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Der Kampf mit dem Fachmann
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eBook323 Seiten4 Stunden

Der Kampf mit dem Fachmann

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Über dieses E-Book

Wiederentdeckt und nun endlich in einer kommentierten Ausgabe zugänglich: Das vielleicht beste Buch der wunderbaren Mechtilde Lichnowsky

Nur allzu oft haben sie das Sagen und das letzte Wort: die Bescheidwisser, Prinzipienreiter und Standpunktvertreter, die - oft selbsternannten - Spezialisten in allen Lebensfragen.
Wie diese Spezies den alltäglichen Umgang der Menschen miteinander bestimmt, führt Mechtilde Lichnowsky an vielen anschaulichen Beispielen vor. Sprachlich und analytisch ist sie dabei zweifellos an Karl Kraus geschult: die Genauigkeit des Blicks, die analytische Schärfe, das Gespür für phrasenhafte Verwendung der Sprache im Alltag. Aber was sie besonders auszeichnet ist ein wunderbarer Humor, der in seiner Leichtigkeit an Kurt Tucholsky erinnert, sowie der Mut zu pointierten und oft überraschenden Wortneuschöpfungen.
Die Alltagsbeobachtungen, Reflexionen und szenischen Dialoge, teilweise mit Zeichnungen illustriert, sind von einer eindrucksvollen Lebendigkeit und einem bezaubernden Witz. Die in - man würde heute wohl sagen - "auskennerischer" Pose vorgebrachten Behauptungen des Experten werden vom blitzgescheiten Laien in ihrer Borniertheit gnadenlos entlarvt.
Dieses Buch ist auch hundert Jahre nach seiner Erstveröffentlichung leicht zugänglich. Es entwickelt einen faszinierenden Sog, denn auch heute findet sich jede und jeder in der Figur des Laien und seinem aussichtslosen Kampf gegen den notorisch schwerhörigen Fachmann wieder.
SpracheDeutsch
HerausgeberWallstein Verlag
Erscheinungsdatum28. Feb. 2024
ISBN9783835386662
Der Kampf mit dem Fachmann
Autor

Mechtilde Lichnowsky

Mechtilde Lichnowsky (1879-1958) war eine Meisterin scharfer Prosa. In der Vorkriegszeit löste sie mit ihren Büchern ein enormes Echo beim Lesepublikum aus und wurde von prominenten Kollegen gefeiert, von Rainer Maria Rilke oder Karl Kraus - mit denen sie eine enge Freundschaft verband -, über Kurt Tucholsky bis hin zu Theodor W. Adorno.

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    Buchvorschau

    Der Kampf mit dem Fachmann - Mechtilde Lichnowsky

    »… Wenn mich die Götter als Nachtigall erschaffen hätten … so aber bin ich nur Cäsar …«

    Das Gehen ist ein Kampf mit der Entfernung, aber man überwindet sie; das Schlafen ein Kampf mit dem Leben, da gibt es wenigstens Waffenstillstand; die Kunst, ein Kampf mit der Wirklichkeit, und kein Gegner wurde noch so blutig geliebt wie dieser; das Dasein aber ist ein Kampf zwischen dem lebenden Laien und dem toten Fachmann, wobei weder von Überwindung, noch von Waffenstillstand, nicht von Feindesliebe und kaum von Siegespreisen die Rede sein kann; denn, obgleich der Laie, der von Fall zu Fall innerlich ein Fachmann ist, dem Fachmann, der für ihn im Augenblick des Gesprächs ein Erzlaie wird, stets unterliegt, so erntet der Sieger doch keine Lorbeeren, wenn der Laie rechtzeitig das Feld räumt. Das Atemraubende im Kampf mit dem Fachmann liegt für den Laien im erzwungenen Verzicht, ihn durchzukämpfen. Rede und Gegenrede sind das einzige Kampfmittel, These und Antithese ein Tennisspiel, bei welchem die Bälle immer »out« sind; auch scheint der Feind einst in Drachenblut gebadet zu haben, dabei dürfte ihm keinesfalls aufs Ohr ein Lindenblatt gefallen sein, so daß die Hornhaut leider auch den Gehörgang überziehen mußte; dem Laien bleibt nichts übrig sich gegen diesen vollständig hörnenen Fachmann zu wehren, der, einem Drachen gleich, große Worte und Antworten sprüht. Wohl fänden sich an ihm Achillesfersen, allein, er ist erstens kein Achilles und fühlt zweitens nicht wenn er nicht hören will.

    *

    Die Leidenschaft zum Reim hat viele falsche Sprichwörter verursacht. Z. B. »Der Mensch denkt, und Gott lenkt«. Der Mensch, der es ja können soll, denkt leider nicht, und von Gott kann nicht gesagt werden, daß er denkt, denn er ist allwissend. Richtig ist, daß der Mensch lenkt und Gott lenkt, was einfach genug den trostlosen Wirrwarr hienieden erklärt. Es ist eben eine Frage von zu vielen Lenkern, Kutschern oder, wie ein anderes Sprichwort will, von zu vielen Köchen.

    Im Leben ist es so: Entweder ich habe ein Leitseil aber kein Pferd, oder ein Pferd und kein Leitseil, oder ich bin Kutscher und habe Pferd und Leitseil, es sitzt aber schon ein anderer Kutscher am Bock, und der hält Zügel und Peitsche.

    Wer sitzt oben? Der Fachmann. Wer steht unten? Ich, der Laie. Wer kann fahren? Ich. Wer fährt? Der Kutscher. Wem kann ich nicht erklären, daß ich fahren kann? Dem Kutscher. Und wollte ich nun mit dem einzigen Verständigungsmittel, der Sprache, etwas erreichen, so wäre eben dieses Reden der Kampf, und zwar ein von vornherein aussichtsloser.

    »No warum? Wieso?« sagt der semmelblonde Herr von Einwender.

    »Weil die Wortgeschosse niemals das gegnerische Gehirn treffen, sondern, Schuß für Schuß vorbeifliegen. Besser zielen, Herr von Einwender? Das ist es eben, hier nützt kein Zielen und kein Vorhalten; am erfolglosesten ist es, das Wort ohne Abstand, sozusagen mit angesetzter Waffe direkt ins Gehirn abzugeben: der Gegner ist behext, das Wort dringt nicht ein, d. h., es fällt zwischen Kopf und Kopf gewichtslos zu Boden, oder es fliegt, einem Federchen gleich, am Kopf vorbei, und zwar spielt sich dieses Aneinandervorbeireden so ab, daß ich wunderbar ziele ohne zu treffen, weil der Andere behext ist, und er, ohne zu zielen, ohne zu treffen mich doch kampfunfähig macht. Seit Jahren sinne ich nach einem Mittel, den Zauber der Schwerhörigkeit, der Blödheit, der Bosheit, der grundlosen Erbostheit von vornherein, oder was immer die Art des Zaubers sein mag, zu brechen, ich versuche alle Gegenzauber der Sprache, der Deutlichkeit, der sorgfältigen Vorwegnahme aller Gegenargumente, arbeite mit Milde, mit Bescheidenheit, mit Suggestion, mit Courtoisie, umsonst, ein Fachmann wankt nicht, ein Fachmann verschanzt sich, der Fachmann bleibt eine uneinnehmbare Festung.

    *

    Zweierlei Menschen bevölkern unsern Planeten: Die einen nennen sich Fachmann und sind Laien, die Anderen wären wohl Fachmänner, müssen aber den Laien spielen. Von jeher tobt, ohne Lärm, ohne Waffen, ohne namhaften Sieg, ohne nennenswerte Niederlage ein stumpfer, dumpfer Kampf zwischen Beiden, seien sie nun Händler und Käufer, Ehegatten, Kenner, Liebhaber, Beamte, Bürger, Gouvernanten. Lehrer, Kinder, Arzt oder Patient, Freunde, Verwandte, Bekannte, Weise oder Dummköpfe: das Wort verbindet, entzweit, erhitzt sie, und keiner außer dem besiegten Laien weiß, worum es ging. Der Sieger fühlt sich stark und frech, kennt aber den Siegespreis nicht, während der Laie ihn blinken sieht und in abgrundtiefes Denken fällt. Die unendliche Strahlenenergie der Sonne ist wohl auf das Phänomen ihres Lachens zurückzuführen, denn wenn sie, seit Billionen von Jahrhunderten die einzige Zeugin dieses Kampfes zwischen Fachmann und Laien und Laien und Fachmann, nur einmal darüber weinen wollte, es wäre um uns geschehen; kein Noah wäre dieser Flut gewachsen. Aber Götter weinen nicht, sondern lachen unbarmherzig und dennoch warm genug, daß die Gefahr eines ewigen Friedens oder gar die einer Auflösung aller Fachmänner in Laien nicht besteht.

    * *

    *

    Daß jeder Vergleich hinkt, ist eine Tatsache, der man nur durch die Erwägung begegnen kann, daß nichts so hinkt wie das Leben selbst, also auch der Vergleich hinken dürfe, oder damit, daß er dem scheinbar gerade gehenden Leben durch Übertreiben oder Zartandeuten, den beiden einzigen Ausdrucksmitteln jeder Kunst, also auch der Redekunst, verstecktes Hinken nachweist. Meine Überzeugung, daß ein stilvoll rhythmisches Hinken einen wunderbaren Tanz bedeuten könne, schalte ich hier ganz aus. Übrigens vollzieht sich das vom Fachmann so gern nachgewiesene Hinken des Vergleichs immer auf einem Bein, das der Vergleichende bei der Anwendung des gewählten Vergleichsbildes nicht benötigt, und es fragt sich, ob der Zuhörer, der als Fachmann gern ein Halbhörer ist, nicht zunächst das Bild in sich aufzunehmen und die Ähnlichkeit zu konstatieren habe, insbesondere da, wo es dem Sprecher auf eine Verdeutlichung ankam. Aus der Tatsache, daß der Hörer sofort, noch ehe er die Identität des Bildes aufnehmen konnte, schon auf Unähnlichkeit hinweist, geht hervor, daß er aus irgendwelchen Gründen gegen die Auffassung des Sprechers gesinnt ist. Allzuschnell wird er, und böswillig, auf die Linie aufmerksam machen, die nicht parallel mit dem Verglichenen läuft.

    Natürlich hinkt der Vergleich; denn, wäre er in jedem Punkte mit dem Objekt identisch, brauchte man ihn nicht, sondern könnte auf jenes deuten und wie der jetzt verstorbene S. sprechen, als er seiner Gemahlin in Rom den Petersplatz mit einer stummen Geste des Vorstellens zeigte: »Irma! Ich bitte!« –

    Oder man könnte eine Orange mit einer Orange vergleichen. Da hinkt freilich nichts mehr, sondern Objekt und Vergleich verschwinden ineinander, daß der Fachmann staunt und sich der Leiermann wundert. (»Da staunt da Fachmann, und da Leiermann wundat sich«, sagte mir einst ein Oberschlesier, der drei Tage in Berlin gewesen war.) Oder man müßte sich bei der Porträtkunst an Stelle einiger Pinselstriche, die das Haar vorstellen sollen, wirklicher Haare bedienen und wirklicher Haut, will man nicht behaupten, daß auch die Kunst hinke. Jede Kunst ist ein Vergleich, und so hinkt auch jede Kunst. Vergleich und Kunst hinken also … Aber wie sie das Objekt überspringen, das sieht der Fachmann nicht.

    * *

    *

    Haben Sie je einen Laien mit einem Laien gesehen oder zwei Fachmänner miteinander? Das kommt nicht vor. Jeder Laie sucht den Fachmann. Und erst der Fachmann! Wie er sich nach Laien umsieht! Ein jeder hat nicht nur Anspruch auf den andern, sondern dessen Gegenwart ist ihm Lebensbedingung, und eher, als daß zwei Fachmänner oder zwei Laien zusammengeraten, kommt es vor, daß, der noch vor kurzem Laie war, sich in Gegenwart eines Kollegen schleunigst in einen Fachmann verwandelt. Nicht jeder echte Laie findet den Fachmann, den er verdient, wohl aber fallen dem Fachmann unverdiente Laien zu. Der Kampf mit dem Fachmann ist ein Kegelspiel, bei dem mit dem Kegel nach der Kugel geworfen wird: der Kegel kann nicht rollen, die Kugel nicht umfallen; und wenn der Kegel liegt und die Kugel zu lachen wagt, ja sogar ein wenig vor Lachen rollt, so schreit er noch einmal auf und ruft mit verblüffender Logik: »Was weiter? Soll etwa ein Kegel nicht umfallen?« Und da hat der Tropf wieder Recht, niemand kann es ihm widerlegen, obwohl vor Gott und menschlichen Richtern der Beweis zu erbringen wäre, daß sein Triumphgeschrei hier sinnlos ist, weil es sich nicht um den Effekt des Fallens, sondern um dessen Vorgeschichte handelt: Es hatte ja niemand die Fähigkeit des Kegels und auch seinen Lebenszweck, umzufallen, angezweifelt, sondern nur daran Anstoß genommen, daß er, entgegen seiner Bestimmung, zu rollen versucht hatte. Aber – wann steht man vor Gott oder menschlichen Richtern in Fällen, wo man alles Recht für sich hatte?!

    In folgender Weise spielt sich der Kampf mit dem Fachmann ungefähr ab: Kein Zeuge, kein Helfershelfer, nie ein unparteiischer Dritter; der Fachmann, gewissermaßen berechtigt, geht vom falschen Glauben aus; der Laie dagegen, einer blinden Henne gleich, hat ausnahmsweise kein Korn, sondern eine Perle gefunden, die er nicht anbringen kann, weil man ihn nicht so weit ausreden läßt. Der Fachmann, vom falschen Glauben ausgehend, der Laie suche ein Korn, will ihn beschwichtigen. Keine Möglichkeit für den Laien; anzubringen was er weiß, was er will, was ist, überhaupt daß er ein Perlenfinder sei, einmal in seinem Laienleben, und der andere ein sehendes Huhn, das keine findet.

    Das blinde Huhn spricht: »Ich habe eine . . . .«

    – »Ja, ich weiß«, erwidert der Fachgockel mit geschwollenem Kamm, »du hast ein Korn gefunden, friß es.«

    – »Nein, ich habe eine –«

    – »Ja ja wir haben schon gehört, du hast ein Roggenkorn im Schnabel –«

    – »Nein, etwas Schönes – –«

    – »Ja ja ein schönes Roggenkorn ohne Mehltau, dick und mehlreich! Schluck es in Gottes Namen!«

    – »Ich kann nicht, ich darf nicht, es ist ja eine . . . .«

    – »Das ist ja Hysterie – schlucke nun endlich und schweige.«

    So kann das endlos weitergehen. Sie reden aneinander vorbei.

    Keiner kann ohne den anderen existieren, weder der Fachmann noch der Laie, aber niemals weiß einer vom anderen, ob er auch richtig, wie sichs gehört, ein Laie ist; dafür erfährt er sehr rasch, wofür sich der andere hält; da er sich nun, aus guten Gründen, auch dafür hält, entsteht das Unmögliche, das Unhaltbare – die Gegenwart zweier Hähne auf einem und demselben Haufen. Dem einen mag zwar nur der Kamm gewachsen sein, allein er kann es beweisen, daß Bauern und Hühner ihn für einen Hahn halten, und dem andern bleibt nur ein Hahnenkampf übrig oder ein stummes Spiel, das die Bedeutung hätte: »ich bin ein Adler und habe hier nichts zu suchen« – oder »ich bin ein Sperling, ich darf wohl da ein bißchen mitpicken«.

    »Aber«, meint der Herr von Einwender, der sich sehr lebhaft für all diese Dinge interessiert, »gesetzt, Sie sind der Adler; was ist leichter als den Hahn zu packen und zu zerreißen?« – »Lieber Herr; damit hätte ich noch nicht bewiesen, daß der andere kein Hahn gewesen wäre. Im Gegenteil. Bauern und Hühner wären sich darin einig, daß ein jähzorniger, egozentrischer Lümmel von Adler den Hahn getötet hätte; ich aber will nur klar machen, daß er kein Hahn ist, sowohl ihm selbst als auch den Bauern und Hühnern, sodann auch, wenn dies unmöglich ist, daß ich ein erhabener, weiser, ehrenwerter Vogel bin und kein Kampfnickel.«

    Es ist ein merkwürdiger, ein unerklärlicher Wunsch, gerade Bauern und Hühnern Wahrheit bringen zu wollen. Das sind offenbar jene Laien, die diese Art Fachmann zur eigenen Existenz braucht.

    Post scriptum:

    Man kann halt dem, der dumm ist, oder unecht, nicht begreiflich machen, daß er das eine oder das andere ist; wenn er es begreifen könnte, wäre er nicht dumm, und der Unechte, der seinen Zustand zugäbe, beginge ja eine Art von Selbstmord. Nur wenn beide grundgescheit wären, ließe sich mit ihnen reden; aber da wären sie eben weder dumm noch unecht.

    Und warum ersehnen wir geschlagene Laien so lichterloh brennend außer der Klarstellung des Falles noch die Einsicht des in ein Detail falsch verbissenen Fachmanns, wenn weder Bosheit noch Streitsucht, Rechthaberei oder Ungeduld dabei mitspielen? Aus Gerechtigkeit und Menschenliebe; damit jenem unser eigenes Verhalten der Abwehr, der Unlust, der Ablehnung als berechtigt erscheine. Bei Ehescheidung z. B. mag dieses Gefühl den einen Teil, der beide übersieht, drücken; und lieber verharrt er in trostloser Lage, als daß er dem andern das Gefühl der Ungerechtigkeit und das seiner persönlichen Feindseligkeit, auflädt. Wenn nur einer begreift, drückt den andern das Bewußtsein des vermeintlichen Unrechts, das er zufügt. So will es die Menschenliebe, die Nächstenliebe.

    Einige Fachmänner im Chor: »Hahaha! Sie, und Nächstenliebe!«

    *

    Man kann genau wissen, welche Antwort auf eine bestimmte Anrede folgen wird, man kann durch geschickt eingeflochtene Argumente nach dem System »Wie sage ich’s meinem Kinde« vieles vorweg nehmen; aber der Fachmann wird stets die Stelle finden, wo er sich als solcher behaupten kann und gar nicht auf des andern so schön geharkten Boden treten. Alltägliche Beispiele zeigen am besten, was hier gemeint ist.

    Ich soll für einen siebenjährigen Neffen, der einen ziemlich großen Kopf hat, einen Hut besorgen. Ich nehme also ein Bandmaß, messe sorgfältig und begebe mich in ein Kindergeschäft. Ich verliere nicht gern Zeit und bemühe mich in wenigen Worten, möglichst klar auszudrücken, was ich zu sagen habe. Auf die Frage, was zu meinen Diensten stehe, erwidere ich daher:

    »Bitte einen dunklen Kinderfilzhut, 53 cm Kopfweite.«

    Man sollte meinen, daß alles gesagt sei, was für den Anfang nötig ist. Fehlt etwas? Eigentlich nicht. Aber das Hutfräulein, das hier den Wirt vorstellt, mit dem ich die Rechnung nicht gemacht hatte, fragt in gebieterischem Tone auf meine Bitte »Einen Kinderfilzhut, 53 cm Kopfweite«:

    »Für welches Alter?«

    Ja – ich hätte wohl gleich die Frage stellen sollen: »Gibt es Kinderhüte mit 53 cm Kopfweite?« Da wäre kein Entrinnen des Fräuleins möglich gewesen, sollte ich meinen. Aber vielleicht hätte sie diese Frage erst recht in Verlegenheit gebracht; wahrscheinlich ist ihr nur bekannt, daß in diesem Fach Hüte für Dreijährige, in jenem für Sechsjährige liegen usw. Eigentlich sollte sie einen Ausruf tun und sagen: »Was? 53 cm? Das ist ja riesig!« Und ich darauf: »Ja, er ist zwar erst sieben Jahre alt, aber die Kopfweite hat er eben.«

    Die rechthaberische, überlegen zurechtweisende Frage »für welches Alter?«, in einem Tone von: »Sie haben schon wieder ihren Katechismus nicht gelernt«, ist nicht am Platze, wenn ich eine Kopfweite angebe, die viel mehr von der Größe eines Kopfes verrät als die Angabe eines Alters, das nicht für Kleinkopfigkeit garantiert. Der Weise läßt sich natürlich nicht auf den Kampf ein, sondern gibt mild ein Alter an, das das Heranschaukeln von einem Dutzend fingerhutkleiner Hütchen zur Folge hat, die er mit seinem Augenmaß sofort als unbrauchbar erkennt und sanft zurückweist. »Ja, Fräulein, um die 53 cm werden wir halt nicht herumkommen«, versucht er es scherzhaft, »haben Sie ein Bandmaß?« Es ist keines da. – »Haben Sie ’n Bandmaß, Fräulein Cläre?« »’n Bandmaß? Wozu?« – »Die Dame (ganz verrückt!) sucht einen Kinderhut.« – »Für welches Alter?« – (Ich:) »Kopfweite 53 cm« »Ja Sie müssen das Alter angeben!«

    Nein, ich muß nicht, ich darf es in diesem Falle ganz besonders nicht.

    Soll ich ihr antworten: »Für einen siebenjährigen Airdale Terrier, der sich zu Fastnacht kostümieren will?« Wahrscheinlich hätte ich einen durchschlagenden Erfolg gehabt, wenn ich gleich gesagt hätte: »Bitte einen Girardihut für einen kleinen Makrocephalos von sieben Jahren.« Man erlaubt sich solche Scherze nicht, denn »es steht nicht dafür«. Aber das ist der Kampf mit dem Fachmann im winzigsten Ausmaß, auf dem kleinsten Kriegsschauplatz. Das Typische des Fachmanns ist: mit einem scheinbaren Vorrecht Ungedachtes Gedachtem entgegen zu halten, ohne loszulassen, und nie die Möglichkeit eines fachmännischen Mißverständnisses in Erwägung zu ziehen. Der Anprall ist für den Denker schmerzlich und belustigend zugleich, weil er allein die Situation übersieht und niemanden davon überzeugen kann, am allerwenigsten den Sieger.

    Hierzu gehört auch die folgende charakteristische Kleinigkeit, die auf Nichtdenken und Falschsprechen, Nichtsehen und Falschhören beruht und in ihren Folgen als ebenso inoffensiv zu betrachten ist wie die vorhergehende. Ich zitiere das Beispiel für die menschlichste aller Betätigung: Sprechen ohne gedacht zu haben, einerseits, und meinerseits: denken ohne gesprochen zu haben. Denn auch hier hätte es »nicht dafür gestanden«, auch hier hätte der arme, harmlose Feind nie begriffen, und doch wäre es, wenn ich es dazu hätte kommen lassen, ein typischer Kampf mit dem Fachmann geworden.

    Ich sitze auf einer Bank im Tiergarten, mein Dachshund an der Leine darunter. Ein Minnesänger, der, ehe er sich niederließ, taráram tarára tararámta táa machen mußte, setzte sich ans andere Ende der Bank, was den Hund nicht weiter interessierte; er konnte nur eines nicht vertragen: kostümierte Menschen; also z. B. Pflegeschwestern, Damen in Reiherhüten, Generale und weiß angezogene Köche. Da naht ein Kinderwagen mit einem speziell dazu drapierten Kindermädchen mit dem hennenschweifartig gefalteten, kurzen Schleierhäubchen, das weder vor der Sonne schützt noch die Haare bändigt, sondern nur den Hinterkopf verdoppelt und beschwert und die Stirne dumm aussehen macht. Mein Hund springt vor und bellt sie wütend an: »Hauhau – haube herrrunter – Haube herunter – hau!« Da er an der Leine war, konnte er sonst nichts tun. Es dauerte eine Weile, bis der Kinderwagen mit der Haubenhenne vorüber und außer Sicht war, und solange rief er ihr seine Empörung nach, was ich ihm auch gestattete. Dann erst sagte ich: »Ruhig Käfi! Gib eine Ruh! Sei jetzt ruhig.« – »Aber Frollein«, meinte der Minnesänger, »ein Hund muß doch bellen.« Der Fachmann! Es würde mich nun interessieren zu erfahren, wie viele oder wie wenige meiner Leser hier schon wüßten, was mich zwingt, den Fachmann zu erkennen. Ehe ich fortsetze, will ich noch, um mich vor der Beschuldigung zu sichern, ich sei ein Krakeelmacher, feststellen, daß ich bald nach des Minnesängers Ausspruch aufgestanden und fortgegangen bin, daß der Hund sofort zu bellen aufgehört, und ich dem Herrn nicht ein Wort geantwortet hatte. Die ganze Angelegenheit ist so geringfügig, daß ich mich kaum getraue sie anzuführen, aber doch so charakteristisch, daß ich mich nicht enthalten kann.

    Was hatte der Mann gesagt?

    »Aber Frollein, ein Hund muß doch bellen.«

    Recht hat er; der Hund bellt, das Pferd wiehert, die Maus pfeift. Also muß nun, wenn der Hund bellt, auch ein Hund bellen. Wer würde diesen Satz nicht unterschreiben? Und falsch und falsch angebracht ist er dennoch, denn erstens weiß ich als Naturkennerin und Hundebesitzerin, daß der Hund bellt und nicht anders als bellen kann. Muß er aber immer, immer, immerzu bellen? Zweitens ließ ich ihn bellen, solange es für ihn notwendig und für andere nicht lästig war, weil ich ihm nicht die Bell-Lust verderben, ihn aber schließlich von seinem eigenen Bell-Zwang befreien mußte, wofür Beller und Zuhörer gleich dankbar sind. Der Hund gehorchte auch mit Vergnügen. Dies alles wäre noch festzustellen und vielleicht sogar, wahrscheinlich aber nicht, vom Minnesänger zu verstehen gewesen. Und dennoch sehe ich eine unübersteigbare Stelle, noch ein Hindernis, das mir ein Fachmann hier aufbauen könnte. Gesetzt, ich erzähle den belanglosen kleinen Vorgang und erhoffe vom Zuhörer so viel Denk- und Sprachgefühl als nötig ist, um übereinstimmend mit mir den Satz »Aber Frollein, ein Hund muß doch bellen« zu verwerfen, so kann ich sicher auf folgende Antwort, eine typisch fachmännische, rechnen:

    »Wer wird denn Worte so überschätzen! Der Mann wollte doch nur ein Gespräch einleiten, allerdings konnte er nicht voraussetzen, daß Sie sich so ereifern würden. Aber schließlich mögen Sie recht haben – er hätte Sie nicht ansprechen sollen.« Das durfte nicht kommen! Wort für Wort falsch und immer noch keine Antwort. Wo werde ich gegen den gutmütigen Minnesänger eifern, der mir doch nur ein prächtiges Beispiel für meine Theorie lieferte! Worte überschätzen? Nein! Schätzen, was mehr ist. Daß ich angeredet werde? Warum nicht? Jedes seiner Worte hat mich gefesselt und zu langer Gedankenreihe angeregt. Freilich erwiderte ich nichts, denn sonst hätte er mir vielleicht des Fachmanns Sentenz vorgehalten: »Wie kann man nur, ich wollte doch bloß . . . . Aber Frollein« – Kurz mein Thema wäre weiß Gott wo hinübergespielt worden, womöglich ins Fahrwasser der zimperlichen Person, die sich nicht anreden läßt und es übelnimmt, wenn man über ihr klein-Hundchen spricht. Es wäre ein Marmarameer von Mißverständnissen geworden, wenn ich, Fachmann, dem Laien den Fachmannstab in die Hände dadurch gespielt hätte, daß ich auch nur ein Wort über den Vorfall, sei es mit dem Minnesänger selbst, sei es mit einem sonstigen Zuhörer verlor, um z. B. Folgendes zu sagen: »Jawohl Hunde bellen, Pferde wiehern, etc. – aber dieser Hund, der bellen kann, und ziemlich lang hier gebellt hat, wie Sie bemerkt haben müssen, soll jetzt um ¾ 11 Uhr zu bellen aufhören« – oder: »Jawohl, der Hund bellt, aber ein Hund muß nicht immer bellen« – und wäre es noch so schelmisch, noch so lieb vorgebracht, niemand hätte die Arglosigkeit bemerkt, und der Minnesänger hätte gemurmelt: »Ich hab’ mir’s doch gleich gedacht, die ist nicht richtig.« Er ist richtig, denn was er sagte, entspricht dem, was er tat: Ein

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