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Das Tor des Willens
Das Tor des Willens
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eBook354 Seiten4 Stunden

Das Tor des Willens

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Über dieses E-Book

Rudi ist Immobilienmakler in Hamburg. Die Geschäfte laufen schlecht, auch privat ziehen dunkle Wolken auf. Seine Freundin wird nach Düsseldorf versetzt. Das Aus für die gemeinsame Zukunft? Da taucht der geheimnisvolle Herr Bertoldi auf und weiht ihn in die Geheimnisse über DAS TOR DES WILLENS ein. Plötzlich kann Rudi die Entscheidungen anderer Menschen beeinflussen. Doch das Wissen hat seinen Preis: Wer das Geheimnis verrät, verliert sein Leben. Der einst erfolglose Makler erfährt einen rasanten Aufstieg in die Hamburger High Society. Dann beginnt er zu zweifeln: Basieren die Erfolge anderer tatsächlich auf eigenen Leistungen oder etwa auch auf dem TOR DES WILLENS? Und wie steht es mit dem Fluch? Ein moderner Fantasyroman - so spannend, dass man ihn nicht mehr zur Seite legen kann!
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum7. Mai 2014
ISBN9783735726285
Das Tor des Willens
Autor

Harald J. Krueger

Harald J. Krueger wurde 1950 in Berlin geboren. Er wuchs in Hamburg auf. Viele Jahre arbeitete er als Manager in Unternehmen der Lebensmittelbranche. Mit 50 Jahren begann er, was er schon immer wollte, spannende Romane mit einem geheimnisvollen Hauch Übersinnlichem zu schreiben.

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    Buchvorschau

    Das Tor des Willens - Harald J. Krueger

    Für Wiebke

    Inhaltsverzeichnis

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 25

    Kapitel 26

    Kapitel 27

    Kapitel 28

    Kapitel 29

    Kapitel 30

    Kapitel 31

    Kapitel 32

    Kapitel 33

    Kapitel 34

    Kapitel 35

    Kapitel 36

    Kapitel 37

    Kapitel 38

    Kapitel 39

    Kapitel 40

    Kapitel 41

    Kapitel 42

    Kapitel 43

    Kapitel 44

    Kapitel 45

    Kapitel 46

    Kapitel 47

    Kapitel 48

    Kapitel 49

    Kapitel 50

    Kapitel 51

    Kapitel 52

    Kapitel 53

    Kapitel 54

    Kapitel 55

    Kapitel 56

    Kapitel 57

    Kapitel 58

    Kapitel 59

    Kapitel 60

    Kapitel 61

    Kapitel 62

    Kapitel 63

    Kapitel 64

    Kapitel 65

    Kapitel 66

    Kapitel 67

    Kapitel 68

    Kapitel 69

    Kapitel 70

    Kapitel 71

    Kapitel 72

    Kapitel 73

    Kapitel 74

    Kapitel 75

    Kapitel 76

    Kapitel 77

    Kapitel 78

    Kapitel 79

    Kapitel 80

    Kapitel 81

    Kapitel 82

    Kapitel 83

    Kapitel 84

    Kapitel 85

    Kapitel 86

    Kapitel 87

    Kapitel 88

    Kapitel 89

    Kapitel 90

    Kapitel 91

    Kapitel 92

    Kapitel 93

    Kapitel 94

    Kapitel 95

    Kapitel 96

    Kapitel 97

    1.

    Rudi starrte nun schon minutenlang bewegungslos auf sein Telefon. Als ob er damit einen verheißungsvollen Anruf herbeiblicken könnte. In Wahrheit sah er das stumme Telefon auf dem unterforderten Schreibtisch in seinem Büro gar nicht. Er hatte vielmehr die laufenden Kosten seines Immobilienbüros vor Augen. Diese nahmen jetzt auch noch Gestalt an. Ute Schulz, die Telefonistin, trat ihren Dienst an.

    „Frohes Schaffen", erwiderte Rudi ihren Gruß.

    Sie war wie immer pünktlich und freundlich, aber wenig ansehnlich. Dafür, dass sie Anfang zwanzig war, hätte sie gern wenigstens etwas schlanker sein können, dachte Rudi insgeheim.

    Die Anrufer hatten offenbar auf sie gewartet. Kaum hatte sie an ihrem Schreibtisch im Vorzimmer Platz genommen, klingelte das Telefon. Endlich! Was für eine angenehme Melodie. Rudi bewunderte ihre Art, wie sie völlig Fremden das Gefühl vermittelte, sie freue sich ganz besonders, dass gerade sie anriefen. Einige Klienten hatten ihn sogar schon darauf angesprochen. Rudi hatte sich im Stillen amüsiert. Wenn die wüssten, was das für eine dumme, faule Nuss war. Aber am Telefon bewies sie großes Talent, und darauf kam es ihm an.

    An sich hielt er sich ungern in seinem Büro auf. Umsatz machte man in den Objekten und nicht in der Schreibstube. Er war deshalb auch froh, dass es Zeit wurde aufzubrechen, um eine Mietwohnung zu präsentieren. Sonst hätte er auch noch den Posteingang miterleben müssen. Eingehende Briefumschläge enthielten meistens Rechnungen oder Kontoauszüge. Er fragte sich, auf was er lieber verzichten würde, wenn er die Wahl hätte. Wahrscheinlich auf die Kontoauszüge, die dokumentierten seine geschäftliche Flaute noch erbarmungsloser. Eigentlich hatte er sich das Leben als selbstständiger Makler einträglicher vorgestellt. Die ersten zwölf Jahre nach dem Abitur hatte er als angestellter Makler ein popeliges Gehalt bezogen. Gelegentlich hatte er eine knauserige Erfolgsprämie erhalten. Seit er sich vor fünf Jahren selbstständig gemacht hatte, wurde ihm kein Gehalt mehr überwiesen. Dafür bezahlte er jetzt eins an seine Assistentin, wie sie sich betitelte.

    „Starmakler Rudi Hansen meldet sich ab zum Außeneinsatz in Sachen Mietobjekt Jansenweg 97", rief er ihr zackig beim Verlassen des Büros zu.

    „Glück auf!", war ihre Standardantwort auf seine Albernheiten.

    Hoffentlich entschied sich der Interessent für diese Wohnung. Das würde die nächsten Kontoauszüge attraktiver aussehen lassen und die Stimmung verbessern. Der stockende Straßenverkehr trug nicht dazu bei. Jetzt, Mitte September, war auch der letzte Autofahrer aus dem Urlaub zurück. Zum Glück war es trocken. Bei Nässe schienen einige ihren Wagen vorsichtshalber zu schieben statt zu fahren. Das hatte schon so manches Mal Rudis rechtzeitiges Erscheinen gefährdet. Für Rudi war Unpünktlichkeit eine Beleidigung. Er war deshalb stets pünktlich. Das war bei dem Verkehr und dem Wetter in Hamburg nicht unbedingt leicht. Rudi machte es sich jedoch dadurch einfach, dass er zu früh kam. Am liebsten so zeitig, dass er noch einen Kaffee in der nächstgelegenen Kneipe trinken konnte. Das hatte sich für Rudi schon zu einem Ritual entwickelt. Er liebte es, mit den Wirten kurz zu plaudern. Dadurch hatte er von so manchen Objekten erfahren, bevor sie überhaupt auf den Markt kamen. Die Wirte schätzten es umgekehrt auch, von ihm informiert zu werden.

    „Was gibt es Neues bei Max?", begrüßte er den Wirt, der seine Kneipe selbstverliebt nach sich selbst benannt hatte. Vormittags um elf empfing Max mehr Lieferanten als Gäste. Nur weil er für die Lieferanten sowieso da sein musste, war der Einmannbetrieb um diese Zeit überhaupt geöffnet. So auch heute. Am Tresen lehnte nur ein Kerl im Coca-Cola- Overall neben seiner Karre, auf der Getränkekisten gestapelt standen. Rudi setzte sich auf den mittleren Barhocker und wartete auf seinen Kaffee.

    Während er sorgfältig zwei Zuckerwürfel verrührte, tauchte ein weiterer Gast auf. Er belegte den Hocker am anderen Ende der Bar. So wie der sich alles ansah, mutmaßte Rudi, dass er zum ersten Mal hier einkehrte.

    „Der Jansenweg ist doch gleich links um die Ecke?", sprach der Fremde den Wirt an, als der ihm das gezapfte Bier vorsetzte.

    „Kommt darauf an", antwortete der Wirt vage. Rudi sah eine leichte Verunsicherung im Blick des Fremden.

    „Kommt auf die Hausnummer an. Zu welcher Nummer wollen Sie denn?", schaltete sich Rudi leutselig ein.

    „Jansenweg 97."

    „Dann müssen Sie nach rechts. Wollen Sie sich dort eine Wohnung ansehen?"

    Der Fremde blickte ihn überrascht an.

    „Ich frage nur, weil ich dort gleich einen Termin zur Wohnungsbesichtigung habe."

    „Herr Hansen?", entfuhr es dem Fremden.

    Der Wirt zog sich zurück, fertigte den Coca-Cola-Mann ab und setzte seine niemals endende Wischarbeit an Spüle und Tresen fort.

    Makler und Interessent, der sich inzwischen als Herr Loose vorgestellt hatte, musterten sich gegenseitig. Rudi war fünfunddreißig Jahre alt, Herr Loose vierzig. Sie waren beide schlank und noch ziemlich knitterfrei. Da bei Herrn Loose aber noch volles kaffeebraunes Haar den Kopf bedeckte und es bei Rudi schon lange kaum noch etwas zu frisieren gab, schienen sie gleichaltrig zu sein. Beide waren geschäftsmäßig in sandbraune Kombinationen mit rötlichen Krawatten gekleidet. Mäntel waren zu Beginn des Dauerherbstes in Hamburg noch nicht erforderlich.

    „Suchen Sie eine Wohnung für sich allein?"

    „Meine Frau und ich bewohnen zurzeit eine Vierzimmerwohnung in der Kantstraße. Wir trennen uns gerade und suchen jeder eine eigene Wohnung. Ich hoffe, das geht schnell. Es ist nicht mehr zum Aus halten."

    Das weckte Rudis Interesse. Herr Loose wurde ihm deutlich sympathischer. „Ich habe genau die richtige Wohnung für Sie. Vollständig renoviert und sofort beziehbar. Sucht Ihre Frau auch noch? Darf ich sie deshalb mal anrufen? Haben Sie schon einen Nachmieter für Ihre jetzige Wohnung?"

    Rudi musste sich bremsen, nicht zu offenkundige Begeisterung über die missliche Lage seines Klienten zu zeigen. Aber so war das ja oft. Was für den einen schlecht war, war für den anderen gut. Dauernd hörte man, dass Ehen zerbrachen. Ein Glück, dass er selbst eine so gute Beziehung zu Silke hatte, dachte er verliebt und dankbar. Falls Herr Loose die Wohnung mietete, wollte er Silke nachher im Labor anrufen, um ihr zu sagen, wie sehr er sich schon auf den Abend bei ihr freute.

    Rudi führte Herrn Loose durch die Wohnung. Am besten gefiel diesem, dass er sofort einziehen konnte. Als er dann auch noch von dem dazugehörigen Pkw-Stellplatz hinter dem Haus erfuhr, stand seine Wahl fest.

    „Kann ich wirklich sofort einziehen?"

    „Klar. Haben Sie denn schon gepackt?", hakte Rudi keck nach.

    „Ich muss erst noch ein Umzugsunternehmen finden, das möglichst bald zur Verfügung steht."

    „Oh, das ist meistens nicht so einfach, gab Rudi, besorgt den Kopf schüttelnd, zu bedenken, „aber ich könnte Ihnen da eventuell helfen.

    Sie gaben sich zum Abschluss bewusst die Hand. Dieses Ritual zwischen Geschäftspartnern hatte für Rudi mehr Bedeutung, als Juristen das wahrhaben wollten. Rudi konnte es dabei mal wieder nicht lassen, Herrn Loose einen Lidschlag länger als üblich in die Augen zu schauen. Er war erleichtert, dass sein Blick ohne Irritation erwidert wurde. Rudi sah Herrn Loose an, wie froh der war, an ihn geraten zu sein. Diese Dankbarkeit hatte Rudi schon oft bei seinen Geschäftspartnern gespürt. Schon in der Schule hatte er so manches Geschäftchen vermittelt. Einige nannten ihn deshalb auch den geborenen Schacherer. Das mochte er aber nicht. Es klang so negativ. Für Rudi galt damals wie heute der Rat seines Vaters. „Ein Geschäft ist nur dann gut, wenn alle Parteien zufrieden sind. Sein Vater war Einkäufer in einer Maschinenfabrik. Rudis erster Chef, Peter Lange, der bekannteste Immobilienmakler in Hamburg, hatte ihm auch etwas geraten, was Rudi stets beherzigte. „Denken Sie vor Abschluss eines Vertrages an kommende Verträge mit diesen Partnern. Ob Lange & Co. deshalb so erfolgreich war?

    Deutlich heiterer kehrte Rudi ins Büro zurück. Seine Assistentin setzte sofort den Mietvertrag und die Provisionsrechnung auf. Er selbst begann mit seiner Lieblingsbürobeschäftigung, dem Telefonieren. Mit zwei Anrufen hatte er einen Spediteur für dieselbe Woche gefunden. Das brachte ihm noch mal eine Provision. Mit Frau Loose, der Exfrau, vereinbarte er Termine für die alte und die neue Wohnung. Der Tag hatte sich doch noch positiv entwickelt. Rudi war deshalb in bester Stimmung, als er Silke gegen halb eins im Labor anrief: „Hi Darling, soll ich für heute Abend noch was mitbringen?"

    „No Sir. Stell dir vor, der Dr. Sievers aus Düsseldorf ist heute hier. Du weißt doch, der Typ vom Vorstand der Gloria AG. Ich kann’s gar nicht fassen, aber der hat sich mit mir um vier Uhr im kleinen Konferenzraum verabredet. Ich bin so aufgeregt. Was der wohl will?"

    „Na, ich wüsste schon, was ... Ob dafür aber der kleine Konferenzraum so der geeignete Ort ist?"

    „Ach, Rudi, sei nicht albern."

    „Ich freue mich schon so auf dich."

    2.

    Dieser süße anglophile Spinner, schmunzelte Silke nach dem Telefonat. Wenn Rudi wüsste, wie aufgeregt sie war. Seit ihr Chef, Laborleiter Dr. Quast, sie heute Morgen über den Termin mit Dr. Sievers informiert hatte, stand sie neben sich. An normale Arbeit war nicht zu denken. Was konnte der nur wollen? Komisch, dass sie nichts vorbereiten sollte. Normalerweise wollten diese Vorstandstypen eindrucksvolle Präsentationen der Forschungsergebnisse. Aber ihr Projekt war noch nicht reif dafür. Außerdem wäre das dann auch die ehrenvolle Aufgabe von Dr. Quast.

    Trotzdem war sie Rudi für den Anruf dankbar. Zum einen, weil er sie mal wieder zum Lachen gebracht hatte, und zum anderen, weil sie deutlich gemerkt hatte, wie gern er mit ihr zusammen war. Beides schaffte ihr genügend Abstand, um sich auf das 16-Uhr-Treffen vorzubereiten.

    Sie versuchte sich in die Lage von Dr. Sievers zu versetzen. Was würde sie an seiner Stelle wissen wollen?

    Ziel ihres Forschungsprojekts? = Wirksameres Antischuppenmittel.

    Stand des Forschungsprojekts? = Viel versprechende Testergebnisse.

    Voraussichtlicher Abschluss des Forschungsprojekts? = Ein bis zwei Jahre.

    Budget? = Ursprünglich waren fünf Millionen Euro für maximal fünf Jahre veranschlagt. Jetzt nach drei Jahren war weniger als die Hälfte verbraucht.

    Wie könnte das Projekt schneller erfolgreich abgeschlossen werden? = Moderneres Labor mit Computeranalysen und -simulationen.

    Was behindert den Fortschritt des Projekts? = Achtung, gefährliche Frage! Die wahre Antwort wäre „die Bürokratie. Aber Dr. Sievers war für Silke der Repräsentant der Bürokratie. Also besser diplomatisch umschreiben wie „die nicht projektbezogenen Nebenaufgaben, zum Beispiel Konkurrenzmuster oder Reklamationen analysieren.

    Was sollte als Nächstes erforscht werden, um die Marktführerschaft auszubauen? = Eigentlich eine Frage an die Marktforscher. Aber aus Sicht einer Chemikerin und Frau fehlte ein Mittel, das die Haare vor Geruch schützte, sodass sie zum Beispiel nach dem Kochen nicht nach Essen rochen.

    Wenn sie das vorher gewusst hätte, murrte Silke vor sich hin, hätte sie sich die Haare gewaschen und ihr neues Kostüm angezogen. Warum kam der Kerl ohne Vorwarnung nach Hamburg? Silke arbeitete nun schon zehn Jahre in diesem Labor. Sie hatte während ihres Chemiestudiums hier auch ihr Praktikum gemacht. Als sie ihr Diplom bekam, hatte Dr. Quast sie überredet, hier sofort anzufangen. Eigentlich wollte sie vorher noch ihren Doktor machen. Allein schon wegen ihrer Eltern hätte sie das besser gefunden. Ihr Vater betrieb eine Apotheke in Lüneburg, wo Silke auch aufgewachsen war. Ihre Eltern waren jahrelang davon ausgegangen, dass sie als einziges Kind die Apotheke in bester Innenstadtlage übernehmen würde. Silke hatte aber am Pillenverkaufen keinen Gefallen gefunden. Das Labor im Hinterzimmer der Apotheke hatte sie dafür schon als junges Mädchen umso mehr gereizt. Wie Madame Curie als Forscherin der Menschheit dienen, diesen Jugendtraum hatte sie sich bewahrt.

    Das Labor, im dem sie forschte, gehörte zur Hanseifa AG, einer traditionsreichen Hamburger Kosmetikfabrik. Früher hieß die Firma Hanseatische Seifenfabrik und war ein reiner Familienbetrieb. Vor zwei Jahren war er mit neuem Namen an die Börse gebracht worden. Letzten Monat hatte die Gloria AG die Aktienmehrheit übernommen. Das hatte tagelanges Gerede auf den Gängen ausgelöst. Weil sich aber nichts veränderte, hatten sich alle wieder beruhigt.

    Silke verließ ihren Laborarbeitsplatz so rechtzeitig, dass sie sich noch vor dem Treffen die Hände waschen und die Haare kämmen konnte. Obwohl ihre Hände eiskalt waren, kam es ihr vor, als ob sie schwitzte. Sie knöpfte sich deshalb ihren weißen Laborkittel auf. Ein Glück, dass nicht wieder diese rötlichen Aufregungsflecken aufgetaucht sind, stellte sie erleichtert fest, als sie ihr Aussehen im Spiegel überprüfte. Sie sah für Mitte dreißig wirklich gut aus. Normale Größe, weibliche Formen, blonde Haare, glatt auf den Schultern aufliegend. Silke schminkte sich morgens nur dezent. Sie hatte schlechteste Erfahrungen mit Schminknachbesserungen im Laufe des Tages gemacht. Jedes Mal bereute sie es danach. Wenn das vielen Frauen auch so gehen sollte, wäre das auch mal ein lohnendes Forschungsprojekt.

    Als Silke den Konferenzraum betrat, war sie überrascht. Sie kannte diesen Raum nur kühl und geruchsfrei, weil er selten genutzt wurde. Heute war der Raum warm, die Luft verbraucht. Wahrscheinlich hatten hier schon seit Stunden Gespräche stattgefunden.

    Dr. Sievers saß allein an dem langen Konferenztisch. Silke war Dr. Sievers vor einigen Wochen vorgestellt worden. Sie erkannte ihn sofort wieder. Der hat ja noch weniger Haare als Rudi, war ihr erster Eindruck. Nach den zahlreichen Falten zu urteilen, war er wahrscheinlich Mitte fünfzig. Sein wacher, klarer Blick und seine schlanke Figur gefielen ihr. Heute erschien er ihr erschöpft. Dennoch sprang er, als sie eintrat, geschmeidig auf, um sie mit Handschlag zu begrüßen. Nach einigen einleitenden Freundlichkeiten kam er zur Sache: „Sie wissen, die Gloria AG hat die Hanseifa AG übernommen. Im Rahmen der Zusammenlegung werden wir den Hanseifa-Betrieb hier in Hamburg nur noch als Produktionsstandort fortführen. Deshalb werden sämtliche Abteilungen, die nicht direkt zur Produktion gehören, geschlossen."

    Silke musste schlucken, obwohl ihr Mund so trocken war wie nie zuvor. Für einen Sekundenbruchteil kam es ihr vor, als ob sie ohnmächtig werden würde. Diese seltenen Aussetzer erschreckten sie seit ihrem Studium. Jetzt fühlte sie, wie ihr Körper durch eine innere Automatik die Herzfrequenz erhöhte und die Achseln nass werden ließ.

    „Das heißt, dass es in Hamburg Bereiche wie Geschäftsleitung, Einkauf, Verkauf und Rechnungswesen nicht mehr geben wird. Das Labor wird reduziert auf reine Qualitätskontrollen. Von den Forschungsprojekten wird nur das Anti-Schuppen-Projekt in unserem Forschungszentrum in Düsseldorf weiterverfolgt. Die Arbeitsbedingungen sind dort wesentlich besser. Am liebsten sähen wir weiterhin Sie als Projektleiterin dort."

    Inzwischen atmete Silke ohne ihren Willen auch noch heftiger. Wie konnte der solche Nachrichten nur so sachlich und freundlich lächelnd überbringen, regte sie sich innerlich auf. „Das heißt, ich soll nach Düsseldorf umziehen?, unterbrach Silke ihn nach Atem ringend und um Fassung bemüht. „Und was wird aus meinen Mitarbeitern, meinen Kollegen und den anderen Projekten?

    „Die anderen Forschungsprojekte werden abgebrochen. Wir haben in unserem Forschungszentrum ähnliche Projekte laufen. Offen gestanden, sind wir dort schon weiter. Herr Dr. Quast wird das verbleibende Labor hier bis zu seiner Pensionierung in drei Jahren weiter leiten. Er wird ein Team für die Qualitätskontrolle aus dem jetzigen Mitarbeiterstamm zusammenstellen. Von den restlichen Angestellten müssen wir uns dann leider trennen. Wir werden mit dem Betriebsrat eine faire Regelung finden."

    „Aber ich kann doch nicht aus Hamburg weg!", entgegnete sie verzweifelt. Sie hatte bislang nur an ihr Projekt gedacht, jetzt kam ihr auch Rudi in den Sinn. Wie sollten sie ihre Beziehung aufrechterhalten, wenn er in Hamburg und sie in Düsseldorf wohnte?

    „Düsseldorf ist auch eine bezaubernde Stadt an einem breiten Fluss. Kennen Sie das Gloria-Forschungszentrum eigentlich? Sie werden begeistert sein. Dort werden Sie viel intensiver und rationeller forschen können."

    „Aber mein Mann ist an Hamburg gebunden, erwiderte sie verzagt. Sie war froh, dass sie diesmal die Bezeichnung „mein Mann ohne Zögern über die Lippen gebracht hatte. Oft hatte sie sich in der Vergangenheit über sich selbst geärgert, wenn sie von „meinem Lebensgefährten" oder ähnlichen Ungetümen gesprochen hatte.

    „Nach meinen Informationen sind Sie ledig und kinderlos."

    „Das ist formal richtig, aber emotional nicht. Was passiert, wenn ich nicht mitgehe?"

    „Das würden wir sehr bedauern. Wir müssten dann einen neuen Projektleiter finden. Vielleicht einen Ihrer Laborkollegen hier."

    „Was, meine Entdeckungen, das, das wäre ja unerhört, das, das geht doch gar nicht", stotterte sie bestürzt.

    „Sprechen Sie doch erst einmal mit Ihrem Mann und überdenken Sie alles. Sie würden mir in Düsseldorf direkt unterstellt. Eine Zwischenebene wie Laborleiter gibt es dort nicht. Wenn Sie das Projekt erfolgreich abgeschlossen haben, werden wir, wenn Sie das wollen, einen Weg finden, wie Sie parallel Ihren Doktor machen können. Das ist dort gang und gäbe."

    Woher wusste der, dass er sie damit locken konnte, wunderte sich Silke.

    3.

    Auf dem Weg vom Büro zur Wohnung in Harvestehude kaufte Rudi einen Strauß sonnengelber Astern für Silke. Meistens brachten sie sich keine Geschenke mit, wenn sie sich gegenseitig besuchten. Aber heute gab es so viele gute Gründe. Der Mietvertrag mit Herrn Loose, die Umzugsprovision, die Aussicht auf Provisionen für die weiteren Loose-Mietungen hätten schon gereicht, aber vor allen Dingen war sich Rudi seines Glücks mit Silke bewusst geworden. Wo man auch hinhörte, überall zerbrachen Ehen und Liebschaften. Komischerweise machten die Getrennten aber selten einen glücklicheren Eindruck als vorher. Was war los? Alle träumten von einer glücklichen Partnerschaft, aber viel schien nicht dafür getan zu werden. Er kaufte wenigstens einen Blumenstrauß, lobte sich Rudi. Er hatte Silke vor drei Jahren im Hausflur bei den Briefkästen kennen gelernt. Sie wohnte schon länger im fünften Stockwerk. Er war gerade erst im zweiten Stock eingezogen. Sie war ihm so sympathisch, dass er sie spontan zu seiner Einzugsparty eingeladen hatte. Sie war gekommen und am längsten geblieben. Sie hatten sich bald verliebt. Bei anderen wäre wahrscheinlich schon längst die Frage gestellt worden, ob sie nicht zusammenziehen sollten. Da sie jedoch im selben Haus wohnten, wollte keiner den bequemen Status quo gefährden. Rudi hatte bei seinen intensiven Augenkontakten schon einige Male den Eindruck, dass Silke ihn gern heiraten würde. Er traute sich aber nicht zu fragen. Seine finanziellen Verhältnisse waren zu unstetig. Silkes Gehalt war beneidenswert hoch und vor allem konstant. Sein Einkommen war zwar in manchen Monaten höher, aber dafür auch mal wochenlang eher dürftig. Eine Absage wäre schon ein harter Schlag gewesen. Wenn man all die Trennungen um einen herum beobachtete, bezweifelte man sowieso, dass Heiraten so empfehlenswert war. Trotzdem, wenn er endlich ein stabiles Brot- und Buttergeschäft bekäme, würde er ihr einen Antrag machen. Vielleicht wartete sie sogar darauf. Wenn man nur in die Menschen besser hineinschauen könnte.

    Jedenfalls verriet der Türspion an Silkes Wohnungstür, dass sie hinausschaute, um zu sehen, wer vor der Tür stand. Sie öffnete die Tür sofort und ließ Rudi eintreten. Er wollte ihr gerade einen Begrüßungskuss geben, als er ihre rötlichen Aufregungsflecken im Gesicht sah.

    „Hi Darling, was ist passiert? Hast du geweint oder bist du krank?"

    „Ach Rudi, es ist alles so furchtbar", brach es unter Tränen aus ihr heraus. Rudi nahm sie in die Arme und spürte, wie sie von Kummer geschüttelt wurde. Er führte sie, immer noch umarmt haltend, ins Wohnzimmer. Sie setzten sich nebeneinander auf das Sofa. Sie legte ihren Kopf auf seine Schulter. Das beruhigte sie langsam. Rudi schossen verschiedene Erklärungen durch den Kopf. Hatte sie einen Unfall? War etwas mit ihren Eltern passiert? War die Firma pleite?

    „Rudi, ich muss nach Düsseldorf", begann Silke wieder zu schluchzen.

    „In das Dorf der Dussel?", versuchte er sie aufzuheitern.

    „Die Gloria AG will unser Labor schließen. Nur mein Projekt soll in Düsseldorf fortgeführt werden. Wenn ich nicht gehe, leitet es ein anderer, und ich werde arbeitslos. Wenn ich gehe, werden wir uns nur noch selten sehen. Oh Rudi, das ist so gemein. Was sollen wir nur machen?"

    „Dann lass sie doch sehen, wie sie ohne dich klarkommen", trotzte er spontan. Das löste jedoch nur noch mehr Tränen aus.

    „Das ist mein Projekt, meine Entdeckung, mein Baby. Das darf kein anderer übernehmen und ich dafür arbeitslos werden."

    Rudi wurde zum ersten Mal klar, wie stark Silke an ihrem Projekt hing. Sie hatten selten über ihre Arbeit gesprochen. Er hatte den Verdacht, dass sie auch nicht durfte. Ihm war nie in den Sinn gekommen, dass er in dieser Form Konkurrenz bekommen könnte. Allein dass sie Düsseldorf überhaupt in Erwägung zog, versetzte ihm Stiche. Gekränkt schlug sein Herz schwerer.

    „Am Freitag soll ich nach Düsseldorf kommen, um mir das Forschungszentrum anzusehen. Am Samstag kann ich Stadt und Umland kennen lernen. Am besten wohl gleich eine Wohnung suchen. Spätestens ab Januar soll ich dann dort anfangen oder mich arbeitslos melden. Ich finde mit fünfunddreißig Jahren ohne Doktortitel in Hamburg auch keine andere leitende Forschungsaufgabe, bei wem denn?"

    Er blickte lange in ihre verheulten Augen, ein Meer voller Verzweiflung, Kummer und Resignation. Im Laufe des Abends versprachen sie sich zu oft, ihre Beziehung aufrechtzuerhalten. Rudi verzichtete aber lieber auf seinen Augentest. Wie sollte das funktionieren, fragte er sich. An den Wochenenden hatte er als Kleinmakler manchmal mehr zu tun als in der Woche. Wie lange hielt so eine Liebe?

    Als sie ihn zur Wohnungstür brachte, entdeckte sie seinen Blumenstrauß. Er lag auf der Kommode neben der Tür. Noch nicht ins Wasser gestellt, welkten die Astern bereits.

    4.

    Nach dem Aufwachen am nächsten Morgen kreisten Rudis Gedanken in der gleichen Endlosschleife wie vor dem Einschlafen. Silke hatte sich für ihr Schuppenprojekt und damit für Düsseldorf entschieden. Um ihre Beziehung zu retten, müsste er mit nach Düsseldorf gehen. Dort wäre er aber als Makler ohne jegliche Ortskenntnisse ziemlich chancenlos. Es hätte Silkes Kummer nur vermehrt, wenn er versucht hätte, sie zum Bleiben zu überreden. Hätte sie anders reagiert, wenn sie verheiratet wären? Aber wäre es, wenn sie bliebe, nicht noch schlimmer? Sie arbeitslos, er mit äußerst variablen Einkünften, das wäre der klassische Nährboden für Ehekrisen. Da gab es keinen Ausweg.

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