hügel schmiegt, zum Dom, wo der eigentliche Marktplatz (Forum) vermutet wird, und über künstliche Terrassen bis zur jetzigen Piazza Comunale. Als religiöses Zentrum wurde diese damals vom Minervatempel überragt.

    Das einstige Heiligtum der Minerva ist heute einer der besterhaltenen antiken Tempel Italiens. Die Göttin wurde vor allem von Sabinern, Latinern, Umbrern und Etruskern verehrt. Sie galt zunächst als Patronin des Handwerks und des Gewerbes. Später hat man sie mit der griechischen Athene verschmolzen und auch zur Beschützerin der Dichtkunst und der Lehrer ernannt. Sie hütete das Wissen und liebte die Künste. Als Göttin der Weisheit wurde sie zudem von Strategen und Feldherren angerufen, und seit Augustus wachte sie auch über die Führung des Staates. Es passt daher, dass die antiken Tempelsäulen auch heute auf das politische Treiben, die kunstvollen Feste und das wirtschaftliche Gebaren Assisis schauen.

    Der Tempel bewahrt seine klassische Fassade aus dem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Die damalige Front sah weit prächtiger und der Vorplatz monumentaler aus: Breite Säulenhallen flankierten den Tempel auf beiden Seiten und hohe Treppen führten zum Opferaltar, der vor den Stufen rund vier Meter tiefer als das heutige Steinpflaster lag. Von Säulenhallen umgeben, gab der Platz den Blick in die weite Ebene frei. Zahlreiche Statuen von Gottheiten säumten das religiöse Zentrum der antiken Stadt. Die Verwandlung des Haupttempels in eine Kirche hat die antike Gebäudehülle einzigartig intakt gehalten. Das antike Pflaster ist ausgegraben und zugänglich gemacht worden. Im unterirdischen Museum »Foro Romano« (es wird fälschlicherweise so benannt) lassen sich auch die Fundamente des Opferaltars sehen, deren Lage auf dem heutigen Platz weiß markiert ist, und Statuen römischer Gottheiten, die hier verehrt wurden. Auch Castor und Pollux gehören zu ihnen, und einzelne Lokalhistoriker wollen den Minervatempel den Zwillingsbrüdern zuschreiben.

    Neben diesem Tempelbau, dem Amphitheater, Grabmälern, dem Reservoir im Domturm und dem alten Straßenpflaster sind uns aus der klassischen Antike auch Texte des Assisaner Dichters Sextus Aurelius Propertius überliefert. Properz lebte kurz vor Christi Geburt und dichtete wie sein Zeitgenosse Ovid Liebeselegien.

    Völkerwanderung

    Nach drei blühenden Jahrhunderten der pax augusta setzt im Westen des römischen Kaiserreichs ein langsamer und beharrlicher Zerfall ein. Im Jahr 330 verlegt Kaiser Konstantin die Hauptstadt des Imperiums in die neu gebaute Stadt Konstantinopel am Bosporus. An Donau und Rhein überrennen germanische Völker die Reichsgrenzen. Auch in Assisi enden Brot und Spiele. Im Amphitheater bleiben die Tierkämpfe aus und in der römischen Wagenrennbahn auf der heutigen Piazza Matteotti wächst Gras. Im Jahr 476 stürzt der Germane Odoaker als Feldherr in römischen Diensten Romulus Augustulus: Der letzte Kaiser des Westreiches trägt den Namen des legendären Stadtgründers und den Titel des ersten Kaisers – sinnigerweise in der Verkleinerungsform. Ein tausendjähriges Imperium bricht zusammen. Umbrien wird zuerst von den Westgoten ausgeplündert, dann von Byzanz erobert und schließlich von Totilas Ostgoten unterworfen. Nach einem Jahrhundert der Wirren und Kriege bringen die Langobarden Ruhe ins Spoletotal. Als letzte Invasoren der Völkerwanderungszeit beziehen sie Umbrien in ihr Königreich mit dem Zentrum Pavia ein.

    Frühes Mittelalter

    Die Langobarden wählen Spoleto zum Zentrum ihres südlichen Herzogtums. Wie andere alte Umbrerstädte zerfällt Assisi zusehends und wird über Jahrhunderte zu einem Trümmerfeld. Vier Meter Schutt lagern sich auf dem Platz vor dem Minervatempel ab. Am Zugang zum Domplatz und im Dom selbst, wo die Antike metertief verschüttet liegt, ist jüngst ein Teil des römischen Straßenpflasters wieder sichtbar gemacht worden. Eine kleine Restbevölkerung lebt im Frühmittelalter zwischen den Ruinen der antiken Stadt. Das ändert sich auch unter den Karolingern nicht, die das Langobardenreich vor 800 nach Christus fränkischer Herrschaft unterwerfen und in Spoleto einen eigenen Herzog einsetzen. Ihre Raubzüge plündern auch noch die Reste des Landstädtchens Assisi aus.

    Anzeichen einer neuen Entwicklung zeigen sich zwei Jahrhunderte später in kirchlichen Großbaustellen: Abteien wie San Benedetto hoch oben am Subasio, San Paolo delle Abbadesse in Bastia und San Pietro unterhalb Assisis entstehen und entfalten ihre prachtvolle klösterliche Kultur. Am unteren Rand der antiken Stadt entsteht bereits um 900 die Bischofskirche Santa Maria. Sie wird später den Titel »Maggiore« bekommen, um sie von der kleinen Santa Maria delle Rose in der Oberstadt zu unterscheiden. Auf den Trümmern des alten Forums kündet der Neubau der San Rufino-Kirche ab 1030 den städtischen Aufschwung an.

    Hohes Mittelalter

    Tatsächlich ermöglichen eine günstige Erwärmung des Klimas und verbesserte Techniken in der Landwirtschaft, dass sich Italiens Bevölkerung im 11. und 12. Jahrhundert verdoppelt: Rodungen schaffen neue Anbauflächen, der Räderpflug und die Dreifelderwirtschaft steigern den Ertrag, Mühlen bewirken eine erste Mechanisierung. Der demografische Aufschwung führt nach dem agrarisch geprägten Frühmittelalter zu einem Neuerwachen der Städte, das in Italien schon ab 1000 nach Christus und nördlich der Alpen etwas später einsetzt. Incastellamento heißt die Bildung von befestigten Siedlungen um Burgen oder Kirchen, die zu Städtchen anwachsen und sowohl Adel wie Bauernstand anziehen. Inurbamento nennen Historiker diese Abwanderung in die Stadt.

    Im zwölften Jahrhundert vollzieht sich auch in Assisi ein rasantes Wachstum: Der Adel, der weite Teile des umliegenden Landes besitzt und da auch über Herrensitze verfügt, besetzt die einst römische Oberstadt und errichtet sich Wohntürme. Am Abhang des Asiohügels entsteht in der neuen Unterstadt eine schnell wachsende Bürgerschicht. Sie bildet Handwerksberufe und eine effiziente Arbeitsteilung aus. Mit Gewerbe und Handel gewinnt die Bürgerschaft wirtschaftlich zunehmend an Einfluss. Auch die römisch-deutschen Kaiser werden auf das aufblühende Städtchen aufmerksam. Friedrich I. Barbarossa fördert den strategisch günstigen Vorposten des kaiserlichen Herzogtums Spoleto, von dem aus sowohl das Spoletotal wie das Tibertal überblickt werden kann. Am 21. November 1160 stellt der Stauferkaiser in Pavia eine Urkunde aus, die dem kleinen Assisi eine für Mittelitalien einzigartige Freiheit gewährt: Es wird aus dem Herzogtum Spoleto herausgelöst, mit seinem Umfeld zu einer Grafschaft erhoben und direkt dem Kaiser unterstellt. Damit entzieht Barbarossa Assisi seinem Onkel Welf VI. von Bayern, Herzog von Spoleto und Herr über Tuszien und Sardinien, dessen Treue er sich nicht mehr sicher sein kann.

    Als sich in Umbrien und der Mark Ancona kurz darauf eine antikaiserliche Opposition aufbaut, rebelliert 1164 auch Assisi gegen den Kaiser. In den folgenden Jahren erobert der Mainzer Erzbischof Christian von Buch als Erzkanzler des Reiches Mittelitalien zurück und unterwirft 1174 auch Assisi. Über dem Subasiostädtchen entsteht eine mächtige Burg, die über die weite Ebene wacht und von Spoleto bis Perugia sichtbar ist. Ihre Größe hat Propagandafunktion und soll dem nahen Perugia, das auf der anderen Seite des Tibers bereits zum päpstlichen Einflussgebiet gehört, die kaiserliche Macht vor Augen halten. Und damit kommen wir in die Zeit, in der Franziskus das Licht der Welt erblickt.

    Selbstbewusst und zerrissen

    Assisi in den Jahren 1174–1210

    Wir alle sind geprägt von dem Ort, der Zeit und der Kultur, in die wir geboren werden. Francesco und Clara sind Kinder einer Stadt voller Dynamik, deren Bevölkerung während der Jugendzeit der beiden zunehmend rebellisch wird und innerlich zerrissen lebt. Der Bürgersohn und die Adelstochter wachsen wenige Hundert Meter voneinander entfernt auf – und doch trennen sie große gesellschaftliche Differenzen, die während Claras Kindheit in einen dramatischen Bürgerkrieg führen.

    Moderne Dichter und Erfolgsregisseure haben Francesco und Clara phantasievoll zu einem Freundschaftspaar vereint. Schon in jungen Jahren finden die beiden in romantischen Filmen zusammen

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