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Psychotherapie bei Psychosen: Neuropsychodynamisches Handeln in Klinik und Praxis
Psychotherapie bei Psychosen: Neuropsychodynamisches Handeln in Klinik und Praxis
Psychotherapie bei Psychosen: Neuropsychodynamisches Handeln in Klinik und Praxis
eBook823 Seiten8 Stunden

Psychotherapie bei Psychosen: Neuropsychodynamisches Handeln in Klinik und Praxis

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Über dieses E-Book

In der Psychiatrie gewinnen Psychodynamik und Psychotherapie bei Psychosen an Bedeutung. Anders als früher geht es jedoch nicht um eine Alternative zum biologisch akzentuierten Verständnis psychischer Krankheiten oder um rein pharmakologische Therapien, sondern um die sinnvolle Intergration dessen, was bei Psychosekranken therapeutisch machbar und sinnvoll ist.

Bei der Vermittlung der theoretischen Grundlagen steht das komplexe Zusammenspiel der Einzelkomponenten im Vordergrund. Entsprechend den modernen Forschungsergebnissen werden neurobiologische, genetische, soziale, individuell entwicklungsgeschichtliche und tiefenpsychologische Fakten zusammengetragen. Individuell abgestimmte Therapievariationen werden mit einem neuropsychodynamischen Verständnis möglich und mit vielen klinischen Beispielen plastisch vermittelt. Sowohl gruppen- als auch einzeltherapeutische Vorgehensweisen werden für ambulante und stationäre Bedingungen herausgearbeitet. Teilweise ist Psychotherapie erst auf dem Boden der Pharmakotherapie möglich, und oft ist die Wechselwirkung von Psychodynamik und Psychopharmaka zu beachten.

Dieses Buch vermittelt eine Fülle konkreter Beispiele und Erfahrungen aus der Praxis und gibt den Therapeuten etwas Anschauliches und für die tägliche Arbeit Anwendbares an die Hand.

SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer
Erscheinungsdatum30. Okt. 2014
ISBN9783662442463
Psychotherapie bei Psychosen: Neuropsychodynamisches Handeln in Klinik und Praxis

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    Buchvorschau

    Psychotherapie bei Psychosen - Peter Hartwich

    © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

    Peter Hartwich und Michael GrubePsychotherapie bei Psychosen10.1007/978-3-662-44246-3_1

    1. Grundlagen und Wirksamkeit psychodynamischer Behandlungen bei Psychosekranken

    Peter Hartwich¹   und Michael Grube¹  

    (1)

    Akademisches Lehrkrankenhaus der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie/Psychosomatik, Städtische Kliniken Frankfurt am Main-Höchst, Frankfurt am Main, Deutschland

    Peter Hartwich (Korrespondenzautor)

    Email: Prof.Hartwich@casytec.de

    Michael Grube

    Email: Michael.Grube@KlinikumFrankfurt.de

    1.1 Stellenwert der psychodynamischen Therapieformen

    1.1.1 Was heißt Psychodynamik?

    1.1.2 Was heißt modifiziert?

    1.2 Empirische Studien zu Therapieeffekten

    1.2.1 Schizophrenien

    1.2.2 Affektive Erkrankungen , bipolare und monopolare

    Literatur

    Sieht man sich in deutschsprachigen Einrichtungen um, in denen psychiatrische Patienten behandelt werden, so ist über die pharmako- und milieutherapeutischen Behandlungen hinaus ständiges Bemühen um psychotherapeutische Zugangswege zu Psychosekranken zu beobachten. Jeder Fachkollege in der Praxis, jeder Mitarbeiter in psychiatrisch-psychotherapeutischen Kliniken, Tageskliniken, Ambulanzen sowie in den außerklinischen Versorgungseinrichtungen steht vor der Herausforderung, im Einzelkontakt mit Psychosekranken einfühlsam auf das persönliche Schicksal des ihm anvertrauten Menschen einzugehen. Viele versuchen, nach allgemeinen psychotherapeutischen, verhaltenstherapeutischen und auch psychodynamischen Grundsätzen zu handeln. Dabei wird auch die Beziehungskonstellation zum einzelnen Patienten reflektiert, um mit den Symptomen sowie mit den Bedürfnissen der Patienten therapeutisch effektiv umgehen zu können. Bei genauerem Hinsehen ist eine psychodynamisch akzentuierte Grundhaltung wesentlich stärker ausgeprägt und die dazugehörigen pragmatischen Vorgehensweisen weiter verbreitet, als es sich im gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb unseres Faches manchmal widerspiegeln mag.

    Infolgedessen geht es uns darum, die psychotherapeutischen, insbesondere die psychodynamischen (tiefenpsychologisch fundierten und psychoanalytischen) Erfahrungen des täglichen klinischen Handelns zu sammeln, zu systematisieren und weiterzuentwickeln. Dieses geschieht auch auf der Basis des Versuchs, neurowissenschaftliche Erkenntnisse mit einzubeziehen und auch der Frage nachzugehen, inwieweit diese in Bezug zu psychodynamischen Vorgängen stehen. Wir gehen dabei nicht von der Darstellung eines Theoriengebäudes aus, sondern orientieren uns an jahrzehntelanger klinischer Erfahrung und dem pragmatisch Machbaren in der Begegnung mit Psychosekranken, insbesondere mit schwereren Verläufen schizophrener, schizoaffektiver und affektiver Psychosen in der stationären sowie ambulanten Pflicht- und Sektorversorgung. Dem Bedarf an psychotherapeutischer Behandlung bei Psychosen ist heute auch deswegen ein hohes Gewicht zuzumessen, weil sich in den letzten Jahren die Hinweise auf eine Korrelation zwischen Psychopharmakotherapie und einer zusätzlichen Hirnvolumenminderung, die weiße und graue Substanz vorwiegend im frontalen Hirnbereich betreffend, vermehrt haben. Für die Betroffenen kann es dadurch zu einer Zunahme von kognitiven Defiziten kommen (Aderhold et al. 2014).

    Welche Voraussetzungen sollten für die Psychotherapie von Psychosen gegeben sein?

    Angesichts der Erkenntnis, die der Tradition unseres Faches seit Bestehen der Psychiatrie entspricht, dass die Psyche nicht auf somatische Aspekte reduziert werden kann und darf, sondern dass die Psychodynamik immer eine Rolle spielt, ist es erforderlich, den eigenen Standpunkt ein wenig zu erläutern.

    Eine aus der psychoanalytischen Weiterbildung kommende psychodynamische Grundhaltung prägt zwar den Umgang mit Psychosekranken, ist aber in ihrer Anwendung bei Psychosen, entsprechend den somatischen Ätiologieteilbereichen, gegenüber den psychischen Störungen, die man früher unter dem Begriff der Neurosen subsumierte, grundlegend zu modifizieren. Damit werden die Bedürfnisse der Psychosekranken sachgerechter berücksichtigt und zusätzliche psychosespezifische Behandlungsmöglichkeiten entwickelt.

    Die psychodynamische Psychosenpsychotherapie enthält eine Modifikation psychoanalytisch orientierter Vorgehensweisen im Hinblick auf die Belange von Psychosen (Ich-Schwäche, Desintegrationsgefahr, Selbstfragmentierung) mit ihren psychosenspezifischen Behandlungsmöglichkeiten.

    Die Haltung des Therapeuten bei der Behandlung von Psychosen ist eine andere, mehr stützende und aktivere. Außerdem ist das Erkennen von reifen und sog. unreifen (wie sie früher genannt wurden) Abwehrfunktionen zwar ähnlich, entscheidend ist aber der Unterschied im Strukturniveau der Patienten, was zu einigen neuen Begriffen und vor allem zu einem andersartigen therapeutischen Umgang mit den Patienten führt. Bezüglich des heute allgemein praktizierten integrativen therapeutischen Vorgehens bei schizophrenen, schizoaffektiven und affektiven Psychosen möchten wir betonen:

    Unsere psychotherapeutischen Bemühungen stehen auf der Basis der Behandlung mit bewährten und hinsichtlich ihrer therapeutischen Wirksamkeit erfolgreich getesteten Psychopharmaka. Dabei ist ihr Einfluss auf Hirnstrukturveränderungen immer zu berücksichtigen.

    Die Gabe von Psychopharmaka sollte jedoch unter der Berücksichtigung der Forschungsergebnisse, die von Aderhold et al. (2014) in einer Metaanalyse zusammengestellt wurden, vorsichtig und mit kleinstmöglicher Dosierung erfolgen. Die Evidenz der Volumenminderung des Frontalhirns durch FGA („first generation antipsychotics) und teilweise auch Atypika, SGA („second generation anitpsychotics) sowie der Korrelationen der Veränderungen frontaler grauer Substanz mit der kumulativen antipsychotischen Dosis mahnen hier besondere Sorgfalt an. In der Akutbehandlung werden hochpotente, niederpotente und atypische Antipsychotika , in der Weiterbehandlung ausreichend dosierte Tages- und Depotpräparate , Thymoleptika und Phasenprophylaktika eingesetzt. Ferner werden die Verfahren Schlafentzug und in seltenen Fällen Elektrokrampftherapie entsprechend ihrer Indikation eingesetzt. Es kommen kunst-, musik- und körpertherapeutische Verfahren hinzu.

    1.1 Stellenwert der psychodynamischen Therapieformen

    In dem Versuch einer historischen Einbettung unseres gegenwärtigen psychodynamischen Handelns sei ein kurzes Rückblättern in der Geschichte des psychiatrischen Fachgebietes angedeutet: Es ist faszinierend nachzuvollziehen, wie sich die beiden Betrachtungsweisen einerseits der „psychischen Dominanz mit ihrer psychologischen Innenschau und der dazugehörigen Bedeutung der Erlebniswelt des Subjektes mit andererseits der „somatischen Dominanz mit ihren morphologisch begründeten Erklärungsmodellen einschließlich naturwissenschaftlich geprägten empirischen Erforschungsstrategien des Objektes wie Wellental und Wellenkamm in jahrzehntelangen Etappen abwechseln. Auf die Frage nach dem Warum des Wechselgeschehens werden wir an die „Struktur der wissenschaftlichen Revolution" des Philosophen Kuhn (1976) erinnert. Er weist darauf hin, dass jede Wissenschaftsperiode auch ein dogmatisches Element enthält, welches unpassende Alternativen zu unterdrücken pflegt; wenn diese sich im Laufe der Zeit immer stärker durchsetzen, kommt es zu einer Schwelle, an der sie sich nicht mehr ausgrenzen lassen. Es entsteht eine Krise, die dann zu einem Wechsel der vormals leitenden Hypothesen und Modelle im Sinne eines Paradigmenwechsels führt.

    So beschreibt Wyrsch (1976), wie es schon früh zum manchmal erbitterten Streit zwischen Psychikern und Somatikern kam, als die Periode der spekulativ-romantischen Psychiatrie, z. B. vertreten von Heinroth (1816), Ideler (1835, 1838) und Carus (1975, ¹1860) sich dem Ende nahte. Es kam die Epoche der hirnanatomischen Dominanz, in der neben anderen Griesinger (1964, ¹1845) und Meynert (1884) zu nennen sind. Wyrsch (1976, S. 998–999) bemerkt dazu:

    Dass nun die Progressive Paralyse auf mikroskopisch feststellbare Befunde im Gehirn und in der Cerebrospinal-Flüssigkeit sich stützen konnte, ungeachtet ihres psychopathologischen Befundes, gab Anstoß und Hoffnung, die Psychiatrie könne sich gleichberechtigt und gleich bewundert der Körpermedizin beigesellen.

    Die somatische Dominanz wurde später unter anderem in der Schweiz zugunsten der psychischen Dominanz abgelöst, indem unter Eugen Bleuler (1911) die Psychoanalyse Freuds (1913–1917, 1920–1924) zunächst fruchtbaren Boden finden konnte und auch bei psychotisch Erkrankten eingesetzt wurde. Müller (1972, S. 295) weist jedoch darauf hin, dass die von Freud und Jung (1911) ausgehenden psychodynamischen Ansätze in der Schizophrenieforschung in der Anfangszeit mit „einer ersten Woge des Enthusiasmus verfolgt wurden, um später einer gewissen „Ernüchterung zu weichen. Dieses sei die Folge der Erkenntnis gewesen, dass eine intensive Deutungsarbeit vor allem im Bereich der sexuellen Symbolik den Schizophrenen nicht weiterhalf. Wie Hell u. Baur (2006) formulieren, kam es bei Eugen Bleuler selbst zunächst zu Lob und Begeisterung bezüglich der Psychoanalyse, in einer zweiten Phase zur Versachlichung und später zur Abgrenzung. Die psychodynamischen Aspekte, die sich am Kranken tatsächlich verifizieren ließen, hat Eugen Bleuler weiterhin anerkannt.

    Die Psychiater und Psychoanalytiker, die seinerzeit bei Eugen Bleuler tätig waren, haben in den folgenden Jahren die gesamte Landschaft der Psychiatrie mitgestaltet, das gilt für die psychodynamischen Ansätze von Benedetti (1975, 1983a,1983b, 1987, 1988) und Müller (1972, 1976) in Europa und für Meyer in den USA (1910, 1926), vgl. auch Alexander u. Selesnick (1966, S. 262–265), die insbesondere von Arieti (1974) weiterentwickelt wurden. Kritisch kommentiert Kandel (2006, S. 391) die zunehmende Einseitigkeit der psychischen Wellenbewegung in den USA:

    In den fünfziger Jahren kappte die Psychiatrie, die an den Universitäten gelehrt wurde, einige der Wurzeln, die sie mit der Biologie und der Experimentalmedizin verbanden, und entwickelte sich allmählich zu einer therapeutischen Disziplin, die sich auf psychoanalytische Theorien stützte. In dieser Form zeigte sie sich seltsam uninteressiert an empirischen Daten oder am Gehirn als dem Organ, wo geistige Aktivität stattfindet.

    Als der Höhepunkt der psychischen Welle überschritten war, kam es zu der heute mancherorts noch dominierenden somatischen Gegenbewegung.

    Wir sehen unsere Aufgabe, die am psychisch Kranken orientiert ist, nicht in der Formulierung einer erneuten Gegenbewegung, sondern in der sinnvollen Integration beider Wissenschaftsbereiche, so wie sie sich in der Praxis am Kranken, der uns immer in Soma und Psyche gleichzeitig gegenüber tritt, manifestiert. Dieses wurde von Northoff (2011, 2012, 2014) durch eine Vielzahl von neurowissenschaftlichen Untersuchungen untermauert. Um die Integration zu betonen, verwendet er den Begriff: Neuropsychoanalyse (Northoff 2011). Böker u. Northoff (2010) sprechen von: Neuropsychodynamik Kap. 2.

    1.1.1 Was heißt Psychodynamik?

    Benedetti (1979) definiert als Charakteristikum der Psychodynamik , dass Psychisches aus Psychischem hervorgeht. So geht heute die Psychodynamik der Psychosen davon aus, dass die Ätiologie eine somato-psychische ist, wobei die individuelle Gewichtung der somatischen und der psychischen Anteile bei jeder Psychoseform und auch im Laufe der Entwicklung eines Menschen unterschiedlich interaktionell konstelliert ist. Die psychodynamischen Behandlungen erfolgen zwar mit psychischen Mitteln und sollen somit auf die Psyche des Kranken einwirken, gleichzeitig aber werden neuronale Konstellationen, also somatische Geschehnisse im Gehirn mit beeinflusst.

    Wir beziehen in die Psychodynamik der Psychosen zusätzlich zu den rein psychischen Vorgängen die Wechselwirkungen mit somatischen Aspekten ein, wie neuronale Konstellationen, die sich u. a. in biochemischen und elektrischen Prozessen manifestieren können und sprechen infolgedessen auch von Neuropsychodynamik (Böker u. Northoff 2010). Die individuelle Ausprägung der jeweiligen beteiligten Faktoren ist sowohl bei den verschiedenen Psychoseformen als auch im Laufe der Entwicklung der Psyche des Einzelnen immer unterschiedlich konstelliert.

    1.1.2 Was heißt modifiziert?

    Schon 1943 hat Federn (1956, S. 125) dargelegt, warum die klassische psychoanalytische Behandlung bei Psychosen nicht angebracht ist:

    Der Psychotiker trennt nicht genug die Psychoanalyse vom Leben, bevor nicht seine Ichstruktur wieder nahezu normal geworden ist. Dies ist der Grund, warum der Patient besser nicht auf dem psychoanalytischen Diwan liegen soll. Wenn der Neurotiker sich vom Diwan erhebt, kehrt er zu seinem normalen Verhalten und zu seiner bewussten Beziehung zum Analytiker zurück. Nicht so der Psychotiker. Er wird mit der Halb-Wirklichkeit der Übertragung nicht völlig fertig, verwechselt sie mit der Wirklichkeit und vice versa.

    In den letzten Jahren hat sich bei denen, die psychoanalytische Behandlungen bei Psychosekranken durchführen, für ihre Arbeit der Begriff Modifikation eingebürgert. Es handelt sich dabei um die Erkenntnis, dass bei den meisten Psychosekranken, insbesondere bei der Gruppe der Schizophrenien, die klassischen traditionellen psychoanalytischen Behandlungstechniken nicht angebracht sind. Infolgedessen musste die analytische Vorgehensweise entsprechend den Bedürfnissen der Kranken modifiziert werden.

    Modifikation der klassischen psychoanalytischen Behandlung bei Psychosen

    1.

    Die Variation des Settings, in dem Patienten nicht im Liegen behandelt werden, sondern dem Therapeuten gegenübersitzen

    2.

    Die Stundenfrequenz beträgt nicht 3 bis 4, sondern weniger Stunden pro Woche, gelegentlich nur eine Behandlung alle 2 Wochen oder auch in noch längeren Abständen

    3.

    Die Zeit der Therapiesitzung kann bei vielen Psychosekranken, die strukturschwach und nahe an floriden Symptomen sind, nicht 50 min dauern, sondern muss kürzer sein, wobei die Bedürfnisse des Patienten und seine krankheitsbedingten Einschränkungen zu respektieren sind. Häufig bestimmt der Patient, wie lange er die Therapie aushält, was vom Therapeuten zu respektieren ist

    4.

    Gegenüber der klassischen Psychoanalyse, in der der Therapeut die Abstinenzregeln einzuhalten hat, ist der Psychosenpsychotherapeut aktiver, stärker strukturgebend und arbeitet in vieler Hinsicht anders mit der Gegenübertragung als bei leichteren, nichtpsychotischen Erkrankungen

    5.

    Bei vielen schizophren Erkrankten ist am Anfang die aktive Förderung einer positiven Übertragung erforderlich

    6.

    Der Therapeut gibt Hilfestellung bei der Rekonstruktion der Strukturstörungen , hält sich in Deutungen zurück und beachtet den Handlungsdialog

    7.

    Der Therapeut muss ständig wachsam sein, was die lauernde Fragmentierung (Hering 2004) bzw. organismische Panik (Pao 1979, Volkan 1994), die mangelnde Ich-Stärke , desorganisierende Affekte zu modulieren, und den Verlust der Kontinuität des Selbst schon im Beginn ihrer Entstehung anbelangt

    8.

    Die für die ambulante Therapie dargestellten Charakteristika gelten in ihrem Prinzip auch für die stationäre Behandlung nur insofern, als es um ähnliche Krankheitsschweregrade geht. In der Regel werden in intramuralen offenen sowie in geschützten Bereichen akutere, schwerere und strukturschwächere psychotische Zustände behandelt. Hier sind die Modifikationen und Strukturierungen noch ausgeprägter, soweit eine psychodynamische Einflussnahme überhaupt möglich ist. Entscheidend bleibt die psychodynamisch orientierte Haltung des Therapeutenteams

    Charakteristika der Modifikation

    Variation des Settings (im Sitzen)

    Änderung der Stundenfrequenz

    Variabilität in der Sitzungsdauer

    Aktivere Haltung des Therapeuten

    Förderung der positiven Übertragung

    Rekonstruktion, Zurückhaltung bei Deutungen

    Beachtung des Handlungsdialogs

    Wachsamkeit bezüglich Fragmentierungsgefahr

    Warum wurde eine Modifikation erforderlich?

    Psychoanalytische Theorien, die somatische ätiologische Komponenten und deren Wechselwirkungen mit psychischen Faktoren ausgeklammert haben, sind den Bedürfnissen der Psychosekranken nicht gerecht geworden. Infolgedessen sprechen wir heute ganz im Sinne des Mentzos’schen Psychosomatosekonzepts (Mentzos 1991, 1996, 2000) von Somatopsychodynamik (Hartwich 2006) oder besser noch von Neuropsychodynamik (Northoff 2011; Böker u. Northoff 2010).

    Zum gegenwärtigen Zeitpunkt untermauern eine große Zahl genetischer (Maier u. Hawallek 2004, S. 63–72), neurobiologischer (Übersicht bei Northoff 2011) und psychodynamischer (Tienari 1991; Tienari et al. 1994) Forschungen diesen Ansatz.

    Trotz der vielen nomothetischen empirischen Untersuchungen fehlt es noch an genügend gesicherten Erkenntnissen hinsichtlich der jeweiligen Gewichtung der Komponenten beim Einzelfall: Hierbei handelt es sich um genetische, neuronale, biochemische und entwicklungsbiologische Komponenten sowie Milieueinflüsse, Traumatisierungen , psychische Entwicklungsspirale etc.

    Die idiographischen Untersuchungsmethoden sind noch nicht so weit gediehen, dass empirisch gesicherte Daten darüber vorliegen, wie stark ausgeprägt die Gewichtungen und Konstellationen, die das Beziehungsgeflecht von somatischen und psychischen Anteilen in einem gegenwärtigen Krankheitszustand gerade ausmachen, sind. Mit diesem Nachteil muss der Therapeut notgedrungen immer noch umgehen. Insofern sind wir – welchen therapeutischen Weg wir auch immer wählen – auf Erfahrung, Intuition und Kreativität angewiesen. Dabei gilt es die Gewichtungen der jeweils beteiligten Komponenten, ob stärker somatisch oder mehr psychisch, im Einzelfall festzustellen und zu erspüren, deren komplexe Wechselwirkungen zu erfassen und damit auf die Festig- oder Brüchigkeit der unterschiedlichen Strukturniveaus des einzelnen Psychosekranken zu schließen, um unsere therapeutischen Vorgehensweisen entsprechend abzustimmen. Zusätzlich gilt es, offen zu sein für noch unbekannte Komponenten.

    Im Einzelfall ist der Psychosentherapeut immer auch zusätzlich auf seine Erfahrung, Intuition und Kreativität hinsichtlich der Gewichtungen innerhalb der komplexen Konstellationen, die sich aus somatischen und psychischen Komponenten zusammensetzen, angewiesen.

    1.2 Empirische Studien zu Therapieeffekten

    1.2.1 Schizophrenien

    Unsere Darstellung berücksichtigt grundlegende wissenschaftliche Publikationen, in denen die Wirksamkeit psychotherapeutischer Verfahren beschrieben wird. Eine Übersicht über eine Reihe von Ergebnissen der Wirksamkeitsforschungen zur psychotherapeutischen Behandlung von Psychosen stellte schon Hutterer-Krisch (1994b) zusammen. Besonders erwähnenswert sind die katamnestischen Untersuchungen zur psychoanalytisch orientierten Einzeltherapie bei Schizophrenen von Benedetti (1975) sowie die von ihm 1990 publizierten Daten des Mailänder Therapieprojekts (Benedetti 1990). Ferner haben Schwarz u. Matussek (1990), Triebel (1973), Matussek u. Triebel (1974) sowie Matussek et al. (1977) in ihren Jahrzehnte umfassenden Studien am Max-Planck-Institut in München die Wirksamkeit der psychoanalytisch orientierten Einzel- und Gruppentherapie in sorgfältiger empirischer Arbeit dargelegt.

    In der Boston-Studie von Gunderson et al. (1984) und Stanton et al. (1984) wurden RAS („reality adapted supportive psychotherapy) und EIO („exploring insight oriented psychotherapy) gegenübergestellt: Nach 2 Jahren hatten die Patienten, die tiefenpsychologisch behandelt wurden, stabilere Ich-Funktionen und bessere kognitive Leistungen erbracht als die Patienten der Kontrollgruppe. Einschränkend ist zu bemerken, dass von den ursprünglich 164 Patienten nach 2 Jahren nur noch 47 in der Projektgruppe waren. Erfahrene, psychodynamisch orientierte und praktisch arbeitende Therapeuten meinen jedoch, dass für die Beurteilung psychodynamisch orientierter Behandlungen der Beobachtungszeitraum von 2 Jahren zu kurz sei. In den Studien von McGlashan (1984, 1987) sind 163 Fälle der in der Einrichtung Chestnut Lodge behandelten Psychosekranken über 15 Jahre untersucht worden. Diejenigen, die ihre Psychoseerfahrung integrativ verarbeiteten und sich innerlich damit arrangieren konnten, zeigten die besten Effekte. Boyer (1986), Johannson (1985) und Robbins (1993) haben in ihren Studien von einem guten bis befriedigenden Ausgang bei 50–60 % der Psychosepatienten, die analytisch orientiert behandelt worden waren, berichtet. Alanen (2001) hebt die Begrenzungen der Effektivitätsstudien durch die klinische Heterogenität der Schizophrenie sowie durch die recht unterschiedlichen Bedürfnisse und Möglichkeiten im Rahmen der Behandlungen, die psychodynamisch verstanden werden und psychoanalytisch orientiert sind, hervor. Bezüglich des NIPS-Projektes („Nordic Investigation on Psychotherapy of Schizoprenia" ) berichtet Alanen, dass gemäß einer Regressionsanalyse die Ergebnisse der langfristigen Einzeltherapien im Ganzen erfreulich gewesen seien; psychodynamisch orientierte, supportive Psychotherapie mit geringer Sitzungsfrequenz, die von engagierten Psychotherapeuten durchgeführt wurde, hätte ebenso gute Ergebnisse wie die auf Einsicht setzenden Methoden gezeigt (Alanen 2001).

    Hinsichtlich der Wirksamkeit analytisch, psychodynamisch und tiefenpsychologisch orientierter Psychotherapiestudien bei Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis muss wohl davon ausgegangen werden, dass eine gute Einbettung der genannten Therapien in psychopharmako- und soziotherapeutische Verfahren für die meisten schizophrenen Patienten den Vorteil hat, dass die Erfahrung des Psychoseerlebens bearbeitet und in gewissen Grenzen auch integriert wird mit der Chance einer besseren Lebensqualität und einer besseren Handhabung oder gar Vermeidung von Rückfallerkrankungen.

    Ähnliche Wirkungen sind auch bei der Gruppenpsychotherapie mit schizophrenen Psychosen beobachtet worden. Hier sind die empirischen Studien von Hartwich u. Schumacher (1985), Rüger (1986) sowie Lewandowski u. Buchkremer (1988) hervorzuheben, die eine Reihe von positiven Therapieeffekten belegen konnten. Über positive Effekte in der psychoanalytischen Familientherapie berichten Matussek u. Triebel (1974) sowie Schwarz (1980).

    Die positive Wirksamkeit psychodynamischer Therapien bei schizophrenen und schizoaffektiven Psychoseerkrankungen wurde durch zahlreiche Studien empirisch belegt.

    Eine wichtige neue Arbeit stammt aus einer Einrichtung, in der psychodynamische Psychosentherapie im stationären Setting durchgeführt wurde (Dümpelmann et al. 2013). Die empirische Untersuchung umfasst 394 Patienten mit psychotischen Störungen aus dem schizophrenen Formenkreis (ICD 10, International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, F20–F25), die stationär behandelt wurden. In der psychodynamischen Behandlung kamen die bedeutsamen Verarbeitungsmuster und die mit ihnen verbundenen Beziehungserfahrungen auf 4 Ebenen zur Geltung:

    Symptomatik,

    Interaktion,

    Biografie,

    Psychodynamik.

    In Fallkonferenzen, Einzeltherapie, Gruppentherapie, Kunst- und Musiktherapie sowie bei den zahlreichen professionellen Kontakten kamen die jeweiligen Behandlungsschwerpunkte wie „bei der Orchestrierung eines Musikstücks", wie die Autoren betonen, zur Anwendung. Die durchschnittliche Behandlungsdauer betrug 83,9 Tage, das Durchschnittsalter 31,7 Jahre, fast alle Patienten wurden mit Antipsychotika behandelt. Der Beeinträchtigungsschwerescore (BSS) war bei 83,4 % der Patienten höher als 6 und davon bei 31,3 % höher als 8. Im Vergleich der Zeitpunkte von Aufnahme und Entlassung ergab sich eine signifikante Verbesserung mit einer Prä-Post-Effektstärke von 1,21. Bei der Symptomerhebung mit der SCL-90-R (Symptom-Checklist-90-Revised) wurde in allen Skalen eine signifikante Besserung gemessen. Im IIP (Inventar interpersonaler Probleme) kam es ebenfalls in allen Skalen zu signifikanten Verbesserungen. Die Autoren weisen mit dieser empirischen Studie eine hohe Wirksamkeit der stationären psychodynamischen Psychotherapie bei Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis nach.

    1.2.2 Affektive Erkrankungen , bipolare und monopolare

    Hinsichtlich der Wirksamkeitsstudien bei affektiven Störungen wird von Gabbard (2004) auf die gewichtige somatische Komponente in der Ätiologie hingewiesen. Sie begrenzt die analytisch orientierte Psychotherapie in einer dem Schweregrad der Psychose angemessenen Weise. Im Zusammenhang damit geht es auch um die Wirksamkeit der Psychopharmaka. In einer Studie des NIMH („National Institute of Mental Health") wurden 239 depressiv Erkrankte untersucht. Bei den schwereren Depressionen waren diejenigen, die mit Imipramin und ITP (interpersonaler Psychotherapie) behandelt wurden, denjenigen überlegen, die Imipramin und CBT (kognitive Verhaltenstherapie) erhielten (Elkin et al. 1989). In einer Studie von Van Praag (1985) wurde ebenfalls gefunden, dass die Kombination von Antidepressiva mit Psychotherapie bessere Effekte zeigte als Thymoleptika alleine.

    Bei der Behandlung von Manien fanden Loeb u. Loeb (1987) die Kombination von Lithiumcarbonat mit psychoanalytisch orientierter Psychotherapie nützlich. Es handelte sich dabei um bipolare Erkrankungen in der manischen Phase.

    In der von Gerson et al. (1999) vorgelegten Metaanalyse der zwischen 1974 und 1998 publizierten Studien an älteren (über 55-jährigen) depressiven Patienten wird eine höhere Wirksamkeit von psychodynamisch orientierten Therapien gegenüber Placebobehandlung belegt. Ähnlich wie bei der psychodynamischen Behandlung Schizophrener in Einzel- und Gruppenpsychotherapie sind es die Langzeitbehandlungen , die auf Dauer gesehen den besten bleibenden Erfolg zu zeigen scheinen. Leuzinger-Bohleber et al. (2001, 2002) untersuchten ca. 400 Patienten mit mindestens 1-jähriger psychoanalytischer Behandlungsdauer, von denen über 100 an affektiven Störungen erkrankt waren, katamnestisch. Die insgesamt positiven Ergebnisse waren auch noch im Mittel 6 Jahre nach Abschluss der psychoanalytischen Behandlung deutlich ausgeprägt. Ähnlich positive Ergebnisse bei Langzeittherapien über 3 Jahre mit 700 Patienten, einschließlich depressiver Störungen, mittels psychoanalytischer und psychotherapeutischer Verfahren berichten Sandell et al. (1999, 2001). Böker u. Graminga (2002) schließen daraus, dass die Psychoanalyse dauerhafte und zunehmende Symptomreduktion bewirke und dass diese Wirkung nicht mit Kurzzeitverfahren zu erreichen sei.

    In dem Beitrag von Böker et al. (2010, S. 155) wird eine 2004 veröffentlichte Metaanalyse von Leichsenring et. al. angeführt, in der schwere und auch postpartale Depressionen einbezogen wurden. Die positive Wirksamkeit von psychodynamischer Psychotherapie wurde belegt:

    Es fanden sich signifikante und große Effektstärken hinsichtlich der allgemeinen psychopathologischen Symptome (d = 0,90), der Zielprobleme (d = 1,39) und des sozialen Funktionsniveaus (d = 0,80) beim Prä-Post-Vergleich. Die Effekte erwiesen sich als stabil und nahmen im Verlauf (durchschnittliche Dauer des Follow-up etwas über 1 Jahr) weiter zu.

    Weiterhin wird von Böker et al. (2010) eine Cochrane Studie von Abbass et al. (2006) angeführt, die die Überlegenheit der psychodynamischen Kurzzeittherapie gegenüber Wartekontrollgruppen und „Treatment as usual" bei depressiven und anderen Erkrankungen unmittelbar nach Therapieende und auch noch länger als 9 Monate danach zeigt. Ähnliche Ergebnisse legen die Metaanalyse von Cuijpers et al. (2008), die Studien von Marttunen et al. (2008) und Knekt et al. (2008) nahe.

    Hinsichtlich der psychodynamischen Langzeittherapien untersuchten Leichsenring u. Rabung (2008) in einer Metaanalyse 23 Langzeittherapiestudien und stellten fest, dass die psychodynamische Langzeittherapie allen kürzeren Formen der Psychotherapie signifikant überlegen war.

    Böker et al. (2010, S. 167) weisen auf einen bedeutsamen Gesichtspunkt in der Psychotherapieforschung hin, der in den zitierten und fast allen anderen Studien nicht berücksichtigt wurde, nämlich die „entscheidende Rolle der Passung von Therapeut und Patient : ein noch kaum untersuchtes Feld." Auch der Einfluss der Therapeutenvariable sei ein noch dunkler Kontinent in der Psychotherapieforschung.

    Die empirischen Studien über die Effekte psychodynamischer Therapien bei den affektiven Psychoseerkrankungen haben sich im Kurz- und auch Langzeitverlauf als positiv erwiesen.

    Neben den Autoren, die sich um die systematische empirische Evaluation von Psychotherapieeffekten bei Psychosen bemühen, gibt es noch viele andere, die erfolgreiche psychotherapeutische Arbeit leisten, ohne sie mit einem experimentellen Design zu begleiten. Sie sehen eine generelle Schwierigkeit der Messbarkeit und Differenzierung psychotherapeutischer Effekte aufgrund der gegebenen hohen Komplexität der individuellen schizophrenen, schizoaffektiven und affektiven Erkrankungen mit der vielfältigen Vernetzung von zu vielen entwicklungsgeschichtlichen, situativen, familiären und psychodynamisch interagierenden Einflussgrößen. Noch einmal zu betonen ist auch das wichtige Phänomen der Passung von Patient und Therapeut, welches empirischen Untersuchungsansätzen noch nicht zugänglich gemacht werden konnte.

    Literatur

    Abbass AA, Hancock JT, Kisley S (2006) Short-term psychodynamic psychotherapies for common mental disorders. Cochrane Database of Syst Rev 18 (4): CD 004687

    Aderhold V, Weinmann S, Hägele C, Heinz A (2014) Frontale Hirnvolumenminderung durch Antipsychotika? Nervenarzt. doi: 10.1007/s00115-014-4027-5

    Alanen YO (2001) Schizophrenie. Entstehung, Erscheinungsformen und bedürfnisangepasste Behandlung. Klett-Cotta, Stuttgart

    Alexander FG, Selesnick ST (1966) The History of Psychiatry. Harper & Row, New York, S 262–265

    Arienti S (1974) Interpretation of Schizophrenia. 2. Aufl. Basic Books, New York

    Benedetti G (1975) Ausgewählte Aufsätze zur Schizophrenielehre. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen

    Benedetti G (1979) Psychodynamik als Grundlagenforschung in der Psychiatrie. In: Kisker KP et al. (Hrsg) Psychiatrie der Gegenwart, Bd I/1. Springer, Berlin, S 43–89

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    Peter Hartwich und Michael GrubePsychotherapie bei Psychosen10.1007/978-3-662-44246-3_2

    2. Neurowissenschaftliche Befunde und Psychodynamik der Psychosen

    Peter Hartwich¹   und Michael Grube¹  

    (1)

    Akademisches Lehrkrankenhaus der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie/Psychosomatik, Städtische Kliniken Frankfurt am Main-Höchst, Frankfurt am Main, Deutschland

    Peter Hartwich (Korrespondenzautor)

    Email: Prof.Hartwich@casytec.de

    Michael Grube

    Email: Michael.Grube@KlinikumFrankfurt.de

    2.1 Schizophrene und schizoaffektive Erkrankungen

    2.1.1 Veränderte Funktionen der Mittellinienstrukturen des Gehirns und das zersplitterte Ich, das fragmentierte Selbst des Schizophrenen

    2.1.2 Hyperkonnektivität in der psychodynamischen Dimension

    2.1.3 Niederfrequente Fluktuationen in den Mittelinienregionen und Veränderung der Symptomintensitäten

    2.1.4 Abweichende Messergebnisse der MMN („mismatch negativity") und Besetzungsenergie

    2.1.5 Störung der spezifischen Balance zwischen vorderen und hinteren CMS („cortical midline structures") und Verminderung der Unterscheidungsfähigkeit zwischen Selbst und Objekt

    2.1.6 Dysfunktionale Aktivierungsmuster und Abwehrmechanismen

    2.2 Empirische Befunde bei Stimmenhören und psychodynamische Hypothesen

    2.3 Affektive Erkrankungen

    2.3.1 Neuronale Mechanismen und therapeutische Hinweise

    2.3.2 Neuropsychodynamik und Depression

    Literatur

    Die Vision, die Erkenntnisse aus neurowissenschaftlichen Forschungen könnten sich zur bodenständigen Grundlage der Psychodynamik entwickeln, scheint seit einigen Jahren immer mehr Wirklichkeit zu werden. Allerdings hatte man anfangs rasche und einfache neurobiologische Antworten auf psychische Vorgänge erwartet, heute entwickelt sich die Neurowissenschaft jedoch in eine Vielzahl von Dimensionen hinein, deren Komplexität kaum überschaubar zu sein scheint. Somit ist sicherlich noch vieles zu erforschen. Trotzdem gibt es schon eine ganze Reihe von experimentell gewonnenen Ergebnissen, die als neurobiologische Grundlagen für viele psychopathologische Veränderungen angesehen werden können. Inwieweit sich die neurowissenschaftlich erfassten Hirnphänomene als allein primär oder als teilweise sekundär, also als Reaktion auf psychische Einflüsse, in Zukunft differenzieren lassen, ist derzeit noch nicht genügend geklärt. So interessant die neurowissenschaftlichen Forschungen auch sind, die Ursachen der Aberrationen, die in den Experimenten mit psychopathologischen Phänomenen aufgedeckt werden, sind noch nicht ausreichend geklärt. Welche Abweichungen in der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) und in der Elektroenzephalografie (EEG) wie auf neurochemische und weiter genetische Veränderungen oder aber psychotraumatische Einflüsse zurückzuführen sind, liegt zum großen Teil noch im Dunkeln. In welchem Maß die bei Psychosen als charakteristisch angesehenen neurowissenschaftlichen Befunde durch ein Wechselspiel somatischer und psychischer Verursachung zustande kommen, gehört ebenfalls noch zu den offenen Fragen. Darüber hinaus ist die Frage der Spezifität, ob die unten angeführten Befunde auch bei anderen psychischen Zuständen außerhalb der schizophrenen, schizoaffektiven und affektiven Psychosen gefunden werden können, noch nicht abschließend beantwortet. Es sollte allerdings immer in unserem kritischen Bewusstsein erhalten bleiben, dass wir nur die „Realität" von Gehirn und Psyche erfassen können, die durch die Konstruktion unseres eigenen menschlichen Hirns mit der dazugehörigen Psyche vorgegeben ist.

    Entscheidend ist, dass wir eine Dimension betreten, die uns über den Weg statistischer Analysen, also sekundär, etwas über Hirnfunktionen aussagt, die mit gleichzeitig in einer anderen Dimension auftretenden psychopathologischen Veränderungen in Verbindung gebracht werden können. Beide Dimensionen können voneinander profitieren, wobei die Erkenntnisse die Chance in sich tragen, psychopathologische Phänomene besser einordnen und verstehen zu können. Dies kann auch mit einer kritischen Überprüfung bisheriger Theorien einhergehen sowie das Auffinden neuer, effektiverer therapeutischer Methoden ermöglichen, die für die Psychosentherapie dringend benötigt werden.

    So sieht auch Mentzos (2011) in dem Bereich der Hirnforschung, der die Plastizität des Gehirns und seine Beeinflussung durch psychische Vorgänge nachgewiesen habe, „dann ein Wiedererstarken der Psychoanalyse , wenn sie sich auch veranlasst sieht, frühere Postulate zu revidieren oder sogar aufzugeben" (Fußnote S. 22).

    Was kann die neurobiologische Forschung heute zum psychodynamischen Ansatz und den daraus resultierenden Therapiemöglichkeiten beitragen?

    Wenn wir dieser Frage gründlich nachgehen, gilt es jedoch, manche Faszinationen zu relativieren: Die bildgebenden Apparate arbeiten von Jahr zu Jahr genauer und können immer besser sichtbar machen, was wir gerade im Gehirn experimentell untersuchen. Es sind allerdings nicht die wirklichen psychischen Vorgänge, die abgebildet werden, sondern Ergebnisse statistischer Analysen (Böker u. Seifritz 2012). Die Ergebnisse der mathematischen Berechnungen der neuronalen Aktivitäten während der psychopathologischen Experimente sind Korrelationen, die nicht mit Kausalitäten gleichgesetzt werden dürfen. Es handelt sich oft um notwendige, manchmal sogar hinreichende Voraussetzungen für psychotische Phänomene, die zu kreativen Ansätzen, neuen Hypothesen und effektiveren Therapien führen können.

    Auch Mentzos (2011, S. 238) führt dazu aus:

    Die erstaunlichen Fortschritte der Neurobiologie wurden zwar in Bezug auf ihre Bedeutung für Psychologie und Psychopathologie überschätzt. Dennoch eröffnen sie bei angemessener und kritischer Verwendung neue Horizonte und neue Möglichkeiten der Integration neurobiologischer Befunde und Psychodynamik.

    Deswegen dürfe man

    die vielleicht in der Zukunft mit Hilfe der Neurobiologie sich ergebenden Möglichkeiten, auch um spezifische und praktische Fragen zu beantworten, nicht unterschätzen.

    Northoff (2006) gilt als einer der Begründer einer neuen Fachdisziplin, die Neuropsychodynamik und Neuropsychoanalyse (Kandel 1998; Solms u. Turnbull 2002; Northoff 2011) genannt wird. Ihr Forschungsgebiet ist, spezielle psychodynamische Vorgänge, beispielsweise Abwehrmechanismen , Selbstbezug, Ausprägung psychotischer Symptome etc., mit bestimmten experimentell erfassbaren regionalen und überregionalen Hirnaktivitäten in Beziehung zu setzen.

    Neurowissenschaft und Psychosen

    Die neurowissenschaftliche Forschung beginnt, sich als bodenständige Grundlage der Psychodynamik zu entwickeln

    Die tieferen Ursachen psychosebedingter Aberrationen bei neurowissenschaftlichen Experimenten sind noch nicht geklärt

    Erkenntnisse der klinischen sowie der neurobiologischen Dimensionen profitieren voneinander für die Überprüfung von Theorien und Entwicklung neuer Therapieansätze

    Psychodynamik und Neurobiologie werden in der neuen Fachdisziplin Neuropsychodynamik zusammengefasst (Northoff 2011)

    2.1 Schizophrene und schizoaffektive Erkrankungen

    Die derzeit interessantesten neurowissenschaftlichen Befunde in Bezug auf psychopathologische Symptome der schizophrenen und schizoaffektiven Psychoseerkrankungen (diese beiden diagnostischen Kategorien werden bei den Experimenten unseres Wissens nicht immer genügend differenziert) beziehen sich auf die folgenden Themen:

    veränderte Funktionen der Mittellinienstrukturen des Gehirns und das zersplitterte Ich , fragmentiertes Selbst des Schizophrenen,

    Veränderungen der niederfrequenten Fluktuationen in den Mittelinienregionen des Gehirns und entsprechende Verstärkung und Abschwächung der Symptomintensitäten bei Ich-Störungen und Wahnbildungen,

    abweichende Messergebnisse der MMN („mismatch negativity") und Besetzungsenergie ,

    abnorm hohe Ruhezustandsaktivität (intrinsische Aktivität ) mit entsprechend geringer stimulusinduzierter Aktivität und Auflösung der Ich-Grenzen nach außen und innen,

    Störung der spezifischen Balance zwischen vorderen und hinteren CMS („cortical midline structures") und Verminderung der Unterscheidungsfähigkeit zwischen Selbst und Objekt; bei Unschärfe erfolgt Dilemma und bei Verlust erfolgt Polylemma ,

    dysfunktionale Aktivierungsmuster und Abwehrmechanismen,

    differenzbasierte Kodierung („difference-based coding") und Psychosomatosekonzept.

    2.1.1 Veränderte Funktionen der Mittellinienstrukturen des Gehirns und das zersplitterte Ich, das fragmentierte Selbst des Schizophrenen

    Bei schizophrenen und schizoaffektiven Psychoseerkrankungen gilt als eine der Kernstörungen der Verlust der Beziehung zum eigenen Selbst, was zu einem Zerfall der Kontinuität des Selbst , einer Fragmentierung des Selbsterlebens führen kann. Benedetti (1992) bezeichnet diesen Vorgang als „Störung der Selbstkohärenz sowie Fragmentierung des Ich und Pao (1979) „als Verlust der Kontinuität des Selbst.

    Der Bezug zum Ich- und Selbsterleben wurde, wie Northoff (2011) aus den fMRT-Studien zusammenfasst, bei Schizophrenen genauer untersucht, indem ihnen im Experiment selbstbezogene Wörter dargeboten wurden. Dabei zeigten sich auffällige Unterschiede im Vergleich zu gesunden Personen:

    Aktivitätsveränderung,

    Verminderung der Aktivität in vorderen und mittleren Hirnregionen , dem anterioren Cingulum und dem ventromedialen präfrontalen Kortex ,

    erhöhte Aktivität in den hinteren Mittellinienregionen wie dem posterioren Cingulum,

    abnorm hohe Verbindung, funktionelle Konnektivität , zwischen den vorderen und den hinteren Hirnregionen bei den untersuchten Schizophrenen.

    Northoff (2012) folgert daraus, dass die Verbindungen und somit die Kommunikation zwischen vorderen und hinteren Mittellinienregionen abnorm stark (Hyperkonnektivität ) und somit gestört sei, was er auf die Desintegration bzw. Fragmentierung des Selbst bei Schizophrenen bezieht. Northoff schreibt (2012, S. 244):

    Das „zerbrochene" Selbst scheint daher in den unterbrochenen Mittellinienregionen des Gehirns zu liegen.

    Northoff (2011) führt weiter aus, wenn die intrinsische Aktivität pathologisch erhöht sei, könne ein extrinsischer Reiz nur wenig effektiv sein. Daraus leitet er als neuropsychodynamische Hypothese ab, dass ein Zusammenhang zwischen dem reduzierten Processing extrinsischer Reize und der Verminderung der Stabilität der äußeren Ich-Grenze bestehe.

    Schizophrene Kernstörung

    Verlust der Beziehung zum eigenen Selbst

    Fragmentierung des Selbsterlebens und Hyperkonnektivität

    Das „zerbrochene" Selbst scheint in der unterbrochenen Mittellinienregion des Hirns zu liegen (Northoff 2012)

    2.1.2 Hyperkonnektivität in der psychodynamischen Dimension

    In der psychotischen Veränderung verliert der Kranke teilweise oder auch manchmal ganz seine psychische Integrität . Damit ist der Zusammenhang seines Ichs gemeint. Das Erleben von sich selbst beginnt, in Fragmente zu zerfallen. Das Selbst, welches im Sinne von Kohut (1973), Kohut u. Wolf (1980) das Erleben einer körperlichen und geistigen Einheit, die räumlich zusammenhängt und körperlich fortdauert, darstellt, wird entordnet. Unsere „natürliche Selbstverständlichkeit (Blankenburg 1991) der Integration von Denken, Fühlen, Erinnern, Bewegung und Antrieb wird gespalten. Die Gedankenabläufe zersplittern, Jung (1939, 1958) spricht vom „zersplitterten Spiegel ; die Gefühlszustände werden von den Denkinhalten abgespalten, Erinnerungen werden als Gegenwart erlebt, Traumelemente werden Realität. Das Ich-Erleben löst sich so weit auf, dass der Psychosekranke manchmal noch nicht einmal mehr die Frage stellen kann: „Wer bin ich überhaupt?" (Scharfetter 2003, 2009).

    Verlust der psychischen Integrität

    Das Erleben des Selbst zerfällt in Fragmente

    Entordnung der körperlich-geistigen Einheit

    Verlust der natürlichen Selbstverständlichkeit (Blankenburg 1991)

    Integration von Denken-Fühlen-Erinnerung geht verloren

    Wie ein „zersplitterter Spiegel " (C. G. Jung)

    „Wer bin ich überhaupt?" kann nicht mehr gedacht werden (Scharfetter 2003)

    Bei der Aufhebung der Ich-Grenze , so wie sie Federn (1956) beschrieben hat, wird das Ich von jeglichen äußeren und inneren Inhalten überschwemmt. So kommt es vor, dass der Schizophrene sich in Verbindung mit dem Allmächtigen wähnt, was ihn grandios erhöht, gleichzeitig erlebt er sich hilflos als von Mächten gesteuerte Marionette. Ein „innewohnendes Gegenteil" (Heraklit zit. nach Stemich-Huber 1996, S. 197–199), was die Paradoxie seines Daseins ausmacht, wie Racamier (1982) treffend beschreibt. Der Zerfall geht aber oft noch weiter, indem die Gleichzeitigkeit des Erlebens sich nicht mehr in bipolaren Gegensätzen ereignet, sondern ein chaotischer Zusammenbruch das Dasein bestimmt.

    2.1.3 Niederfrequente Fluktuationen in den Mittelinienregionen und Veränderung der Symptomintensitäten

    Hinsichtlich der Symptome Wahn und Ich-Störungen gibt es ebenfalls interessante Befunde. Northoff (2012) führt aus, dass bei Schizophrenen die Erhöhung der niederfrequenten Fluktuationen in den Mittellinienregionen mit den Frequenzbereichen zwischen 0,01 und 0,1 Hz abnorm stark sei. Diese Verstärkung der niedrigfrequenten Fluktuationen in den Mittellinien wird in einem direkten Zusammenhang mit den sog. Positivsymptomen , wie Wahn und Ich-Störungen, gesehen. Je stärker die niedrigfrequenten Fluktuationen, desto stärker seien die Symptome ausgeprägt. Symptome wie Halluzinationen, Wahn und Ich-Störungen seien direkt von den Phasen der niedrigfrequenten Fluktuationen abhängig. Damit ist deutlich, dass die Stärke und Intensität der genannten Kernsymptome mit messbaren Hirnaktivitäten und deren Veränderungen einhergehen. Hierzu führt Northoff auch die EEG-Untersuchungen von Doege et al. (2010) an. Bereits 1968 haben Huber u. Penin EEG Modifikationen in Form von abnormen Rhythmisierungen (Alpha-, Theta- und Delta-Parenrhythmien) beschrieben und Korrelationen zu der Ausprägung von Psychopathologien, wie Wahnstimmung, aktuelles kognitives Gleiten, zönästhetische (coenäthetische) und vegetative Syndrome gefunden. Northoff (2012) führt weiter aus, dass die niederfrequenten Fluktuationen im Deltawellenbereich direkt von Wahn, Halluzinationen und Ich-Störungen abhängig seien. Das Entscheidende sei, so Northoff (2012, S. 245), dass

    sie nicht mehr entsprechend moduliert und neuen Kontexten angepasst werden, phase resetting nennt sich das. Die schizophrenen Symptome scheinen also möglicherweise auf veränderte zeitliche Prozesse, die Phasen eben, zurückgeführt werden zu können.

    Auch die Forschungsergebnisse, die belegen, dass bestimmte Amplituden der MMN („mismatch negativity") mit der Schwere der Erkrankung und der Ausprägung der kognitiven Störungen, die teilweise heute als sog. Negativsymptome bezeichnet werden, bei schizophrenen Patienten korrelieren, sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Mulert et al. (2010) beobachteten eine signifikante Korrelation zwischen dem Schweregrad akustischer Halluzinationen und der Phasensynchronisation im Gammafrequenzbereich. Bezüglich der bilateralen primären auditorischen Kortices gilt: Je höher die Gammaphasensynchronisation zwischen links und rechts war, desto stärker waren die akustischen Halluzinationen ausgeprägt.

    Niederfrequente Fluktuationen und Symptomintensitäten

    Veränderungen der niederfrequenten Fluktuationen in den Mittelinienregionen des Gehirns korrelieren entsprechend mit Verstärkung und Abschwächung der Symptomintensitäten bei Ich-Störungen und Wahnbildungen

    Je stärker die niederfrequenten Fluktuationen, desto stärker sind Wahn und Ich-Störungen

    MMN-Amplituden korrelieren mit der Ausprägung kognitiver Störungen

    Eigene Untersuchungen (Hartwich 1980) haben die kognitiven Störungen bei Schizophrenen näher experimentell erforscht (Verminderung der Aufmerksamkeitsleistungen , Tenazität , Aufmerksamkeitsspanne, Denkhemmung, Gedankenabreißen, Denkblockade etc.), auch hinsichtlich der Relevanz zu klinisch psychopathologischen Erscheinungen. Es wurden Wechselwirkungen zwischen bestimmten Umweltreizen und psychopathologischen Zuständen in einem Bereich untersucht, der komplexen Lebensbedingungen näher kommt. Durch akustische Vorbahnung wurde erwartungsgeleitetes Erkennen induziert. Dabei wurden bei nonparanoid Schizophrenen Verlangsamungen der Reaktionen gegenüber Kontrollpersonen, hingegen bei paranoid Schizophrenen bei bestimmten Reizintensitätsstufen die Richtungsumlenkung der Aufmerksamkeit hinweg vom assoziativ Näherliegenden, Gewohnten und Gebahnten beobachtet. Die Ergebnisse bei paranoid Schizophrenen legen nahe, dass bestimmte Reizintensitäten und deren Koppelung konstellierende Faktoren beim Zustandekommen der paranoiden Symptomatik, im Sinne einer wahnhaften Gegenteilassoziation , sind (Hartwich 1980, 1987). Es ist zu vermuten, dass einige neurowissenschaftliche Grundlagen dieses Phänomen demnächst näher beleuchten oder gar zur Erklärung des Phänomens beitragen könnten. Zumal zu erwarten ist, dass sich im Bereich der Wahnerlebnisse neue therapeutische Möglichkeiten aus der Verbindung zwischen empirischer Psychopathologie und neurowissenschaftlich gewonnenen Befunden ergeben könnten.

    2.1.4 Abweichende Messergebnisse der MMN („mismatch negativity") und Besetzungsenergie

    Northoff u. Dümpelmann (2013) beschreiben die Defizite in der automatischen Prozessierung . Sie gehen von der Frage aus, welche neuronalen Mechanismen dem Verlust der Besetzungsenergie der inneren und äußeren Objekte zugrunde liegen könnten.

    Northoff (2011, S. 284) führt dazu aus, dass wenn es einen Verlust der Objektbesetzung gebe, man Veränderungen im sensorischen Kortex bei Schizophrenen finden müsse. Tatsächlich seien diese gefunden worden. Ein abweichender akustischer Reiz, eingebettet in einen Strom bekannter oder standardisierter akustischer Reize (MMN, „mismatch negativity") , kann im EEG und in der Magnetenzephalografie (MEG) als negative Welle gemessen werden. Hervorgerufen von plötzlichen Änderungen bei den akustischen Reizen, erscheine die MMN 100–250 ms nach dem Beginn des devianten Reizes und sei über den frontalen und temporalen Regionen stärker. In einer

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