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Handbuch für den Verwaltungsrat: Ein Ratgeber für die KMU-Praxis
Handbuch für den Verwaltungsrat: Ein Ratgeber für die KMU-Praxis
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eBook452 Seiten3 Stunden

Handbuch für den Verwaltungsrat: Ein Ratgeber für die KMU-Praxis

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Über dieses E-Book

Die Verwaltungsratstätigkeit ist inspirierend und bereichernd, aber auch komplex und verantwortungsvoll. Dieses Handbuch begleitet Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte in der Ausübung ihres Mandats, orientiert als Ratgeber über Rechte und Pflichten und bietet einen alltagsnahen und umfassenden Überblick der Tätigkeitsfelder, Kompetenzbereiche und Herausforderungen der Verwaltungsratsarbeit insbesondere im KMU-Umfeld.

Im Fokus stehen praxisrelevante Fragen im Hinblick auf die Zusammensetzung des Verwaltungsrates und seine Einbindung in Führungsgestaltung und Unternehmensstrategie, Hinweise zur Sitzungsgestaltung, aber auch Entscheidungsgrundlagen für besondere Situationen in einem Unternehmen.

Das Handbuch für den Verwaltungsrat liegt in dritter, aktualisierter und vollständig überarbeiteter Auflage vor.
SpracheDeutsch
HerausgeberCosmos Verlag
Erscheinungsdatum15. Mai 2024
ISBN9783856212667
Handbuch für den Verwaltungsrat: Ein Ratgeber für die KMU-Praxis

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    Buchvorschau

    Handbuch für den Verwaltungsrat - SwissBoardForum

    1

    Einleitung

    1.1Der Verwaltungsrat und seine Herausforderungen

    1.2Verwaltungsrat in Familienunternehmen

    1.3Verwaltungsrat in börsenkotierten KMU

    1.4Verwaltungsrat in Start-ups

    1.5Verwaltungsrat in Finanzunternehmen und Banken

    1.6Verwaltungsrat in öffentlich-rechtlichen Firmen

    1Einleitung

    Verwaltungsratsarbeit ist komplex und je nach Unternehmensart von unterschiedlichen Herausforderungen geprägt. Bewusstsein dafür zu erlangen, wo die «kritischen Punkte» liegen, ist eine der ersten Aufgaben eines Mitglieds des Verwaltungsrates. Im Folgenden werden die Tätigkeitsfelder in einer Übersicht erläutert.

    1.1Der Verwaltungsrat und seine Herausforderungen

    Das heutige politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Umfeld stellt hohe Anforderungen an Verwaltungsräte. Vom heutigen Verwaltungsratsmitglied wird – zu Recht – erwartet, dass es über das nötige Fach-, Methoden- und Branchen-Know-how verfügt, hohe persönliche und soziale Kompetenzen besitzt und die nötige Zeit, Unabhängigkeit und das notwendige Engagement für die Ausübung des Mandats mitbringt. Dabei darf nicht vergessen werden, dass der Verwaltungsrat als Gremium funktioniert und nur so stark ist, wie sein schwächstes Mitglied. Der bestmöglichen Zusammensetzung des Verwaltungsrats und einer konstruktiven Zusammenarbeit kommt daher massgebende Bedeutung zu.

    1.1.1Der Verwaltungsrat als strategisches Führungsorgan

    Der Verwaltungsrat ist strategisches Führungsorgan der Gesellschaft. Er ist verantwortlich für das Festlegen der Strategie und die Überwachung ihrer Umsetzung. Die Strategieentwicklung erfolgt sinnvollerweise in Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung, die für die Umsetzung verantwortlich ist. Der Strategieprozess ist ein immer wieder zu durchlaufender Prozess, der – wenn nötig – zu Anpassungen der Strategie, der Unternehmensstruktur und auch der Unternehmenskultur führen muss.

    Als strategisches Führungsorgan ist der Verwaltungsrat gleichermassen auch verantwortlich für eine entsprechende Compliance sowie ein funktionierendes Risikomanagement. Dabei gilt es, das Hauptaugenmerk auf die Identifikation der gesamtunternehmensrelevanten Risiken zu legen, diese zu benennen und einzuordnen und nachfolgend mit passenden Massnahmen (inkl. Benennung von Verantwortlichkeiten und Terminen) entweder zu vermeiden, zu vermindern oder zu versichern.

    1.1.2Der Verwaltungsrat in der Finanzverantwortung

    Mit der Übertragung der Oberleitung und der Organisationskompetenz ist zwangsläufig auch die Verantwortung über die finanzielle Gesamtführung verbunden. Alle strategischen Führungsentscheide haben mittelbar finanzielle Auswirkungen. Gemäss Art. 716a Ziff. 3 OR wird daher dem Verwaltungsrat auch die unübertragbare und unentziehbare Aufgabe zugewiesen, sich über die Ausgestaltung des Rechnungswesens, der Finanzkontrolle sowie der Finanzplanung Gedanken zu machen. In diesem Kontext wird – auch gemäss fachspezifischer Literatur und Rechtsprechung – von jedem einzelnen Verwaltungsratsmitglied erwartet, dass er oder sie über ein Grundverständnis für finanzielle Fragestellungen verfügt («to be financially literate»).

    1.1.3Die personellen Fragestellungen als Königsdisziplin

    Der Einsetzung und Begleitung einer für die Unternehmensstrategie und -kultur passenden Geschäftsführung bzw. Geschäftsleitung sowie der Zusammensetzung des Verwaltungsrates kommt (die) höchste Bedeutung zu. Alle notwendigen fachlichen, methodischen und branchenmässigen Kompetenzen gepaart mit einem für die Unternehmung passenden Persönlichkeitsprofil und Wertesystem sind Grundvoraussetzung für den nachhaltigen Erfolg jedes Tuns und Lassens. Bei jeder Besetzung der obersten Führungsfunktionen muss der Verwaltungsrat bestrebt sein, nicht die erstbeste, sondern die bestmögliche Person in das entsprechende Amt einzusetzen.

    Sind die richtigen Personen bestellt, so sorgt eine möglichst effiziente und effektive Führungsorganisation mit entsprechenden Verbindlichkeiten in Organisation, Tätigkeit und Verantwortlichkeiten (Stichwort Organisationsreglement) für die passenden Strukturen und Spielregeln.

    1.1.4Verantwortlichkeit

    Der Verwaltungsrat muss sich in seiner Rolle und Funktion bewusst sein, dass er für die betreffende Unternehmung organschaftlich handelt, dass ihm gemäss Art. 716a OR gesetzlich benannte «unübertragbare und unentziehbare Aufgaben» zufallen und er letztendlich verantwortlich zeichnet für Erfolg oder Misserfolg einer Gesellschaft.

    Eine verantwortungsbewusste Verwaltungsrätin bzw. ein verantwortungsbewusster (künftiger) Verwaltungsrat stellt sich regelmässig die Frage ihrer oder seiner zivilrechtlichen Verantwortlichkeit gegenüber der Gesellschaft, sei dies beim Entscheid über die Annahme des Mandats oder im Laufe der Ausübung ihrer oder seiner Funktion. In Zeiten wirtschaftlicher Rezession erlangt die Thematik der Verantwortlichkeit besondere Aktualität und ungewohnte Brisanz.

    1.1.5Unabhängigkeit

    Verwaltungsrat und Geschäftsleitung als Gremien, aber auch alle einzelnen Mitglieder sorgen dafür, dass Interessenkonflikte die unabhängige Wahrung der Gesellschaftsinteressen nicht gefährden. Hierzu macht der Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance, Ziff. 19, passende Ausführungen und benennt sowohl Kriterien zu ideeller als auch zu materieller Unabhängigkeit.

    1.2Verwaltungsrat in Familienunternehmen

    Der Begriff des Familienunternehmens ist nicht eindeutig geregelt. Es gibt eine Vielzahl von Ausprägungen und Interpretationen. Als Familienunternehmen lassen sich gemeinhin Firmen bezeichnen, bei denen die Mehrheit der direkten oder indirekten Entscheidungsrechte bei natürlichen Personen liegen, deren investiertes Gesellschaftskapital aus dem privaten Vermögen der Familie stammt. «Familie» definiert sich dabei in der Regel als verwandte Personen aus der direkten Blutlinie der Gründergeneration. Dies kann selbstverständlich im Einzelfall anders bestimmt werden. Aus erb- und güterrechtlichen Überlegungen heraus empfiehlt es sich, den Familienbegriff im Zusammenhang mit dem Gesellschafterkapital bzw. den Unternehmensanteilen klar zu definieren. Die entsprechende Kodifizierung findet sich praktischerweise entweder in einer (der unternehmerischen Governance vorgelagerten) Familienverfassung oder in einer schriftlich verfassten Eignerstrategie des Unternehmens.

    In Familienunternehmen ist meist auch mindestens eine Vertretungsperson aus der Familie oder den Angehörigen offiziell an der operativen Leitung oder Kontrolle des Unternehmens beteiligt. Die Mitglieder der Familie zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Verwaltung und Mehrung des Gesellschaftsvermögens als treuhänderischen Auftrag für eine nachfolgende Generation verstehen.¹

    Börsenkotierte Unternehmen gelten in der Regel dann als Familienunternehmen, wenn die Personen, die das Unternehmen gegründet oder das Gesellschaftskapital erworben haben, oder deren Familien oder Nachfahren aufgrund ihres Anteils am Firmenkapital mindestens 25% der Entscheidungsrechte halten.

    Die obige Definition gilt auch für Firmen, welche die erste Generationsübertragung noch nicht vollzogen haben. Sie umfasst auch Einzelunternehmerinnen bzw. Einzelunternehmer und Selbstständige (sofern eine rechtliche Einheit besteht, die übertragen werden kann).

    1.2.1Eigenheiten der Governance

    Wo «Eigentum ein Gesicht hat», finden sich in der Regel Governance-Strukturen mit einer Rollenkumulation bei einer oder mehreren Personen aus der Familie. Kapital und Führung sind nicht klar getrennt. Die strategische Oberaufsicht und die operative Leitung des Unternehmens in einer Hand oder in wenigen Eignerhänden zu halten, ist absolut legitim. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob diese Führungs- und Einflussstruktur angemessen und für die gewünschte Vermögensbildung sowie das entsprechende strategische und das Risikomanagement im Unternehmen auch sinnvoll und wirksam ist.

    Entscheidend für eine aus Sicht des Unternehmens ideale Lösung sollten allein die Kompetenzen und Fähigkeiten der in der Gesellschaft engagierten Personen aus dem Familienkreis sein. Die nötigen Eignungsmerkmale der möglichen Kompetenzträger aus dem Familienkreis sind dazu idealerweise mit unabhängigen Fachkräften zu benchmarken. Es empfiehlt sich, entsprechende Assessments unter Beizug externer Spezialistinnen und Spezialisten auch dann durchzuführen, wenn Nachfolgelösungen aus der Familie heraus vorbestimmt sind. Anhand der Evaluationsergebnisse lassen sich frühzeitig und gezielt komplementäre Personen mit dem nötigen Know-how von ausserhalb der Familie finden.

    Darüber hinaus ist es ratsam, für die Kandidatinnen und Kandidaten aus der Familie einen strukturierten Nachfolgeprozess vorzusehen, bei dem mittels eines angemessenen Coachings die Zielpersonen schrittweise an das Unternehmen und die künftigen Rollen herangeführt und in die Verantwortung aufbauend eingebunden werden. Ein solcher Prozess sollte idealerweise von einem ausdrücklich dafür bestimmten Senior Verantwortlichen aus der Familie bzw. einer durch die Familie bezeichneten Vertrauensperson (z. B. ein unabhängiges Mitglied des Verwaltungsrats) geführt werden.

    Ein Kompetenz-Gap in der Familie kann viele Gründe haben. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich aus dem Familienstamm jederzeit geeignete Kandidatinnen und Kandidaten für die Führungsrollen in den obersten Organen finden lassen, sei es infolge der Ausbildung, der Erfahrung, der persönlichen Interessen oder auch aus Alters- und Verfügbarkeitsgründen. In diesem Fall ist die Findung und Beauftragung von unabhängigen Personen für die befristete oder unbefristete Unternehmensleitung (Fremdgeschäftsführung) eine mehr als valable Option.²

    Dies gilt grundsätzlich auch für das Aufsichtsgremium Verwaltungsrat. Viele Familienunternehmen kennen das Konstrukt des «Beirats» als Mittel zur Stärkung der strategischen Aufsicht und Führung. Familienunternehmerinnen und -unternehmer übernehmen dabei das Verwaltungsratspräsidium und sind im Handelsregister eingetragene Verwaltungsräte. Sie beziehen gleichzeitig unabhängige Expertinnen und Experten als Ratgeber in Form von Beisitzern ohne Stimmrecht und Organhaftung in die Verwaltungsratssitzungen mit ein. Diese Beiräte agieren inhaltlich de facto wie Verwaltungsräte, sind aber formal keine Organmitglieder.

    1.2.2Unabhängige Mitglieder im Verwaltungsrat

    Unabhängige Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte im eigentlichen Sinn können für Familienunternehmen aus verschiedenen Gründen eine Bereicherung sein. Sie sind formell im Handelsregister eingetragen – mit allen Rechten und Pflichten nach dem Obligationenrecht. Eine entsprechende Berufung von Dritten in den Verwaltungsrat der Familienfirma bedarf einer überzeugten Entscheidung der Eignerfamilie und ihrer Repräsentanten in der Gesellschaft in Bezug auf die Rollenklarheit und den erwarteten Mehrwert. Dies bedingt Demut in Bezug auf die eigenen Stärken und Schwächen und die Bereitschaft, sich als Eigner auch kritischen Fragen und herausfordernden Meinungen von Dritten konstruktiv zu stellen.

    Im Umkehrschluss sind unabhängige Mitglieder in Verwaltungsräten von Familienunternehmen gehalten, sich mit den Eigenheiten der Familienvertreter, der Familiendynamik und den direkten und indirekten Einflussnahmen sowie mit den persönlichen Besonderheiten der Personen aus allen fassbaren Generationen bewusst auseinanderzusetzen. Es gilt, die eigene Rolle auch für sich zu definieren und sich offen zu positionieren. Dazu ist es empfehlenswert, sich bereits vor Annahme des Mandats intensiv mit den Familienvertretern auseinanderzusetzen, transparent über das familiäre und unternehmerische Wertesystem zu sprechen, gemeinsame Ziele und Absichten zu klären und aktives Erwartungsmanagement an die Funktion zu betreiben. Die zwischenmenschliche Kompatibilität und das Vertrauen sind dabei immer zentral, aber vor allem im Verhältnis zum Präsidium unbedingt herzustellen.

    Weitsichtige Familienunternehmen wählen oftmals auch eine unabhängige Person ins Verwaltungsratspräsidium. Dies kann den Vorteil haben, dass sich die Familienvertreter weniger mit Governance-Formalitäten beschäftigen müssen und sich in der Folge besser auf inhaltliche Themen und den Meinungsbildungsprozess im Verwaltungsrat konzentrieren können. Auch bei Spannungen innerhalb der Familie oder zwischen verschiedenen Familienstämmen sowie bei Nachfolgethemen kann es für ein unabhängiges Präsidium leichter sein, heikle Themen mit der Familie und einzelnen Exponentinnen und Exponenten anzusprechen und zu lösen.

    Die Tätigkeit als unabhängige Verwaltungsrätin oder unabhängiger Verwaltungsrat in einem Familienunternehmen kann sehr bereichernd sein. Die Zusammenarbeit mit langfristig denkenden Eigentümern, die ihr eigenes Vermögen in der unternehmerischen Verantwortung sehen, erfordert Haltung und komplementäre Gestaltungskraft im Hintergrund. VR-Mandate in Familienunternehmen können aufgrund des dazu nötigen Vertrauensverhältnisses auch deutlich länger dauern als in anderen Unternehmenstypen. Eine wichtige Eigenschaft unabhängiger Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte ist es, die kritische Distanz und die konstruktive Auseinandersetzung auch bei wachsender Vertrautheit mit der Familie zu pflegen und sich jederzeit bewusst zu machen, dass man letztlich immer «fremd» bleibt. Grössere und frühzeitig gesteuerte Wechsel in der Zusammensetzung des Verwaltungsrates sind denn auch spätestens und besonders auf einen Generationenübergang hin zu prüfen.

    1.3Verwaltungsrat in börsenkotierten KMU

    Die börsenrechtlichen Regeln und Offenlegungspflichten kotierter Unternehmen stellen die Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte dieses Unternehmenstyps vor ganz besondere Herausforderungen.

    Die Corporate Governance börsennotierter Unternehmen ist aufgrund der in der Regel diversen Natur im Aktionariat (natürliche und juristische Personen, private und institutionelle Anleger) und der meist breiteren Eigentümerlage (z. B. Aktien im Streubesitz) darauf ausgelegt, die Verantwortlichkeiten in Bezug auf die Aufsichtsaufgaben und die Rechenschaftsberichterstattung nach vergleichbaren «best practices» zu regeln.

    Die Arbeit im Verwaltungsratsgremium eines börsenkotierten Unternehmens unterliegt denn auch einer anderen Dynamik als bei privaten Firmen: Sie ist in Bezug auf die Nachvollziehbarkeit im Entscheidungsfindungsprozess (Protokollführung zu Organsitzungen), die Informationspolitik und die Kommunikation deutlich formeller und dadurch auch anspruchsvoller.

    Im Zentrum steht dabei beispielhaft vor allem das durch die Aufsichtsbehörden scharf verfolgte Gebot der materiellen und formellen Gleichbehandlung aller Aktionäre in Bezug auf börsenkursrelevante Informationen (sog. Ad-hoc-Publikationspflicht). Ebenso bestehen Vorgaben zur Erstellung der Rechenschaftsberichte, namentlich des Finanz-Reportings, und zu der Revision durch externe Auditorinnen und Auditoren. Zum 1. Januar 2014 ist in der Schweiz die Verordnung über übermässige Vergütungen in börsenkotierten Unternehmen (VegüV) in Kraft getreten, mit Vorschriften zur Governance und zur Berichterstattung zur Vergütung. Inzwischen wurde die VegüV ins OR überführt und ausser Kraft gesetzt. Mit der jüngsten Aktienrechtsreform wurden per 1. Januar 2021 nebst anderen Neuerungen auch Geschlechterrichtwerte (Art. 734f OR) für die Besetzung der Unternehmensorgane festgelegt, welche KMU ab einer Bilanzsumme von 20 Mio. CHF bzw. einem Umsatz von 40 Mio. CHF sowie 250 und mehr Vollzeitstellen betreffen können (Art. 727 Abs. 1 Ziff. 2 OR). Für diese Richtwerte und die entsprechende Rechenschaftsablegung im Vergütungsbericht gilt ein «comply or explain»-Ansatz mit einer Übergangszeit bis 2026 (Verwaltungsrat) bzw. 2021 (Geschäftsleitung).

    Die aufsichtsrechtlichen Vorgaben können je nach Branche (z. B. Finanzdienstleister) deutlich strenger ausgestaltet sein. Die jederzeitige Compliance mit den geltenden Auflagen muss entsprechend organisatorisch durch den Verwaltungsrat sichergestellt werden.

    Für angehende Mitglieder von Verwaltungsräten dieser Unternehmen ist eine vorgängige Verwaltungsratsausbildung empfehlenswert; einschlägige Branchen- und Berufserfahrung wird teilweise gar von den Aufsichtsgremien gefordert.

    Vorteilhafterweise legen die einschlägigen Verwaltungsratsschulungen und die entsprechende Fachliteratur den Fokus weitestgehend auf die Rechte und Pflichten des Verwaltungsrats in börsenkotierten Firmen; richtig angewendet können Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte von nichtkotierten KMU indes viel von den Rahmenbedingungen kotierter Firmen lernen. Die jüngste Aktienrechtsreform hat gezeigt, dass Bestimmungen für börsenkotierte Firmen zunehmend auch für die allgemeine Anwendung in allen Aktiengesellschaften gelten sollen. Für die Governance wichtige normative Entwicklungen und heikle Themen lassen sich beispielsweise frühzeitig erkennen und für die eigene Arbeit vorwegnehmen.

    1.4Verwaltungsrat in Start-ups

    Auch für Aufsichts- und Leitungsorgane in Start-ups gelten grundsätzlich sämtliche Governance-Bestimmungen des Obligationenrechts.

    Im hochengagierten Innovationsumfeld von Start-ups mit Gründungspersonen und Eigentümern, deren Fokus primär auf der Idee und ihrer Umsetzung liegt, gehen Governance-Fragen leicht vergessen oder werden als weniger wichtig zurückgestellt. Davon ist dringend abzuraten. Die statutarischen Mindestvorgaben sind jederzeit einzuhalten. Massgebend ist die Rechtsform des Start-ups und nicht die Natur der Geschäftstätigkeit.

    Einschlägige Ratgeber zu guter Unternehmensführung und -organisation finden sich auf diversen digitalen und analogen Beratungsplattformen zur Unternehmensgründung mit entsprechenden Musterdokumenten (z. B. Statuten, Aktionärsbindungsverträgen etc.) zur unmittelbaren Anwendung. Alternativ stehen auch Treuhand- und Rechtsdienstleister bereit zur Unterstützung. Es empfiehlt sich, von Beginn an die Governance-Grundlagen korrekt aufzusetzen und den Umgang mit den Formalitäten klar zu regeln, um nicht später – namentlich in der Skalierungsphase oder im Rahmen der Erweiterung des Investorenkreises – Fragen aufkommen zu lassen.

    Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte in Start-ups sind nicht selten die innovativen Firmengründer selbst und/oder wesentliche Investorinnen und Investoren. Die Wahl der richtigen Organvertretung stellt sich auch und insbesondere bei Start-ups, die ihre notorisch knappen finanziellen Mittel und deren Verwendung ganz besonders im Blick haben müssen. Klarheit bezüglich der Mittelverwendung herzustellen, die Liquidität jederzeit zu gewährleisten und im Falle von Problemen frühzeitig Massnahmen zur Sanierung zu treffen oder gar die Bilanz zu deponieren sind Themen, mit denen sich der Verwaltungsrat in Start-ups besonders häufig auseinandersetzen muss. Die Kontrolle über Firmenressourcen und das entsprechende Risikomanagement ist nicht nur ein Gebot für die richtige operative Umsetzung, sondern auch für die Firmenbewertung und entsprechende Fundraising-Aktivitäten mit Investoren. Mit zunehmender Komplexität der Eigentümerschaft gilt es, die dazu wirksamen Reportings und Entscheidungsregeln einzuführen und konsequent zu dokumentieren.

    Es ist hilfreich, neue Unternehmen zu Beginn ihrer Entwicklung richtig und ohne Folgen und ungewollte Verpflichtungen für spätere Phasen angemessen zu finanzieren. Ein Mindestverständnis der finanziellen Führung auf Stufe der Organe ist deshalb unverzichtbar. Weitere Kompetenzen im Verwaltungsrat richten sich idealerweise nach den Bedürfnisphasen und können bei Start-ups zu rascheren Wechseln im Verwaltungsrat führen als bei etablierten Unternehmen.

    1.5Verwaltungsrat in Finanzunternehmen und Banken

    Verwaltungsräte spielen eine entscheidende Rolle in Finanzunternehmen, indem sie die strategischen Richtlinien und Entscheidungen beeinflussen. Der Verwaltungsrat ist ein Gremium von Führungskräften, das die Interessen der Aktionärinnen und Aktionäre und Stakeholder repräsentiert und die Gesamtausrichtung des Unternehmens lenkt. In Finanzunternehmen – seien es Banken, Versicherungen oder Investmentgesellschaften – übernehmen Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte eine besondere Verantwortung aufgrund der sensiblen Natur ihrer Geschäftstätigkeit.

    Die Mitglieder des Verwaltungsrats in Finanzunternehmen sollten über umfassende Kenntnisse im Bereich Finanzen, Corporate Governance, Risikomanagement, Compliance und Unternehmensführung verfügen. Dies ermöglicht es ihnen, fundierte Entscheidungen zu treffen und die finanzielle Stabilität des Unternehmens zu gewährleisten. Zudem müssen sie die regulatorischen Anforderungen im Finanzsektor im Blick behalten und sicherstellen, dass das Unternehmen alle erforderlichen Vorschriften einhält. In der Schweiz ist die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA) die Aufsichtsbehörde für den Finanzsektor. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, die Stabilität des Finanzsystems zu gewährleisten, den Anlegerschutz zu fördern und die Integrität des Schweizer Finanzmarktes sicherzustellen.

    Die Mitglieder des Verwaltungsrats von Finanzunternehmen müssen sich einem sogenannten «fit and proper test» der Regulatoren unterziehen, der einerseits die erforderliche Eignung («fit»: u. a. fachliche Kenntnisse im Finanzbereich, Führungskompetenzen und die Fähigkeit, komplexe geschäftliche Herausforderungen zu bewältigen) sowie andererseits die Zuverlässigkeit («proper»: u. a. Integrität, hierzu gehören auch Hintergrundüberprüfungen zur Sicherstellung, dass keine vorherigen strafrechtlichen Vergehen oder andere ethische Verfehlungen vorliegen) der Kandidatin bzw. des Kandidaten ermittelt.

    Ein effektiver Verwaltungsrat in einem Finanzunternehmen sollte entsprechend eine ausgewogene Mischung aus Fachkompetenz, Unabhängigkeit und Diversität aufweisen. Dies gewährleistet, dass verschiedene Perspektiven berücksichtigt und strategische Entscheidungen im besten Interesse aller Stakeholder getroffen werden. Darüber hinaus sind Integrität und ethisches Verhalten entscheidend, um das Vertrauen der Kundinnen und Kunden, der Investorinnen und Investoren und der Öffentlichkeit zu wahren.

    Zusammenfassend tragen Verwaltungsräte in Finanzunternehmen dazu bei, die finanzielle Stabilität, die Integrität und die langfristige Nachhaltigkeit des Unternehmens zu gewährleisten. Ihre Rolle erstreckt sich über die strategische Planung, Risikobewertung, Überwachung der Geschäftsführung bis hin zur Sicherstellung der Compliance und einer guten Corporate Governance.

    1.6Verwaltungsrat in öffentlich-rechtlichen Firmen

    Für die Verwaltungsratstätigkeit bei einer Unternehmung im Besitze der öffentlichen Hand – insbesondere von Bund, Kanton oder Gemeinde – gelten grundsätzlich die gleichen gesetzlichen Bestimmungen wie für alle anderen Verwaltungsratsgremien.

    1.6.1Zusätzliche Herausforderungen

    Besondere Berücksichtigung in der Verwaltungsratsarbeit bei öffentlichrechtlichen Firmen verlangt der Einbezug von Politik (Legislative und Exekutive), der Öffentlichkeit und allen weiteren Anspruchsgruppen. Dies insbesondere deshalb, weil diese Firmen fast ausnahmslos einem Leistungsauftrag der entsprechenden Gebietsherrschaft zu entsprechen haben, bei der immer wieder auch Anspruchshaltung und effektive Leistungserbringung im Fokus stehen und zu öffentlichen Diskussionen führen. Diesbezüglich klassische Branchengattungen sind der öffentliche Verkehr, der Energiedienstleistungssektor, die Post sowie zu einem grossen Teil auch Spitäler, Alters- und Pflegeheime, Infrastrukturen und Organisationen für Bildung, Kultur und Sport bis hin zu Unternehmungen ohne eigentlichen Service-public-Auftrag wie Finanzdienstleistungsunternehmen (insb. Kantonalbanken, Gebäudeversicherungen etc.) und touristische Organisationen.

    Bei vielen dieser Unternehmungen müssen Verwaltungsratsgremien zusätzliche Gesetzesbestimmungen und Verordnungen mitberücksichtigen sowie einem Leistungsauftrag und (vorteilhafterweise) einer Eignerstrategie entsprechen. Genderpolitische Themen, marktgerechte Preisgestaltung und fallweise auch «politische Willkür» sind weitere Herausforderungen.

    1.6.2Anforderungen an den Verwaltungsrat

    All diese Ansprüche und Herausforderungen gepaart mit den gesetzlichen Vorgaben verlangen gerade von Persönlichkeiten in Verwaltungsratsgremien öffentlich-rechtlicher Firmen ein grosses Mass an Rückgrat, Resilienz, Integrität und Unabhängigkeit. Gleichermassen hilft auch das Bewusstsein dafür, dass die Gestaltungs- und Strategiemöglichkeiten in solchen Unternehmungen im Vergleich zur Privatwirtschaft beschränkt sind. Auch einer stringenten und glaubwürdigen Kommunikationspolitik kommt ausnehmend hohe Bedeutung zu, richtet sich diese doch letztendlich immer auch an die jeweilige Bevölkerung im entsprechenden geografischen Gebiet der Leistungserbringung.

    1Diese oft mit «Enkeltauglichkeit» umschriebene Grundhaltung eines dynastischen Denkens kann eine wesentliche Basis für eine Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens sein und einen andernorts organisatorisch angelernten ESG-Codex ersetzen. Das entbindet Familienunternehmen aber nicht davon, sich mit den normativen und regulatorischen ESG-Anforderungen formal auseinanderzusetzen.

    2Zum Thema der Fremdgeschäftsführung in Familienunternehmen siehe Siegl, R. P. (2021). Das gute Regiment. In: Jäkel-Wurzer, D., Megerle, M., Dahncke, S. (eds), Familienstrategie erleben und gestalten. Berlin/Heidelberg: Springer Gabler.

    2

    Grundlagen

    2.1Begriff und System der

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