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Das Fenster des Harlekins
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eBook156 Seiten2 Stunden

Das Fenster des Harlekins

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Über dieses E-Book

Beflügelt von einem langjährig gehegten Wunsch ergreift Lena Bergmann die Chance zur beruflichen Veränderung. Der Idealismus weicht der Enttäuschung. In einem von Nonnen geleiteten Kinderheim sieht sie tägliche Bilder von Macht und Machtmissbrauch. Die eigenen Gefühle drängen Risse in ihre Seele, der Schock sitzt tief. Lena zieht Bilanz über Menschenbilder, Leidenschaften und über sich selbst.
SpracheDeutsch
Herausgeber110th
Erscheinungsdatum28. Nov. 2014
ISBN9783958653382
Das Fenster des Harlekins

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    Buchvorschau

    Das Fenster des Harlekins - Annemarie Albrecht

    verändert.

    PROLOG

    Lange und gründlich habe ich über meine folgenden Schritte nachgedacht. Als ein Mensch voller Selbstzweifel und Ängste musste die Anlaufphase bis zur Verwirklichung diverser Wünsche und Sehnsüchte ihre Zeit beanspruchen.

    Freilich, es ist heute alles um einiges leichter und ich habe mich sehr gut im Griff. Ich spüre diese Leichtigkeit, sogar innerlich. Eine Frau, die mich kennt, meinte erst vor kurzem, dass sie selten jemanden trifft, der so sehr in sich ruht wie ich. Na, ich weiß nicht recht? Immer wieder holt mich die Vergangenheit ein und dann bin ich doch wieder machtlos. Eine kleine Aufwühlung der tief in mir wohnenden Schatten und schon beginnen die kleinen boshaften Teufel in mir zu rumoren.

    Ich hatte soviel Kraft in mir. So immens viel Power. Ich bin wie leergebrannt. Und dennoch will ich mit allen Mitteln einen Sinn und ein Ziel finden. Ich sitze vor dem Fenster meiner Wohnung. Wehmut beschleicht mein Herz, während ich wie gedankenverloren durch die Glasscheibe blicke. Es ist Herbst und viele der einzeln herabfallenden Blätter von den Bäumen auf der gegenüberliegenden Straße registriere ich und sehe ihnen nach, wie sie langsam, aber sicher mit Hilfe des Windes ein wenig hin und her schwingen und dann zu Boden trudeln. Früher wären mir solche Einzelheiten nie aufgefallen. Geschweige denn, dass ich überhaupt eine halbe Stunde solch ein Treiben beobachtet hätte mit der Faszination eines Kindes. Die Blicke der Menschen haben eben verschiedene Wahrnehmungen. Heute sehe ich in dem Blatt den unumstößlichen Umstand von Werden und Vergehen. Denke an Wachstum, Niedergang, Veränderung und dass alles ist, wie es ist. Und so sehr ich früher den Rummel und den Trubel gesucht habe, so sehr suche ich nun die Stille und Zurückgezogenheit. Fast scheue ich die Menschen, aber wäre es ein Wunder? Ich scheue ja auch mich selbst. Die Teufel ruhen nur, sind durch Willen und meiner gefühlten Kraftlosigkeit lahmgelegt. Aber was ist, wenn sie geweckt werden? Nein, ich traue mir nicht in dieser Hinsicht.

    Meine Weihnachtssterne, die ich Jahr für Jahr mit Liebe selbst ziehe, zieren die Fensterbank. Liebevoll berühre ich einzelne Blätter und sehe nach, ob noch genügend Feuchtigkeit in der Erde ist. Für solche Spielereien war früher einfach keine Zeit in meinem Leben. Eine Zeit, die ich mir nun einfach nehmen möchte. Die ich verdammt noch mal dringend benötige. Mein Blick weicht vom Fenster ab und streift liebevoll durch meine kleine Wohnung. Dass ich mit so wenigem auskomme? Unfassbar! Natürlich hatte ich nie Luxus zur Verfügung, doch zumindest den Wunsch danach. Aber Wünsche können sich ändern. Das, was ich benötige, steht mir zur Verfügung und was es darüber hinaus gibt, darf, aber muss nicht sein. Wenn nur Frieden einkehren mag in meine Seele. Ich habe Angst. Ich kann mich doch nicht immer zurückziehen in meine Welt, in meine vier Wände, um das trügerische Gefühl auszuschmücken, dass ich die Harmonie selbst bin? Tief in mir weiß ich, trotz meiner ruhigen Atmung, meiner empfundenen Ausgeglichenheit, meines genüsslich durchatmen Könnens, dass nicht viel, zumindest von ganz bestimmten Dingen, fehlt, dass es derart aus mir heraus bricht, all der Schmerz, all die Pein, dass die Kraft und die Aggression durchkommt, die alles niederwalzt, was sich mir in den Weg stellt, um meine ersehnte Ruhe und Harmonie zu finden.

    1-Lansdorf, 2004

    Vor einigen Monaten bin ich in diese Ortschaft gezogen. Mir blieb nicht viel anderes übrig, als wieder einmal umzusiedeln. Wie ich es satt habe, immer von neuem beginnen zu müssen. Mich jedes Mal umzuorientieren. Nach dem Tod meines Mannes Manfred im vorigen Jahr wollte ich einfach alles hinter mir lassen und ein neues Leben beginnen. Nichts sollte mich mehr an die Vergangenheit erinnern. Ich versuchte, wie jedes Mal, wenn es zu dicke kommt, mich neu zu erfinden.

    Wie eine Schlange zu häuten, das Alte abzuwerfen und neu zu entstehen. Gut, kurzfristig klappt diese Strategie, nur vergesse ich andauernd, dass man nicht so einfach alles abschütteln kann. Die alte Haut liegt ja doch irgendwo am Wegesrand und verrottet nicht so schnell.

    Jetzt möchte ich unbedingt meine neuen Ideen in Angriff nehmen. Meine Schuhe, die doch schon ein wenig abgetragen sind – es wird Zeit, dass ich mir ein neues Paar zulegen kann –habe ich vor einer Stunde mit einem zur Farbe passenden Spray behandelt. Als das Spray getrocknet ist, schlüpfe ich hinein. Ein paar Beobachtungen zeigen, dass ich sie relativ ansehnlich aufgemotzt habe. Ein Blick in den Spiegel zur letzten Begutachtung, mein inneres Einverständnis zum Äußeren und ich wende mich – ein Griff zur Handtasche und diese geschultert – der Eingangstür zu.

    Die Hitze eines heißen Julitages schlägt mir ins Gesicht. Schwüle und Stille lastet auf den Straßen. Nur vereinzelt begegnen mir Menschen auf meinem Weg. Das Einzige, das zur Genüge herumschwirrt hier draußen, sind Schwärme von Insekten und die Geräusche ihres Sirrens. Das ist alles, das die Stille durchbricht.

    Mein Schritt wirkt zwar forsch – ich habe gelernt, mir nicht alles anmerken zu lassen – und zielstrebig, aber hinter dieser Fassade herrscht Unsicherheit und etwas Beklommenheit, auch in Hinblick darauf, was mich erwartet.

    Nach einer viertel Stunde erreiche ich meinen Zielpunkt. Das Gebäude prägt imposant die nähere Umgebung. Die Dorfkirche und besagtes Gebäude, ein Kinderheim für Schwerstbehinderte, stehen im Stadtkern. Die Erbauung des Heimes wurde, wie ich in Erfahrung brachte, von der Ordensvorsteherin eines nahen Klosters in Auftrag gegeben und vier Schwestern hierher entsandt, um dieses Heim zu führen.

    Antje, eine Bekannte von mir, die hier arbeitet, fragte mich, ob ich mich vorstellig machen wollte, da eine Betreuung für die Kinder gesucht würde. Nun, drei Dinge waren diese Überlegung wert, die mich veranlassen sollten, diesen Weg einzuschlagen.

    Erstens bin ich sozial angehaucht, wie man so schön sagt. Wenn jemand Hilfe benötigt und in meinen Augen ein schwaches Glied dieser Gesellschaft ist, dann ist es mir ein fast zwanghaftes Bedürfnis, zu helfen. Dies mag durch meinen eigenen Lebensweg mit all seinen Erfahrungen entstanden sein. Schon lange trage ich mich mit dem Wunsch, diese berufliche Richtung einzuschlagen. Zweitens habe ich eine gewisse Ehrfurcht vor Nonnen und ein Vertrauen in ihre Reinheit. Sie strahlen nach außen hin so eine freundlich lächelnde Aufnahme- und Hingabebereitschaft aus. Sie öffnen sich dem Menschen und entsagen doch allen Gelüsten. So war bis heute mein Menschenbild über diesen Stand - war.

    Während ich mir in der brütenden Hitze die Hauspracht ansehe, um mich auf das Kommende einzustimmen, lächle ich versonnen in mich hinein. Ich weiß noch, als zu Oma immer die Nonnen gekommen sind. Oma hatte sich als Pflegemutter drei Kinder aus Heimen geholt und die Nonnen kamen dann und wann sporadisch zu Besuch. Teils um nach dem Rechten zu sehen, teils aber auch, um auf Einladung meiner Oma hin bei Kaffee und Kuchen zu plaudern. Es entstand über die Jahre zwischen ihr und den Ordensfrauen eine respektvolle, tiefgehende und herzliche Zusammenarbeit, wenn nicht gar Freundschaft in gewissem Sinne. Wenn ich bei Oma war und es sich ergab, dass sie Besuch von den Ordensfrauen erhielt, war es auch für mich ein schönes Erlebnis. Und ich spielte mehr als einmal schon als Kind mit dem Gedanken, einen beruflichen Weg einzuschlagen, in dem ich helfen konnte. So in etwa waren die Gedankengänge, wenn ich sah, mit welcher Hingabe und offenkundiger Liebe zu ihren Anvertrauten diese Ordensfrauen agierten. Später ließ mich der Wunsch, mich sozial zu engagieren, noch weniger los. Mit der Zeit wurde es zur Passion, durch leidvolle Erfahrungen, durch die Unrast meines Lebens und meiner Ziellosigkeit. Die Ausübung eines sozialen Berufes erschien mir immer mehr dazu geeignet, mein Seelenheil zu finden.

    Ja, und drittens brauche ich dringend Arbeit. Mein verstorbener Mann war zu Lebzeiten fast nie einer geregelten Arbeit nachgegangen, was mir den wundervollen Umstand beschert hat, keinerlei Ansprüche an irgendwelche Witwenzahlungen zu haben. Bis vor kurzem war ich selbst meist in einem Beschäftigungsverhältnis. Doch als gelernte Modistin habe ich es immer sehr schwer gehabt, im Handel unterzukommen. Hüte werden fast ausschließlich nur noch maschinell erzeugt und außer im Handel – auch bei anderen Produkten – als Verkäuferin zu arbeiten, gab es keine Möglichkeit, in dieser Sparte zu bleiben. Gut, wenn ich mich mit diesem Gewerbe selbständig gemacht hätte, doch hier fehlten mir entschieden die finanziellen Mittel. Die Frage der Selbständigkeit hatte sich auch auf andere Weise erübrigt, da ich kurz nach der Lehrzeit meinen Mann geheiratet hatte und das erste Kind unterwegs war. Da ich in den folgenden Jahren meiner Ehe und Mutterschaft doch so ziemlich für alles die alleinige Verantwortung übernehmen musste, blieben eventuelle Ideen in diese Richtung sowie sämtliche Wünsche, die irgendwo in meinem Gehirn als kleine unaufgeräumte Batzen hängenblieben, nicht gelebt.

    Vor einigen Monaten musste nun auch noch, neben meinem privaten Desaster, die Boutique in der ich zuletzt arbeitete schließen. Wieder war ich auf Jobsuche. Eine größere Freude konnte mir Antje nicht bereiten, als mich auf dieses Heim aufmerksam zu machen. Mit dem Gedanken, mir völlig neues Terrain zu erschließen, betrachte ich hoffnungsvoll den eindrucksvollen Bau des Heimes. Eine Steinmauer, etwa einen Meter hoch, umgibt das riesige Grundstück, welches mich sofort in seiner Schönheit und Pracht - so wunderbar waren die vielfältigen Bäume, Sträucher, Blumen und Gärten arrangiert und angelegt - in seinen Bann zieht, nachdem ich das massive, hohe Eingangstor neben der Tafel geöffnet hatte und eintrete.

    Ich habe mich nicht einmal angemeldet, schießt es mir durch den Kopf. Hoffentlich herrscht hier nicht das sture Regiment mit allen Benimmregeln, denn dann würde man mir dies sicher ankreiden. Aber mir persönlich ist es lieber, wenn ich schnell selber munter drauf los renne und etwas bewege – mein Überraschungsmoment – als dass mein Gegenüber sich zu lange vorbereiten kann und mich vielleicht mit zu vielen Fragen in die Enge treibt. Bis meine Schutzschicht langsam abbröckelt und mich Unsicherheit und Angst zu Schweißausbrüchen treiben, die sich sichtbar als brennende Röte und unkontrollierbarem nervösen Zittern zeigen.

    Alles soll schnell gehen und Stärke signalisieren. Souveränität und sicheres Auftreten. Dazu ein freundliches Gesicht, das nichts zeigt als Freude an der Welt, Lebensfreude und Zuversicht. Das zieht doch, oder? Wer will schon ein weinendes Häuflein Elend einstellen?

    Diesbezügliche Gedanken verscheuchend, richte ich meinen Oberkörper auf, straffe meine Kleidung und gehe – mir Mut zusprechend – den gepflasterten Weg bis zur Pforte des Heimes.

    Auch auf mehrmaliges, nach und nachstärkeres Klopfen rührt und regt sich nichts. Ein Blick nach links lässt den Friedhof der Ortschaft gewahr werden. Nochmals heftig klopfen. Nichts außer brütender Hitze, Vogelgezwitscher und das Summen von Insekten. Ich probiere nun einfach an der Tür, ob offen ist. Die Tür öffnet sich anstandslos und gibt den Blick auf eine hohe, hell geflieste Treppe frei, die in eine Ebene mündet. Der Zugang zur nächsten Räumlichkeit wird durch eine hohe Glaswand, durchbrochen durch eine mit Ornamenten reich verzierte Glastür, abgegrenzt.

    Ein wenig empfinde ich es als ungebührliches Eindringen, doch ich will jetzt nicht den Rückweg antreten, ohne zu wissen, ob ich eine Chance habe, hier Arbeit bekommen zu können. Antje meinte zwar, die Oberin nehme vorwiegend Leute auf, welche keine Ausbildung im Behindertenbereich haben, doch noch spüre ich keine Sicherheit.

    Während ich unschlüssig in der Tür stehe, immer noch den Knauf in der Hand, wandern meine Blicke zu den hohen Wänden zu beiden Seiten und ich betrachte die lebensgroßen Gemälde, die diesen Raum permanent einnehmen. Die Gestalten scheinen zu leben und jederzeit bereit, herunterzusteigen.

    Was habe ich mich als Kind vor solch monumentalen Bildern gefürchtet. Ich

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