Lob der Sprache, Glück des Schreibens
Von Karl-Markus Gauß
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Lob der Sprache, Glück des Schreibens - Karl-Markus Gauß
Schreibens
I. Frau Jagger verliert einen Ring
Frau Jagger verliert einen Ring
Als Bianca Jagger in Salzburg einen Ring verlor, dessen Wert lumpige 200.000 Euro betragen soll, wurde der bedauerliche Verlust zugleich mit der Nachricht vermeldet, dass es sich bei der Besitzerin um eine weltberühmte Menschenrechtskämpferin handle. Dadurch entstand der Eindruck, der Kampf um Menschenrechte wäre ein einträgliches Gewerbe, mit dem man sich nebenbei eine passable Ausstattung an Schmuck zulegen könne. Kein Wunder, dass unter Salzburger Kindern, die nach ihrem Berufswunsch gefragt werden, die notorischen Astronauten, Fernsehmoderatoren, Popstars so was von out sind und neuerdings ein jedes meint, wenn es erst groß wäre, würde es sein Geld am liebsten auch als weltberühmter Menschenrechtsaktivist verdienen.
Der Wunsch ist verständlich, denn welcher Beruf ist heute schon edel und einträglich zugleich? Vielleicht der des Investmentbankers? Nein, der ist zwar edel, aber nicht mehr einträglich, denn ein solcher Banker bleibt sein Leben lang von staatlicher Unterstützung abhängig – und wer will das schon außer den wirklich Reichen? Wer sich für den Beruf des Menschenrechtsaktivisten entscheidet, setzt hingegen darauf, dass sich das Ansehen der Mutter Teresa ohne Schwierigkeiten mit der Ausstattung von Tante Bianca verbinden lasse. Und wenn einem der immerwährende Einsatz für die Entrechteten und Gedemütigten, die einem Gottseidank so schnell nicht ausgehen werden, wieder einmal zu langweilig geworden ist, dann heißt es eben Shoppen, bis die Ringe von den Fingern rutschen.
Früher, in barbarischen Zeiten, wurden die Kämpfer und Kämpferinnen für die Menschenrechte ja noch ermordet, inhaftiert, verfolgt; oder sie waren, bestenfalls und in demokratischen Staaten, übel beleumundet als Störenfriede, die den guten Geschäftsgang mit Diktaturen und Despotien störten. Die vollständige Kommerzialisierung unseres Lebens hat jedoch eine eigene Schicht erschaffen, der der Protest ein Geschäft, die Spende ein steuerlicher Abschreibposten und das humanistische Getue profitables Marketing ist.
Man kann den Fernseher nicht mehr einschalten, die Zeitung nicht mehr aufschlagen, ohne sie um die Wette grinsen zu sehen: all die guten und gut herausgeputzten Menschen, die der edlen Sache wegen völlern. Ihre soziale Herz- und Magensache heißt Charity, eine Veranstaltung, die den sozialen Gegensatz mittels Haubenköchen überwinden möchte. Da gilt es Champagner zu trinken, nicht weil er schmeckt, sondern weil es den Bedürftigen zugute kommt; selbst Trüffel entfaltet ein unerwartet soziales Aroma, wenn man ihn nicht um des Gaumenkitzels auf den Teller raspeln lässt, sondern weil man sich in tätiger Menschenliebe üben will.
Zum Humanismus der Charity-Gesellschaft braucht es dreierlei: Erstens Kameras, zweitens Leute, die begierig sind, aufs Bild zu kommen, und drittens Hungernde, Kranke, Obdachlose – Menschen also, deren Lage schlecht genug ist, dass sie sich nicht dagegen wehren können, als Objekte einer Hilfe ausgebeutet zu werden, die medial inszeniert und einzig wegen dieser medialen Inszenierung geleistet wird. Ja, und Türsteher und Rausschmeißer braucht es natürlich auch, wenn es um richtige Charity geht: Denn herrlich ist es nur, für die Obdachlosen, nicht mit ihnen zu dinieren.
Zweierlei Fundamentalisten
Der Fundamentalist, den wir vom Fernsehen kennen, hat einen wallenden Prophetenbart, seine leidensverzückten Züge sind von langer Askese ausgezehrt und in den tief liegenden Augen flackert der heilige Wahnsinn. In einer Welt, in der jeder nur seinem eigenen Vorteil nachjagt, ist er ein letzter, vollständig irre gewordener Idealist, der die Dinge um ihrer selbst willen tut und nicht, weil sie ihm nützten. Was ihm ein Gott befohlen hat, das führt er aus, und wären es dabei auch er selbst, seine eigene Familie, sein Stamm, seine Nation, ja am besten gleich die ganze Menschheit, die daran Schaden nähmen.
Er tut es trotzdem, einfach weil es einen geben muss, den nicht Leid und nicht Vernunft, nicht das eigene Glück und nicht das Elend aller davon abhalten können, göttlichem Auftrag zu gehorchen. Gerade deswegen ist er ja Fundamentalist, dass seine Zwangsideale ihm die Verantwortung abnehmen für das, was er tut, und er seine Hände jedenfalls in Unschuld waschen kann, wie blutig sie über der Arbeit, die sie verrichten, auch geworden sind.
Es gibt aber auch einen anderen Fundamentalisten, er trägt westliche Mode und steht in fast allem konträr zu den Überzeugungen des religiösen Fundamentalisten, vor denen es ihm nicht grundlos graut. Was sie jedoch vereint, ist die bedingungslose Hingabe an ein Ziel, von dem die allermeisten Mitmenschen der Meinung sind, es lohne nicht; weiters der Glaube an den einen einzigen Gott, mag er denn Allah oder Mammon heißen, und der inbrünstige Eifer, dass alles, was getan wird, der Herrlichkeit dieses Gottes zu dienen habe. Was beider Glaubensfestigkeit am wenigsten erschüttert, das ist die Wirklichkeit selbst, gegen die sie ein heftiges Ressentiment hegen, weil sie ein einziger Verrat an der Idee ist, der sie ihr Leben geweiht haben.
Kürzlich sah ich in einem Nachrichtenmagazin einen Mann mit den besten Manieren, modischer Krawatte und gut gescheiteltem Haar. Es handelte sich um den österreichischen Generaldirektor des internationalen Lebensmittelkonzerns Nestlé, der gerade mit flammendem Pathos predigte, dass es die Armen der Welt erst dann nicht mehr dürsten werde, wenn der letzte Tropfen Wasser auf Erden in privaten Besitz übergegangen sein wird. Man hielt dem Mann entgegen, dass nachweislich überall, wo die Wasserversorgung privatisiert wurde, alsbald die Qualität des Wassers sank und die Preise stiegen, so etwas Banales wie die Realität focht ihn nicht an. Sichtlich ging es ihm nicht allein um den Milliardenprofit, der sich machen lässt, wenn die Versorgung mit Trinkwasser erst seinem Konzern übertragen sein wird. Nein, was ihn antrieb, war vielmehr der heilige Furor des Fundamentalisten, der davon überzeugt ist, dass es nichts auf der Welt geben darf, das nicht seinen Eigentümer und seinen Preis hat. Hingerissen beobachtete ich einen Mann, der hingerissen davon war, sein Leben für die Privatisierung der Welt zu verschwenden, und wie er sich zu seinem irdischen Auftrag bekannte, war unverkennbar, dass er ihn als göttliche Mission empfand.
Mein Kasache
Letzte Woche hatte ich in Wien zu tun, und als ich den Frühzug in Salzburg bestieg, war im offenen Abteil nur mehr ein einziger Platz frei, sodass ich gegenüber einem muskulösen Mann von dreißig Jahren zu sitzen kam. Sein Schädel war kahl rasiert, der rechte Unterarm radikal tätowiert, die Lederjacke, die er umgehängt hatte, mit seltsamen Emblemen verziert, und die Dose Bier, die er in seiner Pranke hielt, jede halbe Stunde eine neue. Kurz, es handelte sich um einen Kerl, dem man abends in einer stillen Straße so ungern begegnet, wie man ihm vormittags drei Stunden im Zug gegenübersitzt.
Als ich ihn bis Wels verstohlen gemustert hatte, sagte ich mir: ein Kasache! Diese Backenknochen, diese Augen – das musste ein Kasache sein! Alle Kasachen, denen ich begegnet war, hatten solche Backenknochen und Augen gehabt. Sofort hatte ich ein schlechtes Gewissen, denn erstens verbiete ich mir rassekundliche Einschätzungen prinzipiell; sie stoßen mir nur manchmal gewissermaßen zu, ganz gegen meine Absicht. Und zweitens: Ein Ausländer – und ausgerechnet ich verspürte eine instinktive Abwehr, die auf nichts als Äußerlichkeiten beruhte, denn der Kasache sprach ja die ganze Zeit über kein einziges Wort. Waren denn die Ressentiments, die ich bei meinen Landsleuten im Speziellen und den Europäern im Allgemeinen zu geißeln pflege, auch die meinen?
Dann geschah etwas Aufregendes. Als der Zug St. Pölten gerade verlassen hatte, stürmten zwei Mann und eine Frau den Waggon, sie schauten nicht links, nicht rechts, und sie suchten nicht, denn sie wussten, wo sie wen zu finden hatten. Meinen Kasachen natürlich. Ohne weitere Erklärung herrschten sie ihn an: „Austrian police. Control. Passport. Der wilde Kasache war so eingeschüchtert, dass er nicht wusste, was zu tun war. „Documents! Police!
Der eine Beamte, der ausschaute, als würde er seine Zeit seltener im Amt als in der Kraftkammer verbringen, war einen Schritt näher getreten. Der zweite, ältere, einen zurück. Alles deutete darauf hin, dass die Situation in Kürze nach filmischem Muster eskalieren würde.
Zitternd fingerte der Kasache endlich einen roten Pass aus der Lederjacke. Der ruhigere, ältere Polizist öffnete ihn, las verwundert einen urwienerischen Namen vor, verglich das Foto mit dem Reisenden und reichte das Dokument dann mit einem knappen „Danke zurück. Die fesche Polizistin, die einen aufgeklappten Laptop bei sich trug, brauchte gar nicht erst im Computer nachzuschauen. Mein Kasache war ein Favoritner. Kein zugezogener Neu-Favoritner, sondern einer von Urgroßvaters Zeiten an, den das rätselhafte Schicksal mit einem originalkasachischen Gesicht versehen hatte. Als die Polizisten ebenso rasch, wie sie gekommen, wieder verschwunden waren, fragte ich ihn perplex: „Was war denn das jetzt?
„Naja, antwortete er mit einer Verachtung, die sich nicht auf die Amtshandlung bezog, „irgend so einen Asylanten werden sie gesucht haben
. Da wurde mir ganz heimelig ums Gemüt. Mein Landsmann war mir von Herzen unsympathisch, und ich brauchte nicht die Spur von schlechtem Gewissen dabei zu haben.
Die Inländer des Auslands
Vor einiger Zeit erzählte mir ein erboster österreichischer Pensionist, dass es mit seiner Liebe zu Mallorca vorbei sei und er die Wohnung, die er dort vor Jahren erstanden habe, wieder verkaufen werde. Was hatte ihm sein Paradies aus Sonne, Sangria und Sichtbeton verleidet? Zu viele Ausländer, klärte er mich auf. Das konnte ich ihm nachfühlen, denn warum soll man auf eine spanische Insel übersiedeln, wenn man dort erst wieder lauter Duisburger oder Eferdinger als Nachbarn hat und vom Besuch beim deutschen Zahnarzt bis zum Besäufnis im englischen Pub ausschließlich unter Ausländern bleibt? Mein wackerer Gesprächspartner hatte es aber anders gemeint.
Ihn ärgerte nicht, dass er es kaum je mit spanischen Inländern zu tun bekam, sondern dass neuerdings so viele Rumänen, Ukrainer und, ja, sogar Afrikaner auf Mallorca arbeiteten. Sein rassistischer Dünkel à la mode, der nicht mehr nach den Abstufungen der Hautfarbe, sondern jenen des Wohlstands geht, wuchs an der Tatsache, dass da Leute als Bauarbeiter, Kellner, Tagelöhner schufteten und trotzdem viel weniger Geld hatten als er, der gar nicht mehr zu arbeiten brauchte. Der schiere Anblick der Hungerleider war dazu angetan, ihm die Freude an dem Geld, das ihm zum Monatsersten überwiesen wurde, und an der Insel, auf der er sich mit seiner Bankomat-Karte ein natürliches Heimatrecht erworben zu haben meinte, zu vergällen.
An die Begegnung mit dem Österreicher, der sein spanisches Paradies der Muße verließ, weil dort zu viele Ausländer arbeiteten, wurde ich erinnert, als ich las, warum im vergangenen Jahr immerhin 200.000 Engländer ihre Heimat verlassen haben. Die englische Regierung hat eine Studie in Auftrag gegeben und herausgefunden, dass erstaunlich viele von ihnen in die Fremde zogen, weil sie sich über die vielen Fremden zuhause ärgerten. Wer es sich leisten kann, verkauft seine Wohnung in Birmingham, um ein Appartement an der sonnigen Algarve zu erwerben, und flieht so nicht nur den Regen, sondern auch die Ausländer, indem er selber zu einem wird.
Verrückt? Nein, denn an der Algarve oder an der Costa Brava bleibt er unter seinesgleichen, und woher seinesgleichen auch immer stammt, es ist stets dieselbe Preisklasse. Und der zeitgemäße, von alten Vorurteilen freie Begriff des Ausländers hängt ja nicht mehr von Nationalität oder Staatsbürgerschaft ab, sondern vom Bankkonto. Ausländer ist, wer weniger Geld hat als man selbst und daher im begründeten Verdacht steht, es einem aus der Tasche ziehen zu wollen. Hat man hingegen die finanziellen Mittel dazu, darf man durch die Welt hetzen und sich doch überall als globalisierter Inländer heimisch fühlen. Zugleich aber bleiben Millionen, gleich wie lange sie sich schon an einem bestimmten Ort abrackern, auf ewig jene Ausländer, als die sie einst gekommen sind, und ihnen werden zahllose Inländer zugesellt, deren materielle Verhältnisse so prekär sind, dass sie in Gefahr geraten, im eigenen Land den Status von Inländern des Wohlstands einzubüßen.
Der innere Terror
Aus Columbia erreicht mich eine erschreckende Nachricht: Der oberste Leiter der amerikanischen Gesundheitsbehörden, Richard Cameron, hat in einem Vortrag an der Universität von South Carolina eingestanden, dass der Krieg gegen den Terror für die USA nicht zu gewinnen sei; schlimmer, dass der böseste Feind bisher gar nicht erkannt und also auch nicht bekämpft worden ist. Der Terror von außen wäre nämlich harmlos im Vergleich zum