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Psychoanalytische Psychosomatik – eine moderne Konzeption in Theorie und Praxis
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eBook305 Seiten3 Stunden

Psychoanalytische Psychosomatik – eine moderne Konzeption in Theorie und Praxis

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Über dieses E-Book

Die psychosomatische Medizin, ursprünglich die Erkenntnis, dass eine körperliche Erkrankung seelische Ursachen hat, entwickelte sich ebenso wie die hoch anspruchsvollen psychoanalytischen Theorien zum somatischen Erkranken in den vergangenen Jahrzehnten weiter, hierbei divergierten die medizinischen und psychoanalytischen Forschungsfelder zunehmend und viele der komplexen psychoanalytischen Modellvorstellungen über körperliches Erkranken drohen verloren zu gehen, ebenso wie psychoanalytische Haltung und Herangehensweisen. Die dringend erforderliche Verbindung psychoanalytischer Denkmodelle untereinander fand zudem ebenso wenig statt wie eine Verbindung zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen.Der Begriff »Psychosomatik« steht heute oftmals für die klinische Behandlung schwerer Persönlichkeitsstörungen und somatoformer Störungen mit einem meist polipragmatischen multimodalen Vorgehen, die Möglichkeiten psychoanalytischen Verstehens und Therapierens somatischer Erkrankung, beispielsweise der Psychosomatik maligner und immunologischer Erkrankungen, bleiben oftmals ungenutzt; der in der Praxis tätige Psychoanalytiker und Psychotherapeut ist hier oft allein gelassen.Es ist Zeit für die Verbindung und Integration der psychoanalytischen Wissensströmungen und Theoriepositionen in einem anwendbaren Modell und eine psychoanalytische Neupositionierung und Stellungnahme in der Psychosomatik. Der Psychoanalytiker Klaus Plab bietet mit seinem Buch genau diese Zusammenschau.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum18. Nov. 2015
ISBN9783647997568
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    Buchvorschau

    Psychoanalytische Psychosomatik – eine moderne Konzeption in Theorie und Praxis - Klaus Plab

    Einführung

    In den letzten Jahrzehnten entwickelten sich psychoanalytische Modelle des Verstehens psychosomatischen Erkranktseins und medizinisches Wissen um psychogene Ursachen körperlichen Krankseins parallel, aber auch zunehmend voneinander isoliert weiter, ohne zum einen den reichen Erfahrungsschatz des psychoanalytischen Wissens ausreichend mit dem medizinischen Wissen zu korrelieren und ohne zum anderen die psychoanalytischen Modelle für das Verstehen des psychosomatischen Erkranktseins untereinander flexibel zu verknüpfen und zu denken.

    Ursächlich für die erste Tatsache ist die historische, cartesianische Trennung zwischen Soma und Psyche in der Medizin, für die zweite aber die für Psychoanalyse und Psychosomatik recht typische, häufig isoliert stattfindende Theorienbildung, die meist unzureichend Verbindung und Verknüpfung mit den bereits bestehenden Theorien herstellt.

    Der Begriff der Wissenschaft impliziert bei der Betrachtung körperlichen Krankseins stets divergierende Sichtweisen; die der medizinischen Wissenschaft zum einen, die der psychoanalytischen Forschung und Herangehensweise zum anderen. Versucht die eine, psychosomatisches Kranksein empirisch, evidenzbasiert und naturwissenschaftlich, beispielsweise durch Transmittertheorien, Nachweise von Keimen oder die Beschreibung (neuro-)immunologischer und epigenetischer Mechanismen zu erfassen und zu beweisen, steht die andere Betrachtungsweise für intuitives Erfassen und Beobachten im analytischen Feld und im Unbewussten des Erkrankten, oft eines einzelnen Erkrankten, und in den daraus beobachtend und intuitiv abgeleiteten spezifischen Einzeltheorien.

    Deutlich wird der unfruchtbare Konflikt auf medizinischer Seite an einer Vielzahl von medizinischen, als Erkrankungsentitäten verstandenen, gemäß einem sich ständig verändernden medizinischen Mainstream vorgenommenen Kohortierungen von Symptomen, wie beispielsweise bei ADHS oder bei dem Restless-legs-Syndrom, den sich immerfort neu anpassenden Kategorien verschiedenster Kopfschmerzen und vielem mehr. Für die psychoanalytische Betrachtungsweise und das psychodynamische Verstehen aber ist diese kategoriale und festlegende Einordnung unterschiedlichster Symptomatik in eine Erkrankungsentität äußerst hinderlich. Gleichwohl war es unter anderem die psychoanalytisch-psychosomatische Generierung von Erkrankungsentitäten, man denke nur an die klassischen Psychosomatosen oder die Überlegungen zu den Persönlichkeitsvarianten, die für koronare Herzerkrankung oder maligne Erkrankungen verantwortlich sein sollten, die dazu führte, dass die Medizin diese Erfahrungen als nicht brauchbar diskreditierte und verwarf.

    In den letzten Jahren zeigte die deutschsprachige Psychosomatik bei den diagnostischen Optionen eine starke Tendenz zur (verhaltens-)medizinischen Betrachtungsweise und beschrieb vorwiegend Möglichkeiten der Bewältigung der Folgen einer Erkrankung (»Coping«). Hierbei blieb sie weit hinter den therapeutischen Möglichkeiten zurück, und wertvolle Konzepte für therapeutische Möglichkeiten, die die Psychoanalyse der Psychosomatik bereitstellt, blieben jetzt ungenutzt. Ebenso musste die erforderliche Vertiefung in die unbewussten und unbekannten, komplexen Wahrheiten der für das jeweilige, einzelne Individuum hochspezifischen Bedingungen des Erkrankens vermisst werden.

    Die aktuelle Psychosomatik wird dem Individuum und dessen spezifischen Bedingungen des Krankwerdens daher nicht mehr gerecht.

    Gleichzeitig dringt die medizinische Wissenschaft immer weiter in mikromolekulare, genetische, mikroimmunologische und hormonelle Einheiten und Feinheiten vor, ohne dass im Einzelfall medizinisch nicht begreifbare unbewusste Konditionen für das Erkranken mit bedacht werden. Ein oftmals artifiziell monokausalisierender, vereinfachender Zusammenhang beispielsweise zwischen erhöhten Blutfetten und einem Infarkt der Herzkranzgefäße oder einem Schlaganfall steht in einem ausgeprägten Kontrast zu den komplizierten und komplexen lebensgeschichtlichen und subjektiven Bedingungs- und Auslösesituationen der betreffenden Erkrankungsbilder und zur Komplexität bereits primitivster biologischer Systeme, die sich wiederum in der Komplexität psychoanalytischer Theorien gut abbildet.

    Gelangt ein Individuum aufgrund einer akuten, existentiell erschütternden Erkrankung in eine somatische Behandlung, etwa wenn ein akuter Infarkt, ein akuter Infekt, eine Embolie, eine andere Funktionsstörung eines Organsystems eine sofortige Intervention erforderlich macht, so ist die Medizin auf eine bisher nie dagewesene, effektive und hochwirksame Weise in der Lage, zu intervenieren und den Gesundheitszustand wiederherzustellen, die Selbstheilungskräfte zu unterstützen. Die »zweite Hälfte der Behandlung« aber, die psychosozialen und innerseelischen Bedingungen der Entstehung der Erkrankung (und die Wirkung des Fortbestehens derselben), bleibt oft unzureichend berücksichtigt, was auch im Sinne einer Sekundärprophylaxe als problematisch angesehen werden muss. Dem Individuum gelingt es dann in der Folge nicht, seiner Erkrankung die Bedeutung zuzuschreiben, die erforderlich ist, um das von der Erkrankung gegebene Signal für das weitere Schicksal zu erhalten und zu deuten, um gegebenenfalls erforderliche Konsequenzen zu ziehen. Letztlich führt dies zu erheblichen, langfristigen individuellen und ökonomischen Konsequenzen, zudem werden prophylaktische Möglichkeiten nicht genutzt.

    In der psychodynamischen Praxis wiederum stößt die psychoanalytische Wissenschaft an ihre Grenzen, wenn Therapeuten in subjektiver Weise für das Verstehen ihrer somatisch erkrankten Patienten Theoriemodelle nutzen, die sie sich im Laufe der Zeit angeeignet haben, die aber, subjektiv ausgewählt, dann isoliert im Therapeuten und nach eigener Erfahrung zum Einsatz kommen. Diese Praxis verwundert auch nicht, da es bei der Vielzahl von Gedankenmodellen und psychoanalytisch-wissenschaftlichen Modellen zum körperlichen Erkranken auch kaum möglich ist, zu einem Überblick und einem brauchbaren inneren Modell zu gelangen, das auf Basis der akzeptierten und bekannten Theoriemodelle eine flexible und nutzbare Integration all dieser Einzelmodelle für alle möglichen Erkrankungssituationen, die in der Praxis auftreten, im Sinne eines integrierten, psychosomatischen Theoriemodells möglich macht.

    Der Versuch einer solchen Integration im Psychoanalytischen soll nun hier vorgenommen werden und ebenso der Versuch, eine zwar mögliche, aber oftmals nicht gewagte synoptische Sichtweise somatischen Krankseins im Kern des Seelischen zu finden und zu verorten, um somit auch die Verbindung zwischen dem medizinischen und dem psychoanalytischen Wissen herzustellen.

    Psychoanalytisches Verstehen ist Wissenschaft im Sinne des Wortsymbols. Wissenschaft ist gemeinhin Symbolisierung des Intrapsychischen in sprachlicher, mathematischer, physikalischer, medizinischer (etc.) Form, um die Umwelt, die Welt zu begreifen, also sich selbst als Mensch in seinen tiefsten Ängsten durch Schaffung einer haltgebenden Struktur zu beruhigen (was anderenorts oder in anderen Zeiten beispielsweise die Religion vermag oder vermochte). Psychoanalyse nimmt nicht nur mit den Sinnesorganen wahr, sondern besonders mit der Intuition. Ihr Gegenstand ist zunächst (also nach heutigem Wissensstand) ein primär nicht physikalischer, nicht naturwissenschaftlich-technischer, nicht medizinischer. Psychoanalyse bedeutet Wahrnehmen und Integrieren von Gefühlen und Affekten, Dechiffrieren und Verstehen von Schmerz, vegetativen, motorischen und somatischen Symptomen, wenngleich alle diese Äußerungen des Organismus auch mit physikalischen, technischen, medizinischen Messapparaten (besser: Symbolen wie Bildern, Befunden etc., etwa Nervenleitung, Puls, Blutdruck, Schweiß, Hautwiderstand, Durchblutung, Muskeltonus etc.) registriert und dokumentiert werden können.

    Zunehmend erhält hierbei die Arbeit an und mit nicht oder nur unzureichend repräsentierten Erfahrungen und Beziehungsfragmenten, die in das Somatische eingeschrieben sind, zentrale Bedeutung.

    Es besteht also die Gefahr, dass im Rahmen des Mainstreams psychosomatischen Verstehens eine für das vollständige Verstehen hinderliche Konzentration nur auf eine Mitwirkung des Seelischen bei körperlicher Erkrankung erfolgt und die Bedeutung des Symbolhaften nicht (mehr) erkannt wird. Der im kollektiven Bewusstsein (und Unbewussten) vieler Analytiker und Psychotherapeuten zum Teil verborgene und aufbewahrte »Schatz« des Wissens um die Verursachung körperlichen Leidens durch frühere und frühe seelische Verletzungen und Konflikte wird nicht bewahrt und erhalten. Gleichzeitig drohen die wertvollen Theoriemodelle der Psychoanalyse in ihrer Isolation ungenutzt und unverbunden zu bleiben, letztlich dann später verlorenzugehen.

    Generationen von Psychotherapeuten und Psychoanalytikern wussten um die Zusammenhänge zwischen Seelischem und Körperlichem, wussten, wie sich das tiefste Seelische im Körperlichen seinen Ausdruck sucht, um wieder zu einem inneren Gleichgewicht zu finden. Bereits 1933 schrieb Georg Groddeck (2011, S. 97), »dass Religion und Wissenschaft, ja das ganze menschliche Denken und Handeln unter dem Zwange dieses rätselhaften Dinges steht, das wir Unbewusstes nennen und dessen Äußerungen, mögen wir sie packen, wo wir wollen, stets symbolisch sind.«²

    Das 1977 von George Engel entwickelte sogenannte biopsychosoziale Modell (zit. nach Kollbrunner, 2010) hat in der modernen Psychosomatik allgemeine Anerkennung gefunden, in dessen Rahmen werden somatoforme Störungen »zu chronischen Störungen«. Hierbei ist oftmals nicht mehr die Heilung, sondern die Linderung der Beschwerden Behandlungsziel. Bereits bei Kindern wird eine große Anzahl von Syndromen und Symptomen, die aus psychoanalytischer Sicht psycho- und familiendynamisch gut zu verstehen sind, oftmals als rein somatisch verursacht verstanden (als die häufigsten seien hier genannt: motorische Störungen wie hyperkinetische Störungen, Tics etc., Konzentrationsstörungen, eine Vielzahl von Erkrankungen der Haut, allergische Erkrankungen, Übergewicht und einige mehr). Ebenso werden bei Erwachsenen vielfach Möglichkeiten akuter Intervention durch psychodynamisches Verstehen und raschen, frühen Einsatz von professioneller psychodynamischer Kompetenz zu wenig genutzt.

    Zudem besteht die Gefahr, dass auch wir als Analytiker den vielfältigen Widerständen der Zeitströmungen, das Symbolische nicht mehr als solches zu verstehen, unterliegen und Komparsen des Widerstands werden, sodass wir letztlich die Möglichkeit, dass sich zutiefst verborgenes Seelisches im Körperlichen ausdrückt, übersehen, übersehen wollen oder müssen oder sollen.

    Die Medizin selbst ist ein Sprach- und Symbolsystem, das es unserer Kultur möglich machte, ein kategoriales Denksystem über das ursprünglich Seelisch-Körperliche zu legen, um es versteh- und greifbar, letztlich behandelbar zu machen. Sie hat hier Großartiges geleistet. Allerdings wird hierbei verdrängt und vergessen (durchaus im Sinne des bewährten Abwehrkonzepts), dass Sprache auch entwickelt wurde, um zu verbergen, vor dem Verstehen der letzten, schmerzhaften Wahrheit zu schützen und um das intrapsychische Gleichgewicht zu (er-)halten. Soll aber Sprache der Erhellung und der Wahrheit dienen (vgl. Bion, 2006), darf man nicht vernachlässigen, dass sie ebenso, wie all unser Verhalten und Befinden, Ausdruck des tiefen, innersten Erlebens, unserer Triebe und Motivationen ist und wir sie in langen, mühsamen, assoziativen Prozessen ihrer Symbolhaftigkeit berauben müssen, um zu verstehen³. Dies kann ausschließlich die Psychoanalyse.⁴

    Psychosomatik ist die Lehre vom untrennbaren Zusammenwirken des Seelischen und des Körpers, des Körpers, in den die Seele eingehaucht und eingeschrieben wurde, ist es doch der Körper, in dem sich das Seelische bildet und sein (erstes) Zuhause erfährt, in dem das seelische Erleben seine erste Symbolisierung erfährt, die aber das ganze Leben anhält und bedeutsam bleibt (es ist zum »aus der Haut fahren«, schlägt einem »auf dem Magen«, »bricht mir das Herz« …).

    Will man einen Schritt weiter gehen, ist die gesamte Welt, mit der wir uns umgeben, Ausdruck (einer Konstruktion) unseres Seelischen, ständig sind wir damit beschäftigt, unseren unbewussten Impulsen nach Befriedigung und Gleichgewicht dergestalt gerecht zu werden, dass wir – ebenfalls unbewusst – unsere Welt entsprechend einrichten und konfigurieren⁵.

    Und das ist das Radikale an den hier vorgetragenen Gedanken: körperliche Symptomatik wird – wenn immer möglich – zunächst als Ausdruck seelischen Ungleichgewichtes verstanden, aber nicht in einem medizinisch »psychosomatischen« Sinne, das heißt so, dass psychische »Faktoren« Einfluss auf einen Krankheitsverlauf nehmen, sondern zunächst als direkter Ausdruck der seelischen Situation im Körperlichen, als »Psychosomatik« im eigentlichen Sinne (an den Begriff des Embodiment sei hier erinnert).

    Die Voraussetzungen hierfür sind gegeben: neuropsychoanalytische, neurophysiologische und epigenetische Überlegungen lassen durchaus Spielraum für diese Betrachtungsweise, die einen Bereich erfassen möchte, der schwer, kaum oder nicht (medizinisch-)wissenschaftlich, nur sehr schwer reflektierend und empathisch gedacht und so gut wie nie bewiesen, aber doch immerhin beschrieben werden kann. Hierzu ist zudem der übergreifende Einsatz bisher bekannter, theoretischer Modellvorstellungen der Möglichkeiten psychosomatischen Erkranktseins in möglichst umfassender und verbindender Weise erforderlich.

    Ein Spezifikum europäischer Kultur mit starkem Einfluss auf das Verstehen des menschlichen Organismus ist die genannte cartesianische Trennung von Körper und Seele. Luigi Solano zitiert Francisco Varela, der die Seele »als ein sich aus dem Organismus entwickelndes Phänomen oder dessen Eigenschaft« betrachte (Solano, 2000, zit. nach Mauss-Hanke, 2011, S. 84 ff.), vielleicht am ehesten vergleichbar mit Phänomenen der Quantenphysik, beispielsweise dem Doppelcharakter der Photonen als Welle und Teilchen. Dieser reizvolle Gedanke lässt auch die Möglichkeit zu, Menschliches seelisch und somatisch zu verstehen, und bietet die Grundlage für ein umfassendes psychosomatisches Modell, demzufolge Körper und Seele untrennbar in Erkrankungssituationen gemeinsam wirksam werden.

    Dem Menschen im Westen ist mit Descartes ein fundamentales Wissen und Erleben eines untrennbaren Systems des Körperlichen und des Seelischen genommen worden, ein Wissen um die Gesamtheit der Existenz und den Einfluss vielfältiger Faktoren des Sozialen und der eigenen Geschichte auf Gesundheit oder Krankheit. Es ist neben der langen Liste der psychoanalytischen Veröffentlichungen zur Thematik beispielsweise auch Eckart Leisers (2007) Verdienst, hier entgegenzuwirken, einige wesentliche Texte der französischen Psychosomatik bzw. die Arbeiten einiger bedeutender psychoanalytischer Forscher aus dem Bereich der Psychosomatik aus Frankreich in Deutschland bekannt gemacht und einen Teil derer Texte in das Deutsche übertragen zu haben.

    Beispielsweise zitiert er Juan Nasios Beitrag »Die Schreie des Körpers« (zit. nach Leiser, 2007, S. 97 ff.), der von einer »Karikaturisierung wissenschaftlicher Diskurse« (zit. nach Leiser, 2007, S. 97) spricht, insbesondere im Zusammenhang mit psychosomatischen Erkrankungsbildern, »bei deren spezifischer psychischer Repräsentation gegenwärtig ein vulgarisierter medizinischer und ebenso vulgarisierter psychoanalytischer Diskurs miteinander konkurrieren« (S. 98).

    Nach Nasio komme »innerhalb der imaginären und symbolischen Verarbeitungsmöglichkeiten von Erfahrung keine adäquate Antwort zustande« (zit. nach Leiser, 2007, S. 98), konflikthafte Erfahrungen würden in der psychischen Realität, die »aus Sexualität gemacht« (S. 100) sei⁶, nicht verarbeitet und würden zu einer »Oberflächenrealität« (S. 100). Es entstehe eine Verwerfung, als deren Folge »an die Stelle des Objektes ein symbolischer Ersatz, eben das Symptom tritt« (S. 105). Nachdem eine Symbolisierung nicht gelinge (Leiser, 2007, formuliert hier nach Lacan, dass die signifikante Anrufung im Nichts der symbolischen Ordnung ende), werde daher eine »Antwort vom Typ Objekt« (S. 105) ausgelöst. Man könne daher das psychosomatische Geschehen als ein lokales System verstehen, das Erkrankungsbild dann per se zu untersuchen ergebe aber keinen Sinn, hingegen sei der (hier muss hinzugefügt werden: einzige) Rahmen »für die Rekonstruktion des psychosomatischen Geschehens daher die psychoanalytische Realität« (S. 107).

    Hierbei stellt die Psychoanalyse einen interaktionellen Raum der Beziehung zur Verfügung, der in seiner Einmaligkeit also einzige Möglichkeit, das psychosomatische Erkrankungsgeschehen zu verstehen und zu bearbeiten, gewährleistet. Nach Nasio, so führt Leiser weiter aus, seien die »Objekte vom Typ Organ« (S. 108) dem Psychoanalytiker oft fremd und somit dieser zusätzlich zu dem schicksalhaften Einfluss der medizinischen Wissenschaft und deren Argumentation einer Irritation ausgesetzt.

    Dass der Patient Schmerz wahrnimmt, sein Arzt diesen einzuordnen versucht, heißt nicht, dass der Patient sein Leiden versteht oder der Arzt versteht, an was (an wem) der Patient leidet – um das eigentliche Leiden zu verstehen, ist ein psychoanalytischer Ansatz unerlässlich. Dass der Patient (oder sein Arzt) die Ursache seines Leidens (also nicht nur des Schmerzes) versteht oder zu verstehen glaubt, heißt nicht, dass seine Erinnerung oder sein Verstehen auf die Ursache des Leidens hinweisen. Günstigenfalls eröffnen sie eine Fährte, der es gegen den erheblichen, intrapsychischen Widerstand nachzuspüren gilt, um an das zu gelangen, was das Erleben und die Erinnerung gebildet, geformt und als innerseelische Symbolik niedergelegt haben. Letztlich ist die sprachlich, also in symbolisierter Form geschilderte Symptomatik des Patienten für den Psychoanalytiker kaum relevant, hingegen aber das, was sich in ihr, was sich hinter/unter den Worten an Bedeutung verbirgt, was sich inszeniert.

    Psychosomatik im psychoanalytischen Sinne bedeutet, Symbolsysteme zu hinterfragen und zu verstehen, bedeutet, keine Kausalität anzunehmen, keine Festlegung, keine Strategie, sondern in der Gegenübertragung und im Verstehen offen zu bleiben. Sie bedeutet die Fähigkeit, sich innerpsychisch radikale Lösungen und Erklärungen zu gestatten, diese aber erst zu kommunizieren, wenn sie zu einem wirkungsfähigen, mentalisierenden Gedankenkonstrukt mit Veränderungspotential für den Patienten werden können oder geworden sind, wenn sie emotional so dicht und berührend formuliert werden können, dass sie im Patienten die heilsame Wirkung entfalten. Spezifisch psychoanalytisches Verstehen körperlichen Krankseins meint auch, sich von den Versuchen, durch Symptomatik projektiv identifiziert zu werden, von den Versuchen, durch Inszenierung beeindruckt zu werden, distanzieren zu können und dem analytischen Feld Raum und Zeit geben zu können, sich zu entfalten, seine gesamte unbewusste Dimension zu zeigen, Geduld zu haben.

    Dieses Buch ist kein psychosomatisches Nachschlagewerk oder Lehrbuch, der Schwerpunkt liegt hingegen auf dem Verstehen und dem psychoanalytischen Reflektieren körperlichen Krankwerdens oder Krankseins zum einen und zum anderen in der ständigen Anregung, in der Gegenübertragung für dieses Verstehen offen und auf die Symptomatik neugierig zu bleiben. Hierfür kann es sehr hilfreich sein, Erfahrungswissen und Fallbeispiele zur Verfügung zu haben, um körperliches Kranksein psychoanalytisch und psychodynamisch zu verstehen.

    Solche Fallbeispiele können – gut für uns – ein Konstrukt darstellen, mit dessen Hilfe die Wahrnehmungen, die die Gegenübertragung möglich machen (macht), innerlich verortet werden können – schlecht für uns, da wir zu Orientierung an festen Punkten neigen, Unsicherheiten und Unklares schlecht ertragen, somit uns tendenziell zu schnell oder dauerhaft festlegen (lassen).

    Die anarchische Botschaft lautet, unabhängig phantasieren, assoziieren und nachfragen zu dürfen, mit dem Gefühl, noch gar nicht(s) zu wissen, um irgendwann mit einem völlig verrückten (sic!) Einfall zu dem Symptom in dieser oder in einer anderen Stunde oder auch gar nicht belohnt zu werden. Denn die Dynamik des jeweiligen Problems wartet, bis sie entdeckt wird, sie will entdeckt werden, sonst würde sie an spezifischer Stelle in der Therapie oder im Leben nicht vorgebracht.

    Die anarchische Botschaft meint, mit therapeutischer Lebendigkeit und Befriedigung geduldig zu spüren und dabei den enormen Mut aufzubringen, immer wieder die verführerischen Übertragungs- und Gegenübertragungswiderstände auszuhalten, ihnen nicht zu verfallen – und zu verstehen.

    Analog sollten wir mit der Theorie des Krankheitsverstehens verfahren, wenngleich wir ohne theoretische Konstrukte uns im Dickicht des Unbewussten gar nicht mehr zurechtfinden könnten. Jedoch kann hier ein neues, integrierendes Denken des bisher bekannten analytischen Wissens im Sinne eines universell und flexibel einzusetzenden Denkmodells hilfreich werden – psychodynamische Theoriepositionen in all ihrer möglichen Flexibilität und Potenz für eine fächerintegrierende Psychosomatik zu vermitteln, ist hier ebenso Anliegen.

    Der Einfachheit halber sind in diesem Buch mit der männlichen Form der Verbalsymbole »Patient« und »Therapeut« immer die weibliche und die männliche Form zum Ausdruck gebracht.

    Mein ganz besonderer Dank gilt meinem Sohn Andreas Plab für die kritische und mühevolle Durchsicht des Textes und der Literaturquellen. Max Bornschlegl danke ich herzlich für die Mitgestaltung des Covers.

    2Groddeck führt ergänzend aus, der Mensch sei »symbolisch eingestellt«, sei ein »symbolisierendes Wesen« (2011, S. 98). Daher sei es auch »unmöglich« […], die »Mutter so zu sehen, wie sie wirklich ist, weil sie eben für uns Symbol geworden ist« (S. 107).

    3Groddeck (2011, S. 109) führt ein Beispiel auf, dem sich entnehmen lässt, wie aufmerksam er Menschen beobachtete: »In meinem Hause in Baden-Baden kommen und gehen viele Menschen. Es existiert dort ein Fenster, welches auf einen Gang geht und von dem aus man jeden Kommenden und Gehenden sehen kann. Nun hat dort einmal jemand beobachtet, dass diejenigen, die in das Sanatorium hineingehen, stets an ihrer Kleidung etwas in Ordnung bringen; diejenigen aber, die fortgehen, kratzen sich, selbst die vornehmste Dame tut das. Es muss sie etwas dazu veranlasst haben. Vielleicht haben sie bei mir nicht das gefunden, was sie suchten. Durch ihre unwillkürlichen Bewegungen verraten sie sich nun der Öffentlichkeit.«

    4Wilfred Bion (2006) fabuliert in seinem Werk »Aufmerksamkeit und Deutung«: »Die Lügner bewiesen Mut und Entschlossenheit in ihrem Widerstand gegen die Wissenschaftler, die mit ihren gefährlichen Lehren gute Aussichten hatten, den Leichtgläubigen auch den letzten Rest an Selbsttäuschung zu nehmen und sie damit jeden natürlichen Schutzes zu berauben, den diese benötigten, um ihre geistige Gesundheit gegen die Wucht der Wahrheit zu behaupten. Einige von ihnen, die sich der drohenden Gefahren vollauf bewusst waren, gaben ihr Leben für Lügen hin, um die Schwachen und Zweifelnden durch die Glut ihrer Leidenschaft von der Wahrheit selbst der widersinnigsten Behauptungen zu überzeugen. Es ist nicht übertrieben, zu sagen, dass die Menschheit ihr Heil jener kleinen Schar begabter Lügner verdankt, die sogar angesichts unzweifelhafter Fakten unbeirrt die Wahrheit ihrer Falschheiten verfochten. Selbst der Tod wurde geleugnet, und die fantasievollsten Argumente wurden ins Feld geführt, um offenkundig

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