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Sieben Arten den Sari zu binden
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eBook158 Seiten2 Stunden

Sieben Arten den Sari zu binden

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Über dieses E-Book

"Anhand der Dessous, die ich morgens anziehe, weiß ich, was es für ein Tag wird."
"Bei jedem Mann ist mein Körper anders."
"Meine linke Brust gehört ihm immer noch."
"Der Sari ist jene dünne, wunderbare Trennwand, die eine Frau vor dem Mann aufbaut und nur aus freiem Willen entfernen kann."
In der bulgarischen Stadt Plovdiv sind die Frauen geheimnisvoll, pflegen Illusionen, malen Fantasien, kämpfen mit Herz und Verstand für das Halten oder Löschen einer Beziehung und zeigen ihren Einfallsreichtum bei der angenehmen Gestaltung des Alltags: Telefontratsch, Ausflüge, Beobachtungen auf dem Balkon, unaufgeräumte Kleiderschränke. 19 Geschichten aus einem ehemals sozialistischen Ort, der von magischer Atmosphäre umhüllt ist und seine Bewohner im Sog des subtropischen Klimas hält. 19 Erzählungen über Frauen, die Gewinnerinnen und gleichzeitig Verliererinnen der politischen Veränderungen geworden sind.

"Das Buch ist eine Ontologie des weiblichen Körpers." Kamelia Spasova / Maria Kalinova
"Mit ihrem Erzählband zeigt Todora Radeva, wie die neue weibliche Prosa in der nächsten Dekade aussehen könnte." Plamen Dojnov
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum5. Feb. 2015
ISBN9783957710307
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    Buchvorschau

    Sieben Arten den Sari zu binden - Todora Radeva

    BIOGRAPHISCHES

    BILDER EINES MORGENS

    Jeden Tag ging sie zum Kiosk an der Haltestelle. Der Weg dorthin war gerade lang genug, um eines von diesen Liedchen zu trällern, die einem ohne Grund und ohne dass man sie überhaupt mag, nicht mehr aus dem Kopf gehen. Sie kaufte eine Zeitung und sah in das Schaufenster der Geschenke-Boutique, so als ob sie erwartete, Spuren von den nächtlichen Abenteuern der Wachsfiguren zu entdecken. Danach warf sie eine Münze in den Spielautomaten an der Straße und drückte auf den Knopf. An diesem Morgen – sie war schon einen Schritt vom Automaten weggegangen, weil sie nichts erwartete – brachte das Klingeln herabfallender Münzen sie dazu, sich zurück zu drehen. Über die drei Kirschen nebeneinander freute sie sich gar nicht. Sie wusste, dass sie ein schlechtes Omen waren. Während sie das Kleingeld auflas, dachte sie an jenen Spruch: ›Glück im Spiel, Pech in der Liebe‹.

    Zu Hause machte sie sich Kaffee und schlug die Zeitung auf, doch ihr Blick schweifte unkonzentriert über die Seiten. Sie erinnerte sich an Samstagabend. Schon lange war sie zuvor nicht mehr auf einer Party im Studentenviertel gewesen; das pralle Leben und der Lärm dort hatten sie sofort mitgerissen. Sie hatte das übliche Dreibettzimmer mit Plakaten an den Wänden erwartet. Deshalb war sie erstaunt und auch angenehm überrascht vor einer Wand voller Bilder stehen geblieben. Von einem Laien gemalt, doch imposant und emotionsgeladen. Alle stellten ein und dieselbe Frau in verschiedenen Positionen dar. Sie hatte sich nicht entscheiden können, ob ihr das eine besser gefiel, das beinahe wie eine Fotografie wirkte, das Bild des Mädchens vor einem abfahrenden Zug – ihr Gesicht spiegelte sich im Gangfenster, von der Bewegung langgezogen und verzerrt. Oder jenes, auf dem die Frau nur in Umrissen gezeichnet war, fast körperlos, wie eine Vision, während sich ein Mann fest an ihren Knöchel klammerte und hinter ihr her ziehen ließ.

    »Gefallen Ihnen die Bilder?« – war ihr eine Stimme über den Rücken gekrochen, und ihr war, als hätte sie den Mann sehen können, noch bevor sie sich umgedreht hatte, um auf die sehr dunklen Augen zu treffen, die ausgeprägten Wangenknochen und den hervorspringenden Adamsapfel, die genauso waren, wie sie sich das vorgestellt hatte.

    »Ja. Eben dachte ich noch, dass sie zusammen mit einer Tasse Kaffee eine Super-Werbung abgeben würden, nach dem Motto ›passend für jede Stimmung‹

    Er hatte gelächelt und ihr einen Gin Tonic in der Dose gereicht. Den ganzen Abend über hatten sich ihre Blicke gesucht, obwohl sie nicht viele Worte wechselten. Als sie gehen wollte, hatte er angeboten, sie nach Hause zu bringen. Im Hausflur des Wohnblocks hatte er gefragt:

    »Willst du nicht wissen, wer die Frau auf den Bildern ist?«

    »Ich weiß nicht, ob ich das Recht dazu habe. Wenn du es mir sagen willst, wirst du es von allein tun.«

    »Eigentlich gibt es diese Frau nicht. Aber die Situationen sind echt. Ich verwende diese Gestalt, wenn ich die Momente male, in denen ich die Frauen, mit denen ich zusammen war, am deutlichsten vor mir sehe, die Momente, in denen ich sie am stärksten gespürt habe.«

    Dann hatten sie sich lange und schweigend geküsst, wie Schüler – gründlich, leidenschaftlich, ihr ganzes Verlangen hatten sie in diesen Kuss gelegt, als ob mit ihm alles zwischen ihnen ausgeschöpft würde. Er fragte nicht, ob er mit hoch kommen solle, was sie viel mehr erregt hatte als die zufälligen Nächte mit mehr oder weniger Bekannten in der letzten Zeit. Schließlich hatte sie ihn für irgendwann zum Frühstück eingeladen, und er sagte, dass er am Mittwoch um 10 Uhr kommen würde.

    Sie warf die Zeitung beiseite, stand auf und begann, den Tisch zu decken. Sie ließ die Vorhänge halb geschlossen und zündete einige der Schwimmkerzen an, die am besten bei gedämpftem Tageslicht zur Wirkung kamen. Sie zog sich dreimal um, bis sie etwas Passendes fand – sowohl häuslich-bequem, als auch verführerisch. Es machte ihr Freude, sich so vorzubereiten.

    Sie hatte keinen Mann mehr zu sich nach Hause eingeladen, seitdem Michail vor acht Monaten zu ihr gesagt hatte, dass sie sich für eine gewisse Zeit trennen sollten. Nun setzte sie sich in den Sessel, in dem sie damals gesessen hatte, als er das einfach so gesagt hatte, ohne Anlass und ohne Grund. Urplötzlich, genauso plötzlich, wie ihre Liebe begonnen hatte. Damals hatte sie in der Theatergarderobe gearbeitet, und er war für die Beleuchtung verantwortlich gewesen. Fünf Monate lang hatte er kein besonderes Interesse an ihr gezeigt, doch eines Abends bat er sie, nach der Vorstellung noch dazubleiben. Sie hatten die ganze Nacht im leeren Theater verbracht, und dort, auf den roten Sitzen zu beiden Seiten des Ganges, sagten sie sich mehr, als sie hätten sollen. Dann hatte er die Scheinwerfer angestellt und sie liebten sich im Lichtkreis auf der Bühne, ohne diesen zu verlassen, als ob sie befürchteten, dass sie, wenn sie diese Grenze überschritten, zu Zuschauern ihrer eigenen Liebe würden. Mit ihm hatte sie sich wie in einem Theaterstück gefühlt, in einem unvorhersehbaren Schauspiel, bisweilen sogar absurden, mit unklaren Rollen. Doch es hatte ihr gefallen und sie dachte bereits, dass sie gar nicht anders leben möchte, als die nächste unerwartete Wende kam. Eines Morgens, wie er so zum Fenster hinaus schaute, hatte er zu ihr sagt, er wolle, dass sie sich trennen. Es war, als ob er mit dem Fenster spräche, und die Worte – dass er sich zu sehr an sie binden würde, dass er die Kontrolle verliere und dass dies ein ganz neues Gefühl sei, seltsam und erschreckend für ihn, dass er deshalb um etwas Zeit bitte – waren im Morgennebel verschwommen. Sie hatte in diesem Sessel gesessen, fast zwei Stunden lang, ohne zu weinen, doch irgendwie verzweifelt hatte sie gedacht, dass es ihr egal wäre, wie sehr er sie liebte und ob er zurück kommen würde, denn sie wollte ihn JETZT. Es waren die Tage des langen Tagebuchschreibens. Sie hatte die Vorhänge nicht aufgezogen, war manchmal über dem Schreiben eingeschlafen, Tage und Nächte verschmolzen miteinander, sie war fast nie ausgegangen, um seinen Anruf nicht zu verpassen. Sie bedauerte, nicht mehr im Theater zu arbeiten, weil sie dachte, wenn er sie sähe, würde sich alles sofort wieder einrenken. Seite um Seite hatte sie vollgeschrieben mit ihrer zierlichen, gedrängten Schrift und dabei den Kugelschreiber fest aufgedrückt. Bis dahin hatte sie nicht gewusst, dass der Schmerz die Elementarkraft der Worte ist. Bisweilen meinte sie, wenn sie einen Satz 17 Mal schreiben würde, dann würde er anrufen. Oder wenn sie sich in der Wanne zusammenkrümmen und Kerzen im Kreis um sich herum brennen lassen würde. Oder wenn sie ein Dutzend ihrer gelben Lieblingsrosen kaufen und jenes Lied spielen würde, in dem es heißt: ›it is the first time I feel love …‹ Doch nichts hatte geholfen. Schließlich hatte sie gedacht, sie müsse nur aufhören, auf ihn zu warten, dann würde er sich schon melden. Sie hatte sich gezwungen, über andere Dinge zu schreiben – geschildert, wie das Schaufenster der Geschenke-Boutique umgestaltet worden war, sich Dialoge des Paares in der Wohnung gegenüber ausgedacht, ihre Eindrücke von Filmen und Büchern mitgeteilt und manchmal sogar mit dem Fernseher gestritten. Sie hatte angefangen, sich jeden Morgen eine Zeitung zu kaufen und ihr Glück am Spielautomaten zu versuchen. Als das erste Mal drei Orangen nebeneinander auftauchten, hatte sie ihn zufällig im Kino getroffen, aber er tat, als hätte er sie nicht gesehen. Sie mied die Orte, wo sie zusammen hingegangen waren, traf sich nicht mit gemeinsamen Freunden, hatte fast alles fortgeworfen, was sie schmerzhaft an ihn erinnerte, und die Nächte mit Männern, die sie kaum kannte, zeigten ihr ein anderes Gesicht der Liebe. Allmählich entdeckte sie eine ganz andere Welt, in der er nicht vorkam. Es schien, als würde sie mit anderen Augen schauen. Das Schlimmste aber war, dass sie nicht mehr den Wunsch verspürte, die neuen Empfindungen mit ihm zu teilen.

    Und so saß sie acht Monate später in demselben Sessel und fragte sich, ob sie ihn wirklich geliebt hatte. Ob es denn tatsächlich so leicht ist, einen Menschen aus dem eigenen Leben zu streichen, ihn Erinnerung werden zu lassen. Sie glaubte, erneut zu spüren, wie sich die Tür des Aufzugs schließt und jemand auf sie zukommt, aber nicht er, sondern ein Anderer, jemand, der Szenen seiner Beziehungen sammelt und sie an die Wand hängt mit dem Abbild einer erfundenen Frau. Sie ahnte, dass er bereits vor der Tür stand, und dennoch schrak sie hoch, als es klingelte. Sie schaute auf die Uhr – es war Viertel vor Zehn.

    Sie öffnete und erstarrte zur Salzsäule – vor ihr stand Michail mit einem Strauß gelber Rosen. So verdutzt war sie, dass sie ihn nicht einmal hereinbat. »Freust du dich nicht, mich zu sehen?«, trat er auch ohne Aufforderung ein, zufrieden ob der Wirkung, die er ausgelöst hatte. Als er jedoch die brennenden Kerzen und den gedeckten Tisch sah, verfinsterte sich sein Gesicht. »Erwartest du jemanden, erzähl mir nicht, dass deine berüchtigte Intuition dir eingegeben hat, dass ich komme.«

    Sie antwortete nicht, saß in der Zimmerecke, als ob das Gespräch sie nichts anginge. Sie merkte, wie er nervös auf und ab ging, seine Schritte schienen die Umrisse einer magischen Figur nachzuzeichnen, dann blieb er am Fester stehen und sprach gegen das Glas: »Ja, es fiel mir schwer einzugestehen, dass ich dich liebe, aber an all diesen Tagen hast du mir gefehlt und deshalb bin ich gekommen«, seine Hände waren gegeneinander gepresst, die Finger gequetscht, er wollte wohl die Leere der Tage ohne sie aus ihnen heraus drücken, und: »Warum legst du nicht ›The first time‹ auf, ich habe es mir oft angehört und wollte dich anrufen, aber immer bildete ich mir ein, dass es ohne dich geht«, und schon zogen seine Hände am Vorhang, rieben sich an der Hose und sein Atem hinterließ auf dem Glas ein immer größeres Dunstwölkchen, das ihre Antwort aufnehmen und ersticken sollte: »Aber warum bist du nicht gekommen, als ich es wollte, als ich dich brauchte, und wie soll ich jetzt, da ich mich daran gewöhnt habe, ohne dich zu sein, deinen Wunsch akzeptieren.« Er ging zu ihr, drückte sie an sich, leckte sacht ihre Lippen, um sich zu vergewissern, dass es dieselben sind, die er besessen hatte und nach denen er sich in den vergangenen acht Monaten gesehnt hatte, und er versank in ihnen und tat so, als ob er die Klingel nicht hörte, als ob er nicht spürte, dass sie andere Lippen suchte, Lippen aus einem dunklen Hausflur. Sie entzog sich seinem Kuss nicht sofort, blieb solange, bis sie wusste, dass sie sich lieber als Bild an der Wand mit den Gesichtszügen einer nicht existenten Frau sehen wollte. Nach dem dritten Klingeln stieß sie Michail von sich und ging öffnen.

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