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Teufelskinder – Überleben ist die größte Illusion
Teufelskinder – Überleben ist die größte Illusion
Teufelskinder – Überleben ist die größte Illusion
eBook427 Seiten4 Stunden

Teufelskinder – Überleben ist die größte Illusion

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Über dieses E-Book

Emmet ist Zauberkünstler, Taschenspieler und Trickdieb – alles, was er sein muss, um zu überleben und sich eines Tages seinen großen Traum vom eigenen Varieté zu erfüllen.
Im Dreck der Arbeiterviertel trifft er auf das merkwürdige Straßenkind Marlin, das erst sein Assistent und später sein Weggefährte wird. Wie gut, dass Emmet ein Meister im Nicht-Fragen ist, denn an dem höchst attraktiven jungen Mann bleibt vieles wohl besser im Dunkeln.

Verblüffenderweise zaubert das Leben die wahre Liebe ausgerechnet dann herbei, als Emmet auf dem Gipfel seiner Träume angelangt ist. Die Fragen, die jetzt endlich gestellt werden, bringen aber nicht nur Antworten mit sich, sondern auch eine schwer zu meisternde Illusion: Überleben.
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum31. Mai 2024
ISBN9783959497046
Teufelskinder – Überleben ist die größte Illusion
Autor

Georgie Severin

Georgie Severin, bürgerlich Dr. Nadja Kobler-Ringler, ist überzeugte Rheinländerin, selbstständige Anwältin, Lektorin und Dozentin, dazu Mama und Ehefrau. Spätestens als freie Mitarbeiterin des Zentrum für Kulturforschung (ZfKf) und Beirätin der Ferdinand-Tönnies-Gesellschaft (FTG) hat sie gelernt, ihren Mitmenschen sehr genau auf´s Maul zu schauen. Daraus entstehen freche Artikel zu ihrem Broterwerb, Kurzgeschichten und Gedichte und, nicht zuletzt, Romane unterschiedlichster Genres.

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    Buchvorschau

    Teufelskinder – Überleben ist die größte Illusion - Georgie Severin

    Georgie Severin

    E-Book, erschienen 2024

    ISBN: 978-3-95949-704-6

    1. Auflage

    Copyright © 2024 MAIN Verlag,

    im Förderkreis Literatur e.V.

    Sitz des Vereins: Frankfurt/Main

    www.main-verlag.de

    www.facebook.com/MAIN.Verlag

    order@main-verlag.de

    Text © Georgie Severin

    Umschlaggestaltung: © Dream Design – Cover and Art

    Umschlagmotiv: © shutterstock 1798934086 / 242520184

    Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

    http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    E-Book Distribution: XinXii

    www.xinxii.com

    logo_xinxii

    Die Handlung, die handelnden Personen, Orte und Begebenheiten

    dieses Buchs sind frei erfunden.

    Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, ebenso wie ihre Handlungen sind rein fiktiv,

    nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.

    Wer ein E-Book kauft, erwirbt nicht das Buch an sich, sondern nur ein zeitlich unbegrenztes Nutzungsrecht an dem Text, der als Datei auf dem E-Book-Reader landet.

    Mit anderen Worten: Verlag und/oder Autor erlauben Ihnen, den Text gegen eine Gebühr auf einen E-Book-Reader zu laden und dort zu lesen. Das Nutzungsrecht lässt sich durch Verkaufen, Tauschen oder Verschenken nicht an Dritte übertragen.

    Das Buch

    Emmet ist Zauberkünstler, Taschenspieler und Trickdieb – alles, was er sein muss, um zu überleben und sich eines Tages seinen großen Traum vom eigenen Varieté zu erfüllen.

    Im Dreck der Arbeiterviertel trifft er auf das merkwürdige Straßenkind Marlin, das erst sein Assistent und später sein Weggefährte wird. Wie gut, dass Emmet ein Meister im Nicht-Fragen ist, denn an dem höchst attraktiven jungen Mann bleibt vieles wohl besser im Dunkeln.

    Verblüffender Weise zaubert das Leben die wahre Liebe ausgerechnet dann herbei, als Emmet auf dem Gipfel seiner Träume angelangt ist. Die Fragen, die jetzt endlich gestellt werden, bringen aber nicht nur Antworten mit sich, sondern auch eine schwer zu meisternde Illusion: Überleben.

    Die Autorin

    Georgie Severin ist überzeugte Rheinländerin und liebt jede einzelne ihrer vielen Lebens-Rollen. Am liebsten aber schaut sie ihren Mitmenschen beim Leben zu – und dabei sehr genau hin. Daraus entstehen freche Artikel zu ihrem Broterwerb, Kurzgeschichten, Gedichte und, nicht zuletzt, Romane unterschiedlichster, meist wild gemixter Genres.

    Inhalt

    Vorwort

    1 – Marlin

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    2 – Fips

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    3 – Träumer

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    4 – Phineas

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    5 – Er

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Epilog

    Danksagung

    Vorwort

    Teufelskinder ist kein Tatsachenroman. Er enthält sich der Benennung von Orten, historischen Persönlichkeiten und Begebenheiten. Die jüngere europäische Geschichte bietet ihm nur den Rahmen, die Handlung ist frech erdacht.

    Sicher, die zeitgenössische Behandlung von gescheiterten Selbstmördern und Unzüchtigen mag nicht ganz aus der Luft gegriffen sein. Sicher nicht die Leichtigkeit, mit der solche Menschen Spielball fremder Interessen werden konnten. Ein wild-benamter Schriftsteller geriet ihnen zur Mahnung.

    Trotz alledem:

    Dass uralte Verwandtschaftslinien ins falsche Land hochgestellten Familien in die politische Quere kommen können und sie schließlich sogar ihren Namen dafür hergeben, an der Macht zu bleiben, dürfte mir der geneigte Leser kaum als Wahrheit abnehmen.

    Auch nicht, dass am Vorabend des Ersten Wahnsinns die Aktivitäten der politisch motivierten Informationsbeschaffer auf Hochtouren liefen – und es bis zum Ende des 20. Jahrhunderts weiter taten. Vielleicht sogar darüber hinaus.

    Ganz sicher nicht, dass es sehr hochgestellte Persönlichkeiten gegeben haben soll, die ihre mächtigen Hände schützend über die kriminalisierten Liebenden hielten.

    Alles erstunken und erlogen.

    Ein Wort zur Figur Marlins:

    In der Zeit der Handlung lag die durchschnittliche Lebenserwartung auf der Insel jenseits des Kanals bei siebenundvierzig Jahren – nicht berücksichtigt die den Mittelwert unterschreitende Lebenserwartung in Arbeiter- und Armenvierteln von Großstädten.

    Wer überhaupt die Chance auf einen Lehrberuf bekam, ergriff sie zwischen dem vierzehnten und sechzehnten Lebensjahr. Der Eintritt in die Fabriken und Minen der Industriellen Revolution erfolgte zumeist noch weitaus früher.

    Die rechtliche und die soziale Volljährigkeit – verstanden als eine Vollverantwortung für das eigene Tun – klafften also weit auseinander.

    Für Straßenkinder galten schon gar keine Altersregeln: (Klein-)Kriminalität und (Zwangs-) Prostitution blieben oft genug ihre einzigen Überlebenschancen; früher Einstieg inklusive. Charles Dickens’ Oliver Twist beschreibt es schon Jahrzehnte früher eingängig genug.

    So denkt keiner von Marlins Partnern lange darüber nach, die Beziehung alterstechnisch zu hinterfragen. Marlin bietet sich ihnen an, er wirkt wie ein junger Mann – Ende der zeitgenössischen Überlegungen zum Thema Kindesmissbrauch.

    Die Geschehnisse im vorherigen Schutzverhältnis erfahren eine drastisch andere Wertung, damals wie heute.

    Für Marlins Partner ist die ganz andere Rechtswidrigkeit der Beziehung eine viel realere Bedrohung: Widernatürlichkeit, respektive Unzucht, versprachen weitreichendste und unumkehrbare rechtliche und soziale Konsequenzen und die Anklagen waren schnell erhoben …

    1 – Marlin

    Kapitel 1

    Der sonnig-klare Apriltag versprach zu einer kühlen Nacht zu werden, doch noch war die schmutzige Gasse vor Emmets Wohnhaus voller Leben.

    Froh darüber, sich im letzten Moment doch noch entschieden zu haben seinen weiten Mantel überzuwerfen, trat Emmet vom düsteren Hof aus durch den alten Torbogen auf die quirlige Gasse.

    Zielstrebig bahnte er sich seinen Weg durch das bunte Volk zwischen den endlosen hohen, gleichförmigen Mietshäusern. Die ersten warmen Frühlingstage und das nahe Osterfest trieben die Leute in die Stadt und auf deren Märkte, und wie alle dort profitierte auch Emmet davon.

    Er hatte zwar ohnehin genug, um sich neben dem Luxus eines Zimmers zur Untermiete ganz für sich allein auch die Schänke am Abend leisten zu können. Aber dank seines besonders wohlgefüllten Geldbeutels würde heute neben dem üblichen wässrigen Bier mit Brot und Käse sogar noch mehr möglich sein.

    Unwillkürlich leckte er sich die Lippen und beschleunigte seinen Schritt.

    Je näher er der Stelle kam, an der seine Gasse auf der ersten gepflasterten Straße zum Fluss hin endete, desto dichter wurde das Gedränge. Es störte ihn nicht.

    An Tagen wie diesem war es ihm ein endloser Quell der Unterhaltung, sich das Woher und Wohin der Menschen auszumalen, die sich in diesem Teil der Stadt herumtrieben. Die einfachen Arbeiter, Tagelöhner und kleinen Handwerker schienen ihm so viel interessanter, so viel echter als die Menschen seiner Jugend.

    Sein Blick streifte einen rotgesichtigen, dickbäuchigen Mann mit gelber Weste und dunklem Mantel, der ihn eiligen Schrittes die Gasse hinauf passierte.

    Während Emmet noch schmunzelnd überlegte, ob er den Mann gedanklich auf den Weg in die nächstgelegene Schänke oder zu einer fordernden Geliebten schicken sollte, schoss aus einer der zahllosen anderen Gassen und Gänge des Viertels eine schmale Gestalt.

    Sie hustete, verpasste dadurch den Bogen in Emmets Gasse hinein, flog aus der Kurve und prallte gegen Emmets Brust. Kurz hielt sie sich an ihm fest, bevor sie sich, ohne anzuhalten oder aufzusehen, hastig an die schmutzig-graue Kappe tippte, die sie trug, und ihren Lauf mit einer nahezu unverständlichen gehusteten Entschuldigung wieder aufnahm.

    Der Trick war gut gewesen, aber Emmet war nicht irgendjemand. Er war Gaukler – und ein geschickter Falschspieler. Auch wenn er den Diebstahl in der Sekunde des Aufpralls mehr ahnte als fühlte, reagierte er blitzschnell.

    Sein versierter Griff nach dem Übeltäter aber ging ins Leere. Der freche Dieb hatte sich noch in der Beschleunigung mit einem schnellen Sprung zur Seite hinter einem Fremden in Sicherheit gebracht.

    Ein Grinsen stahl sich auf Emmets Gesicht, als er die Verfolgung aufnahm. Wer auch immer ihn da um seine Börse erleichtert hatte, war erstaunlich leichtfüßig. Sie, korrigierte sich Emmet, während er der schmutzig-grauen Kappe durch das Gewühle folgte. Ein Mädchen, der Bewegung nach, schmal, flink und vermutlich gut geschult.

    Nur hatte die kleine Diebin ihn unterschätzt. Er kam durchaus ebenso schnell und dabei unauffällig durch das abendliche Treiben wie sie. Gelernt war gelernt, und er hatte nun wirklich genug Gelegenheit gehabt, Abhauen zu üben.

    Außerdem wusste Emmet etwas, das die Diebin nicht zu wissen schien: Die Gasse endete bald. Sehr bald. An einer Mauer. Der vor seinem Haus.

    Er folgte ihr also weiter durch die Gasse, mal schneller, mal langsamer, wohl wissend, dass sie kaum eine Chance haben würde, ihm zu entkommen, solange sie auf der Gasse blieb.

    Sie tat es bis zuletzt. Erst jetzt erkannte sie die Falle, sah sich hektisch nach einem Fluchtweg um und verschwand in einem Torbogen. Seinem Torbogen.

    »Habe ich dich!«, frohlockte er leise. Der Hof hinter dem Bogen hatte keinen anderen Ausgang.

    Siegessicher und hoch aufgerichtet trat auch er durch den Bogen.

    Der Hof war leer.

    Mit einem Blick versicherte er sich, dass sich seine Diebin nirgendwo verbarg, und schlug den einzigen Weg ein, den sie so schnell genommen haben konnte – den ins Treppenhaus eines der den Hof umgebenden Mietshäuser. Seines Wohnhauses, um genau zu sein.

    Emmet grinste und trat durch die offene Haustüre in den dunklen Flur. Das krampfhafte Keuchen und Husten seiner kleinen Diebin waren im gesamten Treppenhaus zu hören. Ihr schien es ziemlich schlecht zu gehen nach dem rasanten Lauf. Noch etwas, das er gut kannte.

    Sein Mitleid regte sich.

    »Schon gut«, rief er leise hinauf. »Ich kann auch nicht mehr.« Es war nur fast gelogen. Er war in letzter Zeit wirklich bequemer geworden. »Gib sie mir einfach wieder und wir vergessen es, ja? Du bekommst was fürs Wiedergeben und ich mach keinen Ärger.« Als ob ausgerechnet er Ärger machen könnte!

    Er lauschte. Das krampfartige Husten über ihm ebbte etwas ab. Schritte waren zu hören, wenige leichte, schnelle Schritte einer Flucht.

    Nur Sekunden später stand Emmet auf dem Absatz des ersten Stocks. Im Hausflur waren keine Schritte mehr zu hören. Von der Diebin fehlte jede …

    Ein Windhauch strich vorbei. Emmet wandte den Kopf in die Richtung, aus der er gekommen war. Das vor Schmutz fast blinde Fenster, das hinaus auf die Gasse blickte, stand einen winzigen, kaum erkennbaren Spaltbreit offen. Emmet lachte in sich hinein, stieß das Fenster ruckartig auf und griff hinaus.

    Von dem, was dann geschah, verging ihm das Lachen.

    Die schmächtige Gestalt wich seiner tastenden Hand vom schmalen Fenstersims auf die davor gespannte Wäscheleine aus, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Im Gegenteil.

    Das heftige Schwanken der Leine mit den Armen ausbalancierend, suchte sie schnellstmöglich deren anderes Ende zu erreichen: die Begrenzungsmauer der Gasse. Es war ein halsbrecherisches Manöver und doch konnte Emmet den Blick nicht davon abwenden.

    Für ein paar Schritte tanzte die Gestalt elegant über das Seil, bis die dünne Leine aus der Verankerung riss und ihr jeden Halt nahm.

    Den letzten Schwung ausnutzend, warf sie sich nach vorne, griff nach dem Mauerrand – und bekam ihn zu fassen!

    Einen Moment lang hing sie dort, Sekunden, in denen Emmet ihr fast wünschte, sie würde sich hochziehen und auf das Fabrikgelände hinter der Mauer verschwinden können.

    Dann kehrte der Husten zurück. Vom Krampf jeder Kraft beraubt, glitten ihre Finger ab und sie stürzte.

    Emmet war auf dem Weg zu ihr, noch bevor sie auf der Gasse aufschlug.

    Obwohl er schnell gewesen war, hatte sich am Fuß der Mauer schon eine kleine Traube Menschen gebildet, als er aus dem Torbogen auf die Gasse hetzte.

    In der Mitte der kleinen Ansammlung stand ein Mann, die zierliche Gestalt an einem Oberarm festhaltend, seinen freien Arm zum Schlag erhoben.

    Morrison, erkannte Emmet, und hastete vorwärts.

    »Nicht! Nicht schlagen. Bitte!«

    Überrascht schnappte Emmet nach Luft. Das waren weder der Akzent der Straße noch eine weibliche Stimme gewesen.

    Seine Verblüffung verhinderte sein Eingreifen. Morrisons Hand sauste herab und traf die Gestalt hart an der Schläfe. Sie strauchelte und hustete. Morrison riss sie näher an sich heran, griff suchend zu und triumphierte schließlich. »Hab’s doch gewusst! Beklaut haste ihn.«

    Die Gestalt rührte sich nicht.

    »Hier, Emmet. Is’ doch deina, oda?« Lachend warf der Mann Emmet seinen Geldbeutel zu. Der fing ihn und schwieg.

    »Bis’ ihm ja nachgerannt wie’n Höllenhund«, stellte Morrison unangenehm grinsend fest. Ihm, dachte Emmet. Morrison hatte ihm gesagt. Nicht ihr.

    »Geh und hol den Sergeant. Ich pass schon auf den Rotzlöffel auf.« Zustimmendes Gemurmel begleitete Morrisons Worte.

    Emmet begann zu schwitzen. Er hatte nun wirklich nicht das geringste Interesse daran, mit irgendwelchen Ordnungskräften in Berührung zu kommen. Denk schneller, befahl er sich und tat, als überlege er verzweifelt, wo er einen Ordnungshüter auftreiben könne.

    »Äh, ich denke doch, ich regele das selber, Dave«, versicherte er dem Mann etwas hilflos. »Aber … eh … danke für deine Hilfe.«

    Sie waren nicht zufrieden, das spürte er. Die diebischen Straßenkinder waren eine verhasste Plage. Die meisten Menschen wünschten ihnen die Pest an den Hals, mindestens aber ihr Verschwinden.

    Verschwinden! Natürlich! Ganz sein Metier.

    Er straffte sich, trat an Dave Morrison heran und löste sanft, aber bestimmt dessen Hand vom Arm des Diebes. Der blieb stehen, den Blick fest zu Boden gerichtet, während Morrison von der Bühne in die gespannte Menge hinein abtrat.

    Emmet blickte kurz über sie alle hinweg, wandte sich halb seitlich dem Dieb zu, richtete sich theatralisch auf und breitete die Arme aus. Hinter ihm bauschte sich sein dunkler Mantel in der ewigen Zugluft der Gasse.

    »Vielleicht lasse ich ihn einfach verschwinden«, donnerte er mit seiner schönsten Magierstimme, als wolle er das auf der Stelle vollbringen.

    Ein ehrfürchtiges Raunen lief durch die Menge.

    Emmet verkniff sich ein Augenrollen. Abergläubische Narren. Nur weil er morgens auf dem Markt ihre Münzen verschwinden ließ und wusste, woher der Wind wehte.

    Er drehte sich kaum merklich und ließ Arme und Umhang in sich zusammenfallen. »Vielleicht mach ich’s mo’g’n aufm Ma’kt«, verkündete er in bestem Gossendialekt. »’chab Hunger. Wer weiß, was beim Hokuspokus aufn leeren Magen ’rauskommt.«

    Sie lachten erleichtert.

    Wieder verbot er sich, sie zu verspotten. Woher sollten sie wissen, wie oft er schon mit leerem Magen hatte zaubern müssen?

    Zeit zu gehen.

    »’nen schön’ Ahmd auch. – Verbindlichsten Dank, die Herrschaften.« Sprach’s, verbeugte sich und zog den Dieb am Arm mit sich fort, bevor das Publikum zu Atem gekommen war.

    Erst als sie fast wieder am Ort ihrer ersten Begegnung angelangt waren, wurde Emmet langsamer und gestattete sich, den neben ihm herstolpernden, immer wieder hustenden kleinen Dieb näher zu betrachten.

    Wieder musste er seine Vermutung korrigieren. Der Dieb war schmal, ja, aber er war nicht klein, sicher kein Kind mehr, eher ein Jugendlicher.

    Er wäre nur eine Handbreit kleiner gewesen als Emmet, wenn er denn gerade gegangen wäre, und war sicher vierzehn, fünfzehn Jahre alt. Alt genug, Lehrjunge zu sein oder in der Fabrik zu arbeiten. Nur sah er nach keinem von beiden aus.

    Emmet seufzte und zog den Jungen endgültig außer Sicht der Menge, hinein in denselben schmalen Gang, aus dem der so scheinbar zufällig hervorgeschossen war. Dort ließ er ihn los.

    Erneut überraschte ihn der Dieb.

    Wieder lief er nicht fort, lehnte sich nur sichtlich erschöpft an die Mauer in seinem Rücken und blickte ängstlich zu Boden.

    Seine viel zu weiten, ebenso schmutzigen wie oft geflickten Lumpen ließen nicht viel von ihm erkennen, aber sie waren viel zu dünn für den immer kälter werdenden Abend. Die Schuhe an seinen Füßen verdienten den Namen ohnehin nicht mehr.

    Er hustete immer noch ab und zu, nahm dabei nun aber den Arm vor den Mund, verzweifelt darum bemüht, so leise wie möglich zu sein.

    Seine Gesichtszüge waren unter dem Schattenwurf der schmutzigen Kappe, den darunter hervorquellenden, ebenso schmutzstarrenden Haaren und der frischen Schwellung des Schlages kaum auszumachen.

    Emmet griff sanft unter das Kinn des Diebes und zog, bis dieser hochschauen musste.

    Auch dieses Mal erstaunte ihn der Junge. Er hatte gleichmäßig feine, weiche, wie getuschte Gesichtszüge, nur entstellt von Morrisons Schlag, vom Schmutz und dem unübersehbaren Hunger.

    Aber es waren die Augen, die ihn ansahen, die Emmet schlagartig in ihren Bann zogen. Im Zwischenlicht der Gasse waren sie farblos, die Iris nur mit einem scharfen schwarzen Rand vom Weiß des Augapfels abgegrenzt.

    Das scheinbare Fehlen von Farbe, vor allem aber der Ausdruck in ihnen faszinierten Emmet. Etwas in ihm begann zu pochen.

    Der Dieb schwankte einen Moment. Er schloss die Augen und der Bann brach.

    Reflexartig packte Emmet zu. Der unterdrückte Schmerzenslaut, der seinem festen Griff an die Schulter des Jugendlichen vor ihm folgte, ließ ihn wissen, dass der schwerer verletzt war, als es den Anschein gehabt hatte. Er sah genauer hin.

    Der Seiltänzer war offensichtlich auf der linken Seite aufgeschlagen, denn dort waren in Hüfthöhe und am Ärmel Blut zu erkennen.

    Immerhin wohl keine Knochenbrüche, befand Emmet erleichtert. Aber das von seinem Griff verrutschte Hemd gab den Blick frei auf etliche noch frische Striemen auf der ganzen Schulter.

    Der Rücken würde vermutlich nicht besser aussehen. Irgendwer war mächtig wütend auf den Jungen gewesen. Zusammen mit dem Schlagmal im Gesicht, dem Schmutz und der Magerkeit war dessen Zustand allenfalls noch als erbärmlich zu bezeichnen.

    Ein Wunder, dass er so lange hatte flüchten können. Kein Wunder, dass er jetzt so kraftlos an der Wand lehnte, als sei ihm alles egal.

    »Ich denke nicht, dass du schwerer ver…«, wollte Emmet seinem Gegenüber gerade versichern, als ein leiser Pfiff vom anderen Ende der Gasse dieses zusammenschrecken ließ.

    Noch bevor Emmet reagieren konnte, war der Junge unter Emmets Hand fortgetaucht und auf einen breitschultrigen Mann mit einem tief ins Gesicht gezogenen, breitkrempigen Hut zugehumpelt. Emmet ließ ihn gehen.

    Nur Sekunden später wurde der Junge am anderen Ende der Gasse in die Menge gezogen und verschwand.

    Emmet seufzte erleichtert. Kein Dieb, keine Ordnungskräfte. Nun konnte er Dave Morrison bei Gelegenheit mit Fug und Recht berichten, der Dieb sei ihm irgendwie abhandengekommen. Er lachte leise.

    Die Börse fest in der Hand, nahm er seinen Weg in die Schänke wieder auf. Sein Extra wartete.

    Kapitel 2

    Die gefüllte Börse und ihre Geschichte passten die Laune des Schankknechtes der seinen schnell an, und so wurde es ein langer, angenehmer Abend.

    In alle Richtungen zufriedengestellt, trat Emmet den Heimweg an.

    Es dauerte nicht lange, bis er seine Verfolger bemerkte.

    Sechs, sagte sein Instinkt. Drei Paare. Keine Chance auf Flucht, also Kampf. Zu seinen Bedingungen.

    Er schlug sich die Hand vor die Stirn, als habe er etwas vergessen, machte auf dem Absatz kehrt und hastete in Richtung Schänke zurück. Unauffällig wechselte er dabei Schritt für Schritt von der offenen, unbefestigten Uferseite des Flusses auf die gepflasterte, häuserbewehrte Gassenseite.

    Gleichzeitig griff er, von seinem Umhang verdeckt, nach dem kurzen, scharfen Messer, das er stets bei sich trug. In diesem Teil der Stadt tat man gut daran, nicht unbewaffnet herumzulaufen.

    Durch den Seitenwechsel auf Abstand gekommen, passierte er zwei seiner Verfolger unbehelligt. Ein paar Schritte weiter blickte er sich vorsichtig nach ihnen um.

    Sie waren stehen geblieben, sahen an ihm vorbei in Richtung Schänke und warteten auf das Eingreifen des dritten Paares.

    Ihre Taktik war zu offensichtlich, zu grob, um den passionierten Jäger in ihm überraschen zu können, aber ihr Versuch, ihn einzukeilen, war deshalb nicht weniger gefährlich. Er brauchte eine solide Rückendeckung.

    Erneut sah er sich vorsichtig um. Die Türe zur Schänke war nicht mehr weit. Nur ein Paar im Weg. Wenn er es bis zur Türe schaffen würde, würde der Schankknecht …

    Durch einen harten Stoß taumelte er zur Seite. Allerdings folgte dem Rempler kein Schlag, wie ihn Emmet erwartete. Wie am Morgen griffen Hände dorthin, wo sie seine Börse vermuteten. Anders als am Morgen empfing sie diesmal Emmets Klinge.

    Mit einem Aufschrei zog der Angreifer seine blutige Hand zurück. Emmets freie Hand schoss vor und stieß ihn von sich. In selben Moment flog er um seine eigene Achse und stieß dorthin, wo Sekunden zuvor noch sein Rücken gewesen war.

    Keinen Moment zu spät! Wieder traf seine Klinge Fleisch, wieder folgte dem Auftreffen ein leiser Schrei und sein Stoß.

    Zwei weniger, registrierte Emmet abwesend, bereits damit beschäftigt, seine Stoßhand zurückzuziehen, um sie mit eiserner Härte um das Gelenk einer weiteren Hand zu schließen, die versucht hatte, unter seinen Umhang zu greifen.

    Von irgendwoher tönte ein vertrauter Pfiff.

    Diesmal nicht!, schwor sich Emmet und brüllte wütend auf. Mit einem Ruck verdrehte er das gepackte Gelenk, ließ es am Anschlag los und griff nach dem Genick der Gestalt, die sich vor ihm zusammenkrümmte, um dem Schmerz der Drehbewegung zu entkommen.

    Emmet riss sie hoch und mit sich in eine weitere Drehung, zurück zur Häuserseite, das Messer vor sich ausgestreckt.

    »Ey! Sie! Mister!« Ein Ruf von irgendwoher.

    Licht fiel aus einer sich öffnenden Haustüre auf die Gasse. Darin stand ein Mann. Vor ihm nichts. Das Geräusch rennender Füße, leiser werdend. Weiter hinten ein schmaler Streifen Licht aus der eine Handbreit geöffneten Schanktüre.

    »Ey, alles klar, Mann? Dachte, ich hätte Sie brüllen hören.« Die Türe der Schänke öffnete sich etwas weiter. Ein Mitzecher des Abends hatte Emmet erkannt und rief etwas in den Schankraum zurück, offensichtlich besorgt um ihn.

    Hinter dem Rufer tauchten weitere Männer auf, der Schankknecht unter ihnen. Abwartend blieben sie stehen.

    Emmet blickte sich noch einmal um – niemand da. Es war vorbei. Sie waren fort.

    Erleichtert ließ er das Messer sinken und erlaubte der Spannung, aus seinem Körper zu weichen. Dann erst bemerkte er, dass seine zweite Hand noch immer das Genick eines Angreifers umklammerte.

    Eines unter seinem Griff zusammengeduckten Angreifers, der zu zittern oder zu zucken schien. Etwas Dunkles lief seinen Arm hinab.

    Alarmiert zog Emmet ihn hoch und drehte ihn ins Licht. Als es auf das Gesicht des Angreifers fiel, war es zu spät, ihn von sich zu stoßen. Der Dieb mit den farblosen Augen war bereits unter seiner Hand zusammengesackt.

    Emmet reagierte schnell. Wenn der Fremde im Hauseingang auf die Idee käme, die Ordnungskräfte zu rufen, weil es Verletzte gegeben hatte, hätte das nicht nur Auswirkungen auf ihn.

    Er drehte das Messer flach sein Handgelenk entlang, bis es kaum zu sehen war, und legte den anderen Arm um die Schulter des Diebes, als stabilisiere er einen aufdringlich gewordenen Zecher.

    »Nichts passiert, schön’ Dank auch. Nur’n bisschen frech, der Kleine«, beschied der dem Fremden jovial. »Wollt’ mir echt ’nen Streich spielen, mein kleiner Bruder. Hat mich’n bisschen erschreckt.«

    Er deutete auf den Jungen, bevor er den Kopf Richtung Schänke wandte. »Schön’ Abend auch, Marty. Bis’ mir was schuldig, Mann.«

    Der besorgte Mitzecher verstand und winkte zurück. Etliche Köpfe verschwanden aus dem Eingang.

    »Mum sollte dich mal so sehen«, fügte Emmet, wieder dem Dieb zugewandt, hinzu, als mache er sich über seinen betrunkenen kleineren Bruder lustig. »Komm schon, ich bring dich heim.«

    Im Schänkeneingang zogen sich weitere Köpfe zurück.

    Der Fremde grinste, reckte zwei Daumen hoch und nickte zum Abschied, bevor er wieder ins Haus verschwand und die Türe schloss. Das Licht erlosch.

    Das sollte reichen. Keine Aufmerksamkeit.

    Der Schankknecht nickte Emmet kaum merklich zu und scheuchte den Rest der Männer entschlossen in die Schänke zurück.

    Emmet schnaufte noch einmal durch. »Komm«, befahl er und zog den Dieb vorwärts. »Ich weiß, wer dich wirklich ansehen sollte.«

    Kapitel 3

    Es wurde ein mühsamer Heimweg, obwohl sein Begleiter halbwegs wieder zu sich kam. Sie polterten laut genug die Diele zu Emmets Zimmer entlang, um Emmets Vermieterin auf sich aufmerksam zu machen.

    Prompt erschien deren Kopf in der Zimmertüre. »Kein Damenbesuch, Mr Emmet!«, mahnte sie pflichtschuldigst, ohne richtig hinzusehen.

    Emmet schmunzelte. Mrs Abbott war viel zu patent, um je den Moralapostel zu geben. »Keine Dame, Mrs Abbott«, sagte er, um im nächsten Moment anzüglich grinsend mit der freien Hand auf seinen Begleiter zu deuten. »Allerdings auch noch kein ganzer Herr …«

    Das Lächeln, das sich bei seinen frechen Worten auf Mrs Abbotts Gesicht geschlichen hatte, verschwand schlagartig, als sie seiner Geste mit den Augen folgte. »Um Gottes willen!«, flüsterte sie. »Bringen Sie ihn nach hinten. Ich komme gleich.«

    Im Zimmer angekommen, holte Emmet dem Dieb ohne weitere Worte eine der Kisten herunter, die am Fußende seines Bettes gestapelt waren, und schob sie ihm hin.

    Der Junge sank darauf zusammen, den Rücken an die verbliebenen Kisten gelehnt, immer noch schreckensbleich und eingeschüchtert. In der Wärme kehrte der Husten mit Macht zurück. Das krampfartige Keuchen ließ ihn noch erbärmlicher wirken. Emmet hielt seinen Anblick kaum aus.

    Er trat zurück und besah sich lieber wieder einmal das kleine Zimmer, in dem er seit drei Jahren von Mitte März bis in den Oktober hinein logierte. Genau so lange, wie es Märkte in der Stadt gab, die Münzen versprachen.

    Der Raum maß ungefähr zweieinhalb mal vier Meter – ein Palast für eine einzelne Person, jedenfalls in diesem Viertel.

    Doch das Zimmer bot noch mehr: Es war trocken, hatte einen festen Dielenboden und der Zimmertüre gegenüber lag ein schmales, hohes Fenster zur Gasse hin.

    Und es bot den schieren Luxus zweier zu öffnender und fast dicht schließender Flügel und damit Licht und Luft zugleich. Auf dem schmalen Fenstersims war Platz für sein Zauberbuch, daneben standen sein Kerzenhalter und seine Öllampe.

    Den größten Teil des Zimmers nahm das Bett ein, dessen Kopfende er an die Fensterwand geschoben hatte, um so viel Tageslicht wie möglich dorthin fallen zu lassen. Der Platz darunter war dem Koffer vorbehalten, in dem seine Habseligkeiten verstaut waren. Ein paar Haken und ein schmales Brett über dem Bett langten für seine Kleidung.

    Dem Bett gegenüber, also an der zweiten langen Wand

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