Katzentisch: Kulinarische Abenteuer
Von Lida Winiewicz
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Über dieses E-Book
Nach dem großen, anhaltenden Erfolg von "Geisterbahn" hat Lida Winiewicz wieder witzige, nachdenkliche, höchst originelle Beobachtungen aus dem Alltag niedergeschrieben.
Wie oft haben Sie sich schon zum Essen niedergesetzt? Tausendmal? Zehntausendmal? Hunderttausendmal? Die meisten Mahlzeiten vergisst man. Aber ein paar sind dabei, an die erinnert man sich - fröhliche, traurige, öde, preiswerte, teure, einsame, verzauberte, folgenschwere, kurz: einmalige - weshalb auch immer.
KATZENTISCH, Ausbeute der Autorin, schildert Mahlzeiten letzterer Art. Und jeden Leser möge das eigene Gedächtnis verblüffen.
Gesegneten Appetit!
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Buchvorschau
Katzentisch - Lida Winiewicz
Empfehlung
Es regnet in Strömen. Ich flüchte ins erstbeste Restaurant.
Ein koreanisches, zeigt sich.
Die Speisekarte, bemalt mit schwarzen Schriftzeichen, erinnert – ich bitte um Verzeihung – an Briefe in Kindergeheimschrift:
Strichmännchen, eckige Zeichen, dazwischen kreisrunde Schnörkel, die aussehen wie winzige Schnecken.
Auf der vorletzten Seite findet sich das Angebot auf Deutsch:
Gemüs, Hun, Reis, Nudel. Es folgt ein längerer Absatz auf Koreanisch, mit Übersetzung:
»Liebe Gast!
Danke Sie gekommen hier.
Unser koreanisch speisen sehr, sehr gesund.
Sie bei uns essen jeder Tag und sie werden haben Haut wie Pfirsich und Verdau wie Uhr, immer pünktlich. Sie essen bei uns zwei Wochen und wenn dann nicht jünger aussehen Sie bekommen Geld zurück.
Bei uns viel Gemüs, wenig Fleisch.
Fleisch nicht gesund wie Gemüs. Viel wenig gesund als Gemüs, und viel mehr teuer, denn bevor wir Tier essen Tier essen selber und was Tier essen, wir können auch essen, und sparen Umweg über Tier.«
Das hat was für sich, denke ich. Und bestelle Wok-Gemüse.
Der Kellner, in weißem Leinen, bringt das Gericht sehr schnell. Es duftet.
Und diese Farben! So hellgrüne Erbsenschoten sind mir noch nie gelungen. Vom Gelb des Mais ganz zu schweigen. Und dem Milchweiß des Karfiols. Der Reis im Schüsselchen klumpt nicht. Jedes einzelne Korn liegt frei!
Ich nehme mir vor, zwei Wochen täglich hierher zu kommen und recht viel Gemüs zu essen. Wer wünscht sich nicht Haut wie Pfirsich und Verdau wie Uhr, immer pünktlich.
Ich zahle und gehe zum Ausgang, vorbei an der Küche, deren Tür einen Spalt offen steht.
Der Koch, weißbeschürzt und -bemützt, sitzt an einem Tisch und isst Würstel.
Arbeitsgeist
BILLA-Kasse.
Warteschlange.
Mein Wagerl ist prall gefüllt. Feiertage stehen bevor, inklusive Fenstertag, man deckt sich ein, als drohe eine Belagerung.
Hinter mir ein Werktätiger: rotes Gesicht, blonder Schnauzbart, blaue Latzhose, Werkzeuggürtel. Er hat zwei Bierflaschen dabei.
Ich habe einen gütigen Tag: »O. k., gehen Sie vor!« »Nein, danke.«
Er rührt sich nicht. Und da ich staune: »Ich bin nämlich in der Dienstzeit!«
Fehleinschätzung
Es gibt Orte, da kommt man ins Reden. Flughäfen, zum Beispiel, bei Nebel. Man wartet. Man hat Zeit. So kam ich eines Tages mit einem Koch ins Gespräch, genauer, dem Küchenchef eines Berliner Hotels.
Nachdem er sich vorgestellt hatte, bemerkte er: »Scheißberuf«.
Das überraschte mich. Ich hatte in Kategorien Bocuse, Witzigmann, Puck gedacht und mir unter »Küchenchef« etwas Glanzvolles vorgestellt.
Er sagte: »Sie haben keine Ahnung. Die Küche ist die Hölle.«
Ich wollte Näheres wissen.
»Es fängt mit der Ausbildung an. Der Kochlehrling steht ganz unten. Auf ihm trampeln alle herum. Er muss die Drecksarbeit machen, schälen, putzen, spülen, schleppen, er ist schuld, wenn etwas schiefgeht, keiner gibt ihm ein gutes Wort, keiner verteidigt ihn.«
»Und in Ihrer Küche?«, frage ich. »Jetzt, wo Sie Küchenchef sind? Sorgen Sie für die jungen Leute?«
»Nein!«, sagt der Mann. »Keine Zeit. Küchenarbeit ist Knochenarbeit. Wir stehen unter unmenschlichem Zeitdruck. Wer fünfhundert Essensportionen verschiedenster Art Punkt zwölf fixfertig haben muss, dem bleibt keine Zehntelsekunde, um an den Lehrling zu denken. Man rettet die eigene Haut. Außerdem: jeder Küchenchef war vor Jahren selber Lehrling. Er musste da auch durch.
Warum sollen es andere besser haben?«
»Weil’s keinen Fortschritt gibt, wenn alles sich nur wiederholt.«
»Den gibt’s auch nicht!«, sagt der Mann. »Menschlich gesehen. Technisch, sehr wohl. Wir haben heute Küchenmaschinen, von denen konnte ich in meiner Lehrlingszeit nur träumen: hygienischer, effizienter, leichter zu reinigen, toll. Die Technik verbessert sich dauernd. Der Mensch verbessert sich nicht. Und wer Gelegenheit hat, einen Mitmenschen zu tyrannisieren, der nützt sie.«
»Sie auch?«
»Ich auch.«
»Und das ist das Wichtigste?«
»Was?«
»Dass alles Punkt zwölf fertig ist? Misst man daran die Qualitäten des Küchenchefs?«
»Nein.«
»Woran denn? Dass es gut schmeckt?«
»Nein.«
»Sondern?«
»Dass nichts übrig bleibt.«
»Moment. Sie können die Gäste nicht zwingen, den Teller leer zu essen!«
»Es geht nicht um die Gäste. Es geht um das Personal. Um fünfhundert Essensportionen Punkt zwölf servieren zu können, braucht man eine Küchenbrigade von mindestens zwanzig Mann. Die müssen auch essen.« »Das heißt, Sie brauchen fünfhundertzwanzig Portionen.«
»Falsch. Die zwanzig müssen in den fünfhundert enthalten sein. Verstehen Sie?«
»Nein.«
»Die Leute kriegen zwar nicht dasselbe wie die zahlenden Gäste, aber das wird nicht extra einkalkuliert, das läuft sozusagen mit.
Wie sparsam der Küchenchef plant, das macht seine Qualität aus, nicht, wie gut das Essen schmeckt. Über Geschmack lässt sich streiten. Über Bilanzen nicht.«
Mein Flugzeug wird aufgerufen.
»In welchem Hotel kochen Sie?«
»Ich gehe sehr bald in Pension – Gott sei Dank«, setzt er hinzu.
»Aber wenn Sie bei mir essen wollen –«; er reicht mir seine Karte: FREDS CURRYWURST, BERLIN. GEGENÜBER VOM HOTEL EXCELSIOR.
Gute Tat
Während der Besatzungszeit (1945–1955) gab’s in Wien wenig zu essen. Umso willkommener waren Fresspakete aus dem Ausland oder Geschenke von Leuten mit Berechtigungsschein, im PX-Laden einzukaufen, dem Supermarkt der Besatzer.
Auf diesem Umweg gelangte ich eines Tages in den Besitz einer Hawaii-Ananas.
Heute gibt’s Ananas in jedem Supermarkt. Damals war die Frucht ein Ereignis.
Frau Spitz, die Bedienerin, putzte soeben die Küche. Ich kämpfte mit mir. Sollte ich ihr ein Stückchen Ananas opfern?
Sie hatte das Ding gesehen und große Augen gemacht.
Ich wollte nicht.
Nein.
Warum?
Ich wollte die ganze essen. Jetzt! Hier! Sofort! Allein!
Keine Chance, es heimlich zu tun. Teilen oder warten.
Ich teilte.
Kein Verzicht ist mir schwerer gefallen. Nicht einmal der vielgerühmte auf ein halbes Haus in Kirchstetten nach Tante Hellas Tod, zugunsten einer entfernten alzheimerkranken Cousine.
Goldene Ananas!
Ich machte zwei gleiche Portionen, zog mich ins Schlafzimmer zurück, fraß meine Hälfte auf – Köstlich! Erfrischend! Exotisch! – und fühlte mich wie der Heilige Martin nach Zweiteilung seines Mantels.
Zurück in der Küche sehe ich den leeren Ananasteller und frage: »Hat’s geschmeckt?«
»Ja«, sagt Frau Spitz. »Ich bin nicht heikel.«
Einfallsreichtum
Sidonie, Tante Hellas Mutter, stickte für ihr Leben gern.
Tischdecken, Kissen, Blusen, Armlehnenschoner und dergleichen zeugen von ihrer Meisterschaft, bleiben aber schnöde verborgen. Mit Kreuzelstich ist heutzutage nicht mehr viel Staat zu machen. Einmal, erzählt die Familienchronik, stickte Sidonie ein Jahr lang an einer Weihnachts-Tischdecke, einem wahren Wunderwerk: Christbäume, Tannenzweige, Sterne, Lebkuchenkringel und Engel, die Kinder waren entzückt.
Am 20. Dezember, abends, fand die Generalprobe statt. Sidonie breitete die Kostbarkeit über den Esstisch und erbleichte: Die Decke war zu klein! Sie hatte falsch gemessen. An beiden Schmalseiten der Tafel zeigte sich nacktes Holz.
Wie das Unikat innerhalb von vier Tagen verbreitern?
Man ging auf Zehenspitzen.
Heiliger Abend! Der Festtagstisch erstrahlt, vom Kunstwerk zur Gänze bedeckt. Kein bisschen Holz zu sehen.
»Fantastisch, Mama! Kompliment! Wie hast du das geschafft? Tag und Nacht