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Menschen, die Geschichte schrieben: Das Spätmittelalter
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eBook359 Seiten14 Stunden

Menschen, die Geschichte schrieben: Das Spätmittelalter

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Über dieses E-Book

Der Mensch versteht sich selbst am besten über die Geschichten und Mythen, die er sich und anderen erzählt. Wer er sein, oder nicht sein will, zeigt sich vor allem an den Personen und Ideen, die ihm zum Helden oder Leitbild werden. Dieser Band versucht die Mythenbildung, die Hagiographie und die Ideengeschichte vom Mittelalter bis zu den Anfängen der Neuzeit nachzuzeichnen und die Motivation für diese Mythenbildung – sei es der Widerstreit zwischen Tradition und Fortschritt, ein Weltbild im Umbruch oder Lebensangst – verständlich zu machen.
SpracheDeutsch
Herausgebermarixverlag
Erscheinungsdatum20. März 2014
ISBN9783843804264
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    Buchvorschau

    Menschen, die Geschichte schrieben - marixverlag

    1212

    FRIEDRICH II.

    Antichrist und Friedenskaiser
    von Wolfgang Stürner

    „Nur der Staufer, mit dem das Reich schloss und die Frucht aufsprang, reichte als Priester noch in die Himmel Gottes hinauf, dröhnte als Kaiser über das Erdenrund hin und stieß als Tyrann bis in die tiefsten Höllen hinunter, um mit den himmlischen und irdischen Mächten auch die von der Kirche für ein Tausendjahr gebannten Dämonen und Kräfte der unteren Welten aufzurühren und in sein Gesamt einzubeziehen: Gottessohn Weltenrichter Widerchrist zugleich. Doch göttlich zu sein, ohne „Satan, das Leben selbst zu fesseln, war ja die Grundspannung der Renaissance überhaupt und Friedrich II. hat als Erster diese Spannung von Himmel und Hölle gezeigt und damit als Erster die Kluft geschlossen. Er, Heiland und Antichrist zugleich, der erste Gottlose und der erste von sich aus göttliche, nicht durch die Kirche heilige Mensch, hatte diese zwiegesichtige Einheit herbeigezwungen durch die Gottheit Justitia, durch das kaiserliche Weltrichter- und Welträchertum.

    Mit diesen enthusiastischen Worten beschrieb Ernst Kantorowicz 1927 am Ende seiner berühmten Friedrich-Biografie das, was ihm an der Persönlichkeit seines Helden als wesentlich galt. Unverkennbar überschritt er dabei die Grenze von der wissenschaftlich begründeten Argumentation zur Glaubensaussage. Er schuf aus den äußerst gegensätzlichen Stellungnahmen von Friedrichs Zeitgenossen das moderne Gemälde einer ins Übermenschlich-Unbegreifliche gehobenen Gestalt, eines wahrhaft überragenden Individuums, kurz: das Bild jenes idealen, sich kraftvoll, genialisch und unbeschränkt entfaltenden Herrschers, den er, wie offenkundig viele seiner Leser damals, am Ende der Weimarer Republik, als Retter ersehnte. Der solcherart verklärte Kaiser war ihm und seinen Gesinnungsgenossen zur „Schlüsselfigur der Imagination, zum Hoffnung spendenden, der Gegenwart Sinn und Ziel bietenden Vorbild und Beispiel geworden; Fachkollegen tadelten denn auch sofort, dass Friedrich hier „in mythischer Schau und damit auf wissenschaftlich fragwürdige Weise dargestellt werde.

    Die Wandlung zum Mythos widerfuhr dem letzten Stauferkaiser freilich beileibe nicht erst im zwanzigsten Jahrhundert. Im Gegenteil: Die Stilisierung seiner Person und seines Handelns, deren übersteigerte Umdeutung zum Positiven wie ebenso zum Negativen begann bereits zu seinen Lebzeiten, und sie setzte sich nach seinem Tod so intensiv und anhaltend fort, wie wohl bei wenigen mittelalterlichen Herrschern sonst.

    In der Tat gab es mancherlei Grund, dem Leben und Wirken des Staufers bewundernde oder auch misstrauische Aufmerksamkeit zu schenken, sich auch nach seinem Hinscheiden damit zu beschäftigen, sich davon beeindrucken, zur Bewertung und entschiedenen Parteinahme bewegen zu lassen. Bereits vierzig Jahre alt war Friedrichs Mutter Konstanze, die Gattin Kaiser Heinrichs VI. und Erbin des Königreichs Sizilien, als sie am 26. Dezember 1194 ihren einzigen Sohn gebar. Mit vier Jahren hatte dieser beide Eltern verloren, und wie ein Wunder erschien es ihm selbst wie vielen Zeitgenossen, dass er als Vierzehnjähriger dennoch sein Königsamt im sizilischen Regnum antrat, dass er wenig später mit Hilfe von Papst Innozenz III. und durch die Wahl der Reichsfürsten auch die deutsche Krone erhielt, sich in Deutschland dann bis 1220 erfolgreich durchsetzte und am Ende dieses Jahres sogar zum Kaiser gekrönt wurde.

    Es folgten Jahre intensiver Reformtätigkeit im sizilischen Königreich. Friedrich machte dieses Reich zu einem für damalige Verhältnisse modernen Staatswesen, das er von seinem Hof aus mit Hilfe eines gut ausgebildeten, hierarchisch gegliederten Beamtenapparates zentral lenkte. Neuland beschritt er, seine Verwaltungsreformen ergänzend, auch mit der Gründung der ersten Staatsuniversität Europas in Neapel, mit seinen weit gespannten Aktivitäten als Gesetzgeber oder mit seiner Sorge um ein effizientes, unbestechliches Gerichtswesen, das jedem Untertanen und selbst Juden und Sarazenen Recht verschaffen sollte. Ähnliches gilt für seine vielfältigen Initiativen zur besseren Nutzung der wirtschaftlichen Möglichkeiten Siziliens. Viel Beachtung fanden schließlich seine Bautätigkeit, sein Verständnis für Kunst und Wissenschaft und deren großzügige Förderung an seinem Hof. Den Deutschen prägte sich sein souveränes, allen kaiserlichen Glanz entfaltendes Auftreten in ihrem Land zwischen 1235 und 1237 tief ins Gedächtnis ein, insbesondere der viel besuchte, festlich ausgestaltete Hoftag zu Mainz mit dem Erlass des großen kaiserlichen Friedensgesetzes.

    AUSEINANDERSETZUNGEN MIT DER KIRCHE

    Andererseits erregte Friedrichs Tun des Öfteren den Argwohn der Kirche und ernste päpstliche Verstimmung. Höchst empört war man in Rom über seine Einmischung in die kirchlichen Verhältnisse Siziliens und vor allem in die dortigen Bischofswahlen. Auf Ablehnung und Ärger der päpstlichen Kurie stießen sein selbstbewusstes Beharren auf der gottgewollten, ausschließlichen Zuständigkeit der weltlichen Gewalt für die diesseitigen Bedürfnisse der Menschen und seine Tendenz, diesen Verantwortungsbereich umfassend zu definieren und selbst Gebiete wie das Gesundheitswesen und den Umweltschutz einzubeziehen. Mit massivem Tadel reagierte Papst Gregor IX. auf Friedrichs mangelnde Bereitschaft, dem Stellvertreter Christi, so wie es sich nach päpstlicher Überzeugung für den Kaiser gebührte, demütig zu gehorchen und Hilfe zu leisten. Dass er es wagte, 1228/29 als Exkommunizierter gegen das ausdrückliche päpstliche Verbot einen Kreuzzug zu unternehmen, und überdies mit dem Haupt der Sarazenen einen Vertrag schloss, das nahm Gregor als sicheren Beweis, dass er es hier mit einem gefährlichen Ketzer zu tun habe, der auf den Untergang der Kirche sinne. Aus Friedrichs entschlossen vorangetriebenen Bemühungen, die Reichsrechte auch in Ober- und Mittelitalien wieder durchzusetzen, und vor allem aus den beachtlichen Erfolgen, die er dabei 1237 und 1238 erzielte, schien dem Papst deshalb eine tödliche Gefahr für die römische Kirche zu erwachsen. Friedrichs Durchbruch in Reichsitalien musste die Einschnürung Roms durch einen tyrannischen Kaiser zur Folge haben; sie drohte dem Stellvertreter Christi also den Verlust seiner territorialen Basis wie seiner seelsorgerlichen Freiheit zu bringen und würde folglich das Ende der ihm von Christus übertragenen universalen Mission bedeuten.

    Gregor betrachtete Friedrichs überraschendes Scheitern vor Brescia im Oktober 1238 als seine letzte Chance, diese verderbliche Entwicklung aufzuhalten. Er schloss ein Bündnis mit der lombardischen Städteliga sowie mit Genua und Venedig zur Vertreibung des Staufers und leitete mit dessen zweiter Exkommunikation einen erbitterten, noch bei Friedrichs Tod Ende 1250 unentschiedenen Kampf der kirchlich-lombardischen gegen die kaiserliche Partei ein. Beide Seiten führten die Auseinandersetzung mit allen denkbaren Mitteln und vor allem natürlich mit militärischen. Mit bisher unbekannter Intensität begleitete den Krieg der Waffen nun jedoch der Krieg der Propaganda. Schon bald schlugen die päpstlichen Enzykliken dabei einen wahrhaft apokalyptischen Ton an. Sie identifizierten den Kaiser mit dem im biblischen Buch der Offenbarung prophezeiten Untier der letzten Welttage, mit der übermenschlich-dämonischen Gegengewalt gegen Christus, die dessen Kirche vom Erdboden vertilgen wolle und dazu auch die grässlichsten Verbrechen nicht scheue. Sie bezeichneten den Herrscher mit biblischen Schreckensnamen wie ‚Drache‘ oder ‚Hammer der Welt‘, schilderten ihn als Freund der Muslime, Verächter Christi und schlimmen Ketzer, als Vorläufer des Antichrist, ja als diesen selbst.

    Wenn Friedrich während jener Kampfjahre umgekehrt seine Christus-Nähe betonte, so entsprach dies grundsätzlich durchaus der verbreiteten mittelalterlichen Sicht vom Herrscher als Christi Stellvertreter und der ihn selbst seit je erfüllenden Überzeugung. Er hob die ihn auszeichnende Christus-Ähnlichkeit nun allerdings noch intensiver als früher hervor, und er bediente sich, um sie sinnfällig und einprägsam zur Geltung zu bringen, zuweilen neuer, ungewöhnlicher Formen, so, wenn er seinen Geburtsort Jesi mit Worten des Evangelisten geradezu als sein Bethlehem pries. Seine Anhänger und Mitarbeiter taten ein Übriges, um die Heiligkeit der kaiserlichen Person und Würde, ja die Messias-Ähnlichkeit ihres Herrn in Wort und Schrift zu feiern und der Öffentlichkeit vorzustellen.

    Diese Öffentlichkeit war gerade damals durch mancherlei Weissagungen auf das Kommen des Weltendes vorbereitet. Es kündigte sich diesen Prophezeiungen zufolge durch Katastrophen aller Art und durch das unheilvolle Auftreten der Vorläufer des Antichrist an, doch auch im segensreichen Friedens- und Bekehrungswerk des Endkaisers, der seine Krone am Schluss freilich in Jerusalem niederlegen werde. Damit erlange der Antichrist, der teuflische Erzfeind der Christenheit, für eine gemessene Zeit die Herrschaft, ehe Christus selbst ihn besiege. Präzisere Angaben schöpften die Kenner aus den Schriften des 1202 verstorbenen, hoch angesehenen kalabrischen Abtes Joachim von Fiore. Danach sollte sich dem eben zu Ende gehenden zweiten, vom Wirken Jesu Christi bestimmten Weltalter im Jahre 1260 das dritte, vom Mönchtum geprägte, glückselige Zeitalter des Heiligen Geistes anschließen, allerdings erst nach furchtbaren Kämpfen und nach dem Schreckensregiment des ersten Antichrist.

    Die außerordentliche Härte des Kampfes zwischen Kaiser und Papst, den beiden führenden Gewalten der abendländischen Christenheit, dazu andere bedrückende Ereignisse wie das unheimliche Auftauchen der Mongolen im Jahre 1241 stürzten viele Zeitgenossen in große Unsicherheit. Sie empfanden solche endzeitlichen Deutungen ihrer Gegenwart als tief überzeugend, sahen in ihnen eine willkommene und einleuchtende Sinngebung des Geschehens. Auf diese öffentliche Stimmungslage stellte sich die kaiserliche wie die päpstliche Propaganda ein, ihrer suchten sich beide Seiten zur Förderung ihrer jeweiligen Ziele zu bedienen.

    Dabei übten zwei in den vierziger Jahren vielleicht im Umkreis der Kurie entstandene, dem Merlin bzw. der so genannten Sibylla Erithea zugeschriebene Weissagungen einen besonderen Einfluss aus. Beide handelten von Kaiser Friedrich, wobei vor allem der Text der Sibylla ein ausgesprochen negatives Bild des Staufers als eines Feindes der christlichen Religion und Schänders der Kirche zeichnete. Jene Franziskanergruppen, die sich damals intensiv mit der Lehre Joachims von Fiore zu beschäftigen begannen, um sie in ihrem Sinne weiterzuentwickeln, fanden auch Interesse an den beiden Prophetien. Wohl in ihrem Kreise entstanden zwei ausführliche Kommentare dazu, die wie andere Produkte dieser joachitischen Zirkel als Arbeiten umliefen, die angeblich Abt Joachim selbst im Auftrag Kaiser Heinrichs VI. gefertigt hatte. In Übereinstimmung mit den auch sonst vertretenen joachitischen Grundüberzeugungen bewerteten die Autoren dieser Kommentare, gedeckt durch die seherische Autorität der Propheten Merlin, Sibylla und Joachim, die von jenen für die Zukunft erwarteten Kämpfe Friedrichs gegen die Kirche zwar als das verdiente, deshalb von Gott gewollte Strafgericht über den verweltlichten Klerus, das dessen Läuterung und Reinigung bewirken und ihn für das dritte Zeitalter vorbereiten sollte. Den Kaiser selbst freilich führte sein frevlerisches Tun dennoch an die Seite der Sarazenen und der Häretiker. Er musste seines verbrecherischen Handelns wegen als der Antichrist gelten, dessen Herrschaft und Geschlecht mit dem Anbruch des dritten Zeitalters vergehen würde.

    Schon in seinen letzten Lebensjahren wurde Friedrich seinen Zeitgenossen also zum Mythos. Seine Freunde verklärten ihn zum übermenschlichen Heilsbringer; seinen kirchlichen Feinden aber und vor allem den in den Städten Italiens aktiven und einflussreichen joachitisch gesinnten Franziskanern galt er als der Kirchenzerstörer schlechthin, als der lange angekündigte Antichrist der Endzeit. Dieser Vorgang war hier deshalb eingehender zu schildern, weil er wohl doch gerade für Friedrich charakteristisch ist und etwas von der Besonderheit seiner Persönlichkeit und Ausstrahlung erkennen lässt. Vor allem aber haben wir hier bereits die wesentlichen Bezugsgrößen vor uns, an die sich seine Nachwelt hielt, wenn sie sich die Gestalt des letzten Staufers vergegenwärtigte und sein Wirken als Orientierungshilfe für die eigene Zeit benutzte, um daraus Bestätigung des eigenen Urteilens und Handelns zu gewinnen oder auch Hoffnung für eine bessere Zukunft zu schöpfen.

    STAUFISCHE KRISE NACH FRIEDRICHS TOD

    Der überraschende Tod Friedrichs Ende 1250 stürzte die staufische Herrschaft in eine schwere Krise. Er kam jedoch auch aus Sicht der joachitischen Gegner des Kaisers um zehn Jahre zu früh. Einer der bekanntesten unter ihnen, der Franziskaner Salimbene von Parma, erzählt in seiner großen, zwischen 1282 und 1288 niedergeschriebenen Chronik ausführlich, dass er lange am Tod des Kaisers gezweifelt habe, weil er von ihm noch weit größere Untaten erwartet habe als die schon von ihm verübten. Viele Menschen, so berichtet er weiter, hätten gleichfalls nicht an des Staufers Tod geglaubt. Er bringt diese Tatsache in Verbindung mit der bereits kurz vor 1250 der Sibylla Erithea in den Mund gelegten Prophezeiung über Friedrichs Tod: „Im Verborgenen wird er sterben und weiterleben; tönen wird es unter den Völkern: Er lebt und er lebt nicht – vivit, non vivit." Dabei liess sich aus den unterschiedlichen Textfassungen des Sibyllenspruches sowohl die Verheißung ableiten, der Kaiser selbst lebe und kehre wieder, wie auch die Ankündigung, er lebe in seinen Nachkommen weiter.

    In joachitischen Kreisen hielt man sich zunächst offenbar vielfach an die zweite Möglichkeit, um die mit dem Jahr 1260 verbundenen Hoffnungen zu retten. Eine um 1255 in ihrer Mitte entstandene prophetische Schrift, die wiederum als eine Arbeit Joachims von Fiore für Kaiser Heinrich VI. ausgegeben wurde, wiederholte neben der üblichen Kirchenkritik die breite Schilderung Friedrichs II. als des apokalyptischen Untiers und Antichristen, der als Werkzeug Gottes die Kirche verfolge und züchtige. Sie ergänzte diese Darstellung nun jedoch durch die Botschaft vom künftigen Auftreten eines dritten Friedrich aus dem Samen des Kaisers, in dem jener gewissermaßen weiterwirke und sein Werk vollende. Er komme aus dem Norden und verschlinge die Völker, ohne dass sie sich ihm widersetzen könnten. Über seinen Tod hinaus erfüllte Friedrich demnach seine überindividuell-heilsgeschichtliche Funktion als die tyrannische Bestie der Endzeit, als das die Kirche verfolgende und so unfreiwillig ihre Reinigung und Errettung herbeiführende apokalyptische Untier. Sogar noch nach 1260 sahen manche Joachiten Friedrichs illegitimen Sohn, König Manfred von Sizilien, in dieser heilsnotwendigen Rolle, wie ein damals erneut unter Joachims Name entstandener Jesaja-Kommentar bezeugt.

    Selbst nach Manfreds und Konradins Tod blieb die mit Furcht gemischte Erwartung eines dritten Friedrich aus dem Geschlecht des Stauferkaisers da und dort lebendig. So bemerkte im Jahr 1281 etwa Alexander von Roes, der Kölner Geistliche und kritische Kenner der Verhältnisse an der päpstlichen Kurie, in Deutschland gehe eine Prophetie um, wonach ein Nachkomme Friedrichs II. gleichen Namens auftreten und die deutsche wie die römische Kirche bekämpfen und demütigen werde. Auch die wohl zwischen 1303 und 1312 entstandene Columbinus-Weissagung schließlich kündigte noch einmal das Erscheinen eines Friedrich an. Dieses Mal sollte es sich um einen Urenkel des Kaisers handeln, der im Jahr 1312 zum Kaiser gewählt werden und danach den Papst entmachten und die Kirche verwirren würde. Vermutlich war dabei an König Friedrich III. von Sizilien gedacht.

    Den meisten von jenen, die joachitischen Vorstellungen anhingen, ging es indessen wohl so wie Salimbene von Parma, der bekennt, er habe sich im Jahre 1260, nachdem die angesagte große geschichtliche Wende ausgeblieben war, endgültig von seinen liebgewordenen und lange vertretenen Grundüberzeugungen losgesagt. Freilich beschäftigte ihn die Persönlichkeit Friedrichs II. auch danach stark. Mehr als zwanzig Jahre später würdigte er in seiner umfangreichen Cronica durchaus Friedrichs hohe Begabung und scheute sich nicht, ihm eine Reihe sympathischer und gewinnender Eigenschaften zuzuerkennen. Als das für die Beurteilung des Staufers zentrale Merkmal, als der alles andere überlagernde, alle positiven Seiten gänzlich zerstörende, das Wesen und Schaffen des Kaisers völlig prägende Grundzug galt ihm jedoch dessen Wirken als Verfolger der Kirche. Die Kirche, die ihn als Kind genährt hatte, suchte der Undankbare ein Leben lang zu bekämpfen und zu zerstören, als ein Mann ohne christlichen Glauben und ohne Gottvertrauen, erfüllt von unstillbarer Herrschsucht, von Verschlagenheit und Geiz, Laster und Völlerei. Aberglauben, wahnhafte Irrtümer und Perversitäten aller Art glaubte ihm Salimbene folgerichtig nachweisen zu können. Um seiner Missetaten willen schlug ihn Gott nach unseres Autors Schilderung mit vielfachem Unglück, und keineswegs zufällig trafen die auf Tyrannen vom Schlage eines Antiochos Epiphanes, ja auf Luzifer selbst gemünzten Worte und Weissagungen der biblischen Seher vielfach bis ins Einzelne auch auf Friedrich zu. Seinem schlimmen Leben entsprach ein schlimmer Tod: Des widerlichen Gestanks wegen, der von seinem Leichnam ausging, konnte der tote Kaiser nicht nach Palermo gebracht und in der dortigen Kathedrale neben seinen Vorfahren bestattet werden. Mit ihm endete die Macht des Imperiums, und bald nach ihm erlosch sein Geschlecht.

    FRIEDRICHS BILD IN DER GESCHICHTSSCHREIBUNG

    So bewahrte das Friedrichbild des im Alter seine Lebenserinnerungen notierenden franziskanischen Chronisten ganz augenscheinlich vieles, was ihm und seinen joachitischen Gesinnungsgenossen einst kennzeichnend für den Staufer gewesen war. Dieser blieb wie vordem der gottlose und tyrannische Herrscher schlechthin, der Prototyp des Kirchenfeindes und Kirchenverfolgers. Als solcher erschien er im Übrigen in der stark von der Sicht der Franziskaner und Dominikaner geprägten kirchennahen Geschichtsschreibung ganz allgemein, und sie beherrschte das Feld bis ins 15. Jahrhundert hinein.

    Als exemplarisch sei dazu die Chronica minor vorgestellt, die um 1265 im Erfurter Franziskanerkloster entstand. Ihr unbekannter Autor zitierte gewissermaßen als Grundlage seiner Beurteilung wörtlich eine lange Passage aus der Bulle, mit der Papst Innozenz IV. 1245 vor dem Konzil zu Lyon die Absetzung Kaiser Friedrichs begründet hatte. Der Franziskaner wählte bezeichnenderweise jenen Abschnitt, in dem Innozenz den Staufer als verbrecherischen Peiniger der Kirche brandmarkte, der zum Konzil reisende Kardinäle und Geistliche gefangen setzte, der in seinem sizilischen Regnum willkürlich Erzbischöfe und Bischöfe ihres Amtes beraubte und der dortigen Kirche ihre Güter entzog, der Geistliche folterte und umbrachte, dazu offen die Würde und Vollmacht des Papstes missachtete. Entlarvte er sich schon dadurch als Ketzer, so tat er dies ebenso durch seine Freundschaft mit dem sarazenischen Sultan und durch jenen während seines Kreuzzugs geschlossenen Friedensvertrag, der den Tempel des Herrn zu Jerusalem den Muslimen überließ, nicht zu reden von seiner gewaltsamen Besetzung des Kirchenstaates oder von dem Umstand, dass er weder durch die Spende von Almosen noch durch sonstige guten Werke für sein Seelenheil sorgte, vielmehr Kirchen zerstörte, anstatt neue zu bauen. Diese prägnante Darstellung ergänzte und bekräftigte unser Erfurter Franziskaner durch einige zusätzliche Züge. So behauptete er, Friedrich habe Moses, Christus und Mohammed als die drei Verführer der Welt bezeichnet und angekündet, er wolle den Völkern eine neue, bessere Form des Glaubens stiften. Die Kreuzzugsausfahrt aber habe er zunächst durch einen Betrug verhindert, so dass sich die große Schar der Kreuzfahrer unverrichteter Dinge zerstreute. Durch Gift sei er am Ende einen elenden Tod gestorben, in den ihm bald darauf sein Sohn Konrad folgte.

    Kaum anders sah der Dominikaner Martin von Troppau den Staufer, als er in den 1270er Jahren sein bald als eine Art Handbuch viel benutztes und außerordentlich einflussreiches Chronicon schrieb. Der Kaiser tritt dort bereits dem Papst Honorius III. unverkennbar als Widersacher und Erzfeind der Kirche entgegen. Noch deutlicher, seine Vorgänger darin sogar noch übertreffend, entpuppt er sich dann zur Zeit Gregors IX. und Innozenz’ IV. als Verfolger der Kirche, die ihn einst erzog, die er freilich nicht wie seine Mutter hegte, sondern wie eine Stiefmutter zerfleischte. Seine Absetzung und die schändliche Niederlage vor Parma, seine schwere Krankheit und sein Tod als Exkommunizierter ohne Empfang der Sakramente erscheinen gleicherweise als adäquate Resultate seines verwerflichen Lebens, und zu dem düsteren Gesamtbild passt trefflich der Umstand, dass ihn sein herrschbegieriger Sohn Manfred auf dem Sterbelager mit einem Kissen erstickte.

    Mit dem vom christlichen Glauben abgefallenen römischen Kaiser Julianus Apostata vergleicht der Mönch Richer aus der Benediktiner-Abtei Senones in den Vogesen um 1260 unseren Stauferkaiser. Wie jener dankte Friedrich der Kirche nach Richers Schilderung die Wohltaten, die er in seiner Jugend von ihr empfangen hatte, auf übelste Weise: Er fiel vom christlichen Glauben ab, bekämpfte Kirche und Klerus grausam und beraubte sie ihrer Güter, verfolgte die Christen und tötete die Gläubigen durch ausgesuchte Strafen. Den Bruder Papst Gregors IX., einen vornehmen Ritter, von dem er sich beleidigt glaubte, ließ er, nachdem er ihn durch Trug in seine Gewalt gebracht hatte, sogar ans Kreuz schlagen. Im Unglauben verharrend und Gott lästernd, starb er schließlich den verdienten schändlichen Tod.

    Die führenden Chronisten des 14. Jahrhunderts übernahmen von ihren Vorgängern in der Regel das negative Bild Friedrichs als des Kirchenfeindes. Der Zisterzienserabt Johann von Viktring in Kärnten etwa würdigte kurz vor der Jahrhundertmitte zwar, Salimbene ähnlich, durchaus auch des Staufers positive Eigenschaften. Entscheidend für seine Beurteilung blieb ihm jedoch dessen frevelhafte Erhebung gegen die Kirche, und sein Zeitgenosse, der Franziskaner Johann von Winterthur, bestätigte nicht zuletzt durch manche Anekdoten, mit denen er seine Erzählung auflockerte, den Gesamteindruck, dass Friedrich die Gebote Gottes sowie die Feste und Sakramente der Kirche für unnütz und wertlos gehalten habe und den jüdischen, christlichen wie islamischen Glauben durch eine bessere Religion habe ersetzen wollen. Grundsätzlich nicht anders als die beiden Deutschen äußerte sich damals der Florentiner Geschichtsschreiber Giovanni Villani über den Kaiser.

    Kirchennahen Autoren galt Friedrich II. also lange Zeit hindurch als die Verkörperung des Kirchenverfolgers schlechthin. Diese Sicht gab ihrer Deutung der Geschichte einen festen Maßstab, einen sicheren und verlässlichen Bezugspunkt; sie bestätigte ihnen und ihren Lesern Gottes letztlich gerechtes, die Kirche bewahrendes Regiment. Zugleich bot sie, zumal in so eindrucksvoller Geschlossenheit vertreten, natürlich eine überzeugende Grundlage für die angemessene Bewertung der Gegenwart. Sie lieferte die Möglichkeit, die Zeitgenossen anhand eines markanten, nicht allzu fernen historischen Beispiels zu warnen und zu belehren, ihnen gegenüber die eigene Position glaubhaft und schlüssig zu begründen. An Bedrohungen der Kirche durch eigensüchtige Herrscher fehlte es ja nach wie vor keineswegs, ob man dabei an die Gefahr einer ghibellinischen Reaktion oder an das widerrechtliche Regiment der aragonesischen Könige auf Sizilien dachte, an die Bedrückung der französischen Kirche durch Philipp IV. oder an die Usurpation des Kaisertums durch Ludwig den Bayern.

    HOFFNUNG AUF WIEDERKEHR

    Die im Spruch der Sibylle anklingende Erwartung, dass Kaiser Friedrich II. nach seinem Tod weiterlebe und in der eigenen Person oder doch in seinen Nachkommen gegenwärtig bleibe, war auch unter des Kaisers Anhängern von Anfang an lebendig. Bereits er selbst hatte, wohl Grundsätzen des römischen Rechts folgend, in seinem Testament angedeutet, er lebe in seinen Söhnen fort. Im Kreis um seinen Sohn Manfred suchte man dann rasch Trost und Zuversicht in dem Gedanken, der Herrscher sei in seinen Erben nach wie vor präsent. Vor allem hoffte man wohl, durch die Propagierung dieser Vorstellung werde sich die Autorität des Verstorbenen am unmittelbarsten und sichersten auf seine Nachkommen übertragen und so die drohende Schwächung der staufischen Sache vermeiden lassen. Manfred selbst sprach bald von der einen Sonne, die im Vater untergegangen sei, nun aber in dessen Sohn König Konrad IV., also Manfreds legitimem Bruder, wieder aufgehe, Gerechtigkeit und Frieden ausstrahlend wie je.

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