Das Grabtuch von Turin: Ein Porträt Jesu? - Mythen und Fakten
Von Bernd Kollmann
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Über dieses E-Book
Bernd Kollmann
Dr. theol. Bernd Kollmann ist Professor für Exegese und Theologie des Neuen Testamentes an der Universität Siegen.
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Buchvorschau
Das Grabtuch von Turin - Bernd Kollmann
Bernd Kollmann
Das Grabtuch von Turin –
ein Porträt Jesu?
Mythen und Fakten
HerderFür Christine, Jonas, Helmuth und Yenny
Originalausgabe
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2010
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Abbildungen innen:
Archiv Herder: S. 11, 33, 57, 74
Archiv des Autors: S. 17, 57
Umschlagkonzeption und -gestaltung:
R·M·E Eschlbeck / Hanel / Gober
Umschlagmotiv: © Mauritius
Layoutkonzept: tiff.any GmbH, Berlin
Datenkonvertierung eBook: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN (E-Book) 978-3-451-33434-4
ISBN (Buch) 978-3-451-06216-2
Vorwort
Das Grabtuch von Turin hat längst den Status eines Kultobjekts erlangt. Es bietet den Stoff, aus dem die Mythen sind. Kein anderer Gegenstand der Antike zieht die Massen in vergleichbarer Weise in seinen Bann. Bei den letzten öffentlichen Ausstellungen in den Jahren 1998 und 2000 machten sich insgesamt mehr als fünf Millionen Menschen auf den Weg nach Turin, um die Reliquie in Augenschein zu nehmen und sich von ihrer Ausstrahlung ergreifen zu lassen. Dass die Echtheit des Grabtuchs seit langem umstritten ist und sich unterschiedliche Verschwörungstheorien darum ranken, scheint seine Anziehungskraft eher zu steigern als zu mindern. Ursprünglich war die nächste Ausstellung erst für das Jahr 2025 geplant. Im Juni 2008 gab Papst Benedikt XVI. zur allgemeinen Überraschung und Freude bekannt, dass es bereits im Frühjahr 2010 zu einer neuerlichen Präsentation der Reliquie kommen werde.
Auch in den ruhigeren Zeiten zwischen den Ausstellungen bewegt sich das Interesse an dem Turiner Grabtuch auf einem beachtlich hohen Niveau. Durch die neuerliche Präsentation des Kultobjekts wird es weiter entfacht werden und die Schlagzeilen beherrschen. Denn trotz intensivster Erforschung gibt die Reliquie in den zentralen Punkten schier unlösbare Rätsel auf. In der Diskussion um das Grabtuch ist es oftmals schwierig, gesicherte Erkenntnisse von unseriöser Sensationsmache zu unterscheiden. Immer wieder werden spektakuläre Hypothesen und abenteuerliche Behauptungen in die Welt gesetzt, um sich binnen kürzester Zeit in Wohlgefallen aufzulösen.
Als vom Herder-Verlag der Wunsch an mich herangetragen wurde, in Form eines kleineren Buches in die Geschichte der Reliquie einzuführen und einen verlässlichen Einblick in den Stand ihrer Erforschung zu geben, habe ich mit einer Zusage nicht lange gezögert. Denn vom Turiner Grabtuch geht eine Faszination aus, der sich kaum jemand entziehen kann.
Der Grundstock des Buches ist im August 2009 in Kolumbien entstanden. Dort hat mich die idyllische Atmosphäre des in der frühen Kolonialzeit gegründeten Städtchens Villa de Leyva, das gut zwei Autostunden nördlich von Bogotá inmitten der Berge gelegen ist, in besonderer Weise inspiriert. Meiner studentischen Hilfskraft Inga Riedemann und unserer Sekretärin Annette Schäfer danke ich für ihre Unterstützung. Gewidmet ist das Buch meiner Frau und meinen Kindern.
Bernd Kollmann
Der Stoff, aus dem die Mythen sind
Das seit dem 14. Jahrhundert bezeugte Grabtuch von Turin ist zur Legende geworden. Mit Recht wird es als Mutter aller Reliquien bezeichnet. Viele Gläubige nennen es ehrfurchtsvoll einfach La Sindone, abgeleitet von dem altgriechischen Wort für Tuch. Es ist das mit Abstand bekannteste, gleichzeitig aber auch umstrittenste aller materiellen Relikte, die mit Jesus in Verbindung gebracht werden. Wer sich näher mit ihm beschäftigt, stößt auf eine Bilanz der Superlative. Weltweit widmen sich etwa fünfzig Einrichtungen ausschließlich seiner Erforschung. Als einziges Objekt der Antike hat es einen eigenen Forschungszweig, die Sindonologie, begründet und eine nur ihm gewidmete Fachzeitschrift, das regelmäßig erscheinende Magazin »Sindon«, hervorgebracht. Doch inspiriert das Grabtuch bis heute auch andere Disziplinen. So wurde beispielsweise am 15. Februar 2005 im Dom von Turin das Orchesterstück »La Sindone« von Arvo Pärt uraufgeführt.
Wenn das Grabtuch echt ist, dann haben wir eine konkrete Vorstellung davon, wie Jesus von Nazareth ausgesehen hat. Nicht wenige Christinnen und Christen sehen in dem Leinen sogar einen handfesten Beweis für seine Auferstehung.
In unregelmäßigen Abständen wird das Grabtuch der Öffentlichkeit präsentiert. Millionen von Pilgern machen sich bei jeder Ausstellung auf den Weg nach Turin, um die Reliquie zu sehen. Andere nehmen dieses Phänomen nur kopfschüttelnd zur Kenntnis und sind der festen Überzeugung, das Leinen stelle nicht mehr als eine fromme Fälschung dar. Verschwörungstheoretiker wittern indes den ganz großen Betrug und behaupten, das Grabtuch enthülle sensationelle Wahrheiten über Jesus, welche die Existenz der Kirche gefährdeten und von ihr unter Verschluss gehalten würden.
Bei dem fraglichen Objekt handelt es sich um ein 437 Zentimeter langes und 111 Zentimeter breites Leinentuch. Es zeigt auf der Vorderseite des Stoffes den Körper eines gekreuzigten Mannes, der von vorne und von hinten zu sehen ist. Die Abbildung wirkt auf den ersten Blick wie ein Spiegelbild, bei dem der Scheitel des Gekreuzigten quasi die Achse darstellt. Sie erklärt sich dadurch, dass der Leichnam auf die untere Hälfte des Tuches gelegt und dann von der Kopfseite her mit der oberen Hälfte bedeckt wurde. Auf der Rückseite finden sich keine Spuren des Bildes. Das Tuch besteht aus ungefärbtem Naturleinen, dessen Fäden aus Flachsfasern gesponnen sind. Es ist im Fischgrätmuster gewebt und weist die seltene Bindung 3:1 auf, bei der unter den senkrechten Kettenfäden jeweils drei waagerechte Schussfäden liegen. Das Grabtuch wurde aus zwei Teilen zusammengenäht. Dabei fügte man an eine 103 Zentimeter breite Bahn ein 8 Zentimeter breites Stück gleicher Länge an, das vom selben Stoffballen stammt. Bei Betrachtung mit bloßem Auge zeichnet sich der Körper der auf dem Tuch abgebildeten Person mit unscharfen Umrissen braun vor dem helleren Hintergrund des vergilbten Leinens ab. Auf Lichtbildaufnahmen ist der Kontrast schärfer, und die Konturen treten deutlicher hervor. Im Fotonegativ wird mit Umkehrung der Helligkeitswerte ein klares Bild des Mannes auf dem Grabtuch sichtbar. An zahlreichen Stellen im Gewebe finden sich Blutspuren.
AbbildungDas Grabtuch von Turin in normaler Ansicht (links) und als Fotonegativ (rechts).
Im Laufe der Jahrhunderte hat das Leinen schwer gelitten. Auf den ersten Blick stechen zwei dunkle Streifen von wechselnder Stärke ins Auge. Sie verlaufen parallel in Längsrichtung und werden von großen Brandlöchern unterbrochen. Dabei handelt es sich um Beschädigungen, die das Grabtuch im Jahr 1532 bei dem verhängnisvollen Feuer der Schlosskapelle von Chambéry davontrug, wo es seinerzeit aufbewahrt wurde. Diese Brandlöcher waren jahrhundertelang mit Leinenflicken überdeckt, die 2002 bei Restaurierungsarbeiten entfernt wurden. Entlang der Brandspur ziehen sich Wasserflecke, die das Tuch bei den