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Biblioteca criminale: Pellegrinis vierter Fall
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eBook233 Seiten2 Stunden

Biblioteca criminale: Pellegrinis vierter Fall

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Über dieses E-Book

Die Tagung der Vereinigung Hominis et Tigris findet in diesem Jahr in der altehrwürdigen Bibliothek in der Città Alta von Bergamo statt. Kriminalistisch Interessierte aus ganz Europa kommen zusammen, unter ihnen auch Commissario Marco Pellegrini von der Polizia di Stato in Como. Doch noch vor dem ersten Vortrag wird klar, dass die Konferenz nicht wie ge­plant stattfinden kann. Der Archivar der Biblio­thek, Bertoldo Novarese, ein schmächtiger Mann mit Brille und grauen Locken, wurde mitten in der Nacht erschlagen. Ausgerechnet mit einem Folianten! Niemand hatte zu dieser Uhrzeit Zutritt zur Bibliothek – außer den Konferenzteilnehmenden, die im Lesesaal zu einer nächtlichen Gesprächsrunde zusammengekommen waren. Zwar wurde der Archivar von vielen für seine Pedanterie belächelt, aber ein Mordmotiv gibt das nicht her. Oder sind die Schätze, die Novarese hütete, kostbarer, als die meisten meinen? Pellegrini übernimmt den Fall und muss in den eigenen Reihen ermitteln. Auch privat kommt er nicht zur Ruhe: Franca ist ihm noch eine Antwort schuldig, und die wird sein ganzes Leben verändern.
SpracheDeutsch
HerausgeberKampa Verlag
Erscheinungsdatum23. März 2023
ISBN9783311704010
Biblioteca criminale: Pellegrinis vierter Fall
Autor

Dino Minardi

DINO MINARDI ist ein Sonntagskind um die fünfzig, fühlt sich aber viel jünger. Den Comer See hat er vor fünfzehn Jahren für sich entdeckt, und vielleicht ist es kein Zufall, dass er danach anfing, Romane zu schreiben. Da auch seine beruflichen Wege ihn immer wieder in die Lombardei führten, verbringt er seine Zeit inzwischen am liebsten dort. Entgegen dem Klischee, dort gäbe es nur Pizza und Wein, machen die Lombarden geniale foccace und ausgezeichnetes Craft Beer. Außerdem ist die Stadt Mailand viel schöner als ihr Ruf und hat zudem einige der besten Eisdielen Italiens. Zu seinem Glück fehlt Dino Minardi eigentlich nur eine palazzina am Wasser, aber bis dahin tut es auch das Familiendomizil mit Hund im nordrhein-westfälischen Flachland.

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    Buchvorschau

    Biblioteca criminale - Dino Minardi

    Samstag, 15. Mai

    1

    Ein feines Klirren, als die Tasse auf den Untersetzer gestellt wird. Das Rascheln des Zuckerbeutelchens, gefolgt vom Klicken des Kaffeelöffels gegen die Tassenwand. Das Aroma des caffè, der erste Schluck, der zweite. Der Nachgeschmack von Kakao mit einer leichten Bitternote …

    »Pass doch auf, wo du hinrennst, Idiot!«

    Der Ruf weckte Marco Pellegrini unsanft aus seinem Tagtraum. Ein Rempeln folgte, und der Läufer in grellpinken Leggings, die unangenehme Erinnerungen an die neunziger Jahre weckte, sprintete an ihm vorbei.

    »Du mich auch«, knurrte Pellegrini. Es war Platz genug auf dem Weg. Diese wandelnde Leuchtboje wollte einfach nur schneller am Steg sein, der über den Gebirgsbach führte. Dahinter, das wussten alle, die den Trail del Viandante mal gelaufen waren, folgte ein unwegsames Stück steil bergauf, bevor der Weg wieder breiter und ebener wurde. Bis dahin war ein Überholen nur sehr schwer möglich, aber die überambitionierten Hobbysportler, denen es auf eine gute Platzierung ankam, ließen keine der wenigen Gelegenheiten aus.

    Pellegrini trabte in einem Tempo weiter, von dem er wusste, dass er es ewig halten könnte. Er wollte sich nur an sich selbst messen. Der Zeit nach, die seine Pulsuhr angab, musste er sich noch im ersten Viertel seiner Altersgruppe befinden. Das war mehr, als er erwartet hatte.

    Er erreichte den Gebirgsbach und ignorierte den Steg. Stattdessen lief er über die breiten Steine direkt durch das flache Wasser, das hier mitten über die Straße floss. Er verlangsamte ein wenig und nahm dann die Steigung in Angriff. Bäume drängten von beiden Seiten an den schmalen Pfad. Pellegrini blinzelte einige Momente, bis seine Augen sich an das grünliche Dämmerlicht gewöhnt hatten. Kleine Steine rollten über den Pfad, klickten aneinander. Eine Läuferin um die sechzig, in knöchelhohen Wanderschuhen und mit Laufstöcken, kraxelte seitlich des Pfades bergan. Auch solche Leute gab es unter den Teilnehmenden, und vor denen hatte Pellegrini wesentlich mehr Respekt als vor athletischen Mittzwanzigern.

    »Salve!«, grüßte er im Vorbeilaufen.

    »Bravo, forza!« Die alte Signora bedachte ihn mit einem strahlenden Lächeln. Auf den zweiten Blick mochte sie sogar noch viel älter sein, als er zunächst gedacht hatte. Wann musste sie gestartet sein, wenn sie schon hier oben war?

    Pellegrini winkte noch einmal und bewältigte die Steigung mit einigen letzten Sprüngen. Das Blut pochte in seinen Schläfen. Dankbar erblickte er den breiten Waldweg vor sich. Die Konkurrenz in der bunten Funktionskleidung zeichnete sich wie leuchtende Punkte vor den Bäumen ab. Jetzt war es nicht mehr weit bis zur nächsten Versorgungsstelle nahe der Chiesa San Rocco.

    Er fand erneut ein gleichmäßiges Tempo und genoss den federnden Untergrund, nachdem er bis zum Gebirgsbach eine längere Strecke auf Asphalt zurückgelegt hatte. Er wollte sich ein paar Reserven für das letzte Stück bis ins Ziel aufheben. So ein Lauf über einen Trail mit felsigen Stücken war nicht mit einem Marathon auf ebener Strecke zu vergleichen. Neben der erforderlichen Trittsicherheit brauchte es Erfahrung, sich die Kräfte klug einzuteilen, sonst konnte einem beim letzten Anstieg die Puste ausgehen. Umso mehr wunderte es Pellegrini, dass er die pinken Leggings plötzlich wieder vor sich hatte. Der Mann hatte nicht so ausgesehen, als würde er die Tücken der Strecke nicht kennen. Außerdem war gerade dieses Stück bis zur Kirche nicht sehr anspruchsvoll.

    Doch der junge Mann taumelte, wurde langsamer und blieb dann sogar stehen. Er beugte sich vornüber und stützte sich auf die Knie. Sein ganzer Oberkörper bewegte sich bei seinen heftigen Atemstößen. Pellegrini stutzte. Er war nur noch wenige Meter hinter ihm. Da stimmte doch etwas nicht?

    Als wollte der Mann diese Vermutung bestätigen, kippte er nach vorne und brach zusammen.

    »Bloß jetzt das nicht.« Pellegrini beschleunigte und fiel auf die Knie, sobald er den anderen erreicht hatte. Mit zitternden Fingern hob er dessen Hand, schaute auf die Pulsuhr am Handgelenk und tastete zugleich nach der Halsschlagader. Kein Puls, weder angezeigt auf der Uhr noch spürbar unter den Fingerkuppen. Pellegrini fluchte und drehte den Mann auf den Rücken. Er öffnete den Reißverschluss des Trikots und zerrte ihm den Pulsgurt von der Brust. Dabei schaute er sich hektisch nach allen Seiten um. In der Ferne wurde die alte Läuferin gerade von drei Männern überholt.

    Pellegrini winkte ihnen aufgeregt zu. »Rufen Sie einen Krankenwagen!« Dann atmete er einmal tief durch, um sich zu konzentrieren. Er legte die Hände auf die Brust des Liegenden und begann mit einer Herzdruckmassage. Pellegrini zählte die Stöße. Er nahm nichts mehr wahr, bis sich plötzlich um ihn herum mehrere Stimmen erhoben. Jemand tastete nach dem Puls des Ohnmächtigen, eine andere Person hob die Beine des Mannes an und massierte seine Waden. Das brachte Pellegrini beinahe aus dem Takt. Er schüttelte nur den Kopf, machte weiter, bis sich eine knallrote Jacke in sein Sichtfeld schob.

    »Schon gut, wir übernehmen. Lassen Sie mich mal ran, bitte.« Eine stämmige Sanitäterin mit einem schwarzen Pferdeschwanz schob ihn sanft zur Seite. Pellegrini nickte und erhob sich. Zu schnell für seinen Kreislauf. Kraftlos sank er zurück auf die Knie. Er keuchte, schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen.

    »Momento, ragazzo. Werd mir jetzt nicht auch noch ohnmächtig. Nino!« Die Sanitäterin stützte ihn mit der einen Hand an der Schulter, während sie dem Liegenden eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht hielt.

    »Signore?«

    Pellegrini schaute auf. Ein Sanitäter musterte ihn eingehend. Wortlos reichte Pellegrini ihm die Hand und ließ sich aufhelfen. Schwindel erfasste ihn. »Haben Sie etwas zu trinken?«

    »Na klar. Kommen Sie. Ist Ihnen kalt?«

    »Nein.« Noch nicht.

    Der Sanitäter führte ihn zum Krankenwagen, der auf dem Waldweg aus Richtung Chiesa San Rocco stand. Die hinteren Türen waren offen, und die linken Reifen befanden sich gefährlich nahe am Abgrund. Die Tatsache, dass die Sanitäter offensichtlich rückwärts bis zur Unglücksstelle gefahren waren, bewies, dass dies nicht ihr erster Einsatz dieser Art war. Hinter dem Krankenwagen hielt gerade – ebenfalls rückwärts – das Auto eines Notarztes. Noch bevor die Räder stillstanden, sprang ein Mann von ungefähr fünfzig mit einem Koffer auf der Beifahrerseite hinaus. Auf der Fahrerseite wäre er auch den Abhang hinuntergepurzelt, dachte Pellegrini mit einem Anflug von Galgenhumor. Er setzte sich auf die Kante des Rettungswagens.

    »Hier.« Der Sanitäter öffnete eine Dose Coca-Cola und reichte sie Pellegrini.

    »Sehr medizinisch.«

    Der Sanitäter zuckte mit den Schultern. »Zucker und Koffein ist auf solchen Veranstaltungen meistens ausreichend. Wenn Sie was Stärkeres brauchen, kann ich Ihnen später immer noch was geben.«

    »Nino! Wir müssen den hier mitnehmen. Schnell.«

    »Ich komme. Soll ich einen Hubschrauber anfordern?«

    »Dottore?«

    »Ja, unbedingt.«

    Pellegrini umklammerte die Dose. Er stand auf und hielt sich an der Tür des Krankenwagens fest. Allmählich ging es ihm besser. Um ihn herum sammelte sich eine Traube von Läuferinnen und Läufern, die inzwischen herangekommen waren.

    »Was ist denn passiert?«

    »Der hat sich doch bestimmt was eingeworfen.«

    »Sagen Sie mal.« Ein Mann tippte Pellegrini auf die Schulter. Wenn er sich nicht irrte, war es der, der die Beine des Zusammengebrochenen angehoben hatte. »Haben Sie da vorhin wirklich gesummt?«

    »Gesummt?«

    »Gesummt. Ein Lied. Während Sie den da versorgt haben.« Er deutete mit dem Daumen hinter sich.

    Pellegrini runzelte die Stirn. »Ich kann mich nicht erinnern.«

    »Doch, haben Sie«, sagte jetzt ein Zweiter. »Wie auf einer Party.«

    »Das war ›Staying alive‹ von den Bee Gees. Lief in den Discos, lange vor Ihrer Zeit, raggazzi«, erklärte die alte Signora, die sich auf ihre Laufstöcke gestützt hatte und das Treiben aufmerksam beobachtete.

    Der erste junge Mann schnaubte empört. »›Staying alive‹? Das ist ja abgeschmackt. Wie sind Sie denn drauf?«

    »Sachte.« Pellegrini hob die Hand. »Das war nicht bewusst. Das ist …«

    »… um den Takt bei der Massage zu halten«, fiel ihm die Signora ins Wort. »Sie sollten besser mal einen Erste-Hilfe-Kurs belegen. Ich bevorzuge ja ›I will survive‹ von Gloria Gaynor.«

    »Sie wollen mich doch verarschen!«

    »Keineswegs. Aber es findet sich auch bestimmt etwas Modernes. Hauptsache ist, Sie tun etwas und versuchen es mit der Herzdruckmassage, anstatt dumm herumzustehen und zu gaffen.«

    »Hey, ich habe doch …«

    »Aus dem Weg jetzt!« Das Sanitätsteam schob sich an der Menge vorbei und verfrachtete die Liege mit dem Patienten ins Innere des Autos. Der Arzt stand hinter ihnen und gab dem Fahrer des Notarztwagens ein Zeichen, loszufahren. Er selbst stieg hinten in den Krankenwagen ein.

    Pellegrini trank die Cola aus und schaute sich unschlüssig um, ob er die Dose irgendwie loswurde. Die Sanitäterin sprang aus dem Laderaum und knallte die Türen zu.

    »Steigen Sie ein, wir nehmen Sie mit.«

    »Was? Mich?« Pellegrini wandte abermals den Kopf in alle Richtungen.

    »Wen denn sonst?« Die Sanitäterin packte ihn am Oberarm und schob ihn vor sich her zur Beifahrertür.

    »Mir geht es gut!«

    »Sie sind leichenblass. Ich will nicht gleich noch mal diesen scheißschmalen Weg fahren, weil Sie erst einem das Leben retten und dann selbst gerettet werden müssen.«

    »Aber ich …«

    »Wollen Sie das jetzt ernsthaft mit mir diskutieren? Steigen Sie ein!«

    Pellegrini schaute in die entschlossene Miene der Frau und gab nach. Er kannte solche Momente. Die Sanitäterin konnte ihn nicht guten Gewissens hier stehen lassen, und zugleich zählte für den wahren Patienten jede Minute. Dann würde er eben mit dem Taxi vom Krankenhaus zum Ziel fahren. Nicht gerade ein glorreiches Ende seiner ersten Teilnahme am Trail del Viandante nach so vielen Jahren. Immerhin hatte er so die Chance zu erfahren, ob er bei seiner Herzdruckmassage den richtigen Rhythmus gefunden hatte. Mit ›Staying Alive‹ in seinem Kopf, das sich als Ohrwurm festgesetzt hatte, stieg er in den Wagen.

    2

    Krankenhausflure waren in der Lombardei alle gleich. Oder sogar in ganz Italien oder europaweit? Pellegrini war nicht scharf darauf, es herauszufinden. Unruhig rutschte er auf dem unbequemen orangefarbenen Plastikstuhl hin und her.

    Nachdem der Krankenwagen aus dem Waldstück oberhalb des Dörfchens Villatico herausgefahren und auf den größeren Straßen schneller vorangekommen war, hatte der Notarzt den Zustand des Patienten so weit stabilisiert, dass der Einsatz des Hubschraubers doch nicht notwendig war. So waren sie mit Blaulicht direkt ins Krankenhaus nach Morbegno gefahren. Pellegrini wurde einer jungen Ärztin in der Notfallambulanz vorgestellt und, nachdem die sich davon überzeugt hatte, dass es ihm gut ging, sich selbst überlassen. Genau das hatte er befürchtet. Jetzt saß er in diesem kahlen weiß gestrichenen Flur und langweilte sich. Er hatte versucht, Umberto Cantù anzurufen, damit der ihn abholte. Doch da sein Freund sich vermutlich gerade auf der Zielgeraden des Laufes befand, konnte er ihm nur eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen. Pellegrini und Umberto hatten sich während des Laufes getrennt, da sie beide ein zu unterschiedliches Tempo liefen. Die Ankunft im Ziel hatten sie aber gemeinsam feiern wollen.

    Pellegrini fröstelte, das Krankenhaus war klimatisiert und nicht darauf ausgelegt, dass verschwitzte Menschen in kurzärmeliger Funktionskleidung lange herumsaßen. Er entschied sich, nach draußen zu gehen und auf dem Parkplatz noch einmal zu telefonieren. Wenn er Umberto dann immer noch nicht erreichte, würde er nach einem Taxi Ausschau halten.

    Er seufzte genervt. Das mit dem Taxi würde kompliziert. Er hatte sein Portemonnaie samt Kreditkarten in Umbertos Auto gelassen, und den Schlüssel hatte natürlich sein Freund. Mit den zehn Euro in seiner Trikottasche würde er nicht weit kommen, die waren nur für den Notfall gedacht – oder um einen caffè und ein cornetto bezahlen zu können, was ja strenggenommen ein solcher Notfall wäre. Er entschied, zunächst nach einer Kantine zu suchen. So hatte Umberto ein wenig mehr Zeit, es bis ins Ziel zu schaffen.

    Pellegrini stand auf. Über ihm knackte ein Lautsprecher, es folgte eine Durchsage, in der ein Arzt auf die Intensivstation gerufen wurde. Pellegrini wandte sich um. Die Schleuse war direkt hinter ihm. Er hatte noch beobachten können, wie der Läufer durch die Glastüren geschoben worden war, bevor er selbst in ein Untersuchungszimmer geführt wurde. Die Türen wurden von innen aufgestoßen. Eine Krankenschwester in einem grünen Overall rief etwas. Der Motor, der die Türen normalerweise automatisch öffnete, brummte unwirsch. Im Flur konnte Pellegrini weitere Menschen hin und her laufen sehen. Das konnte nichts Gutes bedeuten.

    Pellegrini setzte sich wieder und beobachtete, wie ein Arzt auf der Station eintraf, kurz darauf gefolgt von zwei weiteren Ärzten. Dann wurde es ruhig.

    Nach einer gefühlten Ewigkeit summte es, und die Türen schwangen auf. Zwei Ärzte kamen hindurch. Pellegrini sprang auf und ging auf sie zu.

    »Verzeihung, darf ich fragen, wie es dem jungen Mann geht, der vorhin mit dem Krankenwagen von einem Sportwettbewerb eingeliefert wurde?«

    Der jüngere Arzt winkte und ging weiter, ohne ein Wort zu sagen. Der ältere, ein grauhaariger Mann mit Hornbrille, musterte Pellegrini durchdringend.

    »Und wer sind Sie? Ein Angehöriger?«

    »Nein. Ich bin ebenfalls ein Teilnehmer des Trail del Viandante. Ich habe gesehen, wie der Mann zusammengebrochen ist, und Erste Hilfe geleistet.« Er zögerte kurz, weil ihn eine dumpfe Vorahnung erfasste. Er kannte diesen Gesichtsausdruck, den der Arzt aufgesetzt hatte: Er gab sich kühl und unnahbar. Professionelle Distanz. Wer schlechte Nachrichten zu nah an sich heranließ, konnte auf Dauer in einem Beruf, in dem es auch um Leid und Tod ging, nicht bestehen.

    »Außerdem«, fuhr er fort. »bin ich Commissario der Polizia di Stato in Como. Marco Pellegrini ist mein Name. Leider kann ich mich nicht ausweisen, da mein Portemonnaie im Zielbereich auf mich wartet.«

    Offenbar sah Pellegrini trotz des verschwitzten Laufshirts glaubwürdig genug aus, um eine Antwort zu bekommen. Oder auch gerade wegen des Shirts, besser gesagt der Aufschrift Team Maratona, Como 2018 und darunter dem Emblem der Staatspolizei.

    »Dann können Sie sicherlich dabei behilflich sein, die Identität des Mannes festzustellen. Sollte mit der Teilnahmenummer nicht allzu schwer sein. Er ist soeben verstorben. Herzstillstand.«

    »Madonna mia.« Obwohl er getan hatte, was er konnte, überkam Pellegrini das Gefühl, versagt zu haben. Zu langsam gewesen zu sein.

    Der Arzt senkte seine Stimme. »Die Obduktion wird Genaueres ergeben. Aber ich vermute stark, dass sich der Bursche einiges eingeworfen hat. Seine Puls- und EKG-Werte waren jenseits von allem, was ich seit Langem gesehen habe.« Er schüttelte den Kopf. »Doping ist im Hobbysport mindestens ebenso verbreitet wie unter Profis. Und teilweise sogar noch gefährlicher, denn viele wissen überhaupt nicht, was sie ihrem Köper antun. Nach dem Motto ›Viel hilft viel‹ nehmen sie völlig unkontrolliert zu häufig und zu große Mengen ein. Das ist das Ergebnis.«

    »Sind Sie sicher?«

    »Nein, es ist nur meine persönliche Vermutung. Behalten Sie das für sich. Ich wäre froh, wenn ich nicht recht habe.« Er verstummte.

    Auf Pellegrini wirkte der Arzt zu erfahren, um einen haltlosen Verdacht zu äußern. Er nickte wortlos. Was als sportlicher Ausflug mit einem Freund begonnen hatte, könnte sehr bald als ein neuer Fall enden.

    Freitag, 21. Mai

    1

    Pellegrini ließ die Tür der Questura von Lecco hinter sich zufallen und blinzelte in die Sonne. Er freute sich sehr auf die kommenden Tage in Bergamo, aber dieser Frühsommertag war so schön, dass er sich wünschte, nicht die nächste Stunde im Auto verbringen zu müssen.

    »Marco, hier bin ich! Ist alles in Ordnung?« Ispettrice Claudia Spagnoli hatte auf einer hüfthohen Backsteinmauer gesessen. Jetzt sprang sie hinunter und kam auf ihn zu.

    »Ja, natürlich, was sollte nicht in Ordnung sein?«

    »Du ziehst so

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