Das Primat des Körperlichen im Gesundheitssystem: Eine evidenzbasierte - mehrere Systemebenen umfassende - Perspektive zu einem ganzheitlichen Verständnis von Gesundheit und Krankheit.
Von Helmut Wilde
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Über dieses E-Book
Helmut Wilde
Beruflicher Abschluss in der Elektrotechnik, sodann naturwissenschaftliche schulische Weiterbildung (Fachhochschulreife Elektrotechnik), allgemeine Hochschulreife, Diplomstudiengang Psychologie an den Universitäten Landau (Pfalz) und Trier mit Schwerpunkten in der Klinischen Psychologie und Psychosomatik sowie Teilnahme an Vorlesungen in anderen Fachbereichen. Abschluss als Diplom-Psychologe in Trier 1994; Diplomarbeit im Bereich Ar-beits-, Betriebs- und Organisationspsychologie: Werte und Arbeit - Eine Studie zu berufsbezogenen und gesellschaftspolitischen Werthaltungen von Studierenden (400 Datensätze, SPSS-Auswertungen), Darstellung von Personalführungsmodellen auf der Basis von Werten. Weiterhin thematische Abhandlungen zu den Themen Wertewandel, Wertesozialisation in Betrieben, sowie die Bedeutung von Arbeit in den westlichen Industrienationen. Langjährige Berufserfahrungen als Diplom-Psychologe und Seminarleiter, seit 2011 in der beruflichen Rehabilitation: Menschen mit mannigfaltigen psychischen (vgl. ICD10, F.00-F.99) und körperlichen Störungen (Erkrankungen - ICD10), so auch posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS), chronische Schmerzsyndrome und Hirnschädigungen (SHT, Schlaganfall, MS). Weiterhin Aufgabenwahrnehmungen im psychologischen Dienst, diagnostisch psychologische Tätigkeiten zur Feststellung der Arbeitsmarktfähigkeit sowie die Erstellung von eig-nungspsychologischen Gutachten zur Prüfung einer Umschulungsbefähigung.
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Buchvorschau
Das Primat des Körperlichen im Gesundheitssystem - Helmut Wilde
1. Die Begrenzung auf den Körper in der Medizin
Erfahrbar wird diese Begrenzung vor allem beim Aufsuchen eines Arztes. In den Arztpraxen werden die Ursachen von Erkrankungen auf der körperlichen Ebene liegend gesehen. Der Arzt filtert, aus einem in der Regel sehr kurzen Gespräch, die für eine Diagnosestellung relevanten Informationen heraus, verdichtet diese, und stellt eine Diagnose. Ergänzend erfolgen ggf. Laboruntersuchungen und Bildaufnahmen, wie MRT, CT oder Sonographie. Ist die Diagnose einigermaßen gesichert, werden in der Regel Medikamente, z.T. auch manuelle Therapien oder falls erforderlich Operationen veranlasst, d.h. Diagnostik und Therapie verbleiben in der Regel auf der körperlichen Ebene.
Da in den Praxen in der Regel Medikamente verschrieben werden, soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass diese Nebenwirkungen haben können und je gravierender eine Erkrankung ist, die Liste möglicher Nebenwirkungen zum einen ansteigt und zum anderen drastischer sein dürften. Bereits bei freiverkäuflichen Schmerzmitteln können sehr gravierende Nebenwirkungen auftreten. Deshalb sollten diese nicht öfter als 5x pro Monat eingenommen werden (Gottschling 2017).
Die Diagnostik und Therapie sollte im Sinne des erweiterten bio-psycho-ökosozialen Verständnisses von Gesundheit und Krankheit (vgl. Egger 2015), stets und gleichzeitig auf diesen Systemebenen erfolgen, da dadurch vielfältigere Möglichkeiten vorhanden sind, Krankheiten zu behandeln und Gesundheit wiederherzustellen bzw. zu erhalten. Diese Systemebenen sind in wechselseitiger Kausalität (Brunner 2017) miteinander verbunden, d.h. Interventionen auf der biologischen, der mentalen, der sozialen Ebene und den Lebensverhältnissen wirken sich jeweils auf die anderen Systemebenen und auf das Gehirn aus.
Insbesondere Schmerz ist ein bio-psycho-soziales Phänomen, das in der Medizin in dieser Form bereits in den 60-ziger Jahren durch Gorge Engel (vgl. Engel et al. 2011) bekannt gemacht wurde, jedoch in der täglichen Praxis höchst selten zur Anwendung gelangt. Stattdessen werden in biomedizinisch orientierten Behandlungseinrichtungen hochpotente Opioide verschrieben.
Infolge der Nichtintegration dieser Systemebenen werden mangels vorhandener Konzepte, bereits zu einem frühen Zeitpunkt, im Sinne einer Ausschlussdiagnostik, drastische Erkrankungen (z.B. Alzheimer oder Krebs) angenommen, welche entsprechende diagnostische Abklärungen und dadurch entstehende Kosten zur Folge haben, die jedoch i. d. Regel nicht bestätigt werden. Präventive Untersuchungen, z.B. Mammographie, PSA Tests (z.B. Cochrane.de), sind wegen der Möglichkeit häufiger falsch positiver Diagnosen fragwürdig.
Literatur:
Brunner, Jürgen (2017): Psychotherapie und Neurobiologie. – Neurowissenschaftliche Erkenntnisse für die psychotherapeutische Praxis.
Egger, Josef W. (2015): Integrative Verhaltenstherapie und psychotherapeutische Medizin. - Ein biopsychosoziales Modell.
Engel, George L., Adler, Rolf H. & Grögler, Andreas (2011): Schmerz umfassend verstehen: Der biopsychosoziale Ansatz zeigt den Weg.
Gottschling, S. (2017): Schmerz Los werden. - Warum so viele Menschen unnötig leiden und was wirklich hilft.
1.1 Fallbeispiel
Ich hatte gesundheitliche Beschwerden, die insbesondere beim Mountainbike fahren auftraten, jedoch zunächst unspezifisch und undeutlich waren.
Ich testete über mehrere Monate viele verschiedene Hypothesen, die nach jeweiliger Erprobung die Beschwerden nicht schlüssig erklärten. Schließlich fand ich eine Erklärung, die sich, wie sich später herausstellte, als zutreffend erweisen sollte. Es handelte sich bei den Beschwerden um die Symptome einer Angina pectoris und zwar in der belastungsabhängigen Form. Auch ein Ödem in den Sprunggelenken, dass seinerzeit medikamentös bedingt aufgetreten war und sich nach Absetzen des Medikaments nicht vollständig zurückbildet hatte, war ein Grund, eine Herzuntersuchung anzustreben, da Ärzte annehmen, dass dies auch durch eine Herzinsuffizienz (ggf. auch Niere) verursacht sein könnte. Zusammen genommen ließ ich mir jedoch Zeit, zu entscheiden, wann die Herzuntersuchung erfolgen sollte.
Es vergingen mehrere Monate, bis ich einen Arzt konsultierte, zunächst meinen Hausarzt, der mich, da ich in einem kurzen Anamnesegespräch exakt die Symptome einer Angina pectoris (eigene Diagnosestellung) beschrieb, zu einem Facharzt überwies.
In der kardiologischen Praxis wurden zunächst die in der Eingangsuntersuchung üblichen Blutdruckmessungen und danach ein Belastungs-EKG durchgeführt. Der Fachkraft war Anspannung anzumerken, die das EKG nach relativ kurzer Zeit beendete, da sie wohl etwas Auffallendes auf dem Monitor bemerkte, dass jedoch weder durch diese Fachkraft noch später durch den Arzt expliziert wurde. Nun wurde vom Kardiologen eine Sonographie-Untersuchung durchgeführt. Der Arzt teilte mit, dass sich kein Herzinfarkt ereignet habe und schloss zudem eine Herzinsuffizienz aus.
Für eine weitere Untersuchung sollte ich mir am übernächsten Tag mehrere Stunden Zeit nehmen, da ich nach der Untersuchung nicht direkt nach Hause gehen dürfte. An diesem Tag wurde eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt, die der Arzt nicht vollumfänglich, so wie er wollte durchgeführt hatte, da ein Infusionsmittel, das während der Untersuchung verwendet wurde, plötzlich nicht mehr ausreichend vorhanden war. Er schaute und kommunizierte kurz mit seinem Personal, das diesen Hinweis schweigend aufnahm. Der Arzt entschied sich die Untersuchung zu beenden. Ich war mehrere Stunden im Ruheraum, der Arzt hatte mich vergessen. Als er mich bemerkte, da die Praxis geschlossen wurde, erinnerte er sich an mich und nahm mich nun mit in ein Sprechzimmer. Er hatte seinen PC bereits runtergefahren. Er fuhr diesen wieder hoch, was lange dauerte. Es war ein „alter XP-Rechner. Als der Rechner endlich betriebsbereit war, der Arzt zeigte deutlich Müdigkeitserscheinungen, eines wohl anstrengenden Tages, zeigte er mir auf verschiedenen Bildern seine Befunde, um eine Noteinweisung zu begründen. Ich habe diese Bilder, auch durch das Zeigen des Arztes, nicht verstanden bzw. nicht erkennen können, was erkannt werden sollte. Der Befunde und die damit verbundene Aussage sei eineindeutig, aufgrund dessen der Kardiologe deutlich und kompromisslos die Notwendigkeit einer sofortigen Bypassoperation, alternativlos und ohne darüber aufzuklären verordnete. Er teilte zudem mit, wie gefährlich mein Zustand sei, zudem dass mich keiner mehr retten könnte, wenn es zu einem Herzinfarkt käme. Eine Entscheidungsfreiheit war in dieser Situation nicht mehr gegeben. Später fand ich einen Terminus, der Aspekte des Verhaltens des Arztes beschreiben könnte. Es handelte sich vermutlich um eine sogenannte „autoritäre ärztliche Verschreibung
(Egger 2017), die offenbar unter Ärzten (Kardiologen) nicht selten auftreten dürfte.
Da ich diese Dramatisierung meines Gesundheitszustandes nicht nachvollziehen konnte und ich mich wohlfühlte, da meine Beschwerden ja belastungsabhängig auftraten und sofort wieder verschwanden, wenn ich diese reduzierte, entschied ich mich in dieser emotional brisanten Situation (dennoch) dazu, dieser autoritären Anweisung nicht zu folgen. Der Arzt vereinbarte mit mir für den nächsten Tag einen neuen Termin in seiner Praxis, um mir vermutlich Zeit zu geben, meine Entscheidung noch einmal zu überdenken.
Als ich zu Hause war informierte ich mich im Internet darüber, was eine Bypassoperation ist und wie die Operation durchgeführt wird. Bei der Recherche erhielt ich zudem Kenntnis davon, dass diese Operation nicht die einzige Behandlungsmöglichkeit war.
Am nächsten Tag in der Praxis des Arztes erwähnte ich meine Internetrecherche. Der Arzt würdigte meine Recherche und bessere Kenntnisnahme meiner gesundheitlichen Situation nicht. Stattdessen reagierte er gereizt, da das Internet für ihn wohl so etwas wie ein „rotes Tuch war, vor allem fühlte er sich in seiner Fachkompetenz angegriffen. Es war nicht meine Absicht, diese in Frage zu stellen. Mein nun erfolgter Hinweis, dass seine Einschätzung nicht mit meiner Erfahrung übereinstimmte - ich fuhr zu diesem Zeitpunkt noch mehrfach Mountainbike mit Strecken von bis zu 50 km - ignorierte er einfach, was ich nicht nachvollziehen konnte. Für den Arzt war offenbar mit dieser erneuten Nichtbeachtung seiner „eineindeutigen
Aufforderung, mich operieren zu lassen, das Gespräch beendet und ließ er mich im Gesprächszimmer stehen, also ging ich wieder.
Da ich meinen Zustand als nicht so dramatisch wahrnahm und ich durch die Recherche erfahren hatte, dass die Bypassoperation, aufgrund von Fortschritten in der Medizin, nicht mehr die einzige Möglichkeit war, mich behandeln zu lassen, ließ ich mir erneut Zeit. So recherchierte ich häufiger im Internet nach neuen und für mich relevanten Informationen und habe dadurch erfahren, dass eine „interventionelle Behandlung" mit der Setzung von Stents ebenfalls in meiner Situation indiziert sein könnte.
Die Aussagen des Arztes blieben jedoch nicht ohne Wirkung. Immer mal wieder erinnerte ich mich daran und beschäftigte mich mit den möglichen Folgen der Nichtbehandlung, die der Arzt seinerzeit sehr unausgewogen, u.a. mit dem Hinweis eines Herzinfarkttods, mitteilte. Diese Dramatisierung hatte vor allem psychische Folgen, die Ängste hervorriefen. Diese zu überwinden, gelang, jedoch nicht vollständig, da sie von Zeit zu Zeit wiederkehrten. Ein paar Wochen später fuhr ich wieder, jedoch mit geringerer Intensität Mountainbike, da ich körperliche Betätigung als günstig für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ansah, obwohl der Arzt mir dies seinerzeit verboten hatte.
Ich erprobte meinen Gesundheitszustand noch weitere dreieinhalb Monate und entschloss mich dann, mich interventionell behandeln zu lassen. Ich informierte mich, wieder über das Internet, über Kliniken, die diese Behandlung anboten und meldete mich nach Auswahl derselben zu einer interventionellen Behandlung an. Während der vorbereitenden Untersuchungen, zudem erfolgte an diesem Tag eine Aufklärung über den Eingriff, der am nächsten Tag erfolgen sollte, ereignete sich im ärztlichen Gespräch etwas, das mich an meiner Entscheidung, mich interventionell behandeln zu lassen, zweifeln ließ. Der Arzt erwähnte die Möglichkeit des Todes infolge der Behandlung.
Ich recherchierte nach Abschluss dieser Voruntersuchungen erneut, ich hatte ein Zimmer direkt neben der Klinik angemietet, die Verunsicherung, die ausgelöst wurde, zu klären, was jedoch mangels verfügbarer Zeit nicht vollständig möglich war.