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Männer, Frauen und andere Biester: Hinterhältige Kurzgeschichten
Männer, Frauen und andere Biester: Hinterhältige Kurzgeschichten
Männer, Frauen und andere Biester: Hinterhältige Kurzgeschichten
eBook335 Seiten3 Stunden

Männer, Frauen und andere Biester: Hinterhältige Kurzgeschichten

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Über dieses E-Book

Die Kurzgeschichten in diesem Buch sind teilweise etwas frech, mit schwarzem Humor gespickt, politisch unkorrekt, lustig, nachdenklich, "kriminell" oder auch dramatisch. Alle Geschichten haben jedoch gemeinsam, dass sie glänzende Unterhaltung bieten und man immer weiterlesen möchte.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum5. Sept. 2016
ISBN9783734553134
Männer, Frauen und andere Biester: Hinterhältige Kurzgeschichten
Autor

Irene Treff

Irene Treff wuchs in der Umgebung von Augsburg auf. Nach ihrer kaufmännischen Ausbildung zog es sie in die Schweiz. Geplant war ein einjähriger Aufenthalt. Doch dann blieb sie dort - der Liebe wegen - hängen. Heute hat sie bereits einen Grossteil ihres Lebens in der Schweiz verbracht. Mit ihrem Mann bereiste sie im Laufe der Zeit verschiedenste Länder. Neben dem Schreiben gehört auch das Malen zu ihren Leidenschaften. Nun legt sie mit "Hirnschlüssel verloren?" nach ihrem Erstling "Männer, Frauen und andere Biester" mit einem Augenzwinkern weitere spannende und unterhaltsame Geschichten vor.

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    Buchvorschau

    Männer, Frauen und andere Biester - Irene Treff

    Die Kirschen in Nachbars Garten

    „Nanu, wenn das nicht eine der charmanten Damen von gestern ist? Jana drehte sich um und lächelte überrascht. „Schön, Sie zu sehen, Gregor. Sind Sie geschäftlich unterwegs? Der Mann nickte, ebenfalls lächelnd. „Ja, ich muss mir meine Brötchen verdienen. Wo ist denn heute Ihre bezaubernde Freundin? Ein kleiner Schatten schien über Janas Gesicht zu fallen. „Sie ist ……., die Frau stockte. „Sie ist pflegebedürftig und momentan in Behandlung sagte sie dann entschlossen. „Oh, was fehlt ihr denn? fragte Gregor erstaunt. „Naja, ich möchte mich nicht genauer darüber auslassen" antwortete Jana und starrte nachdenklich auf das Praxisschild des Nierenspezialisten, das einen halben Meter neben dem Eingang des Blumengeschäftes angebracht war.

    Der Mann folgte ihrem Blick. „Oh, ich verstehe. Ist es denn eine vorübergehende Sache oder ist es chronisch? Die Frau seufzte. „Sie wird sich wohl immer wieder in Behandlung begeben müssen. Ich glaube nicht, dass sich das in diesem Leben noch ändert. Wir verbringen hier einfach einen gemeinsamen Urlaub, um ein wenig abzuschalten.

    „Du lieber Himmel, wunderte sich Gregor, „man würde das niemals glauben, wenn man Ihre Freundin Martina so sieht. Er liess sich noch darüber aus, wie tragisch das Leben manchmal sein könne. Währenddessen hatte Jana Gelegenheit, sein männlich-markantes Gesicht mit der geraden Nase zu betrachten. Und was für lange Wimpern er besass! Die braunen Samtaugen konnten einen Eisberg zum Schmelzen bringen. Beinahe hätte sie seine Frage überhört, weil ihre Gedanken in andere Sphären abgeglitten waren. „Entschuldigen Sie, ich war in Gedanken. Könnten Sie Ihre Frage wiederholen? „Ich meinte nur, dass es dann wahrscheinlich heute nichts wird mit dem Tanzabend.

    Jana nickte. „Oh ja, es wird das Beste sein, wenn wir das verschieben. Meine Freundin ist nach der Behandlung immer ein wenig erschöpft und muss sich erholen. Aber ich habe eine Bitte an Sie: Wenn Sie ihr wieder begegnen, erwähnen Sie am besten kein Wort von dem, was ich Ihnen gesagt habe. Es würde sie beschämen und verletzen." Sie hatte ihm die Hand auf den Arm gelegt und sah ihn mit grossen besorgten Augen an.

    „Machen Sie sich keine Gedanken darüber, erwiderte der Mann fast feierlich. „Und ich muss sagen, dass Sie sehr rücksichtsvoll sind, alle Achtung!

    Jana schenkte ihm ein charmantes Lächeln. „Na ja, als Freundin ….. Aber einen der nächsten Abende werde ich mich wohl freimachen; denn zwischendurch muss ich mich ein bisschen ablenken."

    „Das verstehe ich, lächelte Gregor zurück. „Und ich bewundere Sie sehr. Wollen dann nicht wir beiden Hübschen zusammen ausgehen? Wie wäre es mit morgen Abend? Ein wenig zögerlich antwortete Jana: „Ich denke schon, dass das geht. Sonst könnte ich Sie anrufen, wenn etwas dazwischen kommt. Ohne weiteres überreichte ihr der Mann, dieser ungeheuer gut aussehende Typ, seine Visitenkarte. Jana gab sich die grösste Mühe, sich ihre Freude nicht allzu sehr anmerken zu lassen.

    Nachdem sie Zeit und Ort für das Rendezvous vereinbart und sich verabschiedet hatten, sah sie auf die Uhr. Noch ungefähr eine Viertelstunde. Ein Glück, dass sie es in dem Café nicht länger ausgehalten hatte. Sonst hätte sie Gregor nicht getroffen. Etwa fünf Minuten lang betrachtete sie die Blumenarrangements, die Figürchen und all den anderen niedlichen Schnickschnack im Schaufenster des Blumengeschäftes. Danach studierte sie die Buchtitel in der Auslage des Ladens nebenan.

    Gerade als sie überlegte, ob sie hineingehen und sich noch ein wenig die Bücher in der Wühlkiste ansehen sollte, kam Martina aus dem Haus. Sie war gut gelaunt und sah aus wie das blühende Leben selbst. „Also, dieser Schönheitssalon ist wirklich Klasse! Da solltest du auch mal hingehen. Die machen die reinste Bardot aus dir! Wollen wir noch irgendwo etwas trinken? Ich freue mich schon auf heute Abend!"

    Jana setzte eine bedauernde Miene auf. „Gerade habe ich diesen Gregor getroffen. Er musste leider für heute absagen. „Wie schade; Martina war enttäuscht. Jana hakte sie unter und meinte tröstend: „Gehen wir doch im Bellevue noch einen schönen Fruchtcocktail trinken. Dort hängen auch immer ein paar interessante Männer herum. Ich meine - reich aussehende." Sie lachten.

    Jana sah Martina von der Seite an. Sie selber war attraktiv; bezüglich Schönheit konnte sie sich jedoch nicht mit Martina messen. Aber schlau bin ich, dachte sie. Danach fuhr sie fort, über Gregor zu reden. „Ehrlich gesagt, ich glaube, er ist schon vergeben. Ich habe an seinem Ringfinger so einen hellen Streifen gesehen."

    Heisse Wut

    Sandra winkte ihren Mitschülerinnen zu und machte sich an diesem strahlenden Frühsommertag mit dem Fahrrad auf den Heimweg. Den dunkelblonden Schopf hatte sie zu einem kecken Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie wollte noch bei Christine, von ihr „Crissi" genannt, vorbeischauen, das hatte sie gestern mit ihr abgemacht. Sandra bewunderte Crissi und fand ihre grosse Schwester toll, super und mega, denn diese war hochgewachsen, schlank und sah gut aus. Obwohl sie mit ihren 25 Jahren schon ziemlich alt war, wie Sandra fand.

    Christine Kuhnert arbeitete vielfach von zu Hause aus als Designerin für eine bekannte Einrichtungsfirma. Sie hatte ein altes Haus am Ortsrand gemietet, da ihr die Wohnung der Mutter zu eng und auch zu altmodisch war, wie sie sagte. Zwischendurch fuhr sie zu Besprechungen nach Stuttgart und blieb manchmal für mehrere Tage. Ab und zu musste sie auch nach München, um Einzel- oder Massanfertigungen zu entwerfen. Meistens konnte sie jedoch ihrer Kreativität zuhause freien Lauf lassen. Das war ihr eigentlich ganz recht, schon allein ihres Freundes wegen. Bruno und Christine hatten sich während der 700-Jahr-Feier des Ortes ineinander verliebt.

    Bruno Hellmann besass eine Autowerkstatt. Er war stolz darauf, dass er es geschafft hatte, sich mit Fleiss und harter Arbeit eine lohnende Existenz aufzubauen. In etwa 2 Jahren würde der Betrieb schuldenfrei sein. Die drei Automechaniker Heiko, Sven und Simon liessen nichts auf ihn kommen, denn er war ein guter Chef und Kumpel. Meistens überprüfte Bruno die reparierten Wagen selber noch zum Schluss. Er besass ein untrügliches Gespür dafür, wenn etwas nicht stimmte und konnte bezüglich Fehlersuche gnadenlos sein. Dann bedeutete das für den betreffenden Mechaniker auch einmal ein paar Überstunden. Brunos Wohnhaus stand neben der Werkstatt, daher konnte er immer schnell noch einmal nach dem Rechten sehen. Er schärfte seinen Angestellten immer wieder ein, dass die Sicherheit der Kunden wichtig sei und er keine schlampige Arbeit dulde.

    Dabei liess er aber auch oft durchblicken, dass er seine Jungs schätzte und für gute Arbeiter hielt.

    Oft bekam Christine mittags Besuch von Bruno. Dann assen sie zusammen, plauderten – aber nicht nur das. Im Ort bezeichnete man sie als Turteltäubchen. Auch Sandra verstand sich gut mit Bruno. Er nannte sie „Prinzessin und sie kokettierte manchmal ein wenig mit ihm. Als Sandra an der Ampel wartete, hatte sie gerade solch eine Szene vor Augen. Aber natürlich würde sie nie, nie ihrer Schwester den Mann wegnehmen. „Ich schwör’s, murmelte sie und streckte drei Finger der rechten Hand von sich. „Na Sandra, redest du mit dir selber?, fragte eine neckende Frauenstimme. Die Apothekersfrau stand neben ihr und lachte. „Oh, ich – ich habe nur ein Gedicht wiederholt. Rezitiert., erklärte das Mädchen verlegen und kam sich ziemlich dumm vor. Endlich wurde die Fussgängerampel grün und Sandra schwang sich mit einem „Auf Wiedersehen" eilig aufs Rad.

    Sandras Mutter hatte nichts dagegen, dass ihre jüngere Tochter mittags bei Christine vorbeiging, schärfte ihr aber ein, vorher anzurufen, was diese auch tat – sofern sie es nicht gerade vergass. Am Ziel angekommen, lehnte Sandra ihr Fahrrad an die Mauer und rief den Namen ihrer Schwester. Doch oben lief das Radio und als Sandra die Treppe hinaufstürmte, hörte sie streitende Stimmen. Sie kamen vom Balkon.

    Das Mädchen zögerte und stellte sich in den kleinen Gang, der zur Wäschekammer führte. Sollte sie einfach wieder gehen oder etwas warten? Zaudernd blieb sie stehen.

    Christine rief jetzt mit vor Wut schriller Stimme: „Du bist so ein Idiot, wie kannst du es wagen, mir so etwas zu unterstellen!" Einen Moment lang überlegte Sandra, ob das wirklich Crissi war, die ausgeglichene, fröhliche und vernünftige Crissi. Dann sah sie ihre Schwester nach vorne stürmen. Bruno dagegen konnte sie nicht sehen.

    Inzwischen meldete sich auch der Radiosprecher zu Wort, so dass Sandra nur teilweise verstehen konnte, was geredet wurde. Bruchstückweise hörte sie Brunos Gebrüll „…wohl noch fragen …. mein Kind …. nicht …. keine Schlampe … unterschieben. Trotz des Radiolärmes hörte sie es laut klatschen und Bruno rief Hör auf, lass das!" Dann stiess Bruno Crissi wieder in Sandras Blickfeld. Crissis Hände waren wie Krallen nach vorne gestreckt. Anscheinend gedachte sie, Bruno die Augen auszukratzen. Offenbar wehrte dieser den Angriff mit einem heftigen Stoss ab, der Christine zurücktaumeln liess.

    So wütend und aggressiv hatte Sandra ihre Schwester noch nie gesehen. Nun konnte sie auch Bruno sehen, der jetzt etwas weiter nach links und damit in Sandras Blickfeld kam. Crissi stürzte sich mit einem zornigen Schrei erneut auf ihn. Diesmal fiel Brunos Stoss noch stärker aus und Sandra konnte Crissi nicht mehr sehen. Dafür hörte sie ein Krachen wie von Holz und einen schrillen Schrei, darauf einen dumpfen Aufschlag im Hof. Von Bruno kam ein entsetzter Laut, dann rannte er an ihr vorbei die Treppe hinunter; etwas fiel polternd vor Sandras Füsse. Wie in Trance bückte sie sich und hob das Ding auf. Es war Brunos goldenes Feuerzeug, ein Geschenk von Christine.

    Sandra war einige Sekunden wie gelähmt, dann lief sie auf den Balkon. Das hölzerne Geländer war an einer Stelle zerbrochen, die Bruchstücke hingen quer über den Balkon hinaus. Unten lag Crissi, sie rührte sich nicht.

    Sandra rannte wieder ins Haus. In der Eile, die Treppe hinunter zu kommen, strauchelte sie. Obwohl sie das Geländer umklammert hielt, fiel sie schmerzhaft auf die Knie und rutschte dabei eine Stufe tiefer. Weinend bemühte sie sich, wieder auf die Beine zu kommen. Es schien ihr eine kleine Ewigkeit zu dauern. Dabei hörte sie ein Auto starten und wusste, dass es Bruno war. Bis sie zur Haustüre hinaus kam, hörte sie nur noch in der Ferne den Motor des Wagens. Was war mit Crissi? Bestimmt holte Bruno Hilfe.

    Sandra eilte zu ihrer Schwester, redete mit ihr „Crissi, was tut dir weh, was hast du, sag schon, bitte", obwohl sie eigentlich schon wusste, dass es keinen Zweck mehr hatte. So verrenkt, wie ihre Schwester dalag, dazu die geöffneten Augen….

    Brigitte schob erst noch den Topf von der Kochplatte, bevor sie ans Telefon ging. Es dauerte eine Weile, bis sie aus dem Weinen und Stammeln ihrer jüngeren Tochter heraushörte, dass es um Christine ging und dass etwas Schlimmes passiert war. Sie beschloss, sich selber zu informieren, und sagte „Kleines, bleib wo du bist, ich komme gleich zu Euch". Umsichtig wie immer schaltete sie Herd und Radio aus, nachdem sie aufgelegt hatte, schnappte sich den Autoschlüssel und fuhr in Richtung Ortsausgang. Sie war zwar beunruhigt, aber meistens gab es ja nichts, was man nicht irgendwie in den Griff bekommen konnte.

    Am Ort des Geschehens zeigte die völlig aufgelöste Sandra in Richtung Garten. Brigitte erfasste eine dumpfe Beklemmung, als sie auf ihre grosse Tochter zuging. Es war, als krieche etwas ihre Beine und ihren Rücken hinauf, gleichzeitig kalt und warm, ihr Körper kribbelte; eine Welle des Entsetzens ging durch sie hindurch. „Was ist denn passiert?, hörte sie sich murmeln. Von hinten kam eine Antwort. „Bruno, es war Bruno, schluchzte Sandra, die ihr gefolgt war.

    Brigitte versuchte aus Ihrer jüngeren Tochter herauszubekommen, was eigentlich geschehen war. Zumindest wurde ihr klar, dass sich Christine und Bruno gestritten hatten und Bruno die junge Frau den Balkon hinuntergestossen hatte; wohl nicht absichtlich, aber trotzdem mit tödlichen Folgen. Sie rief als nächstes den Arzt an und erzählte ihm, was ihrer Meinung nach passiert war. Der riet ihr, auch die Polizei zu verständigen.

    Nach dem Eintreffen des Arztes und der Gesetzesvertreter schilderte Brigitte den mutmasslichen Hergang. Bruno war nicht mehr aufgetaucht, wie Sandra ursprünglich angenommen hatte. Man würde ihn zu Hause aufsuchen und zur Einvernahme aufs Revier bringen.

    Der schrecklichste Moment für Brigitte war der, als ihre Tochter im Leichenwagen abtransportiert wurde. Aber sie musste ja stark sein, schliesslich war da noch ihre Kleine. Diese hatte vom Arzt eine Beruhigungsspritze bekommen und hockte inzwischen etwas lethargisch und mit verquollenem Gesicht neben dem Auto. Brigitte packte ihre Dreizehnjährige in den Wagen. Auch sie musste in den nächsten Tagen ihre Aussagen zu Protokoll geben. Es würde nicht einfach sein. Brigittes Herz war bleischwer.

    ******

    Bruno war aus dem Haus gerannt und hatte sofort gesehen, dass seiner Freundin nicht mehr zu helfen war. Voller Panik war er in sein Auto gesprungen und davongeprescht. Jetzt hielt er in einem Wäldchen an. Er hatte Sandras Fahrrad an der Mauer von Christines Haus bemerkt.

    Hatte sie ihn gesehen und was genau hatte sie gesehen oder gehört? Vorstellungen einer Gerichtsverhandlung gingen ihm durch den Kopf, er selber in Handschellen. Seine Existenz wäre vernichtet, wenn er ins Gefängnis müsste. Und dann? Als „Knasti" wieder neu anfangen? Hilfsarbeiter, Handlanger sein?

    In seine Werkstatt würde selbst dann niemand mehr kommen, wenn er zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt würde. „Dann bin ich erledigt", dachte er. Schliesslich kannte er die Leute hier in der Gegend. In letzter Zeit hatte er sich in der näheren und weiteren Umgebung unter anderem mit der Reparatur von Oldtimern einen Namen gemacht. Alles was er sich aufgebaut hatte, würde den Bach hinunter gehen. Er musste unbedingt alles abstreiten und brauchte einen Plan, ein wasserdichtes Alibi. Falls Sandra ihn gesehen hatte, stand ihr Wort gegen seines.

    Von seinem Handy aus rief er Karl an und behauptete, gerade beim Gutshof Libellenweiher zu sein. Der Gutshof besass ein renommiertes Restaurant. Es gelang ihm, Karl zu einem gemeinsamen Mittagessen zu überreden. Sein Freund würde rund 20 Minuten brauchen, um dorthin zu gelangen, er selber musste ebenfalls circa eine Viertelstunde einrechnen. Nach dem Telefongespräch jagte er wie von Furien gehetzt über Nebenstrassen zum vereinbarten Ziel. Wenige hundert Meter vorher hielt er an, tupfte sich den Schweiss von der Stirn, brachte Haare und Kleidung in Ordnung und besprühte sich ein wenig mit Eau de Cologne. Genau 12 Minuten waren vergangen, als er seinen Wagen in einer vom Restaurant nicht einsehbaren Ecke des Parkplatzes abstellte.

    Er wartete ab, bis beide Kellner im Haus verschwunden waren und stellte sich dann an die mannshohe Hecke, schritt anschliessend ein wenig auf und ab. Mehrmals sah er dabei auf seine Uhr, um den Eindruck zu erwecken, als warte er schon eine Weile auf jemand. Bestimmt würde ein Teil der Belegschaft sich später daran erinnern. Als ein gemütlicher Tisch frei wurde, nahm Bruno ihn sofort in Beschlag. Fünfundzwanzig Minuten nach seinem Anruf traf Karl ein. Bruno winkte ihm, als Karl sich suchend umsah. Sein Freund war etwas erstaunt über Crissis Abwesenheit, aber Bruno gab vor, seinen Rat in einer Versicherungsangelegenheit zu benötigen und Christine damit nicht langweilen zu wollen. Private Fragen bog er schnell ins Geschäftliche ab. Trotz seines lebhaften Gehabes und seiner scheinbar unbekümmerten Plauderei fühlte er die ganze Zeit über dieses dumpfe Unbehagen in der Magengrube. Verständlicherweise brachte er daher von seinem Essen nicht viel hinunter.

    Bruno Hellmann war sich sicher, dass er einen Anwalt brauchen würde, vermied es aber, Karl danach zu fragen, um sich nicht verdächtig zu machen. Er konnte sich später um seine Verteidigung kümmern.

    Bald nach dem Essen verabschiedete sich Karl. Bruno trödelte noch eine Weile herum, verwickelte den Kellner in ein Gespräch und machte sich schliesslich auf den Heimweg. Unterwegs fuhr er noch schnell durch eine Waschanlage, da er bei der Fahrt zum Libellenhof teilweise auch unbefestigte Strassen entlang gebrettert war.

    Wie nicht anders zu erwarten, teilte ihm Sven, einer seiner Mechaniker mit, dass die Polizei in der Autowerkstätte gewesen war und ihn zu sprechen wünschte. Sofort fuhr Bruno zur Wache, in die Höhle des Löwen. Dort konfrontierte man ihn damit, dass Sandra im Haus war und ihn gesehen hatte. Bruno stritt standhaft alles ab. Er zauberte sein Alibi mit dem Mittagessen im Libellenhof aus dem Hut. Die Verzweiflung und den Schmerz über Christines Tod musste er nicht einmal heucheln. Nach eineinhalb Stunden konnte er nach Hause gehen mit der Auflage, den Ort bis auf weiteres nicht zu verlassen. Es würde wohl einen Prozess geben.

    Noch am gleichen Nachmittag rief er einen ehemaligen Kollegen an, der ihm einen zwar teuren, aber ausgezeichneten Anwalt nannte. Bruno hatte Glück, denn Philipp Landert – so der Name des Rechtsanwalts – hatte gerade einen ihm nicht genehmen Fall abgegeben. Er konnte sich das leisten. Allerdings ahnte Bruno schon, dass die Besprechung mit dem Anwalt nicht viel angenehmer werden würde als die Vernehmung durch die Polizei.

    Ein paar Tage später konnte Bruno den Anwalt aufsuchen. Dieser quetschte ihn erbarmungslos aus und war danach genau über den Hergang des Unfalls aus Sicht seines Klienten informiert. Anschliessend kam sich Bruno wie ein Lump und Verbrecher vor. Dieser Mann schien sein Innerstes nach aussen gekehrt zu haben.

    Der Anwalt fragte ihn, ob er sich nicht doch ein Geständnis oder eine Selbstanzeige überlegen wolle. Schliesslich handelte es sich um eine Tätlichkeit mit Todesfolge und nicht um Totschlag oder Mord. Trotzdem schüttelte Bruno den Kopf. Landert seufzte kurz und sagte „Na, dann!". Er erklärte Hellmann das Procedere und erläuterte, dass er umgehend mit der Staatsanwaltschaft Verbindung aufnehmen wolle.

    Bruno war damit einverstanden – natürlich war er das. Der Mann wusste schliesslich besser als er, welche Massnahmen nötig waren. Ihm war hundeübel. Bevor er die Kanzlei verliess, suchte er die Toilette auf, um sich zu übergeben.

    „Was? Bruno hat alles abgestritten? fragte Brigitte bei der Vernehmung auf dem Polizeirevier fassungslos. „Aber Mama, er lügt – ich habe ihn doch gesehen, fiel Sandra empört ein. Brigitte sah ihre Tochter von der Seite an. Da war er wieder, dieser starre Blick. So wie gestern, als Sandra plötzlich losgeschrien, geweint und um sich geschlagen hatte. Sie legte dem Mädchen den Arm um die Schulter, streichelte es tröstend und versuchte eine Erklärung zu finden, warum Bruno die Wahrheit leugnete.

    Der Polizist war ganz Freund und Helfer, freundlich, zuvorkommend und mitfühlend. Er machte beide darauf aufmerksam, dass Sandra bei einem Prozess wohl die Hauptzeugin sei, wenn nicht noch ein anderer Zeuge gefunden würde.

    Eine nachdenkliche Brigitte verliess mit ihrer Tochter das Revier. Ob die Polizei wohl weitere Zeugen finden würde? Irgendjemand musste Bruno doch gesehen haben, wenigstens sein Auto. Und was sollte sie nur mit Sandra machen; momentan war diese nicht in der Lage, die Schule zu besuchen.

    Es hatte grosse Überredungskunst von Seiten Brigittes bedurft, um Sandra den Besuch beim Psychotherapeuten schmackhaft zu machen. Zum Glück war die erste Sitzung so gut verlaufen, dass ihr kleines Mädchen mit weiteren Besuchen einverstanden war.

    ******

    Müde und irgendwie erleichtert streifte Brigitte die schwarzen Pumps von den Füssen. Die Trauerfeier und das anschliessende Leidmahl hatte sie hinter sich gebracht. Auch ihr Ex-Ehemann sowie ihre beiden Brüder Markus und Leon waren gekommen. Während ihr Ex-Mann nach der Beerdigung sofort zurückgefahren war, hatten Brigittes Brüder ihrAngebot, in ihrem Gästezimmer zu übernachten, dankend angenommen.

    Brigitte massierte ihre Zehen und dachte über die Beerdigung nach. Bruno Hellmann hatte die Zeremonie aus einiger Entfernung verfolgt, es aber nicht gewagt, zu kondolieren. Gut so. Sie wusste nicht, wie sie reagiert hätte. Sie verachtete ihn. Am Prozess, der in gut drei Monaten stattfinden sollte, würde sich die Wahrheit herausstellen. Bestimmt gab es noch zusätzliche Zeugen, die Bruno gesehen hatten.

    Ihr Bruder Markus unterhielt sich mit Sandra, fragte sie nach Schulnoten und Berufsplänen und lenkte sie sehr geschickt von ihrer Trauer ab.

    Da Sandra zurzeit psychologische Betreuung bekam, musste Brigitte sie jeweils hinbringen und abholen. Obwohl sie nicht mehr als 60% - 70% arbeitete, hatte sie in den letzten Tagen manchmal die allergrösste Mühe gehabt, ihre Arbeitsstelle rechtzeitig anzutreten, auch wenn sie etwas flexibler sein konnte, als andere mit einem Ganztagesjob. Dazu kam das schlechte Gewissen, dass sie nicht ständig für ihre Kleine da sein konnte.

    Seit Christines Tod kam sie sich manchmal vor wie eine gut geölte Maschine. Sie funktionierte einfach. Es war, als bestünde sie aus 2 Personen. Die eine beobachtete fortwährend diejenige, die arbeitete, kochte, den Haushalt besorgte, sich um Sandra kümmerte. Die Organisation der Trauerfeier und des anschliessenden Leidmahls hatte sie während der letzten Tage zusätzlich ziemlich in Anspruch genommen. Irgendwann, das wusste sie, würde noch die wirkliche Trauer über den Tod ihrer grossen schönen Tochter kommen.

    Brigitte hatte gleich zu Anfang Christines Arbeitgeber, die verschiedenen Versicherungen und staatlichen Stellen benachrichtigt, danach kam die Beerdigung, anschliessend musste sie Christines Haus räumen, die

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